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Flotten der Welt => Die Kaiserlich Japanische Marine => Japanische Marine - Geschichte und Einsätze => Thema gestartet von: Dominik am 19 August 2005, 20:56:56

Titel: Der "Tomozuru"-Zwischenfall (Tomozuru Jiken)
Beitrag von: Dominik am 19 August 2005, 20:56:56
[align=justify]Die "Tomozuru", ein Torpedoboot der 21. Torpedobootdivision / Sasebo-Schutzflotille, verließ mit den Schwestereinheiten "Chidori" und "Manazuru" am 6. März 1934 Sasebo zu einer 6-Tage-Übung, die westlich von Nagasaki stattfinden sollte. Während "Manazuru" wegen Motorschäden zurückkehren musste, nahmen die verbliebenen Schiffe Kurs auf die Straße von Terashima.

Am Abend des 11. März ankerten sie in der Straße, um sich für die ab 1.15 Uhr des folgenden Tages geplanten Nachtangriffe auf den leichten Kreuzer "Tatsuta" vorzubereiten. Während dieser Angriffe verschlechterte sich das Wetter zunehmend. Gegen 3.00 Uhr herrschte bereits eine Windgeschwindigkeit von bis zu 39 Knoten, die Wellen erreichten eine Höhe von 4 Metern. Um 3.25 Uhr wurde die Übung abgebrochen und die Rückkehr nach Sasebo angeordnet. Am 3.58 Uhr bricht die Funkverbindung zur Tomozuru zusammen, die Positionsleuchten fallen um 4.12 Uhr aus. Zu diesem Zeitpunkt befindet sie sich etwa 7 Seemeilen südlich von Dai Tatsushima. Der Kreuzer hat momentan bis zu 30° Schlagseite, die Torpedoboote bis zu 45°!

Um 4.28 Uhr funkt "Chidori" an die Tatsuta: "Tomozuru's Verbleiben unbekannt!" Zu diesem Zeitpunkt wurde das Torpedoboot bereits von einer schweren Welle getroffen und kenterte auf Position 33°55' Nord und 129°30' Ost.

"Chidori" nimmt weiter Kurs auf die Straße von Terashima, um dort Schutz zu finden, während "Tatsuta" wendet und mit der Suche nach der "Tomozuru" beginnt. Aufgrund der Sichtweite von bis zu drei Kilometern, meterhohen Wellen und strömenden Regen muss diese erste Suche aber bald abgebrochen werden.

Um 7.40 Uhr werden die beiden Zerstörer "Hatsuharu" und "Nenohi" zur Unglücksstelle entsandt. Erst um 14.05 Uhr sichtet die "Tatsuta" einen "Turm eines aufgetaucht laufendendes Unterseeboot", welches sich bald als Ruder und Propeller der gekenterten "Tomozuru" erweist. Sie befindet sich momentan, durch Wind und Strömung in Richtung Hiradoshima getrieben, 2,5 Seemeilen von Mikamishima. Eine Bergung der durch Klopfen festgestellten Überlebenden kann durch Dunkelheit und Wassertiefe nicht beginnen. Allerdings nimmt "Tatsuta" das gekenterte Schiff in Schlepp und nimmt Kurs auf Sasebo.

Um 7.25 des 13. März erreicht der Kreuzer den Eingang zum Hafen von Sasebo und wird von Hafenschleppern abgelöst. Tomozuru wurde in das Trockendock gezogen. Hierzu musste unter Wasser der Tripod-Hauptmast gekappt werden. Um 21.58 Uhr war das Trockendock geleert und man begann mit der Bergung der restlichen Überlebenden. Dreizehn Seeleute konnten gerettet werden. Für 100 Seeleute, darunter Korvettenkapitän Iwase Okuitsu und fünf Offiziere, kam die Rettung jedoch zu spät.

Die folgende Untersuchungskommision kam am 2. April zum Schluss, dass

- stürmische Wellen
- der Mangel dynamischer Stabilität

für das Kentern verantwortlich war.


Eine anschließende Untersuchungskommision kam am 14. Juni 1934 zu dem Schluss, das fast alle kürzlich in Dienst gestellten japanische Schiffe über diese mangelnde Seetüchtigkeit besaßen und empfahl dringende Behebung.

Als Folge dieses Unglücks wurden die Pläne der im 2. Ersatzprogramm von 1934 enthaltenen Schiffe geändert, während alle Schiffe des 1. Ersatzprogramms von 1931, die noch nicht vom Stapel gelassen wurden, noch in der Werft umgebaut mussten. Für alle restlichen, bereits fertiggestellten Schiffe wurde folgendes festgelegt:

- Entfernung aller nicht benötigten Einrichtungen
- Reduzierung der Bewaffnung und gegebenenfalls Veränderung deren Position zur Wasserlinie hin
- Aufnahme von Ballast im Kielbereich
- Erhöhung der Schiffsbreite durch zusätzliche Bulges
- Installation von Salzwasser-Ballasttanks mit dem zugehörigen Pumpsystem

Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die mangelnde Stabilität der "Tomozuru"-Klasse bereits am 1. April 1933 an der "Chidori" festgestellt wurde. Man stellte während der Probefahrten fest, dass das Schiff mit einer Geschwindigkeit von 28 Knoten bei einer Wende bereits eine Rollrate von 35° erreichte! Es wurde hier bereits ein Zusatzgewicht von 30 Tonnen empfehlen, aber nie durchgesetzt.[/align]
Titel: Der "Tomozuru"-Zwischenfall (Tomozuru Jiken)
Beitrag von: Lutscha am 19 August 2005, 21:10:22
War das der Vorfall, der zu Fujimotos Entlassung führte? Wer weiss, wie seine Yamato ausgesehen hätte.
Titel: Der "Tomozuru"-Zwischenfall (Tomozuru Jiken)
Beitrag von: Dominik am 19 August 2005, 22:22:34
@ Lutscha,

Konteradmiral Fujimoto Kikuo war schließlich Chef der Arbeitsgruppe "Grundlegendes Schiffsdesign" der Abteilung Schiffsbau. Das er unter heftige Kritik kam und schließlich im November 1934 ersetzt wurde, ist wohl leicht nachzuvollziehen, waren die Stabilitätsprobleme doch bereits in seiner Gruppe geschaffen worden.

Gruß

Dominik
Titel: Der "Tomozuru"-Zwischenfall (Tomozuru Jiken)
Beitrag von: ufo am 19 August 2005, 22:57:47
Ist ja fast tröstlich, dass andere auch mal einen Bock geschossen haben. Wie kommt sowas? Wie kann sich in eine ganze Generation Kriegsschiffe ein wiederkehrender konstruktiver Mangel einschleichen?

Ich find' das halt spannend, weil mich Deutscher Kriegschiffbau vom Ende der Hochseeflotte durch die Reichsmarine bis in die Kriegsmarine interessiert. Da hat es auch manche Untugenden gegeben, die sich durch mehrere Schiffe wiederholen.
Aber mal im Ernst – Schiffe bei den mal der Kiel und mal die Pagode unten sind – das ist nun nicht nur ein kleinerer Schluckauf  bei Design.

Wer hat Japanische Kriegsschiffe designet? Haben die ein Äquivalent zum K-Amt gehabt? Haben die Werft-Entwürfe eingeholt?

Die haben ja relativ lange auf ausländische Bauten – gern Britische – gesetzt. Hat das Probleme gegeben? Fehlte denen die Erfahrung?  

Neugierig und verbluefft ...
Ufo
Titel: Der "Tomozuru"-Zwischenfall (Tomozuru Jiken)
Beitrag von: Wilfried am 20 August 2005, 13:23:34
Moin Dominik,

ein sehr interessanter Beitrag; eigentlich hätte die Überschrift - in Anlehnung an die Rollrate von 35° - heißen müssen: Mit AK in den Untergang ...  :D
Griff man nicht auf die Erfahrungen aus dem zivilen Schiffbau zu? Die sollte doch angesicht der japanischen Geografie vorhanden gewesen sein?
Oder griff das Prinzip "Was nicht sein darf, ist auch nicht!". Japanische Mentalität und Hierarchie zur damaligen Zeit sind sicherlich auch in diesem Kontext zu sehen.

Freue mich auf weitere Erklärungen.

Mit einem lieben Gruß
der Wilfried
Titel: Der "Tomozuru"-Zwischenfall (Tomozuru Jiken)
Beitrag von: Mario am 20 August 2005, 14:17:04
ZitatOder griff das Prinzip "Was nicht sein darf, ist auch nicht!". Japanische Mentalität und Hierarchie zur damaligen Zeit sind sicherlich auch in diesem Kontext zu sehen.
Nun, ich denke, damals hatte alle Kriegsmarinen dieses Preblem der mangelnden Stabilität. Die Marine forderte von den Konstrukteuren größtmögliche Schlagkraft, Standkraft (sprich Panzerung) und eine hohe Geschwindigkeit. Deshalb ging man immer an die Grenzen des Machbaren heran. Wenn ich daran denke, was man bei den Schiffen der US-Navy alles im Laufe des Krieges ausgebaut hat, um Gewicht zu sparen... Geschütztürme, ganze Brückenaufbauten, die Zitadelle bei vielen leichten Kreuzern usw.
Titel: Der "Tomozuru"-Zwischenfall (Tomozuru Jiken)
Beitrag von: Dominik am 20 August 2005, 16:44:58
Hallo Ufo,

Unter dem späteren Konstrukteurs-Vizeadmiral (was für ein Titel) Hiraga Yuzuru wurden bis 1926 die

- Schlachtschiff "Fuso"
- Schlachtschiff "Yamashiro"
- Schlachtkreuzer "Hiei" (später Umbau zum Schlachtschiff)
- Schlachtschiff "Nagato"
- Schlachtschiff "Kaga" (später gestrichen, "Kaga" zum Flottenträger umgebaut)
- Schlachtkreuzer "Amagi" (später gestrichen, "Akagi" zum Flottenträger umgebaut)
- Experimentalkreuzer "Yubari"
- Furutaka-Klasse
- Myoko-Klasse

entwickelt. Alle Schlachtschiffe und -kreuzer stellten recht gute Entwürfe dar. Mit dem Experimentalkreuzer "Yubari" wollte man neue Wege beschreiten (größtmögliche Bewaffnung im kleinstmöglichen Schiff). "Furutaka" und "Myoko" waren anschließend bereits Abkömmlinge dieser neuen Design-Linie. Diese Schiffe verfügten noch über eine gute Stabilität, neigten aber aus bis heute unerklärlichen Gründen zu einem Übergewicht. Gleichzeitig forderte der Marinegeneralstab eine immer stärkere Bewaffnung. Da sich Hiraga darauf nicht einließ, wurde er 1930 von seinen bisherigen Assistenten Fujimoto Kikuo ersetzt. Dieser hatte bereits in Abwesenheit von Hiraga die Kreuzer der Furutaka- (wurde Aoba-Klasse) und Myoko-Klasse überarbeitet.

Durch die verstärkte Bewaffnung wurde der Schwerpunkt der Schiffe weiter nach oben gelegt. Zusammen mit Hiragas unerklärlichen Übergewicht brachte dies das Fass zu überlaufen. Im Ganzen also eine Mischung aus "Druck von Oben" und unerklärlichen Schiffseingenschaften.

Hier einmal eine kurze Aufstellung der von Fujimoto designten Schiffsklassen:

- schwerer Kreuzer Aoba (Umbau 1937)
- schwerer Kreuzer Myoko - hier riss zum Teil sogar die Außenhaut (Umbau)
- Zerstörer Fubuki - eigentlich ein sehr guter Entwurf, aber mangelnde Stabilität (führte nach dem Austritt aus den Flottenkonferenzen zur Kagero-/Yugumo-Serie)
- Zerstörer Hatsuharu - mangelnde Stabilität, die ersten beiden Einheiten mussten während des Baus umgebaut werden, keine entgültige Beseitigung und Bausstopp (führte zur Shiratsuyu-Klasse)
- schwerer Kreuzer Takao ("Takao" und "Atago" wurden noch umgebaut -> niedrigerer Turm)
- leichter Kreuzer Mogami

Nachfolger von Fujimoto wurde der spätere Konteradmiral Fukuda, der für den Umbau der Schiffe aus dem 1. und 2. Ersatzprogramm und den Neukonstruktionen des 3. und 4. Ersatzprogramms verantwortlich war (hier fällt dann auch die Yamato-Klasse drunter).

Gruß

Dominik
Titel: Der "Tomozuru"-Zwischenfall (Tomozuru Jiken)
Beitrag von: t-geronimo am 20 August 2005, 17:37:12
@ Mario:
Die britischen schweren Einheiten hatten ebenso ihre Stabilitätsprobleme, vor allem die alten.
Aber die Designer konnten bei der Planung auch nicht unbedingt vorraussehen, was denn so in 10 oder 20 Jahren alles eingebaut werden mußte, vor allem an Fla-Bewaffnung incl. Munitionskammern und -Förderung sowie zusätzlicher Panzerung.
Die Tendenz ging bei allen Einheiten hin zum immer instabileren. Einzig die Schiffe, die eine neue Maschinenanlage bekommen haben wie einige der QE-Klasse und Renown hatten dadurch eine "Verschnaufpause im schwerer werden". Aber auch die war bald erschöpft, da diese Schiffe natürlich um so mehr eingesetzt wurden und dementsprechend bei der Flak und ihren Leitanlagen auch am massivsten aufgerüstet wurden.
Bei kleineren Einheiten kenne ich mich leider nicht so gut aus, ob dort die Entwicklung parallel lief.
Titel: Der "Tomozuru"-Zwischenfall (Tomozuru Jiken)
Beitrag von: Scharnhorst66 am 22 August 2005, 12:48:49
Wobei sich das Stabilitäts-Problem irgendwie wie ein roter Faden durch so ziemlich alle Schiffsgattungen ( vorallem Kreuzer) bei der IJN zieht !!

Denke da an Myoko - Takao - Klasse , oder noch schlimmer die Mogami´s

Das man da nicht schneller eine Lösung für gefunden hat ?!