Geschichte und Funktionsweise des Kreiselkompasses

Begonnen von Captain Hans, 28 Oktober 2008, 22:21:33

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Captain Hans

Geschichte und Funktionsweise des Kreiselkompasses

Der Kreiselkompass ist neben dem GPS noch immer das wichtigste Navigationsinstrument in der heutigen Schiffahrt.
Ich werde hier versuchen die Funktionsprinzipien und die Fehler des Kreiselkompasses
allgemeinverstaendlich darzustellen.
Die Links dienen wiederum zum Vertiefen des Wissens.

A.    Kurzgeschichte

Hermann Anschütz-Kaempfe Mediziner und Nordpolforscher traeumte davon mit einem U-Boot zum Nordpol zu fahren.
Da zu diesem Zweck der Magnetkompass, besonders in einem U-Boot unbrauchbar war,
begann er ein richtungsweisendes Geraet zu entwickeln, welches unabhaengig vom Erdmagnetismus war.
Als Grundlage seiner Forschung verwendete er das Prinzip des französischen Physikers Foucault, der 1852 ein Kreiselinstrument  (Gyroskop) beschrieben hatte aber nicht in die Praxis umsetzen konnte.
Nach langjaehrigen Versuchen gelang Anschütz 1904 die Konstruktion eines elektrisch angetriebenen Kreiselrichtungshalters, des ,,Gyros".
Auf dieser Grundlage konstruierte er 1907 den ersten Einkreiselkompass, der erstmals 1908 auf dem deutschen Linienschiff Deutschland ohne grossen Erfolg verwendet wurde.
Der Kreisel reagierte auf Roll-, Schlinger- und Stampfbewegungen indem er zu schwingen anfing.
Zuverlässiger arbeitete aber der 1912 von ihm gebaute Mehrkreiselkompass, der auf dem deutschen Schlachtkreuzer Moltke erprobt wurde. Im Jahr 1913 erfolgte der erste Einsatz auf einem Handelsschiff, dem deutschen Passagierschiff,,Imperator".
1925 ging der 2 Kreiselkompass in Serie, der bis heute das Grundprinzip aller Kreiselanlagen auf allen Schiffen darstellt.
Alle Schiffe der Kriegsmarine fuhren mit dem 2-Kreiselkompass.

Hier ein link zur sehr interessanten Geschichte der Entwicklung des Kreiselkompasses

http://de.wikipedia.org/wiki/Kreiselkompass#Geschichte

       
B. physikalische Grundlagen
     Die physikalische Grundlage sind die Kreiselgesetze, die schon im Altertum bekannt
     waren.

1.   Ein sich schnell drehender Kreisel (mit 3 Freiheitsgraden) hat das Bestreben,
      seine Richtung im Raum beizubehalten. (theoretisch, bei Vernachlaessigung   
      der Reibungskraefte)

2.   Wenn eine Kraft die Richtung der Kreiselachse zu ändern sucht, so folgt die
      Achse dieser Kraft nicht, sondern sie weicht um 90 Grad in der
      Drehrichtung aus"

3.   Das Drehmoment, die Nutation, die Erddrehung und vor allen Dingen die
      Pendelgesetze spielen ebenfalls eine grosse Rolle.
 
Zur detailierten mathematischen und physikalischen Erklaerung hier einige links:

http://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4zession

http://www.personal.uni-jena.de/~p1erra/physik/protokolle/seite%20157-%20versuch%20115.pdf

C.   Funktionsprinzip

Da die Funktionsprinzipien auf sehr komplizierten mathematischen und physikalischen Berechnungen basieren, werde ich hier versuchen, das Funktionsprinzip mit einfachen Worten zu erklaeren.

Stellen wir uns einen Kreisel vor, dessen Achse in Ost-West Richtung steht und parallel zur Erdoberflaeche liegt.
Gemaess erstem Kreiselgesetz behaelt die Achse ihre Richtung im Raum bei d.h. durch die Erddrehung wuerde das Ostende der Achse sich heben. (Dritter Freiheitsgrad)
Wuerde man diese scheinbare Bewegung verhindern, wuerde der Kreisel um 90 Grad in der Drehrichtung kontinuierlich ausweichen. (2. Kreiselgesetz)
.Hier wendet man nun eine Trick an, indem man diesen Freiheitsgrad fesselt (Kreiseldaempfung).
Der Kreisel beginnt sich nun mit seiner Achse in die Nord/Sued Richtung zu drehen.
Zu Anfang ist die Kraft gross – wird dann immer kleiner- bis sie Null wird, wenn die Achse in Nord /Sued Richtung liegt. (dies ist theoretisch)
In Wirklichkeit verhaelt sich die Drehung des Kreisel wie eine Pendelbewegung d.h.die Achse schwingt ueber die Nord/Sued Richtung hinaus, dann kehrt sich die Kraft um und der Kreisel schwingt wieder zurueck. (Schwingungsperiode des Kreisels)
Die Einschwingperiode aller Zweikreiselsysteme betraegt 84,4 Minuten d.h. schaltet man einen Kreisel ein, muss man 84,4 Minuten warten, bis er Nord anzeigt

Hier ein link mit detailierten mathematischen Hintergrund dieses Vorgangs.
(Die Ableitung der Schwingungsformel von Herrn Schuler war meine Pruefungsaufgabe in Physik beim Kapitaenspatent)

      http://de.wikipedia.org/wiki/Schuler-Periode


D.   technischer Aufbau eines Kreisels

Auch hier werde ich es mit einfachen Worten versuchen:

Der Kreiselkompass besteht in der Hauptsache aus zwei Kugeln, der Inneren und der Aeusseren. Die Innere schwimmt in einer elektrisch leitenden Fluessigkeit in der Aussenkugel. In der Innenkugel befinden sich die beiden Kreisel (20 000 U/min) und zwar um 90 Grad versetzt.
Die Achsenenden sind mit Federn verbunden, sodass die Achsenenden  gefedert schwingen koennen. Die Winkelmitte zwischen den Achsen ergibt die Nordrichtung.

Sehr vereinfachte schematische  Darstellung

siehe angehaengte Graphic 1

Die Uebertragung des Drehstroms erfolgt durch die elektrische leitende Fluessigkeit ,ueber Kontakte in der Mittelebene der beiden Kugeln.
Die innere Kugel wird mittels eines Ringmagneten (Blasspule) immer im gleichen Abstand zur Aussenkugel gehalten.
Das Blasspulenkonzept wurde von Albert Einstein entwickelt, der sich nach dem Patentstreit zwischen Anschuetz und Sperry, mit Anschuetz angefreundet hatte

Hier einige links, die zu diesem Thema detailierte Auskunft geben

http://www.ieap.uni-kiel.de/plasma/ag-piel/vorl/kap15/kap15.html

http://www.geobasis-bb.de/GeoPortal1/produkte/verm_bb/pdf/2_07_Mitt_Sorge_114-116.pdf

E.   Fehler des Kreiselkompasses

1.   Bechleunigungs-,Verzoegerungs-,Schlinger- und Rollfehler
2.   Fahrtfehler

Zu 1:

Dieser Fehler wird durch die geniale gefederte Achsenaufhaengung fast komplett aufgefangen. Stampft ein Schiff in eine schwere See, so wird es verzoegert – nach den Kreiselgesetzen wuerde eine Kraft auf die Achsen der Kreisel wirken, die ihn zum Ausweichen bringen wuerden-durch die gefederte Aufhaengung bewegen sich die beiden Kreiselachsen aufeinander zu und die Winkelresultierende bleibt im Norden.
Umgekehrt nartuelich bei Beschleunigungen.

Stark vereinfachte schematische Darstellung 


siehe angehaengte Grapik 2

Zu 2:
Der Fahrtfehler ensteht durch die Corioliskraft (eine Nebenkraft der Erd-Zentrifugalkraft)
Da die Schiffsgeschwindigkeiten relative gering sind ist der Fahrtfehler bei Schiffen sehr gering und wird mit Hilfe einer Fahrtfehlertabelle korrigiert. (+/-1 – 2 Grad)
Bei Flugzeugen ist der Fahrtfehler allerdings sehr gross.
   

Generell:

In der Naehe und an den Erdpolen funktioniert das 2 Kreiselsystem nicht.
Hier verwendet man ein Drei-Kreiselsystem (Traegheitsnavigation)

Nachwort:
Anschuetz hatte bis 1908 einen Partner eine gewissen Herrn Plath. Sie stritten sich ueber das Konzept des Schwebens der inneren Kugel.
Plath entwickelt einen eigenen Kompass, bei dem die innere Kugel in einem Quecksilberbad schwimmt. Durch die grosse Dichte des Quecksilbers, taucht die Kugel nur minimal ein und es wird eine geringe Reibung produziert.
Noch heute gibt  es neben Anschuetz, die Sperry und Plath Kreiselkompasse.
Ein weitere Kreiselkompass war der Amar-Browne Ein-Kreiselkompass, stehend, der sich aber nicht durchsetzte.


Ein sehr schoener link, der die Geschichte der Firma Anschuetz , die Entwicklungen der Kreiselkompasses, die Uebernahme durch den Konzern Raytheon bis zum heutigen Marktfuehrer und Weltkonzern wiedergibt. (viele Bilder)

http://www.dmkn.de/1779/technologie.nsf/2A954D2B5483B41FC1257089004F0506/$File/100_jahre_anschuetz.pdf




So nun weiss ich auch nichts mehr, und ich hoffe das alles einigermassen verstaendlich war.

Ich hoffe es war von Interesse fuer Euch

Beste Gruesse

Kapitaen Hans




,Nur wer sich ändert,bleibt sich treu"!!!
,,Nicht was du bist,ist das was dich ehrt,wie du bist,bestimmt den Wert"!!!

winni

Es sind immer die Abenteurer die große Dinge vollbringen.


Montesquieu.

Big A

Es ist den heutigen Navigationsschülern kaum glaubhaft darstellbar dass man auch ohne GPS, SatNav oder Computern trotzdem am richtigen Ziel zur geplanten Zeit ankommen kann, mit Sextant, Kreiselkompass, Zettel, Stift, Frust... äh Fulst Nautischen Tafel etc.
Und: GPS kann Tidenberechnungen auch nicht durchführen und schon sitzt man beladen auf der Barre vor der Einfahrt :-o

Axel
Weapons are no good unless there are guts on both sides of the bayonet.
(Gen. Walter Kruger, 6th Army)

Real men don't need experts to tell them whose asses to kick.

Captain Hans

#3
Hallo Axel

solche Unfallberichte habe ich zu Dutzenden verarbeitet.
War 3 mal Vertreter fuer Deutschland bei MAIF (Marine Accident International Forum) im Auftrag des Bundesverkehrsministerium.
Vertreter von 60 Nationen anwesend. Dort werden genau solche Unfaelle diskutiert und Erfahrungen ausgetauscht.

Einen muss ich los werden, deutscher Container (5600 TEU) laeuft konstant einen Thailaendischen Hafen an. 6 mal ging es gut
beim 7. mal voll in die Scheisse, der ganze Boden aufgerissen. Es gab da eine halbjaehrige Springtide, die hatte man wohl uebersehen oder gar nicht gewusst.

Ich hatte gleich einen Auftrag, ein Sicherheitsmanagementsystem an Bord zu liefern, dass auf Knopfdruck fuer jeden Hafen eine Checkliste auswarf, auf der alle Schritte darauf standen, die man zu beachten und auszufuehren hatte, wenn man einlaeuft.

Auf dieses Sicherheitsmanagementsystem komme ich noch  im Forum zurueck.

Es war meine beste Erfindung - es hiess NAVECS (Nautical Audio Visual Emergency Control System)
Wenn er dann trozdem auf der Scheisse sass, konnte er sich eine neue Checkliste ausdrucken lassen, was er jetzt unternehmen musste.








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