Geheimer Cherbourg-Einsatz deutscher S-Boote im Herbst 1944?

Begonnen von Spökenkieker, 03 März 2008, 07:37:00

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Spökenkieker


Am Wochenende habe ich einen älteren Herrn besucht, der mir berichtet hat, sein Bruder sei bei seiner ersten Feindfahrt mit S 702 versenkt worden. Laut Gröner ist das Boot am 19.9.1944 verloren gegangen.

Als Hintergrund des Einsatzes soll ein Sonderauftrag existiert haben. Nachdem Brest, Dünkirchen und Cherbourg eingeschlossen und zur Festung erklärt worden waren, sollten nach Möglichkeit keine hochrangigen Offiziere in amerikanische Hand fallen. Brest fiel Anfang September; die Festungsbesatzung ergab sich in der völlig zerstörten Stadt. Cherbourg und Dünkirchen drohte nun ein ähnliches Schicksal.

Da eine Versorgung über den Land- und Luftweg ausschied, sollten aus Ijmuiden / Niederlande Nachschubgüter nachgeführt werden. Dem Vernehmen nach gab es einen Transportauftrag für Munition in die von Vizeadmiral Frisius geführte ,,Festung Dünkirchen" und einen ähnlichen Transportauftrag nach Cherbourg. 

Beauftragt wurde Kapitänleutnant Müller, Chef der 10. S-Flottille, der für die Dünkirchen Unternehmung die Boote S 185, S 186, S 191 und S 192 auswählte. Möglicherweise sind zwei dieser Boote auch nach Cherbourg weitergefahren (?). Um das Ziel der Reise zu verschleiern, wurden zeitgleich die Boote S 183, S 200 und S 702 in Fahrt gesetzt; S 702 könnte als Führerfahrzeug von Müller gedient haben.

Bei der Cherbourg-Unternehmung sollte dem Vernehmen nach ein deutscher General abgeholt werden. Um die beiden Unternehmungen zu decken, sei der Verlust der Führergruppe einkalkuliert worden. In der Tat stieß Müller auf eine englische Fregatte (H.M.S. Stayner) und zwei MTBs (MTB 724, MTB 728), die zunächst S 183 niederkämpften und anschließend S 702 und S 200 unter schweres Feuer nahmen. Bei Ausweichversuchen kollidierten beide Boote und gingen verloren; die wenigen Überlebenden wurden von den Engländern gerettet. Unter den Überlebenden befand sich auch Kapitänleutnant Müller.

Die nach Cherbourg entsandten Boote brachten Munition hin und nahmen auf dem Rückweg eben jenen General mit, der dann in Ijmuiden an Land gehen konnte. Die Schicksale der beteiligten Boote lassen sich teilweise nachvollziehen; der Einsatz kann also in Bezug auf Dünkirchen und das Gefecht mit H.M.S. Stayner als richtig bezeichnet werden. Gibt es Erkenntnisse, welche Boote nach Cherbourg fuhren, und wen sie dort abholten??

Gruss,

Spökenkieker

kgvm

Verzeih die Anspielung, aber ich halte den Bericht über den Cherbourg-Einsatz für Spökenkiekerei. Cherbourg war als erste Festung bereits am 28. JUNI 1944 gefallen!!
MfG
Klaus Günther

Spökenkieker

Nicht auszuschliessen, dass sich mein Gesprächspartner da geirrt hat. Cherbourg war ihm aber ganz besonders wichtig. Könnte es diesen Einsatz in Dünkirchen gegeben haben?? Der ältere Herr ist selbst als Fähnrich auf S 185 gefahren und glaubt sich erinnern zu können, dass in Ijmuiden ein General angelandet wurde -

kgvm

Dünkirchen ist korrekt, siehe folgender Auszug aus der Chronik des Seekriegs:
"18./19.9.1944
Kanal / Normandie
In die seit 8.9. eingeschlossene »Festung« Dünkirchen, in der nun der Marine (VAdm. Frisius) das Kommando übertragen wird, bringt die dt. 10. S-Flottille (Kptlt. Müller) mit S 185, S 186, S 191 und S 192 Munition und Versorgungsgüter. Dabei wird die Sicherungsgruppe S 183, S 200 und S 702, mit dem Flottillenchef an Bord, von einer Patrouillen-Gruppe mit der brit. Fregatte Stayner (Lt. Turner) und MTB 724 und MTB 728 vor Ostende abgefangen. S 183 wird durch Beschuss der MTBs fahrunfähig gemacht und von der Stayner versenkt. Die anderen beiden Boote kollidieren daraufhin und müssen aufgegeben werden. Die britischen Schiffe retten rund 60 Überlebende, darunter den Chef der 10. S-Flottille"
Zum weiteren Hintergrund des Versorgungseinsatzes und des Abzugs der Generalität noch ein paar Ergänzungen nach Jacques Mordal, Die letzten Bastionen, s. 32 ff.:
"Wer sollte den Befehl übernehmen? Die Marine war in Dünkirchen nur durch den Hafenkommandanten, Kapitän z.S.d.R. Schneider, vertreten, der diese Stellung seit Juni 1940 innehatte. Kommandeur der 226. ID war Generalleutnant von Kluge. Auf Befehl Hitlers wurde dann Oberst von Wittstatt als Festungskommandant nach Dünkirchen geschickt, der sich den General natürlich nicht unterstellen konnte. So kam es zu einer zweigleisigen Kommandoführung, was der Verteidigung der Festung abträglich war."
Konteradmiral Frisius, Seekommandant im Abschnitt Pas de Calais mit Sitz in Boulogne, mußte wegen der bevorstehenden Einnahme seinen Sitz nach Dünkirchen verlegen.
"Frisius ging nicht gern nach Dünkirchen. .... Welche Stellung sollte er, der Seemann, zwischen Festungskommandant und Divisionskommandeur einnehmen?
Das überlegte man sich auch in Berlin; denn kaum hatte sich der Admiral in seinem neuen Hauptquartier im Kasino von Malo-les-Bains eingerichtet, als das Oberkommando der Wehrmacht ihn fragte, ob er den Oberbefehl über die Festung übernehmen wolle, so wie es Admiral Schirlitz gerade in La Rochelle getan hatte. Die Aussicht war wirklich nicht sehr reizvoll, und es bedurfte mehrerer Mahnschreiben, ehe Frisius am 15. September antwortete, er nehme unter der Bedingung an, daß ihm das Kommando mit eindeutig festgelegter alleiniger Befehlsbefugnis übertragen werde. Das bedeutete die Abberufung des Generalleutnants von Kluge und des Oberst von Wittstatt. Weiter verlangte Frisius eine Reorganisation der Verteidigung und die Versorgung der Festung mit allen verfügbaren Mitteln."

Spökenkieker

Könnten diese beiden Herren dann über See "rausgebracht" worden sein?? Gruss, Spöky

kgvm

Sorry, hätte ich vielleicht auch noch zitieren sollen. Ebenda S. 34:
"Ein Funkspruch der Seekriegsleitung in Berlin hatte ihn gerade davon in Kenntnis gesetzt, daß er mit Wirkung vom 19. September 1944 zum Kommandanten der Festung Dünkirchen ernannt sei. General von Kluge sollte mit seinem Stabe durch Schnellboote abgeholt werden; dafür blieb Oberst von Wittstatt zu Frisius' Verfügung, worüber dieser sich nicht zu beklagen brauchte."

Peter K.

Nach Hümmelchen, Seite 191, liefen S-186 und S-185 von Hoek von Holland, sowie S-198 und S-199 am 18.09.1944, 20.00 Uhr, von Vlissingen mit jeweils 8 t Munition und anderen Nachschubgütern nach Dünkirchen aus, das sie am 19.09.1944 um 01.30 Uhr erreichten.
Bereits um 02.50 Uhr liefen sie mit Generalleutnant Wolfgang von KLUGE, Kommandeur der 226. Infanteriedivision, einigen Offizieren seines Stabes und vier Schwerverwundeten an Bord wieder aus und erreichten Hoek van Holland um 07.00 Uhr.
Grüße aus Österreich
Peter K.

www.forum-marinearchiv.de

Clemens Wihan

Zitat von: Peter K. am 05 Mai 2008, 23:20:38
Nach Hümmelchen, Seite 191, liefen S-186 und S-185 von Hoek von Holland, sowie S-198 und S-199 am 18.09.1944, 20.00 Uhr, von Vlissingen mit jeweils 8 t Munition und anderen Nachschubgütern nach Dünkirchen aus, das sie am 19.09.1944 um 01.30 Uhr erreichten.
Bereits um 02.50 Uhr liefen sie mit Generalleutnant Wolfgang von KLUGE, Kommandeur der 226. Infanteriedivision, einigen Offizieren seines Stabes und vier Schwerverwundeten an Bord wieder aus und erreichten Hoek van Holland um 07.00 Uhr.

Ich kenne doch den SteuerMann von S-198, er lebt noch in Slowakei und ist 86 jahre alt. Er erzahlt mir ueber diese Himmelfahrtskommando sehr viel. Ich werde Ihnen per Mail antworten
gruesse
Clemens

Urs Heßling

moin,

Zitat von: Peter K. am 05 Mai 2008, 23:20:38
Nach Hümmelchen, ...
Bereits um 02.50 Uhr liefen sie mit Generalleutnant Wolfgang von KLUGE, Kommandeur der 226. Infanteriedivision, einigen Offizieren seines Stabes und vier Schwerverwundeten an Bord wieder aus und erreichten Hoek van Holland um 07.00 Uhr.

hat Hümmelchen sich geirrt ? Das KTB FdS zitiert aus dem Gefechtsbericht "S 198" :
"bis 02.50 entladen, danach General ... (s.o.) an Bord, bis 03:30 auf weitere Verwundete gewartet, 03:45 abgelegt."

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

Peter K.

Zitat
... Eine Gruppe der 10. S-Flottille - S186 und S185 - ging um 2000 Uhr von Hoek van Holland aus in See, die zweite - S198 und S199 - von Vlissingen aus, jedes Boot mit 8 t Munition und Nachschubgütern beladen. Nachdem sie britischen Zerstörern entkommen konnten, trafen die vier Boote um 0130 Uhr des 19.09. "mit größter Begeisterung von der eingeschlossenen Besatzung von Dünkirchen begrüßt" im Zielhafen ein. Bis 0250 Uhr waren die Boote entladen und traten den Rückmarsch an. S198 und S199 hatten an Bord den Kommandeur der 226. Infanteriedivision, ..., einige Offiziere seines Stabes und vier Schwerverwundete. Um 0700 Uhr erreichen die Boote Hoek und machten um 0815 Uhr im Bunker fest. ...
Quelle: Hümmelchen
Grüße aus Österreich
Peter K.

www.forum-marinearchiv.de

Clemens Wihan

Zitat von: Peter K. am 16 November 2012, 23:14:17
Zitat
... Eine Gruppe der 10. S-Flottille - S186 und S185 - ging um 2000 Uhr von Hoek van Holland aus in See, die zweite - S198 und S199 - von Vlissingen aus, jedes Boot mit 8 t Munition und Nachschubgütern beladen. Nachdem sie britischen Zerstörern entkommen konnten, trafen die vier Boote um 0130 Uhr des 19.09. "mit größter Begeisterung von der eingeschlossenen Besatzung von Dünkirchen begrüßt" im Zielhafen ein. Bis 0250 Uhr waren die Boote entladen und traten den Rückmarsch an. S198 und S199 hatten an Bord den Kommandeur der 226. Infanteriedivision, ..., einige Offiziere seines Stabes und vier Schwerverwundete. Um 0700 Uhr erreichen die Boote Hoek und machten um 0815 Uhr im Bunker fest. ...
Quelle: Hümmelchen
Der Alte Herr - Rudengaenger von S-198 - hat mir berichtet ueber 3 milit. und 3 zivil Personen am Bord, die im Seinem gepanzertem cockpit waren waehrend der ruckkehr nach Ijmuiden. Und viele viele Verwundete aus Duenkirchen am Bord...Moeglicheweise waren diese VIP Personen Raketten-experten vom V2 batterien am Kueste, sagte der Alte Mann. Ich kann das keinesfalls verifizieren, moeglicheweise koennne Sie mir helfen hier in Forum . Er hat ueberlebt auch den Angriff von Lancasters auf Ijmuiden am 15.12.1944 mit seinem KpLt. - Walter Knapp. Vielen Dank fuer Hilfe, und entschuldigung fuer meine schwache Deutsch :)

Urs Heßling

moin,

Zitat von: Clemens Wihan am 06 Dezember 2012, 19:48:39
KpLt. Walter Knapp.

zu diesem Zeitpunkt wohl einer der erfahrensten Kommandanten überhaupt ...
S 42 (4/42 – 7/42  /8.)
S 42 (15.7.42 -11/42  /4.)
S 69 (12/42- 1/44  /8.)
S 99 (2/44 – 4/44  /8.),
S 83 (5/44 – 7/44  /8.)
S 80 (7/44  /5.)
S 198 (8/44 – 12/44  /8.)
S 195 (2/45 – 5/45  /8.)

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

alo41

1. Here we have Knapp's S 198 in the Ijmuiden bunker after the attack on 15 Dec. 1944.

2. One of Walter Knapp's typ S 38b boats (one of the S 80..S 99 boats)

/Alo
Antworte im deutsch, bitte

Urs Heßling

moin,

Zitat von: Spökenkieker am 03 März 2008, 07:37:00
Die nach Cherbourg entsandten Boote brachten Munition hin

Zitat von: kgvm am 03 März 2008, 08:46:15
ich halte den Bericht über den Cherbourg-Einsatz für Spökenkiekerei. Cherbourg war als erste Festung bereits am 28. JUNI 1944 gefallen!!

Doch diese völlig verrückte Fahrt gab es, aber, wie Klaus Günther richtig andeutet, schon am 23.Juni ...

Durchgeführt wurde die Fahrt von der 2. Gruppe der 9. Schnellbootflottille mit dem Führerboot S 130 (OLtzS Rabe) und den Booten S 145 (Stabsobersteuermann Seiffert) und S 168 (OLtzS Dau) von St Malo nach Cherbourg.

Warum "völlig verrückt" ?
Zuerst sollten die von Cherbourg nach St. Malo verlegten Boote am 19.6. Benzin (!) von dort nach Cherbourg transportieren; das lehnt OLtzS Rabe wegen der hohen Brandgefahr ab, die Ablehnung wird von der "Gruppe West" bestätigt. Daraufhin werden die Boote mit Panzerabwehrmunition (Pak) und Luftabwehrmunition des Heeres beladen. Dann wird durch den Seekommandanten Cherbourg 21 cm-Munition als wichtiger angefordert. Gruppe West legt fest, daß diese Munition nur beladen werden solle, falls der Marsch nach Cherbourg nicht sofort durchgeführt würde. Da die Boote wegen Wetterlage nicht auslaufen können, folgen also am 20.6. Entladen und neues Beladen mit 21 cm-Granaten. Bevor dies beendet ist, erfolgt ein neuer Befehl, daß Heeresgut doch wichtiger sei, also folgt Entladen der Marinemunition. Nun sollen  Panzerbekämpfungsmittel beladen werden. Dies lehnt OLtzS Rabe wiederum ab, da die darin enthaltenen Brandflaschen eine extrem hohe Gefährdung der Boote bei Treffern beinhalten. So wird schließlich doch wieder Pak- und Flakmunition geladen. Dies führt zu solcher Verzögerung, daß die Boote wegen Wetterverschlechterung in der Nacht 20./21.6. nicht auslaufen können. Die Munition und Sanitätsmaterial werden schließlich in der Nacht 22./23.6. nach Cherbourg transportiert ...

Was die Schnellbootfahrer dazu sagten  :BangHead:, kann man sich vielleicht vorstellen ...  :MS: :MLL:

Gruß, Urs

alles gemäß KTB 2. Gruppe 9. SFltl , PG  7125C in Filmrolle T_1022-3871
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

Urs Heßling

moin, Alo,

einmal mehr danke für die Bilder

Zitat von: alo41 am 09 Dezember 2012, 16:47:20
2. One of Walter Knapp's typ S 38b boats (one of the S 80..S 99 boats)

Hast Du eine komplette Übersicht der S 38b Boote ?

gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

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