Jugendprojekt "Salomon"

Begonnen von harold, 10 Januar 2007, 00:32:14

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harold

Durch Sta.Cruz de la Palma spazierend, kam uns ein Plakatchen vor die Augen:



Weihnachtstreffen von großen Segelschiffen -und tallsShips mit bei den Organisatoren?- -nix wie hin!

Da lagen an der Hauptmole die "Lord Nelson" und die "Stavros S Niarchos", beide aus GB, die "Roald Amundsen" aus Eckernförde, noch n paar kleinere Hölländer...
mal n Blick ins Rigg



und auch gucken, ob die Laokoon-Gruppe an den Belegnägeln was gleichschaut



und a bissl Mochitos aus frisch ausgepresstem Zuckerrohr trinken, Salsa & Merengue im Ohr... da liegt doch noch auf der anderen Seite des Hafens n Schiff? Ne 3-Mast-Schooner, Toppsegels im Vormast? Ziemlich tief im Wasser?
Also, den gukken wir uns auch noch an! (nen Kilometer kreuz&quer durch die Industriezone des Hafens, dann warn mer dort)

Aha: Heimathafen Gibraltar, aber neben dem UnionJack ne versteckte Schweizerflagge (und schon kommen einige, neugierig wer da ist, an Deck). Ich also im besten Dytsch, "hoi Buaba, wära wäga tunda ängländrsch dr'wiil ehra yo eydgnössasch seynt (usw)";
...na s hat so etwa 5 Minuten gedauert, und dann gingen Susanna und ich auf formelle Einladung hin an Bord (und wir haben auch versprochen, brav hochdeutsch zu reden; meiner Steirerin haben jedenfalls die schweizerdeutschen Kehlkopf-Krankheits-Laute, die ich -Alemanne!- und die andern da hervorbrachten, bestenfalls HNO-Interesse entlockt).

Also, der Kahn heißt "Salomon" (45m, 700m² Segelfläche) und gehört dem Jugendheim Sternen (Kanton Graubünden, Schweiz). Gesegelt wird das Schiff von 16 Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 17 Jahren, unter der seemännischen Leitung eines Kapitäns und der technischen eines Maschinisten; wer frisch an Bord kommt, ist Moses, wird dann nach Prüfungen Schiffsjunge, nach weiteren und eher realitätsnahe-schweren Prüfungen in Seemannschaft, Navigation etc Leichtmatrose oder Vollmatrose. Und dann gibts noch Betreuer ("Sozis"=Sozialarbeiter) so etwa 6-8....
Betreuer?
Sozialarbeiter?
Die Mannschaften der "Salomon" sind das, was der schweizerische Staat per Jugendgesetzgebung als "Ausschuß" deklariert hat.
Kleinkriminalität, Drogenmißbrauch, Unangepassheit, abgebrochene Schul- und Lehrjahre, "sozial nicht zu integrierende Jugendliche", zumeist aus ziemlich beschissenen Familienverhältnissen.

Und hier? "...auch wenn der Käptn ausfallen sollte, unter der seemännischen Leitung dieses 15-jährigen da trau ich mich über den Atlantik!", so der mitsegelnde Initiator dieses Projekts.

In einer extrem isolierten Situation, auf einem Boot -ohne die allgegenwärtigen Heilsversprechungen unserer Konsumgesellschaft- verbringen junge Leute (deren Alternative oft nur der Jugendstrafvollzug wäre) mindestens 40 Wochen, manchmal wesentlich mehr (jede Woche muss nach spezifischen Kriterien "erfüllt" werden).
Lernen zum ersten Mal, für eine Gemeinschaft Verantwortung zu übernehmen.

Lernen, dass die möglichen Verhaltensregeln von Menschen/Vorgesetzten kommen, ..."aber das Meer prüft nach".
Fahren nach Grönland (noch vor jedem Postschiff durchs Treibeis!), kreuzen durch die Biskaya (und kotzen sich die Seele raus...), schwimmen mit Grauwalen, hauen bei einem Landurlaub ab (klauen ein Auto, werden erwischt, und vom verantwortlichen Leiter ausm Knast rausgeholt, onboard in Verschluss gesetzt, und sind bei "all hands!" selbstverständlich wieder dabei - nicht verstoßen, nicht ausgestoßen...)-

Initiiert hat dies alles Hansueli Birenstihl, hier sind wir beide grad im Gespräch...

und mir noch viel-viel mehr davon erzählt, als ich es grad in diesen paar Zeilen unterbringen kann. Wer mag, kann ja unter http://www.jugendheimsternen.ch/de/jugendschiffe/salomon/index.php noch so einiges nachlesen...

Wir haben während unseres Gespräches oft hinübergeschaut auf die anderen Großsegler an der Hauptpier...



und auch a bissl darüber geredet, warum die "Salomon" so abgelegen liegt (nämlich wegen ihres geringen Freibords - die fixierten Pier-Fender auf der anderen Seite hatten ihr schon das Schanzkleid eingedrückt...) und dass sich kaum ein Besucher zu ihr verirrt.
Verirrt? -ich kam mir hier "richtig" vor.

(im Übrigen, die "Rückfallquote" der Salomon-Sailors liegt bei etwa 22% - die von geschlossenen Jugendanstalten bei etwa 68% ...)

Ich vermute, dass ich Hansueli Birenstihl irgendwann mal fragen werde, ob ich -immerhin, auch Pädagoge- mal eine seiner Fahrten mitmachen darf, das ist dann wohl meine "Rückfallquote" (und rauchen & Rotwein süffln dürfte ich auf dem Kahn auch nich - also liegt mir wohl was dran...).

...jou, soweit mal,
Harold






4 Ursachen für Irrtum:
- der Mangel an Beweisen;
- die geringe Geschicklichkeit, Beweise zu verwenden;
- ein Willensmangel, von Beweisen Gebrauch zu machen;
- die Anwendung falscher Wahrscheinlichkeitsrechnung.

t-geronimo

Klingt nach einem sehr interessanten Projekt!

Vielen Dank für die Infos! :-)
Gruß, Thorsten

"There is every possibility that things are going to change completely."
(Captain Tennant, HMS Repulse, 09.12.1941)

Forum MarineArchiv / Historisches MarineArchiv

harold

...bin gerade zurückgekehrt von der Salomon. Nebst dem Seehandwerk,( ..Die Crew und Jungs haben mittlerweile richtig schöne "Rauschefahrten erlebt und auch zwischendurch mal ein Sturm, der über die Kanaren brauste. Wie nicht anders zu erwarten bewährten sich die Jungs gut. Der Kapitän ist richtig stolz auf sie!) jetzt sind die Jungs am üben: Nach den Weihnachtsliedern, die sie übrigens am Abend super vorgetragen haben - werden jetzt Seemannslieder eingeübt.Anfangs Frühjahr soll eine CD daraus werden. Bin selber gespannt darauf!...

...ja, soweit mal H-U. Birenstihl in einem Mail an mich.

Ich finde, so ein Projekt (natürlich ist das längst nicht das einzige dieser Art-!) verdient unsere Aufmerksamkeit.

Ciao,
Harold
4 Ursachen für Irrtum:
- der Mangel an Beweisen;
- die geringe Geschicklichkeit, Beweise zu verwenden;
- ein Willensmangel, von Beweisen Gebrauch zu machen;
- die Anwendung falscher Wahrscheinlichkeitsrechnung.

Thomas

Hallo,

ein sehr shcöner Bericht, der Hoffnung macht.
Gestern kam dazu die Berichterstattung über das Gutachten zum Jugendstrafvollzug in NRW, mit überbelegten Zellen (4 statt 2), Zusammenlegung mit erwachsenen Straftätern, Null-Betreuung mangels Platz und Geld.
In Schleswig-Holstein läuft eine neuere Strafanstalt in kleinerem Maßstab (100 Jugendliche) mit der Maßgabe, dass Arbeit und Betreuung angeboten wird, deren Lohn auch den Jugendlichen zur Verfügung steht. Sinnvolle Beschäftigung + damit verbundene Leistungen und Anerkennung scheint etwas ganz wichtiges zu sein, wenn man im Jugendvollzug nicht kriminelle Karrieren produzieren will.

Grüße
Thomas

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