Artillerie auf Linienschiffen

Begonnen von Feldkanonier, 07 März 2021, 11:33:40

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Feldkanonier

Moin Seelords,
als Artillerist zu Lande interessiere ich mich für die Artilleristen auf See zu Zeiten der Segel-Linienschiffe.
Wer war der höchste Artilleriedienstgrad an Bord, und wie war sein - und das der Seeartilleristen allgemein - Ansehen beim Rest der Besatzung?
Sicherlich gab es diesbezüglich Unterschiede in den Marinen der Länder, speziell interessiert mich die Organisation der Schiffsartillerie in der britischen Marine von 1580-1850.

Matrose71

Salve,

ich kann das jetzt auch nur von den Hornbloiwer Romanen ableiten, die allerdings "seemännisch" recht genau sind, und die Artillerie mit den Vorderladerkanonen ja eher technisch simpel aufgebaut sind in Bezug auf das reine schießen und es eher eine Frage des Drills war.

Nach meinenen Erinnerungen war der 2. Offizier zuständig für die Artillerie, Führung der gesamten Artillerie im Gefecht und den Artillerie Drill an Board, während der 1. Offizier die Führung, segeln und steuern des Schiffes übernahm (Gefecht) und für den Segel Drill zuständig war, neben den anderen Aufgaben eines 1. Offiziers.
Ich halte das auch für militärisch logisch, da der 1. Offizier augenblicklich den Kapitän zu ersetzen hatte, wenn dieser ausfiel, insoweit war sein Hauptplatz (im Gefecht), eben auch auf dem Achterschiff.
Die einzelnen Batteriedecks wurden nach meiner Erinnerung in Steuerbord und Backbord aufgeteilt (es könnten aber auch Abschnitte gewesen sein), die jeweils von einem Offizier und Midshipman (Fähnrich) kommandiert wurden (Gefecht und Drill). Hierbei kommandierte der 3. Offizier plus ein weiterer Offizier und 2 Midshipman in aller Regel das schwere Batteriedeck mit den 24 oder 32 Pfünder Kanonen.
Zitat
Wer war der höchste Artilleriedienstgrad an Bord?
Abgesehen von den Offizieren war das glaube ich der Stückmeister. Außerdem hatte jedes Geschütz einen Geschützführer (Matrosen).
Viele Grüße

Carsten

Feldkanonier

Vielen Dank und ebenfalls Grüße zurück!

Feldkanonier

Weiter zu den Artilleristen auf See zu Zeiten der Segel-Linienschiffe:
Waren die Schiffsartilleristen neben den Matrosen (Seeleuten) und Seesoldaten (Marineinfanterie) eine eigene Truppengattung an Bord oder ,,nur" als Geschützbediener angelernte Matrosen?

Schorsch

Hallo Feldkanonier,

das Bedienen der Geschütze an Bord war und ist traditionsgemäß die Domäne des seemännischen Teils der Besatzung. Insoweit sind die Bedienungen nicht "nur angelernt", sondern der Geschützdrill gehört neben der seemännschen Unterweisung organisch zur normalen Ausbildung der Matrosen, wie auch die Führung und der taktische Einsatz der Schiffsgeschütze ein Teil der Ausbildung der Offiziere war.

Mit freundlichen Grüßen
Schorsch
'Judea, London. Do or Die.'

"Ubi dubium, ibi libertas." (Wo Zweifel ist, da ist Freiheit.)

olpe

Hallo,
Zitat von: Schorsch am 14 März 2021, 12:27:19
... das Bedienen der Geschütze an Bord war und ist traditionsgemäß die Domäne des seemännischen Teils der Besatzung. ...
... hierzu drei Zitate aus dem Buch ,,Segelkriegsschiffe"von Ulrich Israel und Jürgen Gebauer, Berlin 1982 (Militärverlag):

Zitat Nr: 1, Seite 104:
,,Die Geschütze wurden nun vom gesamten seemännischen Personal nach entsprechender Ausbildung bedient. Zwar gab es auch noch Geschützführer als Sonderpersonal, doch rekrutierten auch sie sich mehr und mehr aus den Seeleuten. Um die 2 bis 3t schweren Waffen bedienen zu können, bedurfte es stämmiger, kräftiger Menschen. Wie man damals sagte, mußten die Kanoniere ,groß, stark und stumpfsinnig' sein." ... :-D ...

Zitat Nr. 2, Seite 102 (nach: ,,Allgemeines Nautisches Wörterbuch mit Facherklärungen" von Dr. Eduard Bobrik, erschienen 1848 in Leipzig):
,,Der Kommandant des Geschützes denn jedes einzelne erhält einen solchen, steht mit Pulverhorn und Raumnadel versehen, hinter der Kanone und richtet; 1 Mann mit Wischer und Ansetzer rechts von der Mündung; 1 Mann links von der Mündung, um die Ladung und den Pfropf einzuschieben; 1 Mann, der die Kartusche reicht, 1 Mann mit der Lunte zum Abfeuern (in neueren Zeiten hat man zuweilen Schlösser an den Geschützen, welche an= und abgeschroben werden können; auch Zündhütchen oder eine Vorrichtung, durch welche eine Art Schwefelhölzchen mit schneller Reibung über das Zündloch hingezogen wird); 2 Mann mit Hebeln in der Nähe des Zündlochs, an jeder Seite einer, um die Kanonen rechts oder links zu bewegen, oder sie höher zu heben. Die übrigen, deren mehr oder weniger je nach Größe des Geschützes da sind, werden gleichmäßig bei den Taljen vertheilt."

Zitat Nr. 3, Seite 35 (nach: ,,Allgemeines Nautisches Wörterbuch mit Facherklärungen" von Dr. Eduard Bobrik, erschienen 1848 in Leipzig):
,,Die gewöhnliche Bemannung eines Kriegsschiffes reicht eigentlich nur dazu hin, eine Seite der sämmtlichen Geschütze vollständig zu bedienen. Da sich ein Schiff in den mehrsten Fällen mit einem einzigen feindlichen schlägt, so reicht die Bemannung hin. Es muß aber dann die Mannschaft eines Geschützes bei einer jeden Wendung des Schiffes nach der anderen Seite überlaufen, um dort das Geschütz derselben Nummer zu bedienen. Es haben nämlich die Geschütze in den Batterien bestimmte Nummern. Es geschieht das Überlaufen indessen nicht eher, als bis das eben abgeschossene Geschütz wieder geladen und dicht an Bord gezogen ist, um sogleich nachher wieder abgeschossen werden zu können; zwei Mann bleiben dabei zurück, um die Taljen festzumachen, damit das Stück unbeweglich an seiner Stelle bleibt.
Sollte aber das Schiff an beiden Seiten angegriffen werden, so werden an der einen Seite nur die geraden und an der anderen Seite nur die ungeraden Nummern in Thätigkeit versetzt. Ist der Angriff auf der einen Seite heftiger als an der anderen, so werden auf der mehr angegriffenen Seite von drei Stücken zwei, auf der minder angegriffenen Seite wird von drei Stücken nur eins in Thätigkeit erhalten; doch müssen auch alsdann die stillstehenden immer geladen und gut festgemacht sein; weil das Losgehen derselben und Umherrollen bei den Wendungen des Schiffes großes Unglück unter der Mannschaft, und selbst den Untergang des Schiffes herbeiführen kann."

Na dann: volle ,,Thätigkeit" und Feuer frei!
Grüsse
OLPE

PS: im Weiteren werden auf Seite 110 nach dem ,,Allgemeinen Nautischen Wörterbuch mit Facherklärungen" auch die Kommandos (23) zum Klarmachen und Feuern der Kanone dargelegt und teils beschrieben.

Feldkanonier

Vielen Dank Seelords - schnelle und zielsichere Antworten!

Feldkanonier

Zitat Nr. 3, Seite 35 (nach: ,,Allgemeines Nautisches Wörterbuch mit Facherklärungen" von Dr. Eduard Bobrik, erschienen 1848 in Leipzig):
,,Die gewöhnliche Bemannung eines Kriegsschiffes reicht eigentlich nur dazu hin, eine Seite der sämmtlichen Geschütze vollständig zu bedienen. Da sich ein Schiff in den mehrsten Fällen mit einem einzigen feindlichen schlägt, so reicht die Bemannung hin. Es muß aber dann die Mannschaft eines Geschützes bei einer jeden Wendung des Schiffes nach der anderen Seite überlaufen, um dort das Geschütz derselben Nummer zu bedienen. Es haben nämlich die Geschütze in den Batterien bestimmte Nummern. Es geschieht das Überlaufen indessen nicht eher, als bis das eben abgeschossene Geschütz wieder geladen und dicht an Bord gezogen ist, um sogleich nachher wieder abgeschossen werden zu können; zwei Mann bleiben dabei zurück, um die Taljen festzumachen, damit das Stück unbeweglich an seiner Stelle bleibt.
Sollte aber das Schiff an beiden Seiten angegriffen werden, so werden an der einen Seite nur die geraden und an der anderen Seite nur die ungeraden Nummern in Thätigkeit versetzt. Ist der Angriff auf der einen Seite heftiger als an der anderen, so werden auf der mehr angegriffenen Seite von drei Stücken zwei, auf der minder angegriffenen Seite wird von drei Stücken nur eins in Thätigkeit erhalten; doch müssen auch alsdann die stillstehenden immer geladen und gut festgemacht sein; weil das Losgehen derselben und Umherrollen bei den Wendungen des Schiffes großes Unglück unter der Mannschaft, und selbst den Untergang des Schiffes herbeiführen kann."

Hallo olpe,

in diesem Zusammenhang ein interessanter Beitrag zum englischen Experimentierschiff WOLVERINE (1798-1804) unter:
https://coladores.lima-city.de/wolverine.html
Der Versuch, mit weniger Geschützen und weniger Mannschaft bei gleichbleibender Feuerkraft auszukommen.
Gruß
Feldkanonier

AndreasB

Die Bücher von Patrick O'Brian (Master and Commander) enthalten sehr viel Detail zur Bewaffnung und Bedienung der Geschütze an Bord von Schiffen der Royal Navy in der Zeit der napoleonischen Kriege.

Alles Gute

Andreas

Urs Heßling

moin,

Zitat von: Matrose71 am 07 März 2021, 13:04:17
ZitatWer war der höchste Artilleriedienstgrad an Bord?
Abgesehen von den Offizieren war das glaube ich der Stückmeister. Außerdem hatte jedes Geschütz einen Geschützführer (Matrosen).
Hier noch eine weitere Quelle zur Stellung des Gunners (= Stückmeisters) in der Bordhierarchie
https://en.wikipedia.org/wiki/Royal_Navy_ranks,_rates,_and_uniforms_of_the_18th_and_19th_centuries

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

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