Donaufrachter RUDNITCHAR

Begonnen von TW, 23 Januar 2020, 13:45:40

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TW

Vor kurzem bat Theo (TD) einige Bekannte um Identifizierung eines Schiffes. Nachdem Darius auf dem Bild die RUDNITCHAR (teilweise auch RUDNICHAR) erkannte, möchte ich hier ein paar Zeilen zum Lebenslauf beisteuern. Zunächst die RUDICHAR als Flüchtlingstransporter (Auszug aus Rohwer, JÜDISCHE FLÜCHTLINGSSCHIFFE IM SCHWARZEN MEER 1934-1944):

Für die im Auftrag zionistischer Gruppen tätige Firma Society Traffic Ltd. kaufte der in Sofia lebende Augenarzt Dr. Baruch Konfino (1) von der in Varna ansässigen Kupfererz-Bergwerk-Gesellschaft im Sommer 1939 den in Finnland gebauten Holzfrachter RUDNITCHAR (1872, 269 BRT), der seit 1937 Erz zwischen Burgas und Varna sowie türkischen Häfen transportiert hatte. Auf einer Bootswerft in Varna ließ Konfino das Schiff als Flüchtlingsschiff herrichten. Im achteren Laderaum wurden in zwei Stockwerken, im vorderen großen Laderaum in drei Stockwerken Holzpritschen errichtet, so dass das Schiff ein Fassungsvermögen von zunächst gut 300, später 450 bis 500 Personen bekam. Ein Wassertank und Latrinen wurden eingebaut, außerdem auf dem Achterschiff ein Gerüst, auf dem 4 Kähne für die Ausschiffung der Auswanderer festgelascht wurden. Unter Führung von Kapitän Gorbatenko, einem Ukrainer bulgarischer Staatsangehörigkeit, brachte die RUDNITCHAR vom 1.bis 10.8.1939 ohne Zwischenfälle 305 Revisionisten von Varna nach Palästina. Um die Landungen zu erleichtern und zusätzliche Flüchtlinge mitnehmen zu können, kaufte Konfino im August die in Varna liegenden Motorsegler BOPHA und KOOPERATOR und ließ in deren Laderaum ebenfalls zweistöckige Pritschengestelle sowie eine Latrine und Wassertanks einbauen. In Varna hatte Konfino inzwischen in einem Kursanatorium die drei oberen Stockwerke gemietet und dort Auswanderer einquartiert, die teilweise beträchtliche Summen hinterlegen mussten. Vom 30.8. ab nahm die RUDNITCHAR nacheinander in Varna, Constanta und Burgas 368 revisionistische Flüchtlinge an Bord und landete sie am 19.9.1939 mit Hilfe der BOPHA und der mitgeführten vier kleinen Holzboote bei Herzlia.(2)

Nur zehn Tage später, am 29.9.1939 ging die RUDNITCHAR bereits wiederum von Varna nach Braila in Rumänien, um hier einen Flüchtlingstransport an Bord zu nehmen. Am 26.10. kehrte sie nach Varna zurück und übernahm nun zusammen mit der KOOPERATOR die in Varna wartenden Flüchtlinge. Mit 457 Flüchtlingen ging Gorbatenko am 1.11.1939 mit der KOOPERATOR im Schlepp in See, passierte den Bosporus und erreichte am Morgen des 7.11. das Gebiet von Rhodos, wo zunächst die Wasservorräte ergänzt wurden. Beim Versuch auszulaufen gerieten die Schiffe in einen schweren Sturm, und nur durch das seemännische Können von Gorbatenko gelang es, die Schiffe wieder in den Hafen zu bringen, um Notreparaturen vorzunehmen. Am Abend des 9.11.1939 gingen beide Schiffe unter starkem Druck der italienischen Hafenbehörden wieder in See und trafen am 14.11. vor der palästinensischen Küste ein. Die Einwanderer stiegen an Bord der KOOPERATOR und der mitgeführten Holzboote und gingen ca. 25 km von Haifa bei Sydne Ali unbemerkt an Land. Am 27.11. war die RUDNITCHAR schon wider in Varna und wurde für eine neue Fahrt vorbereitet, nachdem ein weiterer Motorsegler ORLIK gekauft worden war. Am 1.12.1939 ging die RUDNITCHAR von Varna nach Sulina, um dort vom 17. bis 19.12. die mit einem DDSG-Schiff eingetroffenen Flüchtlinge zu übernehmen. Am 25.12. nahm sie die in Varna wartenden Flüchtlingen an Bord und ging am nächsten Tag mit der ORLIK im Schlepp in See. Am 7.1.1940 landeten beide Schiffe ihre fast 500 Passagiere erneut reibungslos. Am 20.1. kehrte die RUDNITCHAR nach Varna zurück und wurde nun von einer deutschen Firma für den Erztransport gechartert.(3)


1) Dalia Ofer: Escaping the Holocaust. Illegal immigration to the Land of Israel, 1939-1944, S.91 ff.
https://books.google.de/books?id=vpjLBrFvtbsC&pg=PA91&lpg=PA91&dq=Baruch+Konfino&source=bl&ots=juD67AuPSB&sig=ACfU3U23x8AMC_o9HqYe7C9kPgc-rrt01w&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwji3uyW1ZnnAhV1QkEAHQEmDk0Q6AEwAXoECAkQAQ#v=onepage&q=Baruch%20Konfino&f=false
2) Über den Umbau und die Fahrten der RUDNITCHAR: Bericht des ehem. Hafenkapitäns von Varna, Oleg von Obuch, gegenüber dem Vf. 1968. Außerdem: Konfino, Baruch: Aliyah-bet, me-Hupe Bulgaryah 1938-1940, 1947-1948. Hisul galut Buigaryah 1948-1949. (Illegal Immigration from the Shores of Bulgaria 1938-1940, 1947-1948 and the Liquidation of the Bulgarian Diaspora 1948-1949) Jerusalem 1965. Außerdem: Perl, William R.: The Four-Front War. From the Holocaust to the Promised Land. New York 1978
3) Auskünfte und Aufzeichnungen von Oleg von Obuch gegenüber dem Vf., Jürgen Rohwer.

Das ist allerdings noch nicht alles. Inzwischen bin ich zur Überzeugung gekommen, das es sich bei dem KZ-Gefangenentransporter RUDNICK ebenfalls um die RUDNITCHAR handelt. Legt man nämlich bei der Aussprache des Namens die Betonung auf den Vokal "u", dann wird die Endung "a" bzw hier "ar" leicht verschluckt.

Die Geschichte des Abtransportes von Juden aus dem Lager Engerau nach Mauthausen mit der RUDNICK und 3 Schleppkähnen habe ich bereits in diesem Forum referiert, und zwar hier: https://www.forum-marinearchiv.de/smf/index.php/topic,26430.msg300406.html#msg300406

Die total gegensätzlichen Einsätze der RUDNITCHAR machen mich zutiefst betroffen.
Hier noch der Link zum Bild: http://paulsilverstone.com/ship/rudnitchar/

bettika61

Hallo Thomas,
:MG: danke für Deine Recherche
ZitatDas ist allerdings noch nicht alles. Inzwischen bin ich zur Überzeugung gekommen, das es sich bei dem KZ-Gefangenentransporter RUDNICK ebenfalls um die RUDNITCHAR handelt. Legt man nämlich bei der Aussprache des Namens die Betonung auf den Vokal "u", dann wird die Endung "a" bzw hier "ar" leicht verschluckt.
Grüße
Beate

,,Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen." George Santayana

Darius

Hallo TW,

prima, dass Du an diesen Kontext gedacht hast. Leider sind die Donau-KTBs nach 01/1945 nicht mehr verfügbar. Evtl. findet sich aber bis dahin ein Hinweis auf die Einsätze des Frachters.

Im Bestand der WLB müsste es auch das Buch "The Royal Navy and the Palestine Patrol" geben - evtl. gibt es dort auch Hinweise auf dieses Schiff?


:MG:

Darius

AvM


TD

Recht vielen Dank für die vielen Informationen zum Schiff.
Es ist schön zusehen welchen hohen Informationsstand unser Forum
im Laufe der Jahre erlangt hat.

Beim Judentransportschiff im Mai 1945 auf der Donau handelt es sich um die RUDNIK
der Südost Reederei Wien:

Rudnik (1910, Budapest) 400 PSi; 55,10 x 7,00(14,24) m; ungar. Rad-S/tg Badacsony, MFTR,   Budapest; 1914/18 ZTL; 1919 jugosl. Rudnik, JRP; 5.1941 Schleppdienst Belgrad f. Wehrmacht;
  5.1942 SOR



Ein Teil der Flotte beider Gesellschaften wurde über einen Pachtvertrag vom 30. 1.1942 ab 1.5. d. J. von der Südost-Reederei übernommen, die ihren Betrieb mit diesem Tag aufnahm. Die Reederei war mit Gesellschaftsvertrag vom 16.1.1942 im Rahmen der Reichswerke für Binnenschiffahrt AG. ,,Hermann Göring" gegründet worden.

Nochmals danke


TD
...ärgere dich nicht über deine Fehler und Schwächen, ohne sie wärst du zwar vollkommen, aber kein Mensch mehr !

TW

#5
Tausend Dank, Theo.
Ich habe nicht gewusst, wo ich noch nach RUDNIK suchen soll.
Erst mit Kenntnis des Ex-Namens hat man im Internet eine Chance.
Hier eine Bildseite zur Banija ex Rudnik ex Badacsony: http://www.hajoregiszter.hu/hajoadatlap/banija_exrudnik_exbadacsony_/190

Theo, hast Du auch eine definitive Antwort auf die Frage nach dem Ende der RUDNICHAR ?

In einem WARSAILORS thread ist einmal davon die Rede, dass sie Mitte Februar 1942 im Bosporus mit einem Eisberg kollidierte (grandios !) und sank.

In einem kontroversen Post heißt es, dass sie am 14. September 1942 durch Eisgang leicht (!) beschädigt von der Mannschaft verlassen wurde, und am nächsten Tag sank.

Beide Versionen sind mir (verständlicherweise ?) suspekt.

Quellen:
http://www.warsailors.com/forum/archive/forum/read.php-1,65170,65177.html#msg-65177
http://www.warsailors.com/forum/archive/forum/read.php-1,65170,65209.html#msg-65209

TW

Die BANIJA ex RUDNIK wurde 1969 abgewrackt.
Sie fuhr ab 1945 bei der Reeederei JRB Jugoslovensko Recno Brodarstvo, Belgrád, JUGOSLAWIEN

AvM

Siri   S/S of Iron
1872 Motala vekstad, Motala #165
30,40 m   6,97 m   3,63 m
Engine  Motala Ångmaskin, #265 45 nom.hk.      
Neptunusbolaget, Malmö

So nicht Holz?

TW

#8
Nein, offenbar war schon die SIRI nicht aus Holz.
Hier noch etwas Anderes (von J. Rohwer JÜDISCHE FLÜCHTLINGSSCHIFFE IM SCHWARZEN MEER 1934-1944, Anm. 31):

Es ist nicht ganz sicher, ob die beiden Schiffe AGHIOS NICOLAOS und RUDNITCHAR, wie es lt. Lloyds Register 1938/39, Ziff. 63286, den Anschein hat, identisch sind, oder ob es 1939 zwei Schiffe mit dem Namen AGHIOS NICOLAOS gab. Die bei Perl, a.a.O., angeführten fast gleichzeitigen Fahrten der beiden Schiffe können nur stattgefunden haben, wenn das der Fall ist, oder der in Lloyd's gegebene Ex-Name der RUDNITCHAR auf einem Irrtum beruht.

Gabriele Anderl nimmt den strittigen Punkt in ihrem Beitrag über illegale Transporte in "Vertreibung und Neubeginn. Israelische Bürger österreichischer Herkunft" auf S.285 auf:
https://books.google.de/books?id=fPBav3dZm_4C&pg=PA285&lpg=PA285&dq=Baruch+Konfino&source=bl&ots=CxkiQX0iEs&sig=ACfU3U3PVMwimYZcol157YYpgCrU4fCrsQ&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwjxs_KjsJ_nAhWN-qQKHaHPC58Q6AEwA3oECAcQAQ#v=onepage&q=Baruch%20Konfino&f=false

1) http://paulsilverstone.com/ship/aghios-nicolaos/
2) https://www.historisches-marinearchiv.de/projekte/verluste_griechenland/ausgabe.php?lang=1&rubrik=%&where_value=561

Laut DDK VIII, 456 wurde der Vorgänger AGHIOS NICOLAOS schon 1937 in RUDNITCHAR umbenannt.
Schiffe mit dem Namen AGHIOS NICOLAOS gab es "wie Sand am Meer".

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