Die sowjetische Seekriegsflotte 1939 bis 1945 und ihre Rolle

Begonnen von kalli, 31 Oktober 2003, 19:43:29

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kalli

Die sowjetische Seekriegsflotte 1939 bis 1945 und ihre Rolle im Seekrieg 1941 bis 1945
( Thesen )

Die sowjetische Seekriegsflotte ging aus einem Teil der zaristischen Flotte hervor. Eine große Anzahl von Überwassereinheiten mit der überwiegenden Anzahl der hohen Seeoffiziere setzte sich nach dem Ende des Bürgerkrieges, den dieser Teil der Flotte auf der Seite der Antibolschewiken geführt hatte, ab.
Aus dem verbliebenen Rest der Schiffe, Mannschaften und sich loyal erklärten Offizieren wurde die Sowjetflotte gegründet. Marineschulen nahmen ihren Ausbildungsbetrieb auf, Mannschaften wurden rekrutiert und ausgebildet. Ein Flottenbauprogramm wurde verabschiedet und entsprechend der geografischen Verhältnisse Flotten- und Flottillenkommandos gebildet.
Zu Beginn des Krieges mit Deutschland gab es folgende Flotten :
Nordmeerflotte
Ostseeflotte
Schwarzmeerflotte
Pazifikflotte
Hinzu kamen eine ganze Reihe von Flottillen, die im Verlaufe des Krieges eine wichtige Rolle einnehmen sollten.
So zum Beispiel
Ladogaseeflotte (finnische Front)
Asowseeflotte (Krim- und Kaukasusfront)
Flussflottillen auf Wolga, Dnepr, Donau u.a.
Insgesamt gab es von diesen Flottillen eine ganze Reihe, die je nach Kriegsverlauf umstrukturiert wurden.
An allen Marinekriegsschauplätzen waren natürlich unterschiedliche Gefechtsaufgaben zu erfüllen. Kein Gefecht, keine Schlacht gleicht sich, die Aufgaben sind äußerst unterschiedlich.
So verlangen Landungsoperationen andere Entschlüsse als Geleitschutzaufgaben. Es sind das Zusammenwirken mit anderen Verbänden zu planen, die meteorologischen und geografischen Bedingungen zu beachten und nicht zuletzt die gegnerischen Kräfte zu kalkulieren.
Trotzdem kann man für alle drei Kriegsschauplätze, zwar mit unterschiedlicher Wichtung, einige allgemeine Aussagen treffen.
Sie betreffen sowohl die militärische Führung als auch die zur Verfügung stehenden materiellen Ressourcen.
Wie in allen Gliederungen der sowjetischen Armee war auch die Flotte von den durch Stalin befohlenen Säuberungen betroffen. Um es schlicht zu sagen, 1938 standen nur noch wenige der altgedienten und erfahrenen hohen Marineoffiziere zur Verfügung, weil eine große Anzahl erschossen worden war. Die genaue Anzahl ist mir nicht bekannt, jedoch tauchen in einigen Veröffentlichungen in bestimmten Zusammenhängen Namen von Offizieren auf, deren Schicksaal sich in den Lagern oder Hinrichtungsstätten vollendet haben dürfte.
Zum zweiten waren bis zum Kriegsausbruch nur geringe Teile des ehrgeizigen Marinebauprogramms fertiggestellt worden. Neu in Dienst gestellte große Einheiten konnte man an einer Hand abzählen, viele Schiffe waren angefangen, halbfertig und im Ausland bestellte Einheiten machten auch so ihre Probleme ( siehe Kreuzer Lützow aus Deutschland) .
Mit Beginn des Krieges wurde der Weiterbau der großen Überwassereinheiten gestoppt und auch nicht wieder aufgenommen.
Welche strategischen Entscheidungen der Sowjetführung kann man aus der Sicht der Sowjetunion heute positiv beurteilen ?
1.Der frühzeitige Ausbau der Befestigungsanlagen im Osten (Wladiwostok ), der die Pazifikküste vor einem möglichen Angriff Japans wirksam schützte und gleichsam die Bindung eigener maritimer Kräfte in diesem Territorium verringerte.
2. Dass das U- Boot- Bauprogramm nicht gestoppt wurde und U- Boote aller Klassen vermehrt gebaut und ausgeliefert wurde.
3. Kleine Einheiten wie Schnellboote, Torpedoboote, gepanzerte Boote mit unterschiedlichster Bewaffnung zur Verfügung gestellt werden konnten.
4. Dass von Anfang an klar war, dass Bestandteil der Marine auch die Einheiten der Küstenverteidigung mit ihren weittragenden Batterien, die Marineflieger mit starken Einheiten und großer Stückzahl sowie die Marineinfanterieeinheiten waren.

Vor welchen Problemen stand die Sowjetflotte hauptsächlich ?

Im Grunde waren es die gleichen Probleme, vor denen die anderen Streitkräfte auch standen.
Vom schnellen Vormarsch der Wehrmacht in Richtung Osten waren natürlich auch die Flotten von Murmansk bis Sewastopol betroffen.
Die Nordflotte hatte es dabei noch am besten, da die Deutschen Murmansk nicht einnehmen konnten und dort zum Stillstand kamen.
In der Ostsee sah das schon schwieriger aus. Die deutsche Wehrmacht rückte rasch nach Osten und stand in kurzer Zeit vor Leningrad. Nach erbitterten Kämpfen musste ein baltischer Hafen nach dem anderen aufgegeben werden- ebenso die wichtigen Stützpunkte auf den Ostseeinseln und im finnischen Meerbusen. Die baltische Flotte war gezwungen, nach Kronstadt ins „Exil“ zu gehen. Wie wichtig diese umfangreichen Evakuierungen aber waren, werden wir im weiteren Verlauf noch sehen.
Im Schwarzen Meer entbrannte der Kampf um die Krim mit dem Flottenhauptstützpunkt Sewastopol, nachdem Odessa gefallen war. Diese Kämpfe zogen sich lange hin und banden riesige deutsche Kräfte. Unter anderem die 11. Armee Mansteins, die dann so nicht in Stalingrad und anderen Plätzen einsetzbar war. Zeitverluste traten dadurch auch hinsichtlich der Besetzung des Kaukasus ein. Die sowjetische Schwarzmeerflotte zog sich in kleine Häfen im Osten des Schwarzen Meeres zurück, behielt aber immer die Initiative in diesem Raum.
Am Pazifik war es weiterhin ruhig.

Welche Kampfhandlungen bestimmten den Verlauf der Jahre 1942 bis 1943 ?

Nordmeer: Geleitschutzaufgaben für die Versorgung der sowjetischen Armee, Störung der  Versorgung der deutschen Armee und Marine in Norwegen und im Nordmeer hauptsächlich durch Marineflieger und U- Boote
Ostsee: Einsatz der Feuermittel der großen Einheiten zur Verteidigung Leningrads, maritime Sicherung der Versorgung der Stadt über den Ladogasee, Eingliederung eines großen Teils des Marinepersonals in die kämpfenden Truppen
Schwarzes Meer: Zusammenwirken mit den Landstreitkräften bei Evakuierungen, Landungen, Bildung von Brückenköpfen, Störung der Versorgungslinien durch Fliegerkräfte, U- Boote und andere Einheiten.

Die großen Überwassereinheiten kamen an allen Schauplätzen außer beim Artillerieeinsatz ( dort aber sehr wirkungsvoll ) kaum zum tragen. Die Marine hatte es an allen diesen Abschnitten nicht leicht. Ihre Kräfte wurden oftmals den Kommandierenden der Fronten übertragen, sie musste Fliegerkräfte abgeben und aus dem Personalbestand Matrosen, Unteroffiziere und Offiziere in die Infanterieregimenter geben. An den Landfronten kämpften hundert tausende Marineangehörige.

Ab Ende 1943 / Anfang 1944 änderte sich die Situation

Mit dem Einsatz frischer Kräfte aus dem Osten und den zugenommenen Materiallieferungen ( Flugzeuge, U- Boote ) konnte die Marine wieder selbständiger handeln.
Eine äußerst wichtige Kraft wurde die Marineluftwaffe. Aufgrund des Frontverlaufs brauchten die Marineflieger keine Träger sondern konnten von front- und wassernahen Flugplätzen ihre Einsätze fliegen.
Nach den Schlachten von Stalingrad und Kursk und im Zusammenhang mit der sowjetischen Gegenoffensive begann auch die Flotte wieder operativer zu handeln.
Am erfolgreichsten erscheint mir hier die Schwarzmeerflotte. Sie leistete einen großen Beitrag bei der Rückeroberung der Krim, der Besetzung Rumäniens und Bulgariens.
Die Nordmeerflotte operierte erst nach dem finnisch- sowjetischen Waffenstillstand etwas offensiver- hauptsächlich mit ihren Fliegerkräften. Die Anwesenheit der Tirpitz und der Scheer band viele Kräfte, die für eine erfolgreiche Bekämpfung aber zu schwach waren.
In der Ostsee begann man nach dem Waffenstillstand mit Finnland mit der Räumung der Minen- und U- Bootsperren. Wirkungsvolle U- Booteinsätze kamen aber erst 1945 zum tragen. Diese konnten aber die durch die deutsche Marine durchgeführten Evakuierungen nur gering stören. Dabei kam es allerdings auch zu den fürchterlichen Versenkungen der Gustloff, der Goya und anderer Transporter.

Welche Probleme behinderten die Marine im Kriegsverlauf am meisten ?

Außer den schon an anderer Stelle angesprochenen sind dies :

Aufgrund der erzwungenen zurückgezogenen Stellungen der Marine machten ihr vor allem Minen, Minensperren, U- Bootsperren ( Finnischer Meerbusen ) zu schaffen. Es fehlten geeignete Räumboote und Erfahrungen über die von den Deutschen eingesetzten Minen. Für die umfangreichen Landungsaufgaben fehlte es an geeignetem Material. Der Torpedoeinsatz war häufig uneffektiv, da technische Mängel auftraten.
So positiv die Erkenntnis auch war, Fliegerkräfte in die Marine zu integrieren und auch in hoher Stückzahl bereitzustellen, so muss doch festgestellt werden, dass diese Flugzeugtypen den Anforderungen des Seekrieges nicht ausreichend genügten.
Der Einsatz der Schlachtschiffe und Kreuzer unterlag höchster Befehlsautorität.

Mario

Was geschah eigentlich mit den Großkampfschiffen der zaristischen Flotte, die gegen die SU gekämpft hatten ??? Gingen die ins Ausland, oder wurden sie von der Sowjetführung übernommen ???
Wieso wurde die Fernostflotte nicht ins Nordmeer verlegt, oder der US-Navy angegliedert ???
Etwas änliches geschah ja mit der HMS Resolution, die an die Nordmeerflotte übergeben wurde.

kalli

@Mario
Deine beiden Fragen sind auf die kürze nur schwer zu beantworten. Ich werde auf jeden Fall zu einem späteren Zeitpunkt, wie auch zu anderen Fragen ausführlicher schreiben.
Erst einmal zur Pazifkflotte :
Die Pazifikflotte ist die jüngste. M.E. wurde sie erst Mitte der 30 er Jahre ernsthaft aufgebaut mit der Übernahme des Kommandos durch Kusnezow. Sie bestand bis 1945 aus internationaler Sicht aus schwachen Verbänden. Admiral Kusnezow, Chef der Pazifikflotte, später Volkskommissar der Marine ( Minister ) kümmerte sich als erstes um den Aufbau der Küstenverteidigung mittels starker Batterien und vorgezogenen schwimmenden Einheiten zur Beobachtung. Aus politischer Sicht war es der Sowjetunion wichtig, die Neutralität zu Japan zu gewährleisten und mit China ein Vertragswerk abzuschließen, damit die Gefahr aus dem fernen Osten minimiert werden konnte. Der Abzug der Pazifikflotte zum Nordmeer hätte keinen wesentlichen Sinn gemacht.
1.Für die Überführung zum Nordmeer stand aus wetterbedingten Gründen nur ein kurzes Zeitfenster zur Verfügung und hätte einen starken Eisbrechereinsatz für eine vergleichsweise geringe Kampfkrafterhöhung erfordert.
2.Die relativ schwache Pazifikverteidigung zur See wäre noch mehr geschwächt worden.
3.Eine Angliederung an die US Navy hätte nur Sinn, wenn die Sowjetunion Japan den Krieg erklärt hätte und die Flotte auch zu Angriffsaufgaben getaugt hätte.

Insgesamt sprichst Du aber ein großes Dilemma an, mit dem die russische Marine seit ihrem Bestehen zu Peters ( dem Großen ) Zeiten zu kämpfen hat. Russland verfügt über die längste Küstenlinie aller Länder der Welt. Aus geografischer Lage Russlands kann die Marine aber nicht als eine Flotte operieren, weil die Zugänge zum offenen Meer alle durch Meerengen führen ( Ausnahme Pazifik ). ( Das änderte sich erst im Atom U- Boot- Zeitalter ).
Es mussten also relativ unabhängig voneinander operierende Flotten aufgebaut werden, die sich kaum ergänzen konnten ( außer im Personalbereich ).

Zum zweiten :
Was ist mit den Großkampfschiffen der zaristischen Flotte passiert ?
Die russische Marine verfügte zu Beginn und auch noch zum Ende des I. WK über eine sehr passable Flotte- allerdings mit dem oben geschilderten Handicap.
Zar Nikolaus war ähnlich wie Kaiser Wilhelm in Großkampfschiffe verliebt und schenkte der Flotte große Aufmerksamkeit. Taktisch- technisch und strategisch haben zu dieser Zeit wohl alle Großmächte ihre Fehler gemacht. Negativ für die russische Flotte war auch, dass Russland 1914 noch inmitten der Seerüstung war, um die Totalverluste aus dem russisch- japanischen Krieg von 1906 zu ersetzen. Positiv daran war, dass die fertigen Schiffe allerdings zu den modernsten gehörten.
Fakt ist jedenfalls, dass 1918 die verbliebenen Einheiten die unterschiedlichsten Schicksale ,,erleiden" mussten. Im Frieden von Brest- Litowsk sicherten sich die Deutschen weitreichende Rechte an den Kampfschiffen- bezüglich Verwendungszweck, Einsatz und Übernahme. Nach der Niederlage Deutschlands und mit der russischen Revolution wurden die Schiffe de facto herrenlos. Ein geringer Teil schlug sich auf die Seite der Revolutionäre. Der größte Teil ging aber in die Internierung nach Frankreich. ( Schwarzmeerlotte ). Ich glaube auch nach Schweden ( Baltische Flotte ).
Zur Zeit der Intervention durch hauptsächlich Frankreich ,England und die USA kämpften einige der ehemals zaristischen Einheiten auf deren Seite unter weißgardistischer Führung gegen die neue bolschewistische Macht.
Nach Beendigung des Interventions- und Bürgerkrieges begann dann der eigentliche Neuaufbau einer sowjetischen Flotte. Dabei bildeten die wenigen auf bolschewistischer Seite verbliebenen Einheiten den Grundstock. Sie wurden in Flottenprogramme integriert und wo lohnenswert, aufwendig modernisiert.
Aber wie gesagt Mario- zwei eigentlich kurze Fragen aber enorme historische Hintergründe.
Da habe ich noch viel zu tun. Einen Literaturhinweis dazu hätte ich noch :
Harald Fock : vom Zarenadler zum Roten Stern
Da gibt es natürlich noch mehr. Das werde ich dann auch mal später empfehlen.

kalli

ZitatWie in allen Gliederungen der sowjetischen Armee war auch die Flotte von den durch Stalin befohlenen Säuberungen betroffen.
hier eine Übersicht :
Am 11.06.1937 wurden Marschall Tuchatschewski und 7 der Mitangeklagten Militärs im Hof der Lubljanka erschossen. Aber auch die Richter des Prozesses überlebten dieses Ereignis nicht lange. Bis auf zwei, Marschall Budjonny und Marschall Schaposchnikow, fielen auch sie Stalinschen Säuberungen in der Roten Armee zum Opfer.
Die Bilanz des Todes :
3 von 5 Marschällen
62 von 85 Korps- Kommandeuren
110 von 195 Divisions- Kommandeuren
220 von 406 Brigade- Kommandeuren
Verhaftet wurden 6000 Offiziere vom Oberst aufwärts, davon 1500 hingerichtet
Die Gesamtzahl der bei dieser Kampagne ermordeten Offiziere soll über 30.000 betragen haben
Auch die Flotte leistete einen riesigen Blutzoll
Flagschiffkommandeur der Flotte 1. Ranges : 2
Flagschiffkommandeur 1. Ranges : 5
Flagschiffkommandeur 2. Ranges : 6
Flagschiffingenieur 2. Ranges : 3
Flagschiffingenieur 3. Ranges : 5
Kapitän 1. Ranges : 15
Kapitän 2. Ranges : 9
Kapitän 3. Ranges : 4
So enthauptete Stalin die Rote Armee.

Scheer

@Kalli

ich möchte noch mal auf Marios Idee einer Verlegung der Pazifikflotte ins Nordmeer aufgreifen.

Da zu zuerst einmal eine Frage:
In welchem Maße und in welcher Stärke hatte die Nordmeerflotte einen Einfluß auf die Sicherung der Geleite von und nach den russischen Häfen (Murmansk, Archangelsk)? Hast du Informationen darüber?
Und:
Waren in der Pazifikflotte Einheiten vorhanden die Geleitschutzaufgaben übernehmen konnten?

Wenn ein Engagement Russlands bei der Sicherung der Nordmeer Geleite vorhanden war und wenn bei der Pazifikflotte noch geeignete Schiffe vorhanden waren, so wäre es doch eine geeignete Maßnahme gewesen diese ins Nordmeer zu verlegen. Diese Einheiten wären dann an einem der wichtigsten russischen Seekriegsschauplätze effektiv einsetzbar gewesen.
Eine Verlegung hätte unter guten Voraussetzungen bezüglich der Witterung und unter logistischer Hilfe der Amerikaner (Versorgung) durch den Panamakanal erfolgen können.
Denkbar wären auch Einsätze zur Geleitsicherung im Atlantik gewesen, da damit indirekt die Aufgabe zur Sicherung des russischen Nachschubs erfüllt worden wäre.
Auf jeden Fall wäre ein entlastendes Moment für die Westallierten vorhanden gewesen und die Schiffe der Pazifikflotte hätten einen aktiven Beitrag im Kampf Russlands gegen Deutschland erbracht.

kalli

Hallo Gemeinde,
leider bin ich immer noch nicht online. Den Text verschicke ich vom Rechner meines Freundes Rollo. Hier ist er :Ich wollte die Verlegung von Kräften der Sowjetischen Flotte an andere Schauplätze und deren
Sinn nicht vollends verneinen. Diese Verlegungen haben ja tatsächlich stattgefunden- unter zum
Teil schwierigsten Bedingungen ( auch auf dem Landweg ) und davon waren alle
Flottenverbände betroffen. Ich wollte allerdings zum Ausdruck bringen, dass aufgrund der
geografischen Lage und der beschränkten materiellen Möglichkeiten dies sehr schwierig,
zeitaufwendig und darum nicht sehr effektiv war. Die größte Verlegung hat ja wirklich die
pazifische Flotte betroffen mit dem von Scheer ungefähr beschriebenen Weg. Diese Verlegung
war auch deshalb möglich, weil durch das Lend- Laese- Abkommen die Verringerung der
sowjetischen Einheiten durch die Lieferung von US- Schiffen ausgeglichen wurden und damit die
Präsens gegenüber Japan bezüglich der Küstenverteidigung aufrechterhalten werden konnte.

Welche Kräfte wurden zum Beispiel vom Pazifik ins Nordmeer verlegt ?

Antwort nach Harald Fock :

Am 15.07.42 gehen die Flottillenführer ,,Baku" und die Zerstörer Razumnyi, Razjarennyi,
Revnostnyi von Wladiwostok über den nördlichen Seeweg zur Nordflotte.

Am 26.09.42 laufen die U- Boote L 15 und L 16 aus , um über Dutch Harbor, San Francisco,
den Panamakanal und Halifax nach dem Nordmeer zu gehen. L 15 erreicht sen Ziel, L 16 wird
am 11.10.42 vor der Oregonküste durch das japanische U- Boot J 25 versenkt.

Am 15. bzw. 18.10 folgen von Petropavlovsk aus auf dem gleichen Wege die U- Boote S 51
und S 54 bis S 56.

Scheer

Dann wurde also von russischer Seite das Nordmeer doch als der wichtigere Kriegsschauplatz angesehen.
In der Betrachtung des Kriegsverlaufes eine sachlich richtige Entscheidung, da die russische Flotte kaum eine Verstärkung für die amerikanische gewesen wäre und sie sich auch eher auf eine indirekté Unterstützung der eigenen Landstreitkräfte konzentrieren mußte.

kalli

Zitat Scheer :
ZitatDann wurde also von russischer Seite das Nordmeer doch als der wichtigere Kriegsschauplatz angesehen.
Die Frage ist, wann ?
In den Jahren des drohenden Krieges wohl kaum. Die Bedeutung dieses Kriegsschauplatzes wurde erst nach dem deutschen Überfall erkannt. Ich werde mich in Kürze dazu melden.

kalli

Nun möchte ich mich wie angekündigt, zum Thema Nordmeer räuspern. Ich tue dies auch deshalb, weil dieser Kriegsschauplatz am besten geeignet ist, eine Diskussionsverbindung zwischen der deutschen, britischen und sowjetischen Marine herzustellen.
Ich hatte in meinen Thesen fälschlicherweise geschrieben, dass es die Nordflotte noch ganz gut getroffen hatte, da ja Murmansk nicht eingenommen werden konnte. Welche Anstrengungen jedoch dahinter steckten, habe ich nicht einmal angedeutet.
Da ich mich aber zur Zeit etwas näher mit der Nordflotte beschäftige, fällt mir auf, dass in diesem Thema eine große Brisanz enthalten ist.
Wie bekannt, war auch die sowjetische Nordflotte zu Beginn des Krieges nur äußerst unzulänglich auf den deutschen Angriff vorbereitet. Das bestätigt auch Admiral Arseni Grigorjewitsch Golowko in seinen Memoiren ( Golowko war von 1940 bis 1946 Chef der Flotte ).
Er überschreibt das Kapitel des Kriegsbeginns mit ,,nicht unerwartet, dennoch überraschend".
Er schreibt : ,,Wir verfügten nicht über ausreichende Kräfte und Mittel zur Abwehr eines Angriffs, besonders augenfällig war das bei den Fliegerkräften und Landtruppen. Das Grenzgebiet wurde von einer einzigen Schützendivision verteidigt. Nahm man das Kräfteverhältnis bei modernen Kampfmitteln rein quantitativ, so fiel es für die Nordflotte und unsere Schützentruppen im Grenzgebiet auf der Halbinsel Kola zu Beginn der Kampfhandlungen ungünstig aus."
Und weiter : ,,Wohin ihr Stoß zielte war unschwer zu erraten- auf Murmansk, den einzigen eisfreien Hafen im Polargebiet, der Zugang zum Ozean bietet und durch die Eisenbahnlinie mit dem ganzen Land verbunden ist".
Trotzdem oder gerade deshalb ergeben sich in diesem Zusammenhang viele Fragen.
Warum haben Wehrmacht, Luftwaffe und Kriegsmarine nicht mehr Anstrengungen unternommen, diesen wichtigen Frontabschnitt im Norden gegen einen schwachen Gegner zu überwinden, Murmansk einzunehmen und den über den Hafen laufenden Nachschub zu unterbinden ?
Warum hat die britische Marine, nachdem die Tirpitz, Admiral Scheer und andere Einheiten von Brest aus durch den Kanal entkamen und sich im Nordmeer festsetzten, diese Einheiten nicht energischer bekämpft ?
Die Geleitzüge in Richtung Archangelsk über Murmansk waren doch im hohen Grade bedroht und die Lieferungen wurden gerade im Jahr 1942 dringend gebraucht.
( ein Kapitel für sich ist die Geschichte des Geleitzuges PQ – 17 ).

Die sowjetische Flotte war kräftemäßig nicht in der Lage, die deutschen Seeverbände wirkungsvoll zu bekämpfen. Sie konnte diesem Gegner allerdings auch schmerzhafte Nadelstiche zufügen. Die Nordflotte war anfänglich hauptsächlich damit beschäftigt, den Geleitzügen zusätzlichen Schutz zu geben und die Landfront zu unterstützen- drückte sich aber auch nicht vor Konfrontationen mit dem Gegner. Später war sie dann allerdings in der Lage auch eigene Initiativen zu übernehmen.
In den Memoiren von Golokow liest sich das zwar etwas anders, weil er wie alle anderen späteren Sieger dazu neigt, die Heldentaten zu überhöhen.
Im großen und ganzen bin ich aber der Meinung, das in der westlichen Geschichtsschreibung die Rolle und Bedeutung der sowjetischen Marine untertrieben und in den sowjetischen Publikationen übertrieben wurde.
Neuere sachliche und ausführliche Darstellungen fehlen bisher auf dem deutschen Buchmarkt. Ich habe gerade 2 Neuerscheinungen zur Nord- und Pazifikflotte bestellt. Da es allerdings russische Ausgaben sind, wird einige Zeit vergehen, bis ich den Inhalt kapiert habe.

Mario

Wie sollten die deutschen schweren Einheiten in ihren norwegischen Verstecken bekämpft werden ??? Von landgestützten Luftbasen waren sie zu weit entfernt. Und mit Flugzeugträger vorzugehen, lohnte doch den Aufwand nicht. Außerdem waren Flakbatterien in den engen norwegischen Fjorden klar im Vorteil, weil die Piloten sich die Anflüge nicht aussuchen konnten. Sperrfeuer war dort sehr wirkungsvoll.

kalli

diese Einheiten waren nicht immer in ihren Verstecken. Und es gab gegnerische  Einheiten, die reisaus gemacht haben und dabei ihren schutzbefohlenen Konvoi im Stich gelassen haben.
Im übrigen wäre ich sehr vorsichtig zu sagen "das lohnte den Aufwand nicht ". Dieses nicht lohnende hat Tausende russische Opfer zur Folge gehabt. Wohlgemerkt keine britischen- darüber kann man ja mal reden- oder ?
Zur Erinnerung :die Sowjetunion war ein Verbündeter,damals jedenfalls und auf dem Papier.

Scheer

Es steht in Kallis Posting ein Aspekt der mir gar nicht mal so unsinnig erscheint.
Es geht um die Einnahme von Murmansk !
Problematisch wäre natürlich ein Halten dieses, ich bezeichne es mal asl "Brückenkopfes". Ein Einnahme wäre sicherlich ein mögliches Unterfangen gewesen, das Halten jedoch ein schwierigeres.
Aber greifen wir nun die schweren Einheiten der Kriegsmarine in Norwegen auf:
Zu bestimmten Zeiten hielt sich in Nordnorwegen, und damit in Schlagdistanz zu Murmansk ein stattlicher Flottenverband auf.
Mit TIRPITZ, LÜTZOW, SCHEER und HIPPER war dort, artilleristisch gesehen, eine recht gewaltige Macht versammelt.
Ich denke nun an eine Art Raid, so wie SCHEER ihn gegen Port Dickson führte. Eine Beschießung des Hafens von Murmansk (ein stillstehendes Landziel) hätte doch in einem großen Maße die Infrastruktur und somit die Einsatzfähigkeit des Hafens treffen können. Da die Russlandgeleite über diesen Hafen führten, hätten sie für eine geraume Zeit ausgesetzt werden müssen.
Mit einer solchen Aktion wären die schweren Einheiten indirekt aktiv in den Geleitzugkrieg eingebettet worden.
Da ich persönlich die Großkampfschiffe nicht als wirklich brauchbare Handelsstörer ansehe eröffnet sich für mich in einer solchen Aktion ein brauchbares Einsatzgebiet.

kalli

das sehe ich im Moment noch etwas zwiespältig. Murmansk wurde von der deutschen Luftwaffe ja fast dem Erdboden gleichgemacht. Aber unter unsäglichen Bedingungen wurde durch die Sowjets der Betrieb aufrechterhalten. Da wären noch viele Details berichtenswert. Was ich auch meinte und in den sowjetischen Quellen immer eine Rolle spielt, ist die "Angst" der Briten, die Geleitzüge bis Archangelsk zu bringen. Das geht ja soweit, dass in einigen russischen Quellen behauptet wird, die Briten haben die Flotte zum Nordmeer entkommen lassen, damit sie selbst über den Atlantik ungefährlicher versorgt werden können und lassen wir die dann entstandene Bedrohung doch durch die Russen auslöffeln. Ganz wichtig hierbei sollte eine objektive Beurteilung des Geleitzuges PQ- 17 sein. Ich weiss, welche Brisans da drinne steckt- bin aber auch noch nicht so weit eine Bewertung vorzunehmen.
(Bis Sonntag muss ich unbedingt was zum Pazifik fertigbekommen- das Thema hier bleibt aber auch weiter ein wichtiger Schwerpunkt )

Scheer

Jaaa PQ 17.Das ist ein Thema für sich.
War es richtig den Geleit aufzulösen?
Oder wäre es besser gewesen ihn zusammenzuhalten?
Ein echter Streit unter den Gelehrten.

Bin auf die Pazifikgeschichte schon sehr gespannt.

kalli

Ich möchte Euch den Inhalt einer mail nicht vorenthalten, die ich von Kirill aus Murmansk erhalten habe. Der übersetzte Text hat folgenden
Inhalt :

Ich habe Ihre Zusammenfassung über die Kriegflotte der UdSSR in den Jahren
1941 - 1945 gelesen.

Einige Kommentare:

Zitat von Kalli aus den Thesen :
Welche Kampfhandlungen bestimmten den Verlauf der Jahre 1942 bis 1943 ?


Nordmeer: Geleitschutzaufgaben für die Versorgung der sowjetischen Armee, Störung der Versorgung der deutschen Armee und Marine in Norwegen und im Nordmeer hauptsächlich durch Marineflieger und U- Boote

Hauptkraft der Nordmeerflotte in den Jahren 1941 - 1945 waren Unterseeboote.
Die Luftwaffe erzielte weitaus geringere Erfolge in dieser Periode. Das
erklärt sich in der Hauptsache durch die geringe zahlenmässige Grösse der
Luftstreitkräfte der Nordmeerflotte (besonders 1941 - erste Hälfte 1942)
und vor allem durch die geringe Menge an modernen Kampfflugzeugen. So
bestand die Luftflotte der Nordmeerflotte zu Beginn des Krieges aus 116
Flugzeugen, davon nur 9 Bombenflugzeuge SB, der Rest - veraltete
Wasserflugzeuge MBR-2, Jagdflugzeuge der alten Typen I-16 und I-153.
Im Jahr 1943 war die Luftwaffe der Nordmeerflotte trotz wesentlich
größerer zahlenmäßiger Stärke im Vergleich zu 1941 - 1942 nicht
erfolgreich aus verschiedenen sowohl objektiven als auch subjektiven
Gründen. 1944 wurde die Luftflotte der Nordmeerflotte zahlenmäßig
stärker, der Flugzeugpark verbesserte sich sowohl qualitätsmäßig als
auch mengenmäßig und das zeigte umgehend Wirkung - die Luftflotte im
Norden hatte im Jahr 1944 den 1. Platz inne hinsichtlich der
Wasserverdrängung der versenkten deutschen Kampf- und Frachtschiffe,
während die Rolle der U-Boote sich stark verringerte.

Zahlenmäßige Zusammensetzung  der Luftflotte der Nordflotte 1941 - 1945
22.06.1941:    116 (davon einsatzfähig 97
01.01.1942    135 (?)
22.06.1942    172 (116)
01.07.1944    269 (215)
01.01.1944    349 (243)
01.07.1944    442 (372)
01.05.1945     566 (475)

Gegenwärtig arbeite ich an einem Material ueber die deutschen Verluste in
der Arktis (ähnlich dem, welches ich mit diesem Brief schicke, nur mehr im
Detail und auch die beschädigten Schiffe einschließen, nicht nur die
versenkten. Wenn Sie interessiert sind, dann schicke ich Ihnen dieses
Material, wenn es fertig ist (diese Material ist aber auf englisch).

Kalli schrieb:
Das Forum ist noch klein, Sie können sich gerne beteiligen.

Das Forum ist wirklich klein, aber das macht nichts. Grosses beginnt immer
im kleinen. Da ich bisher noch kein deutsch kann, hat es keinen Sinn, sich
zu registrieren, aber ich werde die Diskussionen verfolgen (mit Hilfe von
Übersetzern und Wörterbüchern - mein Wortschatz in deutsch ist noch sehr
klein.

Kalli schrieb:
Welche Verbindungen pflegen Sie ?

Ich tausche Informationen mit einem polnischen Freund aus. Ihn interessiert
in erster Linie die Baltische Flotte.

Ich habe in elektronischer Form einige Aufsätze und Bücher zur
Seekriegsflotte der UdSSR in den Jahren 1941 - 1945:

1. "Über den Durchbruch von Schiffen aus Tallin nach Kronstadt"/
Militärhistorische Zeitschrift Jahrgang 2001
2. "Detaillierte Angaben über die Verluste beim Übergang nach Tallin und
bei der Verteidigung von Tallin"/ Militärhistorische Zeitschrift Jahrgang
2001
3. Buch "Sowjetisch-Finnischer Krieg 1939 - 1940 zur See"
4. "Die Bekämpfung von Konvois durch Minentragende Schiffe der Nordflotte
im Grossen Vaterländischen Krieg"/Zeitschrift "Gangut", 1995
5. "Deutsche Minensuchboote in der Ostsee 1944 - 1945"/Auszüge aus dem Buch
von M. Whitly, veröffentlicht in der Zeitschrift "Gangut", 1993
6. "Kampf und Tod des Wachtschiffes "Tuman (Nebel)"/Gangut, 1993

Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen diese Materialien per e-mail zusenden.

Wenn Sie irgendeine Information über die Aktivitäten der Sowjetflotte in
den Jahren 1941 - 1945 benötigen, melden Sie sich ohne zu zögern. Ich
helfe, wenn ich kann.

Hochachtungsvoll!
Kirill

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