Abschied von Sewastopol ?

Begonnen von kalli, 02 März 2005, 13:01:50

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kalli

Ich möchte euch einen Artikel nicht vorenthalten, der die jüngsten Ereignisse in der Ukraine und deren Auswirkungen auf die russische Schwarzmeerflotte behandelt.

 
Abschied von Sewastopol
 
Letztes Gefecht um eine militärische Legende? Rußland bereitet sich auf den Verlust der Marinebasis am Schwarzen Meer vor
 
Es ist etwas stiller um die Ukraine geworden. Der hierzulande als prowestlicher Demokrat apostrophierte Viktor Juschtschenko wurde beim zweiten Anlauf  zum Präsidenten gewählt. Vielleicht werden wir nie erfahren, warum man ihn vorher ausgerechnet mit dem Pflanzenvernichtungsmittel »Gelber Regen« dem russischen Pendant zum US-amerikanischen »Agent Orange« umbringen wollte.

Schlüsselfiguren

Juschtschenko hat seine politische Mannschaft nun installiert. Die schillernde Figur der Premierministerin Julia Timoschenko, gegen die die russische Staatsanwaltschaft schon vor geraumer Zeit einen Haftbefehl wegen Korruption ausgestellt hat, steht dabei im Mittelpunkt des Medieninteresses. Dabei gibt es weitere interessante Leute, wie den neuen Verteidigungsminister Anatolj Stepanowitsch Grizenko. Was den 1957 geborenen ehemaligen Luftwaffenoffizier der Sowjetarmee so geeignet macht, diese Schlüsselposition in der Ukraine einzunehmen, dürfte beim Blick auf seine Vita klar sein: Als Absolvent des Instituts für Fremdsprachen des US-Verteidigungsministeriums (1993) und der Universität der Luftstreitkräfte (1994) der USA, scheint er nach dem Geschmack von Condoleezza Rice zu sein. Die US-Außenministerin erklärte erst kürzlich, daß »die ukrainischen Pläne zur Zusammenarbeit mit der NATO die Grundlage für rasche Schritte sind, um die demokratischen Prozesse in der Ukraine weiter fortzuführen und den Weg nach Europa zu bereiten«.

Wie einige Spitzenmilitärs in Rußland die Worte der US-amerikanischen »Freunde« deuten, zeigt die Erklärung des Chefs der Russischen Seekriegsflotte, Wladimir Kurojedow, vom 11. Februar: Die Schwarzmeerflotte werde bis zum Jahr 2017 zwei neue Hauptstützpunkte erhalten. Auch wenn sofort ein direkter Zusammenhang mit der jüngsten politischen Entwicklung in der Ukraine dementiert wurde, sind fast alle russischen Experten vom Gegenteil überzeugt.

Die Schwarzmeerflotte Rußlands hat ihren einzigen großen Stützpunkt in Sewastopol auf der Krim. Nach dem Zerfall der UdSSR befanden sich die Militärhäfen Sewastopol, Odessa, und Poti faktisch über Nacht im Ausland. Nach der Teilung der Flotte zwischen Rußland und der Ukraine hatte man sich auf die langfristige Nutzung Sewastopols durch Rußland vertraglich geeinigt und ist seitdem recht gut ausgekommen. Nachdem aber antirussische Emotionen im Wahlkampf in der Ukraine bewußt geschürt wurden, ist das gegenseitige Vertrauen mehr als nur erschüttert.

Die jetzige Entwicklung ist für Rußland auch psychologisch bitter. Sowohl im Krimkrieg 1853–1856 als auch im Zweiten Weltkrieg wurde Sewastopol erbittert verteidigt und fiel erst nach langer Belagerung in Feindeshand. Es ist als »Heldenstadt« eines der wichtigsten Symbole der militärischen Traditionen, auf die sich die Russische Föderation ausdrücklich beruft.

Stützpunkt gesucht

Die Suche nach geeigneten Ausweichmöglichkeiten ist kompliziert, und das hat nicht nur mit den Kosten zu tun. Rußland plant, zunächst den Hafen Noworossisk bis 2011 auszubauen, und will dafür sechs Milliarden Rubel (etwa 171 Millionen Euro) zur Verfügung stellen. Dabei ist der Hafen als Standort für die Hauptkräfte der Flotte wegen der Witterungsbedingungen schlecht geeignet. Auch ein zweiter geplanter Flottenstandort erweist sich als problematisch. Dieser soll zwischen Gelendschik und Tuapse im Gebiet der Stadt Dshubga entstehen. Dort gibt es nur kleinere Kurorte mit winzigen Anlegestellen am offenen Meer. Schützende Buchten oder andere geeignete Ankerplätze sucht man fast an der gesamten russischen Schwarzmeerküste vergeblich.

Als Ausweg schlägt der ehemalige Oberkommandierende der Schwarzmeerflotte, Eduard Baltin, vor, einen Großstützpunkt im Gebiet des Witjasewo-Limans, nördlich Noworossisks zu errichten. Dort sind die natürlichen Voraussetzungen fast ideal. Das Gebiet liegt allerdings unweit der Ukrainischen Grenze und damit vielleicht auch bald im unmittelbaren Nahbereich der NATO. Rußlands Flottenführung möchte offensichtlich nunmehr auch geographisch so weit wie möglich von den feindlichen slawischen Brüdern in der Ukraine abrücken.

Das Schicksal der russischen Flotte im Schwarzen Meer ist somit ungewiß. Wenn die »orange Revolution« in Kiew Rußlands Marine in der Region tatsächlich den Todesstoß versetzt haben sollte, hat sich das westliche Engagement mehr als bezahlt gemacht. Man ist dann dem Ziel der militärischen Alleinherrschaft in der strategisch wichtigen Schwarzmeer-Kaukasus-Region ein großes Stück näher gekommen. Kostengünstig und ohne direkte Konfrontation mit Rußland war es ein Meisterstück der Machtausdehnung des Westens.


Historisches :

* Im russisch-türkischen Krieg 1768 – 1774 besiegen die zaristischen Truppen die Osmanen. Rußland faßte auf der Krim und an der Schwarzmeerküste Fuß.

* Unter Zarin Katharina II. wird der Aufbau der Schwarzmeerflotte in Angriff genommen. 1783 erklärt die Zarin die Auflösung des Krim-Khanats und den Anschluß der Krim ans Russische Reich. 1787 bis 1791 kommt es erneut zu einem russisch-türkischen Krieg, aus dem Rußland als Sieger hervorgeht.

* 1853 bis 1856 ist die Krim erneut Schauplatz eines Krieges. Sewastopol wird 1854 bis 1855 belagert und schließlich erobert. Der Krimkrieg, den die Türkei mit ihren Alliierten England und Frankreich gegen Rußland führt, endet mit der Niederlage Rußlands, das mit dem Pariser Vertrag das Recht auf eine eigene Seeflotte verliert.

* 1871 kündigt Rußland den Pariser Vertrag und baut die Schwarzmeerflotte wieder auf.

* 1917: Einzig die Soldaten der Schwarzmeerflotte in Sewastopol begrüßen die Oktoberrevolution. Entgegen der Vereinbarung im Brester Frieden besetzen deutsche Truppen die Krim und erreichen am 1. Mai Sewastopol.

* 1919 bis 1921: Bürgerkrieg. Die Macht über die Krim wechselt mehrmals. 1921 wird die Halbinsel zur autonomen Republik der RSFSR erklärt.

* 1941: Am 22. Juni fallen die ersten deutschen Bomben auf Sewastopol und die Schwarzmeerflotte. Schon vier Monate später ist die gesamte Halbinsel, außer der Festung Sewastopol, von der Wehrmacht besetzt. Erst am 4. Juli 1942 geben die sowjetischen Truppen Sewastopol auf. 1944: Am 9. Mai erobert die Sowjetarmee Sewastopol zurück. Die Stadt erhält den Titel »Heldenstadt« (Gorod Geroj).

* Februar 1954: Mit einer Anordnung des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR wird am 19. Februar der Grundstein zu vielen heutigen Problemen der Krim gelegt. Die Krim gehört von nun an zur Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Nach Auflösung der UdSSR wird die Krim der Ukraine zugeschlagen.

Quelle : ,,junge welt" vom 01.03.05 ( leicht gekürzt und ergänzt )

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