2wk-Marine im Skagerrak

Begonnen von Huszar, 05 Januar 2015, 11:44:44

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

RePe

Die Überlegenheit der Kaiserlichen Marine hinsichtlich der Trefferquoten im Gefecht im Vergleich zur Royal Navy ist wohl wesentlich auf die
unterschiedlichen Feuerleitsysteme zurück zu führen.
Dazu Auszüge aus einschlägiger Literatur:

1.)   P. Kemp, Lieutenant-Commander; "Kriegsschiffe 1914-1918", Heyne-Bildpaperback:
"1911 hatte der in der Royal Navy als führender Fachmann des Schiffsartilleriewesens anerkannte Admiral Sir Percy Scott ein neues Feuerleit-
system entwickelt. Jetzt wurden alle schweren Geschütze durch ein Hauptfeuer- und Zielgerät geleitet, gerichtet und abgefeuert. Es war im
Vormars eingebaut, d. h. weit über Brückenleitstandhöhe, wo keine Beeinträchtigung durch Schornsteinqualm mehr auftrat. Neben der
weiteren und unbehinderten Sicht stellte dieses Feuerleit- und Zielgerät auch sicher. dass alle Türme eines Schiffes auf das gleiche Feindschiff
eingestellt waren. Die einzelnen Geschützführer in den Türmen brauchten lediglich den vom Hauptfeuerleitgerät übermittelten und elektrisch
angezeigten Seiten- und Höhenwerten zu folgen.
Das Scottsche Feuerleitsystem wurde von Admiral Jellicoe, ebenfalls einer der Artillerieexperten der Royal Navy, enthusiastisch unterstützt.
Starke Opposition kam jedoch vom Inspekteur der Royal Navy für das Manöverschiessen, der die Beibehaltung des Prinzips des Richtens der
schweren Artillerie durch die einzelnen Geschützführer stärkstens befürwortete. Erst Ende 1912 wurde dieser Meinungsstreit durch ein
Vergleichsschiessen zwischen dem mit dem Scottschen Feuerleitgerät ausgerüsteten Linienschiff "Thunderer" und dessen Schwesterschiff
"Orion", das unter Einzelrichtung der Geschützführer schoss, endgültig beigelegt. Die Überlegenheit des Scottschen Systems hatte sich
schlagend bewiesen: Innerhalb von drei Minuten nach Feuereröffnung auf eine Entfernung von 81 Hektometern bei 12 Knoten Fahrt hatte
"Thunderer" sechsmal mehr Treffer erzielt als "Orion". Jetzt aber war die Zeit knapp geworden. Da einige Unbelehrbare immer noch Oppo-
sition betrieben, waren im August 1914 erst acht Linienschiffe der Grand Fleet mit dem neuen Feuerleitsystem ausgestattet.
Auch die Deutschen hatten Feuerleitsysteme entwickelt, sogenannte Richtungsweiser (später Zielgeber genannt), die mit dem Scottschen
System vieles gemeinsam hatten. Jedoch waren sie nicht im Vormars, sondern auf dem Hauptfeuerleitstand auf der Brücke angeordnet.
Sicher hatte auch die deutsche Marine unbelehrbare, gegen jeden Fortschritt agierende Kräfte. Diese erhielten jedoch niemals die Gelegen-
heit, technologische Entwicklungen aufzuhalten. In der deutschen Hochseeflotte war daher bis 1914 das Richtungsweiser-System vollständig
eingeführt. Die deutschen artilleristischen Leistungen waren stets hervorragend gewesen. Die deutsche Schiffsartillerie schoss mit schnellen
Salventakten, ihre Salven fielen gleichzeitig und lagen eng zusammen. Bei der Zielerfassung, insbesondere was die Entfernung anbelangt,
erreichte sie stets hervorragend gute Ergebnisse.
Die deutschen Schiessleistungen gründeten sich auch auf den telestereoskopischen Entfernungsmesser (Basis-Gerät). Er wies gegenüber
britischen Typen einen wesentlichen Vorteil auf: Er absorbierte nur sehr wenig Licht. Das war für die in der Nordsee zumeist herrschenden
schlechten Wetterverhältnisse von grossem Wert. Nur zu oft führten Nebel, Diesigkeit und schwaches Licht dazu, dass in britischen
Koinzidenz-Entfernungsmessern wegen der hohen Lichtabsorption durch ihre Linsen und Prismensysteme nur wenig zu erkennen war.
   Ähnliches gilt auch für die technischen Eigenschaften von Granaten, Kartuschen, Minen und Torpedos. Jellicoe hatte 1910 als Dritter See-
lord und Artillerie-Inspekteur der Royal Navy dem britischen Ordnance-Board (etwa: Waffenamt) eine Denkschrift unterbreitet, die mit der
Forderung schloss, dass eine panzerbrechende Granate zu entwickeln sei, die Panzerungen auch bei schrägem Aufschlagwinkel durchschlug
und erst danach detonierte. Jedoch erhielt Jellicoe bereits Ende 1910 wieder ein Bordkommando. Die Verantwortung für die Durchführung
einer solchen Entwicklung fiel auf seinen nicht gerade sehr energischen Nachfolger, Admiral Sir John Briggs. Bis 1914 war daher auf diesem
so wichtigen Gebiet nur wenig geschehen. Die leidige Folge dieser technischen Inkompetenz war es dann, dass im Krieg die "panzer-
brechenden" Granaten beim Schrägaufschlag auf deutsche Panzerungen nur zu oft beim Aufprall detonierten, nicht jedoch den Panzer durch-
brachen um erst im Schiffsinneren zu explodieren. ...
Die aufgeführte deutsche Überlegenheit an Güte des Materials rührte daher, dass die Technologie in Deutschland insbesondere in der Stahl-
herstellung, in der Metallurgie*, im Maschinenbau, in der chemischen Industrie, ja auch im Schiffbau ganz allgemein hochentwickelt und fort-
schrittlich war. Schliesslich hatte Deutschland mit seinen technischen Hochschulen als erstes Land der Welt die Ingenieursausbildung auf
Universitätsebene gehoben."

2.)  Antony Preston, "Schlachtschiffe 1856-1919", Heyne-Bildpaperback:
"Auf Anstoss von Admiral Percy Scott führte die britische Marine ein neues System zur Feuerleitung bei Ferngefechten mit der Bezeichnung
"Director Firing" ein. Im wesentlichen ging es darum, dass ein einziges Haupt-Entfernungsmessgerät und eine Haupt-Visiereinrichtung mög-
lichst hoch im Schiff (meistens auf einer Mastplattform) eingebaut wurde. Dort wurde die Entfernung des Ziels gemessen und seine Peilung
berechnet, von dort auch mit einem Spezialfeuerleitgerät alle Geschütze elektrisch gerichtet und abgefeuert. Im Jahre 1912 wurde das
britische Linienschiff "Thunderer" mit dem ersten Feuerleitgerät nach dem Scott'schen System ausgestattet. Die Schiessergebnisse des
Schiffes lagen sofort weit über denen des am besten schiessenden Schiffes der gesamten britischen Home Fleet. Die deutsche Marine bevor-
zugte das "Zeigefolge"-System. Dabei feuerten die Geschützführer ihre Geschütze nach der von einem Hauptfeuerleitgerät auf der Brücke
übermittelten Entfernungs- und Peil-Information ab.
Das deutsche Feuerleitsystem war im allgemeinen dem britischen leicht unterlegen; in einem sehr wichtigen Aspekt war es jedoch beträcht-
lich besser: Anstelle der auf britischen Grosskampfschiffen eingebauten Inzidenz-Entfernungsmessgeräte von 3 m Länge erhielten die
deutschen Grosskampfschiffe 6 m oder 8 m lange stereoskopische Entfernungsmessgeräte von Zeiss. Die britischen Entfernungsmesser
konnten zuverlässige Entfernungsinformationen bis zu 9000 m und darunter ermitteln, brauchten aber sehr viel mehr Zeit bei grösseren
Entfernungen. Die grösseren Basis-Geräte von Zeiss erfassten bei allen Entfernungen die genauen Entfernungswerte sehr schnell. Auf
britischer Seite erkannte man die Beschränkungen und Mängel der eigenen Entfernungsmessgeräte, aber erst die neue "Queen-Elizabeth"-
Klasse erhielt ein besseres 4,6 m langes Modell, das auf grössere Entfernungen einwandfreier arbeitete. Andererseits erwiesen sich die
britischen Geräte weniger störanfällig. Die Zeiss-Entfernungsmessgeräte waren dazu schwierig zu bedienen, wenn das Entfernungsmess-
personal abgelenkt wurde, etwa wie durch den Stress bei Gefechtsschäden am eigenen Schiff, Luftdruck, Erschütterungen beim Abfeuern
der eigenen Artillerie usw. Daher neigte das britische Artilleriefeuer dazu, mit fortdauerndem Kampf besser zu werden, während die Schiess-
leistungen deutscher Schiffe bei Gefechtsbeginn stets ausgezeichnet waren, dann aber mit Fortdauer längerer Gefechte nachliessen. ...
In der Skagerrak-Schlacht waren auf den gegnerischen Flotten zwei verschiedene Feuerleitsysteme im Einsatz. Auf Entfernungen von
10000 Yards (ca. 9100 m) und mehr, wie vor dem Skagerrak, kann das Feuer der schweren Artillerie nur durch Erfassen der über 30 m hohe
Wasserfontänen aufwerfenden Kurz- und Weitschüsse korrigiert werden. Die Schnelligkeit, mit der ein genaues Feuer der schweren Artillerie
zum Tragen gebracht werden konnte, war für den Ausgang der Schlacht von grösster Bedeutung. Mit ihrem System waren die Deutschen im
Vorteil. Beim deutschen "Gabel/Strich"-Schiessverfahren wurde mit höchster Geschwindigkeit geschossen und dabei die Entfernungsein-
stellung (Aufsatz) jeweils um feste Werte oder Gabeln (Striche) erhöht. Das britische System beruhte dagegen darauf, dass mit ein oder zwei
Geschützen zur Feststellung der Entfernung einige Mess-Schüsse abgegeben wurden, an deren Einschlägen die Entfernung gemessen
wurde. Das gegnerische Ziel wurde durch Kurz- und Weitschüsse "eingekreist" und erst dann auf Schnellfeuer übergegangen. Obwohl das
britische "Bracket"-System zunächst zuverlässiger erschien, erwies sich in der Praxis das deutsche Gabel/Strich-Verfahren für die schnelle
Erfassung der Zielentfernung erfolgreicher und wurde daher auch von der britischen Marine ab 1916 eingeführt."

*Dazu ein persönliches Erlebnis: Das scheint auch noch heute so zu gelten. Durch meine Tochter lernte ich in Erlangen einen englischen
Studenten kennen, der dort Metallurgie studierte. Der erzählte mir, dass man dieses Fach - nach seiner Meinung - nirgends besser studieren
könne als in Deutschland, und das schon seit 100 Jahren. Sogar die Universität in Strassburg sei traditionell in Frankreich führend auf
diesem Gebiet.  - Da könnte schon was dran sein.

     RePe

Urs Heßling

#61
moin,
top :MG:

Zitat von: RePe am 14 Januar 2015, 19:17:46
Jetzt wurden alle schweren Geschütze durch ein Hauptfeuer- und Zielgerät geleitet, gerichtet und abgefeuert. Es war im Vormars eingebaut, d. h. weit über Brückenleitstandhöhe, wo keine Beeinträchtigung durch Schornsteinqualm mehr auftrat.
Leider traf das nicht zu bei der Dreadnought, und den späteren Schlachtschiffen der Colossus- und Orion-Klasse, und sogar bei der Lion, bei denen der Hauptmast (mit Vormars) hinter dem ersten Schornstein stand, was den Zielstand bei Kursen gegen den Wind aufgrund der aufsteigenden Hitze und des Qualms fast "unbewohnbar" machte.
Qu.: R. Massie, Die Schalen des Zorns (engl. orig.: Dreadnought), TB-Ausgabe, S. 427/428, und http://en.wikipedia.org/wiki/HMS_Orion_%281910%29

Zumindest Lion wurde deswegen schon 1912 umgebaut, siehe http://www.google.de/imgres?imgurl=http%3A%2F%2Fwww.directart.co.uk%2Fbmall%2Fimages%2Fmpl0553.jpg&imgrefurl=http%3A%2F%2Fwww.worldnavalships.com%2Fdirectory%2Fshipinfo.php%3FShipID%3D3124&h=414&w=800&tbnid=h-t3CNyDKokH6M%3A&zoom=1&docid=9uPFHP6q2cwVmM&ei=57y2VJ_XB4XmywPAj4KwCA&tbm=isch&iact=rc&uact=3&dur=33973&page=2&start=15&ndsp=21&ved=0CG0QrQMwFg

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

bodrog

Sehr interessant alles, aber wir sollten vielleicht einen eigen Abschnitt zu WKI, Feuerleitverfahren und Feuerleitung aufmachen... weil hier nur bedingt von Nutzen! Wenn wir das machen, wäre auch folgendes (jenseits von Schmalenbach) innterssant

a) Dumaresq
b) Unterschied zwischen Dreyer und Pollen firing director control
c) Unterschied zwischen Koinzidenz- und stereoskopischen Entrfernungsmesser

möglichst bitte (mir fehlen die physikalisch-optischen Vorraussetzungen und habe auch auf Grund der Umstände wenig Zeit in tiefere Gesetze vorzudringen wiewohl ich sie verstehe) mit guten naturwissenschaftlichen Erklärungen... wenns nicht zuviel verlangt ist (BITTE...)

:MG:

Impressum & Datenschutzerklärung