Von der Kriegsmarine ins KZ ? : KZ Stutthof

Begonnen von bettika61, 07 Oktober 2014, 21:52:51

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bettika61

Hallo,
in den Prozessakten des Stutthof"Evakuierungs"transportes mit der Ruth
finden sich unter den Häftlingen mehrere, die von der Kriegsmarine ins KZ kamen. Sie wurden im Prozess vernommen, aus Ihren Aussagen:

ZitatÖsterreichischer Staastangehöriger Ernst Wilhelm B.
Nach Beendigung meiner Lehrzeit ging ich 1941 freiwillig zur Kriegsmarine. Ich war auf einem U-Boot, machte jedoch keine grösseren Fahrten. Im Juni 1944 wurde ich von der deutschen Kriegsmarine ausgeschlossen und zwar ohne Kriegsgericht wegen Übertretungen von Urlauben und Trinkereien. Ich kam dann in das Konzentrationslager nach Stutthof.

ZitatKarl Max M.
I was called in to the Navy as a sailor, and in January 1945 I was expelled from the Wehrmacht for offence against discipline. I was brought to Stutthof Concentration camp.

ZitatHubert Franz H.
From 1939 to 1944 I was in the Navy from where I was expelled for underdermining the morale of Armed Forces. I was arrested and about the 15 or 20 January 1944 taken to Stutthof Concentration Camp.

In keiner Aussage, steht etwas über ein Kriegsgerichtsverfahren, nur Ausschluß aus der Kriegsmarine, wenn man denn den Aussagen glauben kann.
Auf der Häftlingsliste der Rheinfels vom 11.5.1945 sind die o.g. mit "pol"(politische Vergehen ) verzeichnet.

Sind andere Fälle bekannt, wo  Marineangehörige wegen disziplinarischer Verfehlungen ohne Verfahren ausgseschlossen wurden und ins KZ kamen?

Grüsse
Beate
Grüße
Beate

,,Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen." George Santayana

Arche

Hallo Beate,
ich habe einige Fälle dokumentiert. Die Marinesoldaten sind über das Marinesonderlager Hela nach Stutthof gekommen. Kriegsgerichtsverfahren waren tatsächlich nicht die Regel.
Die Soldaten zeigten sich eher als Soldaten schwer erziehbar und wurden nach einer "Umschulungsphase" als nicht "therapierbar" aus der WM entlassen und der Gestapo zugeführt und dann sofort nach Stutthof gebracht. Entweder ist man dort krepiert oder man kam in ein anderes KZ oder man blieb dort bis zur Evakurierung.
Mit der Zuführung an die Gestapo wurde man automatisch als Politischer eingeordnet.
Heinz-Jürgen
PS.Wo könnte ich die Häftlingslisten von der "Rheinfels" einsehen?Neuengamme?

bodrog

Meines Wissens nach sollte es für die betroffenen Soldaten folgendermaßen gelaufen sein: Lazarett (Begutachtung durch Psychiater) - WDU (Wehrdienstunfähigkeitsbescheinigung) - Entlassung

wer bei der Entlassung nach § 51 der StPO als nicht zurechnungfähig (Psychopath etc.) eingestuft wurde, ist mit § 42b als Sicherungsverwahrter im Normalfall in eine Heil- und Pflegeanstalt gekommen. Seit Nov. 1943 gab es eine Anweisung des RSHA (der Schriftverkehr lief dann über das RKPA), dass Sicherungsverwahrte generell in einem "Arbeits- und Besserungslager" (also KZ) unterzubringen sind...

Trimmer

Ich muß nun mal nachfragen.
Eine Erklärung des Ausschlußes aus der KM hat ja  " bodrog " geliefert  top aber es muß doch eine Stelle gegeben haben welche da eine Entscheidung getroffen hat. Lazarett wage ich in diesem Fall etwas zu bezweifeln weil nach dem Beitrag von Beate es sich bei dem Mann eindeutig um Disziplinverletzungen gehandelt hat - d.h. in der Regel Strafkompanie/ Bewährung.
Auch die Zuführung durch die Gestapo kommt mir eigentlich etwas sonderbar vor - steht aber auch nicht so im Text von Beate.
Also irgendwie " fehlt " wohl was bei der ganzen Sache.

Gruß - Achim - Trimmer
Auch Erfahrung erhält man nicht umsonst, gerade diese muß man im Leben vielleicht am teuersten bezahlen
( von Karl Hagenbeck)

bodrog

Tja, dann würde ich mal in Richtung eines Sondergerichts oder Wehrmachtsgerichts überlegen... es ist ja auch gut möglich, das die Betroffenen nicht alles erzählt haben...

Trimmer

Über so einen " Ablauf" findet man unter www2.solingen.de  das Schicksal des Matrosen Werner  Kolb.

www2.solingen.de   eingeben  --- dann auf  Stadtgeschichte gehen ------- auf Solinger Schicksale 1933-145 ( u.a. " Stolpersteine " )  ------ ....... Opfer des Nationalsozialismus    Dort findet Ihr den Namen Werner Kolb.

Ich finde das hier alles sehr gut beschrieben wird - Marine - Strafeinheit - KZ

Gruß - Achim - Trimmer
Auch Erfahrung erhält man nicht umsonst, gerade diese muß man im Leben vielleicht am teuersten bezahlen
( von Karl Hagenbeck)

RonnyM

Ich bin der Meinung, dass Herr Kolb unter diesen Vorausetzungen auch bei der DM keine Karriere gemacht hätte. Aber sein körperliche Wohlbefinden wäre gewährleistet.

Grüße Ronny
...keen Tähn im Muul,
over La Paloma fleuten...

Trimmer

Ronny - daran besteht überhaupt kein Zweifel - ich finde es aber recht interessant wie sich diese " Entwicklung " vom Matrosen zum KZ ler zusammen setzte.

Gruß - Achim - Trimmer
Auch Erfahrung erhält man nicht umsonst, gerade diese muß man im Leben vielleicht am teuersten bezahlen
( von Karl Hagenbeck)

Arche

Die Gründe für Wehrunwürdigkeit sind im Wehrgesetz aufgeführt
§ 24. Entlassung aus besonderen Gründen. (1) Soldaten müssen aus dem aktiven Wehrdienst entlassen werden, wenn,
a) sich herausstellt, daß sie nach dem Wehrgesetz oder seinen Ausführungsbestimmungen von der Erfüllung der Wehrpflicht ausgeschossen sind oder nicht zum aktiven Wehrdienst herangezogen werden durften,
b) sie entmündigt oder unter vorläufige Vormundschaft gestellt werden.

(2) Soldaten können aus dem aktiven Wehrdienst entlassen werden
a) wegen Dienstunfähigkeit, wenn sie die zum aktiven Wehrdienst erforderlichen körperlichen oder geistigen Kräfte nach dem Gutachten eines Sanitätsoffziierts oder eines von der Wehrmacht beauftragten Arztes nicht mehr besitzen,
b) wegen mangelnder Eignung, wenn sie nach dem Urteil ihrer Vorgesetzten die für ihre Dienststelle nötige Eignung nicht mehr besitzen,
c) wegen unehrenhafter Handlungen, auch wenn diese vor dem Diensteintritt begangen worden sind, sofern nicht Wehrunwürdigkeit nach § 13 Abs. 1 vorliegt,
d) auf eigenen Antrag in begründeten Fällen Soldaten, die die aktive Dienstpflicht erfüllen, jedoch nur, wenn nach der Einberufung ein Zurückstellungsgrund eingetreten ist.

(3) Offiziere können außerdem aus dem aktiven Wehrdienst entlassen werden, wenn für sie keine Verwendungsmöglichkeit mehr besteht.

(4) Die Absicht der Entlassung ist in den Fällen nach Abs. 2 a und b und Abs. 3 Offizieren drei Monate, Unteroffizieren und Mannschaften, die freiwillig länger dienen, als nach § 8 Abs. 1 festgesetzt ist, einen Monat vorher unter Angabe der Gründe bekanntzugeben. In allen übrigen Fällen indes bedarf die Entlassung keiner befristeten Ankündigung.

(5) Die Vorschriften nach Abs. 1 und 2 finden auf Angehörige des Beurlaubtenstandes, die nicht im aktiven Wehrdienst stehen, sinngemäß Anwendung.

Durch Gesetz vom 20. August 1940 erhielt der § 24 Abs. 3 folgende Fassung:
"(3) Offiziere mit einer aktiven Dienstzeit von mindestens zehn Jahren und Unteroffiziere mit einer aktiven Wehrdienstzeit von mindestens zwölf Jahren können außerdem aus dem aktiven Wehrdienst entlassen werden, wenn für sie keine Verwendungsmöglichkeit mehr besteht.".

Der hier unter § 24.2(b) aufgeführte Absatz wurde gerne auf Hela benutzt. Dann wäre auch klar, wer die Entscheidung traf. Der Vorgesetzte konnte also entscheiden. Der Kommandeur der 31.SStA Fritz Röder hat dann in der Regel den Vollzug unterschrieben.

Es gab nach dem Krieg in Berlin (Ost) ein Nachkriegsprozess gegen Abgehörige des Sonderlagers. Sie wurden wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. www.jusv.nl
Heinz-Jürgen

bettika61

Zitat von: Arche am 07 Oktober 2014, 23:34:12
PS.Wo könnte ich die Häftlingslisten von der "Rheinfels" einsehen?Neuengamme?
Hallo,
die zitierten Unterlagen sind aus  TNA- FO_1060/1842, den Prozessakten  aus dem Stutthof Prozeß in Flensburg. Anklagepunkt war die Beteiligung an der  beim Transport ermordeten KZ-Insassen.

Auf der Rheinfels waren auch KZ-Insassen aus Neuengamme .
Auf der Liste gibt es die Bezeichnungen
B.V.=Berufsverbrecher
S.V.= Sicherungsverwahrung
pol.= politische Vergehen
I.B.V= Bibelforscher
Aso.= Asoziale

Wie es zu diesen "Einstufungen" kam lässt sich den Erläuterungen von @Arche und @bodrog entnehmen.
Die SS hatte nach Ankunft der "Ruth" das Gerücht gestreut, das die Häftlinge allesamt "Schwerverbrecher" seien, entsprechendes Misstrauen schlug Ihnnen entgegen.

Das Beispiel von @Trimmer des Matrosen Kolb lässt erahnen, wie die KM mit Angehörigen, die anders waren, nicht ins System passten, aus welchen Gründen auch immer ,umging, Ihren Willen zu brechen . Die KM war hier Teil eines Unrechtssystems, das wie in diesem Fall ,mit der Ermordung des Opfers endete.

Grüsse
Beate
Grüße
Beate

,,Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen." George Santayana

halina

Hier mal eine Tabelle wie die KZ-Häftlinge eingestuft wurden , sogar auch als Berufsverbrecher der DWM ,      :MS:  halina
" Man muss nicht unbedingt das Licht des Anderen ausblasen , um das eigene Licht leuchten
zu lassen"
                      Phil Borman

Trimmer

#11
Hallo Günter - Du findest aber da auch die " Einstufung " - Politisch - gleich als erstes. Und  wen Du Dir mal Berichte der 999 er durchliest - da war ja auch alles " versammelt .
In diesem Zusammenhang möchte ich mal auf " Der  Spiegel " hinweisen. Dort findet Ihr im Jahr  1951 eine Reihe interessanter Tatsachenberichte über den Einsatz der Strafsoldaten. " Sie haben etwas Gutzumachen ".
Einfach Spiegel - Einsatz der Strafsoldaten     mal eingeben

Gruß - Achim - Trimmer

Ergänzung : Im Spiegel 17/1951 wird u.a.  die gesamte Mannschaft eines U-Boots - samt Kapitän - erwähnt welche zum Infanterie/Gren. Bat 560z.b.V  ( Bewehrungseinheit ) gekommen ist. Leider keine Nennung des Bootes . Ist darüber etwas bekannt  :? Der Bat.Kommandeur der Einheit Salzer ist auch nicht zu finden
Auch Erfahrung erhält man nicht umsonst, gerade diese muß man im Leben vielleicht am teuersten bezahlen
( von Karl Hagenbeck)

halina

#12
Moin  Arche  ,  dass von Dir zitierte Wehrgesetz mit den aufgeführten Paragraphen dürfte wohl aus der Vorkriegszeit der
DW stammen , denn die in § 2 +3 genannten Entlassungsgründe wurden im Krieg nur noch in Einzelfällen akzeptiert , etwa
bei den Flaggoffizieren oder höheren Stabsoffizieren , die dann z.b.V. oder in den "vorläufigen Ruhestand" versetzt wurden ,
meistens beim Erreichen der Altersgrenze .
Um für die WM wieder neue Kräfte wegen der Verluste an der Ostfront zu rekrutieren wurde von Hitler am 4. Mai 1942 der
Generalleutnant Walter von Unruh zum Kommandeur eines Stabes ernannt ( auch Unruh-Kommission genannt ) mit der
Aufgabe , alle Personen vorwiegend im Reichsgebiet zu erfassen die bisher von der Partei und anderen Organisationen als
unabkömmlich eingestuft wurden , in den Augen von AH waren dies nur Drückeberger .   Selbst in den Lazaretten sorgte der
General für Unruhe und machte so seinem Namen alle Ehre , indem er selbst noch in Behandlung stehende verwundete
Soldaten die laufen konnten gegen den Willen der Stabsärzte aus den Lazaretten herausholte , wie geschehen auch in
meinem Lazarett in Halle im Januar 1945 , fortan hiess er nur noch "General Heldenklau "
                                                                                                                                                                 :MG:  halina
" Man muss nicht unbedingt das Licht des Anderen ausblasen , um das eigene Licht leuchten
zu lassen"
                      Phil Borman

Arche

Hallo Günter,
ja, die Version ist von 1935. Mir war dabei nur wichtig, dass der § 24 geklärt wurde. Die in 2 genannten Absätze b und c wurden nach meinen Unterlagen als Hauptgründe für die Entlassung aus der Wehrmacht benutzt. Dies gilt auf jeden Fall bis 1944. Hier liegen mir Fälle vor. Grundsätzlich beziehe ich mich auf das Marinesonderlager auf Hela. Andere mir vorliegende Fälle sind Marinesoldaten, die zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden und nach der Entfernung aus der WM in eines der Moorlager kamen. Hier sind dann auch tatsächlich kurz vor Kriegsende ehemalige Soldaten an die Front geschickt worden.

@Achim
Ich habe die Spiegelserie auch gelesen und versucht alle Fälle zu hinterfragen. Die hier genannte U-Bootbesatzung hat es so wohl nicht gegeben. Es muss sich hier um eine Übertreibung aus einer Legendenbildung handeln. Es gab einen Fall auf U 707, wo mehrere Besatzungsmitglieder an Diebstahl und Hehlerei beteiligt waren. Der größte Teil der Soldaten ist nach der Verurteilung in Bewährungseinheiten gelandet. Aber man schon darauf geachtet, dass diese Soldaten nicht immer gleichen WG saßen. Das dann alle in der gleichen Bewährungseinheit kommandiert wurden, konnte ich nicht feststellen.
Ein zweiter möglicher Strang wäre das ominöse schwarze U-Boot, dass ein ehemaliger Marinesoldat in die Welt setzte und auch Fachleute irritierte. Hier soll aber ein ganzes U-Boot mit Bewährungssoldaten besetzt gewesen sein. Dies war aber sicherlich eine Legende, da der Marinesoldat nie auf einen U-Boot diente.
Die Spiegelserie ist sicherlich spannend zu lesen, aber die genannten Personen waren zum Teil erfunden und so nicht nachprüfbar.
Heinz-Jürgen

Trimmer

Hallo Heinz-Jürgen - glaube ich Dir gerne. Ich hatte ja wie geschrieben mal unter  der 560 z.b.V  nach gesehen und komischerweise taucht da schon dieser Salzer als Bat.Kommandeur nicht auf.
Auf der anderen Seite finde ich diese Artikel trotz aller " Wenn und Aber " doch sehr interessant da zumindest 1951 ja wohl die Eindrücke und Erlebnisse noch ziehmlich " frisch " waren

Gruß - Achim - Trimmer
Auch Erfahrung erhält man nicht umsonst, gerade diese muß man im Leben vielleicht am teuersten bezahlen
( von Karl Hagenbeck)

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