Suizid von Matrosengefreiter Emil-Heinz Motyl nach Wachvergehen (U 1221)

Begonnen von Rheinmetall, 25 September 2014, 15:43:50

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

M-54842

Zitat von: Hille am 27 September 2014, 16:08:34
Muß da nicht eingeräumt werden, daß Herr Motyl evtl. neurologische Ausfälle, z. B. eine Narkolepsie oder eine Viruserkr., gehabt haben könnte. Das könnte eine allgemeine Verständnislosigkeit erklären und eine große persönliche Verzweiflung bis hin zur Suizidalität.
Der Begriff "Wachvergehen" erscheint dann wohl auch in einem andern Licht.

Gruß, Hille

So richtig wissen wir alle nicht, was damals an Bord tatsächlich passiert ist. Daher können wir letztlich nur spekulieren.
Fakt ist aber, dass man um die besonderen Belastungen einer U-Boot-Besatzung in See wusste. Dazu gab es auch Untersuchungen am Marineärztlichen Forschungsinstitut für U-Boot-Medizin. Insbesondere Dr. Fritz Pohle war auf diesem Gebiet ein erfahrener Mediziner. U. a. veröffentlichten Pohle und Essen noch 1945 den Beitrag "Über das nervöse Syndrom als Folge des U-Booteinsatzes".
Darin schildern die Autoren eine Vielzahl von Problemen der U-Boot-Fahrer wie:
Kopfschmerz, Schwindel, Schlafstörungen, Reizbarkeit und heftige Temperamentsausbrüche, Nachlassen des Selbstvertrauens, des Beurteilungsvermögens in kritischer Situation, Energielosigkeit nach erhöhter Beanspruchung, Gleichmütigkeit gegenüber gestellten Aufgaben, Händezittern, Magen- und Darmkrämpfe, die durch äußere Eindrücke hervorgerufen wurden, Herzklopfen, Schweißausbruch, gesteigerter Harndrang, Nachlassen der Sehleistung vor allem im Dunklen, Herzstiche, Angstgefühle, Herzjagen bei jedem Ärger und jeder kleinen Erregung, Druck und Völlegefühl im Bauch, Neigung zu Durchfällen bei geringsten seelischen Erschütterungen.
Das alles zeigt auf, mit welchen medizinischen Problemen ein Feindfahrt verbunden sein konnte.

Elektroheizer

#16
Zitat von: Teddy Suhren am 28 September 2014, 10:13:34
Zitat von: Urs Heßling am 27 September 2014, 21:34:55
(...)
Macht müde.
(...)

Dem kann man durch Flüssigkeitszufuhr entgegenwirken. Das bekommt man auch gesagt.
Das kann ich mir nur schwer vorstellen. Müdigkeit ist nunmal die Nebenwirkung von zentral dämpfenden Pharmaka. Flüssigkeitszufuhr bewirkt da eine gewisse Verdünnung, die Wirkstoffkonzentration wäre dann im niedrigen einstelligen Prozentbereich geringer. Das geht im Rauschen sonstiger Variablen unter (unterschiedliches Körpergewicht, individuelle Anfälligkeiten, Tagesform...). Eher denkbar ist, daß damit Dehydrierung entgegen gewirkt wird, weil man zu wenig getrunken hat. Keine Möglichkeit auf Wache bzw im Streß etwas zu trinken, allgemein nicht auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr geachtet, evtl auch Wasserknappheit an Bord. Oder eine Art Placebo-Effekt, Suggestion.
Ich habe das Grauen gesehn

atlantis

Moin,
letztlich können wir nur spekulieren.
Alle verfügbaren Angaben stammen aus dem KTB
und damit aus det Sicht des Kdten Ackermann.
Schon die Annahme einer "Fahnenflucht" zeigt die "Hilflosigkeit" des Vorgesetzen.
Über Gefr. Motyl ist nichts " Eigenes" bekannt.
Ackermann beschreibt ihn als " Charakterschwächling".
Was heißt das? Entsprach er nicht dem Bild des "entschlossenen und harten Kaempfers"?
Vielleicht war dieser 19 jaehrige Junge nicht freiwillig bei der U-Boot-Waffe und ungern Soldat?
Vielleicht musisch veranlagt und empfindsam? In geschlossen Gruppen nennt man auch heute noch Individuen, die andere Interessen haben, als Mainstream " Aussenseiter" und "widerspenstig", wenn sie sich nicht gruppenkomform verhalten. Jeder, der einmal mit Wehrpflichtigen zu tun hatte, kennt solche Personen, die "anders" sind, als die " Restgruppe".
Ich kenne aus meiner Wehrdienstzeit so einige Fälle .
Der junge Mann hat einfach den Tod gesucht, weil er wohl, in der Aussenseiter- Rolle, keinen anderen Ausweg mehr für sich sah.
Beste Gruesse
Ingo


Hille

Hallo,

ist ja sehr heftig, was Dr. Pohle da an Belastungen für die U-Boot-Männer aufzählt.
Einige dieser Symptome sind von Buchheim sehr anschaulich beschrieben.
Andere Autoren der Erlebnisliteratur gehen nicht so genau darauf ein, das war wohl ein Tabu-Thema.

Gruß, Hille

M-54842

Zitat von: Hille am 28 September 2014, 14:52:05
Hallo,

ist ja sehr heftig, was Dr. Pohle da an Belastungen für die U-Boot-Männer aufzählt.
Einige dieser Symptome sind von Buchheim sehr anschaulich beschrieben.
Andere Autoren der Erlebnisliteratur gehen nicht so genau darauf ein, das war wohl ein Tabu-Thema.

Gruß, Hille

Die Belastungen an Bord sind natürlich nicht der Stoff für Heldengeschichten und in der Erinnerungsliteratur fällt mir dazu spontan kein Autor ein, der darüber berichtet hat.
Wer in die Thematik tiefergehend einsteigen möchte, dem sei das Buch "Der Sanitätsdienst in der deutschen U-Boot-Waffe und bei den Kleinkampfverbänden" von Hartmut Nöldeke und Volker Hartmann empfohlen. Ein ausgezeichnetes Buch, dass alle Aspekte der medizinischen Versorgung auf U-Booten und angrenzende Fragen behandelt.

wirbelwind

Hallo,
sicherlich nicht ohne Grund litten u.a. U-Boot-Besatzungsmitglieder an der sogenannten ,,Blechkrankheit", was letztendlich bei krassen Fällen in der  geschlossenen Psychatrie enden konnte. Das wird Dr. Pohle sicherlich auch bekannt gewesen sein. Trotz teilweiser Besserstellung bei der Verpflegung, Mangel an frischen Vitaminen waren bei längeren feindfahrten Usus. Woher sollten die auch kommen bzw, fehlte es an entsprechenden Lagerungsmöglichkeiten. Wurde ja bereits im Forum abgehandelt. Sicherlich wird Motyl nicht der einzige gewesen sein, der von sich aus über Bord ging. Mir ist keine Charakteristik seines Kommandanten bekannt, sonst könnte darüber spekuliert werden, ob der Erschöpfungszustand physisch/psychisch den üblichen Rahmen beim Matrosengefreiten Motyl bereits sprengte und der Kommandeur darauf  hätte reagieren  müssen...
MfG Rüdiger

Arche

Hallo,

U 1221 hat ja nur eine Feindfahrt durchgeführt. Sonst war das Boot nur für jeweils 3 bis 4 Tage auf See. Mottyl kam aus Bad Nauheim und hatte eine normale  Ausbildungszeit. Seit der Baulehrung war er auf dem Boot. Wären im Vorfeld Anzeichen zu erkennen gewesen, hätte der Kommandant auf ihn verzichtet. Jede Ausbildungsstation hat die Soldaten militärisch, fachlich und sozial bewertet. Hier scheinen die Probleme während der langen Feindfahrt aufgetrten zu sein

Heinz-Jürgen

Ps. Für Achim
Ich habe mir das Buch bestellt. Danke für den Hinweis. ich habe aber auch ca. 50 Wachvergehen untersucht und konnte keinen Fall finden, wo ein verurteilter Soldat während der Feindfahrt nach dem Vergehen, dort noch mal eingesetzt wurde. Einschränkend muss ich natürlich festhalten, dass eine Bestrafung erst an Land erfolgte, es aber wahrscheinlich auch Vorfälle gab, die an Bord blieben.

Impressum & Datenschutzerklärung