Strafaktion gegen Marokko 1895

Begonnen von Leutnant Werner, 29 Juni 2014, 13:11:51

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Leutnant Werner

Laut Röhr (Handbuch der Deutschen Marinegeschichte) wurden mehrere Kriegsschiffe für die Aufenthaltsdauer vom 8. Juli bis 11. August 1895 nach Marokko entsandt, um eine Entschädigung für die Ermordung zweier deutscher Kaufleute durchzusetzen, eine für die damalige Zeit fast normale Kanonenbootpolitik-Aktion der kaiserlichen Marine.
Interessant ist die Zusammensetzung des Geschwaders sowie dessen Umfang (Im Vergleich: Beim "Panthersprung nach Agadir" 1911 war zunächst nur das Kanonenboot Panther, in dessen Ablösung dann der kleine Kreuzer Berlin involviert):

- Die als Vollschiff getakelte Kreuzerfregatte SMS STOSCH (3000 t, 82 m, 12 Kn, 16 x 15 cm/l20 und kleinere), die am 29.6.95 aus Kiel auslief, sich zwischen dem 10.07. und 04.08. vor Tanger aufhielt und am 13.08. wieder in Wilhelmshaven einlief

- das "mangels verfügbarer geeigneterer Kriegsschiffe" ausgewählte, für seine Größe sehr stark bewaffnete Küstenpanzerschiff SMS HAGEN (3700 t, 14,8 Kn, 79 m, 3 x 24 cm/l35,  8 x 8 cm, kleinere und TR), das gleichfalls am 29.06. aufbrach und wohl am 10.07. in Tanger einlief. Es blieb bis zum 10.08. vor Ort und war am 19.08. wieder in Wilhelmshaven

- der große geschützte Kreuzer SMS KAISERIN AUGUSTA (6300 t, 123 m, 21 Kn, 12 x 15 cm, 8 x 8,8 cm, kleinere, TR), Flaggschiff, Auslaufdatum unklar, Aufenthalt mit dem Geschwader in Tanger, Rückreisedatum 05.08.95

- sowie die barkgetakelte Kreuzerkorvette SMS MARIE (2400 t, 76 m, 14 Kn, 10 x 15 cm sowie kleinere), diese erhielt am 21.07. in Port Said auf dem Rückmarsch aus Ostasien ins Reich liegend den Befehl, nach Tanger zu gehen. Dort traf sie am  02.08. ein und blieb bis Anfang September. (Angaben nach Hildebrand/Röhr/Steinmetz)

Die Schiffe sollten eine höhere Entschädigungssumme erpressen als jene, die zuvor in gleicher Angelegenheit vom Kreuzer SMS IRENE erpresst worden und von der Reichsregierung als zu gering erachtet worden war!
Zur weiteren Unterstützung der Bedrohung der Marokkanischen Regierung dehnte zeitgleich hierzu das I. Geschwader seine Übungsfahrten bis an die Küste Nordspaniens aus.

Hierzu folgende Fragen:

Wieso war SMS HAGEN schlecht geeignet? Die geringe Reichweite sollte kein Problem dargestellt haben, da man ja in neutralen Häfen kohlen konnte. Schlechte Ventilation im Schiff?

Wieso stellte man diesen Verband überhaupt auf? Hätte man das I. Geschwader stattdessen nicht komplett nach Tanger beordern können?

Aus welchen Schiffen bestand das I. Geschwader?

Gruß
Ekke

joern

Hallo Ekke,
zur Frage welche Schiffe zum I. Geschwader gehörten, habe ich eine Zeitungsnotiz gefunden.
Grüße Joern
Unteroffiziers-Zeitung Juli 1895:

kgvm

Vielleicht war "Hagen" als Küstenpanzerschiff nicht unbedingt ideal für eine Reise, die zumindest mit der Biskayaüberfahrt weit  über Küstengewässer hinausging?

Leutnant Werner

Danke für die Rückmeldungen.

@kgvm: Wohl eher nicht. Die Küstenpanzer der Siegfried-Klasse waren zur Verteidigung der Flußmündungen in die Nordsee vorgesehen und daher als high freeboard ships ausgelegt. Meinen Gröner habe ich gerade verlegt, aber Weyer 1914 fand sich wieder an, wo eine nicht unbeträchtliche Dampfstrecke von 3500 sm angegeben worden ist.

@joern: Danke für die Fundstellen.

Also, der Aufmarsch der Deutschen Flotte nötigt mir Respekt ab.

Wir haben in der zweiten Julihälfte eine Division, bestehend aus einem Küstenschlachtschiff, einem modernen und einem älteren Kreuzer vor Tanger (ein weiterer älterer Kreuzer ist auf dem Weg durchs Mittelmeer zur Ablösung).

Wir haben eine Division, bestehend aus vier Pre-Dreadnought-Schlachtschiffen in der Biskaya bzw in Vigo.

Eine weitere Division von vier Panzerschiffen ist in dieser Zeit in die Nordsee ausgelaufen.

Das ist Germany´s blue water navy   v o r  dem Beschluss der Flottengesetze. Hier wird Beträchtliches hinsichtlich Kampfkraft, Operationsfähigkeit und Koordination unter Beweis gestellt.

Andere Meinungen?


joern

Hallo Ekke,
die 3500 sm Dampfstrecke von S.M.S. Hagen wurden aber erst nach dem Umbau (1899) erreicht. Vorher waren es deutlich weniger.
Durch die Verlängerung des Schiffes konnte der Kohlevorrat von 220 auf 550 t erhöht werden.
Grüße Joern
Siehe auch hier:



Urs Heßling

moin, Ekke,

Zitat von: Leutnant Werner am 03 Juli 2014, 10:11:36
Also, der Aufmarsch der Deutschen Flotte nötigt mir Respekt ab.

Wir haben in der zweiten Julihälfte eine Division, bestehend aus einem Küstenschlachtschiff, einem modernen und einem älteren Kreuzer vor Tanger (ein weiterer älterer Kreuzer ist auf dem Weg durchs Mittelmeer zur Ablösung).
Wir haben eine Division, bestehend aus vier Pre-Dreadnought-Schlachtschiffen in der Biskaya bzw in Vigo.
Eine weitere Division von vier Panzerschiffen ist in dieser Zeit in die Nordsee ausgelaufen.

Das ist Germany´s blue water navy   v o r  dem Beschluss der Flottengesetze. Hier wird Beträchtliches hinsichtlich Kampfkraft, Operationsfähigkeit und Koordination unter Beweis gestellt.

Andere Meinungen?
Nein, aber :
- Dieser "Aufmarsch" hat keine Reserven.
- Es erscheint irreführend, für das Jahr 1895 von "pre-Dreadnoughts" zu sprechen (als gäbe es Dreadnought schon)

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

Leutnant Werner

@Joern: Erstmal Danke. Logisch war die Dampfstrecke vor der Verlängerung wesentlich geringer. Gröner Band I hat sich auch wieder angefunden und nach dessen Angaben haben wir nur knapp 1500 sm Reichweite bei Marschfahrt, aber wie gesagt, kein Problem. HAGEN konnte ja in Cadiz z.B. kohlen oder sogar in situ in Tanger aus einem Dampfer. Sehr interessant, dass HAGEN und HEIMDALL krupp-gepanzert waren, der Rest der Klasse hatte compound.

@Urs: Wir beurteilen das Geschehen aus der Retrospektive und wissen daher, dass es nach den Pre-Dreadnoughts die Dreadnoughts gegeben hat.

Auch die Aussage, dass der Aufmarsch keine Reserven hatte, kann nicht unwidersprochen bleiben. Außer den genannten Schiffen waren Pi mal Daumen 8 Kreuzerfregatten/Schulschiffe zeitgleich um den Erdball verteilt.
In der Heimat, allerdings nur mit Stammbesatzung, hat die Marine noch einmal 5 Küstenpanzer. DEUTSCHLAND, KÖNIG WILHELM und KAISER werden meiner Erinnerung nach zu der Zeit gerade umgebaut, KRONPRINZ, FRIEDRICH CARL, PREUSSEN, FRIEDRICH DER GROSSE und OLDENBURG sind jedoch ebenfalls vorhanden, und dazu noch einige Avisos. Das entscheidende Problem wäre gewesen, für diese Schiffe genug Personal zusammen zu bekommen. Und all diesen Schiffen kam 1895 noch ein nicht geringer Kampfwert zu.

Huszar

Hallo, Ekke,

Als Pre-Dreadnought würde ich die Schiffe um 1895 nicht definieren. Das wäre für mich zB eine Radetzky oder ähnliches. Eventuell könnten die 1906er-Deutschlands noch als solche bezeichnet werden - alles vor den Brandenburgs würde ich auf Neudeutsch Ironclad nennen  :-D

mfg

alex
Reginam occidere nolite timere bonum est si omnes consentiunt ego non contradico
1213, Brief von Erzbischof Johan von Meran an Palatin Bánk von Bor-Kalán

bodrog

Mach doch den Pre-Dreadnought am Schnell-Ladegeschütz/Quickfiring fest und der Brisanzgranate...

irgendwie kommen wir hier langsam wieder dem hier näher:

http://www.forum-marinearchiv.de/smf/index.php/topic,20548.0.html

MfG

Urs Heßling

moin,

Zitat von: Leutnant Werner am 03 Juli 2014, 20:51:36
Wir beurteilen das Geschehen aus der Retrospektive und wissen daher, dass es nach den Pre-Dreadnoughts die Dreadnoughts gegeben hat.
Dann sind z.B. Warrior und Großer Kurfürst auch Pre-Dreadnoughts  :wink:

Meiner Meinung nach ist die Anwendung des Begriffs "Pre-Dreadnought" nur sinnvoll für solche Schiffe, die sich eventuell in einem Gefecht mit Dreadnoughts messen mußten, also Blücher an der Doggerbank, das II. Geschwader der HSF bzw. die brit Panzerkreuzer am Skagerrak.

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

Leutnant Werner

Naja, ich wollte hier eigentlich über Marokko reden. Zum Beispiel würde es mich interessieren, ob die Marokkanische Regierung das überhaupt auf dem Schirm hatte, dass das I. Geschwader in Vigo kohlte (mal ab davon, dass der deutsche Geschäftsträger das wohl erwähnt hat).

Aber zum Pre-Dreadnought:

Vorab @Alex: Da liegst Du ausnahmsweise daneben. Schiffe mit einer schweren Batterie von 4 Geschützen und einer mittelschweren Batterie aus Geschützen ab 20 cm werden in der Literatur meist alshybrids bezeichnet, da sie vom Einheits-Typ (Pre-Dreadnought) in Größe und Bewaffnung bereits abweichen, aber dennoch nicht den Gefechtswert eines Dreadnoughts erreichen. Beispiele: HMS Nelson, Radetzky, Imperator Pavel Pervy, Danton

Was zeichnet den Pre-Dreadnought aus?

- Einheitstyp mit in der Regel 4 schweren Geschützen in End- oder Rautenaufstellung
- In der Regel angetrieben von Dreifach-Expansions-Dampfmaschinen
- In der Regel Stahlpanzerung (Compound, Harvey, Krupp,Terni)
- Mittlere Artillerie bis 19 cm, in der Regel 15 cm, sämtlich Schnellladekanonen
- Schwere Geschütze in der Regel Schnellladekanonen (das bedeutet bei einem 12-Zöller 1 Schuss pro Minute zu der Zeit). Ausnahmen gab es auch: Die Brandenburgs hatten keine Schnelllade-Geschütze, sondern Mantelring-Kanonen, die Schussfolge von 1 Schuss alle 110 Sekunden bei insgesamt 6 schweren Geschützen gleicht dies aber aus. Gleiches gilt z.B. für die französische Brennus, die zwar langsam feuerte, aber über ein Jahrzehnt lang die schwersten Geschütze der Welt herumfuhr.
- Der Einheits-Typ wurde von ca 1890 bis ca 1905 gebaut und dann von Hybriden und Dreadnoughts abgelöst. Die Schiffe dieses Typs waren in der Regel im WK1 noch vorhanden und fanden vor allem auf Nebenkriegsschauplätzen noch reichlich Verwendung.

Soviel mal in der Kurzzusammenfassung. Es gibt soviel Literatur darüber, könnte man auch mal wissenschaftlich zusammenfassend aufarbeiten.

Gruß
Ekke

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