Vorstöße gegen den Geleitverkehr in der Nordsee

Begonnen von Admiral Kummetz, 30 Juli 2012, 18:28:31

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Admiral Kummetz

Moin,
Bremse und Brummer unternahmen im Okt. 1917 einen Vorstoß zur Geleitzugbekämpfung.
Wieviele solche Vorstöße gegen den Geleitverkehr gab es während des gesamten Krieges?

vizeadmiral

Die Angriffe mit Überwasserschiffen auf Geleitzüge hängen mit dem U-Boot-Krieg zusammen; sie dienen der Entlastung der U-Boots-Kriegführung. Vor dem 01.02.1917 gab es keine solche Angriffe.

Gleich im Februar 1917 plante Scheer zur Unterstützung des U-Boot-Krieges einen Angriff mit der Flotte auf den Geleitzugverkehr Holland-England, an den mit den U-Booten nicht heranzukommen war. Der Unterbindung der Fettzufuhr von Holland nach England hat man große Bedeutung beigemessen. Als Scheer den ausgearbeiteten Operationsbefehl (Aufklärungsstreitkräfte in die Hoofden, Gros bei Braune Bank) dem Admiralstab vorlegte (letzter Ausführungstermin für die Operation wäre aus Sichtigkeitsgründen – Mond – der 12.03.1917 gewesen), hatte dieser Bedenken, falls keine Luftaufklärung möglich wäre (die von Scheer als nicht unbedingt notwendig bezeichnet wurde). Die Sache wurde dem Kaiser vorgelegt,  der gegen Scheer entschied. Scheers Immediatsvorlage war erfolglos, was bei der Flottenführung zu erheblicher Verärgerung führte (Marinearchiv Nordsee VI S. 248 ff.)

Die Einmischung des Kaisers wurde als Hemmung der Initiative verstanden, und ich verstehe Scheer, Hochseeflotte, S. 323 ff. und das Marinearchiv so, dass ähnlich wie im ersten Kriegsjahr, als es um den Einsatz der Hochseeflotte ging, auch die aktive Unterstützung des U-Boot-Krieges durch die Hochseeflotte unter dem Kaiser (bzw der politischen Ebene, bei der es um den Erhalt der Flotte für Friedensverhandlungen mit England ging) zu leiden hatte.

Es gab in der Folge Torpedobootsvorstöße in Flandern, der erste Angriff auf einen Geleitzug war der von Bremse/Brummer im Oktober 1917. Es fällt auf, dass zwischen diesen beiden Ereignissen 7 Monate liegen. Durch die Entscheidung des Kaisers gab es wieder – wie zu Beginn des Krieges – erhebliche Unsicherheiten in operativer Hinsicht (Welche Risiken dürfen eingegangen werden? Sind politische oder militärische Gründe ausschlaggebend? Werden politische Gründe durch militärische Argumente verdeckt?).

Bremse/Brummer war nicht nur ein Angriffserfolg, das Geleitzugsystem im Norwegenverkehr musste deutlich verstärkt werden und fuhr nicht mehr täglich, sondern 3x wöchentlich. Verstärken heißt Abzug von Zerstörern (eine wesentliche Waffe zur Bekämpfung von U-Booten) von anderen Schauplätzen. An Zerstörern hatte die Navy einen erheblichen Mangel (Großkampfschiffe waren gegen U-Boote nutzlos), der nur durch die USA ausgeglichen werden konnte.

Dagegen wurde im Dezember 1917 die II. Torpedobootsflottille angesetzt. Sie wurde aufgegliedert in einen Angriff gegen die englische Ostküste (War Channel)  und die Linie Bergen – Lerwick. Auch dieser Angriff war ein klarer Erfolg.

Danach wurden die Geleitzüge derart verstärkt, dass nur noch mit der Flotte angegriffen werden konnte. Der letzte versuchte Vorstoß gegen Geleitzüge fand mit der Flotte im April 1918 statt. Der deutsche Nachrichtendienstes sollte den richtigen Angriffstag herausfinden, was nicht gelang. Scheer fuhr am falschen Tag und hatte auf Moltke noch eine Havarie (Rad der Maschinendrehvorrichtung brach, kleine Ursache, große Wirkung). Dieser Vorstoß war der weiteste, den die Hochseeflotte je wagte. Die Navy hatte sie nicht zu fürchten. Newbolt, Naval Operations V S. 206 (die offizielle Kriegsgeschichte Englands) schreibt, dass Beatty – Nachfolger Jellicoes als Befehlshaber der Grand Fleet - auf gar keinen Fall mit der Hochseeflotte zusammentreffen wollte (auch nicht unter günstigen Bedingungen), da er sich wegen der schlechten Granaten und bei den Schlachtkreuzern unterlegen fühlte. Zumindest was die Granaten angeht, muss man Beatty beipflichten. Eine Seeschlacht ist ein Artillerieduell und mit schlechten Granaten kann man solch ein Kampf nicht führen.

Lediglich der Vollständigkeit halber soll noch auf den Durchbruch von (Leichten) Kreuzern in den Atlantik eingegangen werden. Er wurde geprüft und wegen Versorgungsschwierigkeiten als nicht sinnvoll angesehen werden (Marinearchiv Nordsee VII S. 87 ff.). Im englischsprachigen Wikipedia  wird geschrieben, dass ein weiterer Grund war, dass die Brummer-Klasse Funken verspürten. Das schreibt weder das Marniearchiv noch der dort zitierte Woodward, Collapse of Power.

Die Marineleitung war sehr wohl imstande, erfolgversprechende Konzepte zur Bekämpfung Englands zu entwickeln. Die frühe Seeschlacht war ihr verwehrt, der U-Boot-Krieg war politisch bestimmt. Die Entwicklung einer nachhaltigen Geleitzugbekämpfung in der Nordsee zur Entlastung der U-Boote wurde gehemmt.

Jach

Moin,

die Aktenlage bestätigt zumindest gemäß des Tagebuchs des Kommandos der Hochseeflotte die vorangehend genannte Darstellung und den Eingriff des Kaisers betreffend der Geplanten Operation gegen die Hoofden und den britischen Convoyverkehr (O-Befehl 15) nicht.

Gemäß KTB-Eintrag Scheers war am 10.III.1917 noch die Durchführung in der Nacht vom 11. auf den 12.III.1917 beabsichtigt.
Am Morgen des 11.III.1917 wurde dann aufgrund des unerwartet schlechten Wetters von der Durchführung des O-Befehls 15 und eines Ebenfalls geplanten Kreuzernachtvorstoßes Abstand genommen.

Der O-Befehl 15 selbst blieb unverändert und forderte bis zur endgültigen Aufgabe nicht zwangsweise eine Luftaufklärung.

Endgültig aufgegeben wurde der O-Befehl, da aufgrund der Mondphase - der O-Befehl 15 benötigte helle Nächte - ein weiteres hinausschieben nicht möglich war.

Das Admiralstabswerk sollte in seinen Ausführungen zu den flottenpolitischen Erwägungen und Beurteilungen grundsätzlich kritisch betrachtet werden. Mitlitärisch-operativ ist es deutlich unbedenklicher und zuverlässiger.
Mit freundlichem Gruß

K. Jach

Urs Heßling

moin,

Zitat von: vizeadmiral am 20 September 2013, 11:26:35
Newbolt, Naval Operations V S. 206 (die offizielle Kriegsgeschichte Englands) schreibt, dass Beatty – Nachfolger Jellicoes als Befehlshaber der Grand Fleet - auf gar keinen Fall mit der Hochseeflotte zusammentreffen wollte (auch nicht unter günstigen Bedingungen), da er sich wegen der schlechten Granaten und bei den Schlachtkreuzern unterlegen fühlte. Zumindest was die Granaten angeht, muss man Beatty beipflichten. Eine Seeschlacht ist ein Artillerieduell und mit schlechten Granaten kann man solch ein Kampf nicht führen.
Wann genau kamen denn die "Green Boy"-Granaten in die Flotte ? Ich weiß nur: 1918

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

vizeadmiral

Ich habe mir den Vorgang im Marinearchiv Nordsee VI S. 249 ff. und Scheer, Hochseeflotte S. 215 nochmals ansehen.

Der Operationsbefehl  ist dem Admiralstab zur Kenntnis gegeben worden (Ende Februar übersandt worden und ich vermute, dass es rechtlich um ein Benehmen des Admiralstabs ging, also die Frage, ob Anmerkungen bestehen). Das Marinearchiv schildert ausführlich die Gedankengänge des Admiralstabs, die Vizeadmiral Reinhard Koch für einen Immediatvortrag bearbeitet. Auch diese Bearbeitung muss ein Schriftstück sein. Den Immediatvortrag hielt dann Admiral Holtzendorff, das Datum ist nicht genannt. Dann kam ein Befehl (der konnte kaum mündlich gegeben werden) des Kaisers, auf Luftaufklärung nicht zu verzichten. Darauf kam die Immediatvorlage Scheers, wieder ein Schriftstück, das im Marinearchiv in Teilen wörtlich wiedergegeben ist. Die Entscheidung des Kaisers, offensichtlich wieder ein Schriftstück, wurde dem Admiralstabschef übermittelt und Scheer von Admiral Müller (Marinekabinett) überbracht.

M.E. müsste sich feststellen lassen, ob der Vorgang den historischen Tatsachen entspricht. Bei der detaillierten Darstellung wäre ich verwundert, wenn sowohl Scheer wie Gladisch (Marinearchiv) deie Sache falsch schildern würden.

Jach

Moin,

von einer Falschschilderung ist hierbei meines Erachtens auch nicht zu sprechen. Es geht um eine abweichende Wichtung. Üblicherweise hat der Hochseechef Entscheidungen anderer Stellen, die seine Operationen maßgeblich betrafen im Kriegstagebuch festgehalten. Hierzu ist auf den zugehörigen Seiten und Anlagen des KTB in diesem Falle nichts zu finden. Daher ist nach der mir zur Verfügung stehenden Quellenlage zu vermuten, dass Wetter und Mondstand hauptursächlich für die Nichtdurchführung des O-Befehls sind.

Andere Akten mögen etwas gegenteiliges aufzeigen. Dazu müssten diese jedoch zunächst eingesehen werden. Sobald Sie die von Ihnen genannten Dokumente im BAMA gefunden haben, würde ich natürlich gerne mehr dazu erfahren.

Bei der Verwendung von Scheers Buch möchte ich die gleiche Achtsamkeit wie beim Admiralstabswerk empfehlen.
Mit freundlichem Gruß

K. Jach

Spee

Servus,

Als Scheer den ausgearbeiteten Operationsbefehl (Aufklärungsstreitkräfte in die Hoofden, Gros bei Braune Bank) dem Admiralstab vorlegte (letzter Ausführungstermin für die Operation wäre aus Sichtigkeitsgründen – Mond – der 12.03.1917 gewesen), hatte dieser Bedenken, falls keine Luftaufklärung möglich wäre (die von Scheer als nicht unbedingt notwendig bezeichnet wurde). Die Sache wurde dem Kaiser vorgelegt,  der gegen Scheer entschied.

Manchmal gibt's auch simple Erklärungen:

13.März:

Aus dem beabsichtigten Vorstoss ist nichts geworden, da am entscheidenden Tage ein derartig heftiger SO Sturm einsetzte, dass weder Torpedoboote mit Aussicht auf Erfolg verwendet werden noch Luftschiffe aufsteigen konnten und ohne diese wollte Flotte anscheinend Sache doch nicht riskieren. Recht so, es wäre unverantwortlich gewesen. KTB BdA

Bitte den Geleitzugverkehr Niederlande-Großbritannien nicht in einen Topf mit Norwegen-Großbritannien werfen. Die Niederlande war auch Lieferant für Deutschland, ein Angriff gegen den Verkehr mit Großbritannien hätte zu ernsten politischen Problemen geführt. Faktisch hätte man von Flandern aus den Verkehr viel früher und massiver stören können, aber das wollte man aus politischen Erwägungen nicht.
Servus

Thomas

Suicide Is Not a War-Winning Strategy

Jach

Danke Thomas,

das deckt sich mit meiner Ansicht und den Aufzeichnungen des Hochseechefs im KTB der Flotte.
Mit freundlichem Gruß

K. Jach

Langensiepen

Wer was zum Thema aus " berufener Feder" ,mit Stand der Forschung von heute lesen möchte, der findet es im Beitrag von D. Nottelmann im Hamburger Rundbrief Nr. 191  von 2003     

Langensiepen

Noch was gefunden: Mal im Granier nachlesen. Ist zwar etwas mühsam, aber ergibt doch ein gutes Bild betr. der Befehlslage(n)

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