Brandenburg Klasse von 1891 "All Big Gun Schiff"

Begonnen von Seefuchs, 02 Juli 2012, 19:43:46

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Seefuchs

Hallo Zusammen,

durch den Nachbarthreat "Welche Schiffe" ist bei mir mal wieder
die Frage hochgekommen, ob des Kaisers  4 Brandenburgs nicht eigentlich schon vorweggenommene Fürchtenichtse waren, wenn auch ohne Turbinen, aber die hatten ja die Nassaus auch noch nicht?
Warum wurde das Konzept SA in Mittellienienaufstellung (noch) nicht weiter aufgegriffen?
Eure Meinung dazu interessiert mich einfach mal!
Der Seefuchs
In der Werft: SMS König; KM Lützow

Kosmos

"all big gun" gab es bis dahin noch mehr, die Admiräle ließen sich von neuer schnell feuernden Mittelartillerie verzaubern

bodrog

So einfach ist das auch wieder nicht: Prinzipiell macht es technologisch schon Sinn, die alten Kaiser zu bauen! Wenn ich es richtig verstanden habe, dann waren das überhaupt mit die ersten Schiffe, die Schnell-Ladekanonen bekommen haben. Laut Schmalenbach war das Prinzip aber rein technisch noch nicht auf größere Kaliber übertragbar. Zu den Ladezyklen britischer, französischer oder russischer 25,4, 27,9 oder 30,5 cm Geschütze um 1890 bis 1902 kann ich leider keine Aussage treffen. Fakt ist jedenfalls, dass eine höhere Schussgeschwindigkeit die Trefferchence erhöht, selbst wenn es keine finalen Treffer sind, so besteht doch die Möglichkeit, Lebenswichtiges zu treffen. Diese Aussage treffe ich allerdings nur für das Kaliber 24 cm - bei 15 cm sieht es anders aus.

Also warum nicht die alte Kaiser-Klasse mit 6x24cm oder 8x24cm (meinetwegen in Kasematten) bewaffnet statt 18x15cm.

MfG Ulli

PS: Fürchtenichtse waren die Brandenburgs nicht. Bitte mal Dirk Nottelmann: Die Brandenburg-Klasse. Mittler, Hamburg  2002 lesen

UC 67

Gruß aus Potsdam

Simon

harold

Ich vermute, dass die verschiedenen Kaliber-Längen der SA (L40 für die Endtürme, L35 für den Mittelturm; und damit divergierende Ballistik) den Vorteil der homogenen Aufschlag-Beobachtung wieder genau in dén Nachteil verwandelt,
den man sich später dann mit schweren Zwischenkalibern näher am SA-Kaliber eingehandelt hatte.

Also nix "all big gun", sondern "split big gun".-

Wen haben wir aber denn vergleichsweise im Zeitraum ' 93 - '95 noch so um die 10 kTs?

"Re Umberto", schneller, größeres Kaliber, geringere Kadenz;
"Centurion", etwa vergleichbar in Speed und Kaliber;
einiges mit weniger Tonnage aus Frankreich und Rußland;
dann "Texas" mit erstmalig der MA in Zwillingstürmen;
die "Majestic"s, "Navarin",
und dann kommen Mitte der Neunziger ja schon die deutschen "Kaiser"s.

In allen diesen Beispielen die MA nie über 152mm, SA stets nur 4 Rohre.

4 Ursachen für Irrtum:
- der Mangel an Beweisen;
- die geringe Geschicklichkeit, Beweise zu verwenden;
- ein Willensmangel, von Beweisen Gebrauch zu machen;
- die Anwendung falscher Wahrscheinlichkeitsrechnung.

Seefuchs

@bodrog; @UC 67
erstmal vielen Dank, werde mir mal den Nottelmann beschaffen.

MMich fazinieren diese, meiner Meinung nach recht inovativen Schiffe schon, auch wenn ich Sinn und Unsinn der 2 L35 Rohre nicht verstehe, den Grund schon, anderseits hätte eine 1,50 m tiefe Rinne in den achteren Aufbauten doch auch nicht das große Konstruktive Problem sein können, aber > Nottelmann.
Sind ja auch ganz schön herumgekommen die 4!

Seefuchs
In der Werft: SMS König; KM Lützow

Mario

Die Brandenburg-Klasse ist nicht ganz meine Zeit, deshalb verzeiht mir, wenn ich was Falsches frage.

Wie lag denn damals die angenommene Gefechtsentfernung ? Ist die all-big-Gun Theorie nicht eine direkte Folge der gestiegenen Gefechtsentfernung und der damit einhergehenden Notwendigkeit des Salvenfeuerns ? ? ?

Leutnant Werner

Das Konzept war an sich nicht schlecht. Dirk Nottelmann führt in seinem Buch aus, dass das Schiff konzeptionell an die AMIRAL-BAUDIN-Klasse der Franzosen angelehnt war. Der einzige Grund des Deutschen Entwurfs, sich nicht so schwerer Waffen zu bedienen, wie die Franzosen, sondern ein leichteres Hauptkaliber zu wählen, war, dem Gegner über die Anzahl der Rohre und das kleinere, schneller zu ladende Hauptkaliber die Annäherung zum Rammstoß zu erschweren.

Die maximale Feuergeschwindigkeit der BRANDENBURGS lag bei etwa 1 Schuss alle 100 Sekunden pro Rohr, nachdem die Bereitschaftsmunition im Bereich unter der Barbetten-Haube verbraucht war. Das war vergleichsweise schnell, denn britische, französische und russische Mantelringkanonen der Kaliber zwischen 30,5 cm und 40,6 cm in der zweiten Hälfte der 1880er und den ersten Jahren des 1890er Jahrzehnts brauchten regelmäßig 4-7 Minuten, um auch nur einen Schuss abzugeben. Bei erwarteten Gefechtsentfernungen von 1.500 bis maximal 3.000 Metern war das gefahrlose Annähern zum Rammstoß an das gegnerische Schlachtschiff in dessen Nachladephase eine nicht von der Hand zu weisende Gefahr. Wie sich später herausstellte, war diese dann doch nicht so groß wie erwartet, da fast  gleichzeitig das Schnellfeuergeschütz aufkam und die reellen Gefechtsentferungen viel größer waren als die erwarteten.

Es ist nicht intelligent, die BRANDENBURGS  mit der Dreadnought zu vergleichen, denn die BRANDENBURGS waren nicht so schnell, nicht so gut gepanzert, schossen nicht so schnell, nicht so gut geleitet und nicht so weit und so durchschlagsvoll. Die den BRANDENBURGS nachfolgende alte KAISER-Klasse hatte als besonderes Feature schnellfeuernde Kanonen. Sie hätte sich, obwohl ein eigentlich nicht so guter Entwurf, im Gefecht gegen ihre Vorgänger wohl durchgesetzt.

Dennoch ist es frappierend, und hier stimme ich der ursprünglichen Fragestellung zu, warum ein fertiges Konzept der Gefechtsführung in der Kiellinie mit dem Versprechen, überlegene Feuerkraft über eine Mehranzahl von Hauptartillerie-Rohren in der Mittschiffslinie von Deutschland jedenfalls im Konstruktionsbereich der so genannten "Hybrid Pre Dreadnoughts" nicht wieder aufgegriffen wurde. Schon 1903 war sonnenklar, dass mehr schwerer Bumms auf die Schiffe muss. Kann aber auch sein, dass die Deutschen das nicht wollten, weil die VTE-Maschinen und die Kesselräume mittschiffs soviel Raum wegnahmen, dass die Schiffe dann sehr lang (im Gefühl der Zeit) und damit sehr groß und teuer gekommen wären.

Just my 2 cents


Spee

@Ekke,

sehr gute Frage!
War Tirpitz schon zu dieser Zeit so vehement gegen eine Erhöhung der Kampfkraft, weil damit das Flottengesetz nicht in der von ihn geplanten Art ausgeführt werden konnte? Sollte man einmal tiefer graben, um eine klare Antwort zu erhalten.
Servus

Thomas

Suicide Is Not a War-Winning Strategy

Kosmos

ZitatDie maximale Feuergeschwindigkeit der BRANDENBURGS lag bei etwa 1 Schuss alle 100 Sekunden pro Rohr, nachdem die Bereitschaftsmunition im Bereich unter der Barbetten-Haube verbraucht war. Das war vergleichsweise schnell, denn britische, französische und russische Mantelringkanonen der Kaliber zwischen 30,5 cm und 40,6 cm in der zweiten Hälfte der 1880er und den ersten Jahren des 1890er Jahrzehnts brauchten regelmäßig 4-7 Minuten, um auch nur einen Schuss abzugeben.
eben.
Technische Entwicklung schritt einfach zu rasend voran, um 1890 herum feuerten bei Vorführungen bereits die schnell feuernden 6" Geschütze, stellenweise gar mit Patronenmunition, 6-8 Schuß in der Minute! Technischer Forschritt.

Das Problem der schweren Artillerie ist es gewesen dass es nicht offensichtlich war dass dieser technischer Fortschritt auch da eine signifikante Steigerung der Feuergeschwindigkeit möglich machte, damit ein 12" Geschütz schnell feuert muss ganze Turmkonstruktion und Munitionsbunker darauf abgestimmt werden..... solange dies nicht geschieht ist der Fortschritt nicht offensichtlich. Kein Vergleich zu einem 6" Geschütz und 6-8 Mann dahinter.

Dann kommen die höheren Kosten eines all big gun Schiffes hinzu, es braucht schon eine besondere Qualität und Erfahrung um zu begreifen dass weniger Schiffe mehr leistung erbringen können.

Leutnant Werner

Möchte hier nicht als Unke erscheinen. Die BRANDENBURGS haben sich im Kriegseinsatz ja hervorragend bewährt. Nicht unterschlagen sollte man auch die Qualität von Schiffbau und Instandhaltung. Die von der Türkei angekauften Schiffe legten die Strecke von Deutschland in die Türkei mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 12 Knoten zurück. Beide Schiffe schafften bei der Abnahmefahrt im Marmara-Meer auf die Meile über 16 Knoten, also die Konstruktionsgeschwindigkeit, und das 16-17 Jahre nach Indienststellung.

Was ich aber auch nicht verstanden habe bei dem Entwurf, ist, warum das hintere Deckshaus nicht so gestaltet wurde, dass die HA eine einheitliche Kaliberrohrlänge haben konnte.


Leipzig

Wennn ich den Nottelmann richtig im Kopf habe, dann war es ja ursprünglich gar nicht geplant, die Hauptartillerie mit zwei verschiedenen Kaliberlängen aufzustellen, vorgesehen waren einheitlich L/35er. Während des Baus - als insbesondere der Raum für den Mittelturm schon nicht mehr ohne weiteres vergrößert werden konnte - kamen erst die L/40er Geschütze auf den Markt, und da hat die Marine dann die Gelegenheit genutzt, soweit wie möglich (also noch bei den Endtürmen) noch die neueren Geschütze mit den ballistischen Vorteilen der längeren Rohre zu nehmen. Die Lieferung der Hauptartilliere verzögerte sich ja sowieso, "Wörth" wurde z. B. noch ohne schwere Geschütze in Dienst gestellt.

Leipzig   

Leutnant Werner

Trotzdem, Leipzig, stellt sich die Frage, warum die Decksaufbauten nicht so angepasst wurden, dass alle Türme das leistungsfähigere, längere Geschütz tragen konnten.

Seefuchs

Vielen Dank an alle für die interessanten Antworten und Meinungen zu diesen schönen Schiffen.
Müßte man mal als Modell bauen.

Grüße aus dem Sauerland

Seefuchs top
In der Werft: SMS König; KM Lützow

Schappi1976

Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.
Antoine de Saint-Exupéry

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