Was ist das Rohr vor dem Turm (U 20)?

Begonnen von R.B., 27 Juni 2012, 11:45:06

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Schorsch

Hallo zusammen!

Zitat von: R.B. am 11 Juli 2012, 23:04:30
Das ist eine klare Fehleinschätzung in der Literatur, die offensichtlich nach dem Krieg von früheren Admiralen der deutschen und britischen Marine in Umlauf gesetzt und seitdem immer weiter übernommen wurde. Dies wird erleichtert durch die Behauptung, dass die Lusitania bei ihrer Entdeckung einen statistisch besonders unwahrscheinlichen, für das U-Boot ungünstigen Kurs gefahren sein soll. Früher oder später MUSSTE sie diesen jedoch wieder ändern, sonst wäre sie an der Küste auf Grund gelaufen.

Ich kenne inzwischen eine Original-Quelle für obige Behauptung. Der deutsche Kapitän zur See Friedrich Lützow, früher Führer der U-Boote, schrieb einfach nicht die Wahrheit, als er nach dem Krieg im Buch "Unsere Marine im Weltkrieg 1914-18" erklärte, seine U-Boote hätten getaucht nur 2-4 sm/h erreicht.

Tatsächlich waren sie 9-10 sm/h schnell. Die Angaben zur Überwassergeschwindigkeit der U-Boote sind genauso falsch, behauptet werden 10 sm/h, tatsächlich 15,4 sm/h
(...)

Tja, was soll man dazu sagen:
- eine Verfälschung (wenn nicht gar eine Verschwörung), die von beiden Kriegsparteien gemeinsam kreiert wurde,
- der Verweis auf ein Buch, das es nicht zu geben scheint (so wird z.B. wird im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek unter dem Autorennamen Friedrich Lützow kein Werk mit dem Namen "Unsere Marine im Weltkrieg 1914-18" geführt bzw. unter diesem Titel wird ein anderer Autor genannt; immerhin möglich, dass Bezug auf F. Lützow: ,,Der Lusitania-Fall (auf Grund des amtlichen Materials)" von 1921 genommen wird)
- Leistungs-Daten, die (nur?) in diesem Werk aufgeführt werden, die in krassem Widerspruch zu anderen zeitgenössischen Veröffentlichungen stehen (z.B. ,,Stand des Unterseebootwesens" vom Reichs-Marine-Amt, Berlin 1911, Abschitt ,,Angaben über unsere Uboote": U 19-21 mit 17,0 kn Überwassergeschwindigkeit; z.B. ,,Die Entwicklung des Ubootes seit Beginn des Krieges"; Bericht der Uboot-Inspektion über die Entwicklung bis Herbst 1916,, Abschnitt 4. Motorenanlage: Dort wird wegen des Auftretens von Torsionsschwingungen ausgeführt, dass die Marschgeschwindigkeiten [sic] der Boote der Serie U 19-22 nicht über 12 kn zu steigern sei.; z.B. Schürer: ,,Der Bau von Unterseebooten auf der Germaniawerft", 1922: Für die, mit vergleichbarer Verdrängung und Motorenleistung versehenen GW-Boote U 23 – 26 werden ÜW-Geschwindigkeiten von 15,8 kn bzw. UW-Geschwindigkeiten von 10,1 kn angegeben) und die dennoch weltweit als die einzig richtigen akzeptiert wurden?

Das erscheint mir insgesamt gesehen eine ziemliche Spökenkiekerei zu sein (selbst wenn man den Namen Vögele außen vor lässt).

Mit freundlichen Grüßen
Schorsch
'Judea, London. Do or Die.'

"Ubi dubium, ibi libertas." (Wo Zweifel ist, da ist Freiheit.)

UC 67

...Fehleinschätzung in der Literatur...????

!!!Die Kursänderung des Dampfers ist im KTB vermerkt!!!
Gruß aus Potsdam

Simon

R.B.

#17
Zitat von: Schorsch am 12 Juli 2012, 07:52:33
Tja, was soll man dazu sagen:
- eine Verfälschung (wenn nicht gar eine Verschwörung), die von beiden Kriegsparteien gemeinsam kreiert wurde

Warum denn nicht. Der frühere Vizeadmiral versucht mit seinem Artikel offensichtlich, den Verdacht einer von deutscher Seite geplanten Versenkung des Schiffs zu entkräften. Zitate: "Die Entscheidung, ob ein angetroffener Dampfer ein Passagierdampfer sei oder nicht, überließ man dem Kommandanten" "Aber in Wirklichkeit hat an einen vorbedachten Plan gegen die Lusitania niemand gedacht" "Man hält uns für zu töricht, wenn man uns unterschiebt, wir haben es auf das Leben Nichtkriegsführender abgesehen" "Die Vorwürfe gegen die deutsche Seekriegsführung fallen als haltlos in sich zusammen" "Das Schild der deutschen U-Bootswaffe ist auch im viel angefochtenen Lusitania-Fall rein und unbefleckt" "Nicht der Schatten einer unnützen Grausamkeit fällt auf sie"

Schwieger hatte dem widersprechend durchaus Befehl, jedes feindliche Schiff zu versenken, Passagierdampfer ausdrücklich nicht ausgenommen. Er bekam wie alle U-Boote per Funk Informationen, wann speziell die Lusitania an der britischen Küste erwartet wurde. Zwei Monate vorher hatte SM-U-27 unter Kapitänleutnant Wegener vor Liverpool gezielt auf die Lusitania gewartet und hierfür andere Schiffe ziehen lassen, um seine Position nicht zu verraten. Wegener verpasste das Schiff nur um 24 Stunden.

Das der britischen Führung deutsche Bestrebungen, dieses Schiff mit amerikanischen Passagieren an Bord anzugreifen, nur willkommen waren, ist doch keineswegs abwegig anzunehmen sondern einfach logisch. Und das beide Seiten hinterher ihre jeweilige Absicht abzustreiten versuchen, nachdem deren möglicherweise unvorhergesehene Konsequenzen deutlich geworden sind, auch.

Zitat
- der Verweis auf ein Buch, das es nicht zu geben scheint (so wird z.B. wird im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek unter dem Autorennamen Friedrich Lützow kein Werk mit dem Namen "Unsere Marine im Weltkrieg 1914-18" geführt bzw. unter diesem Titel wird ein anderer Autor genannt; immerhin möglich, dass Bezug auf F. Lützow: ,,Der Lusitania-Fall (auf Grund des amtlichen Materials)" von 1921 genommen wird)

Das Buch hat mehrere Autoren. Herausgeber von "UNSERE MARINE IM WELTKRIEG 1914 - 1918" ist Mantey, Eberhard (Vizeadmiral a.D.). Vaterländischer Verlag., Berlin, Erscheinungsdatum: 1928, Auflage: 21.-30. Tsd. Der hier relevante Abschnitt von "Kapitän zur See Friedrich Lützow" hat die Überschrift "Der Lusitania-Fall", Seite 335-344. Inhaltsverzeichnis abrufbar unter http://navy-history.com/einzelexemplare-a-z/einzelexemplare-u-z/unsere-marine-im-weltkrieg-1914-1918/

Das Buch ist über www.google.de leicht bei vielen Antiquariaten zu finden, allerdings ziemlich teuer, um 100 Euro.

Zitat
- Leistungs-Daten, die (nur?) in diesem Werk aufgeführt werden, die in krassem Widerspruch zu anderen zeitgenössischen Veröffentlichungen stehen (z.B. ,,Stand des Unterseebootwesens" vom Reichs-Marine-Amt, Berlin 1911, Abschitt ,,Angaben über unsere Uboote": U 19-21 mit 17,0 kn Überwassergeschwindigkeit; z.B. ,,Die Entwicklung des Ubootes seit Beginn des Krieges"; Bericht der Uboot-Inspektion über die Entwicklung bis Herbst 1916,, Abschnitt 4. Motorenanlage: Dort wird wegen des Auftretens von Torsionsschwingungen ausgeführt, dass die Marschgeschwindigkeiten [sic] der Boote der Serie U 19-22 nicht über 12 kn zu steigern sei.; z.B. Schürer: ,,Der Bau von Unterseebooten auf der Germaniawerft", 1922: Für die, mit vergleichbarer Verdrängung und Motorenleistung versehenen GW-Boote U 23 – 26 werden ÜW-Geschwindigkeiten von 15,8 kn bzw. UW-Geschwindigkeiten von 10,1 kn angegeben) und die dennoch weltweit als die einzig richtigen akzeptiert wurden?

Ich kann nur vermuten, was den früheren Vizeadmiral bewogen hat, dies so entgegenstehend darzustellen. Er muss es als Admiralstabsoffizier beim Führer der U-Boote besser gewusst haben. Die dauerhaft praktikablen Marschgeschwindigkeiten sind regelmäßig niedriger als die für den Angriff relevanten Höchstgeschwindigkeiten.

Zitat von: UC 67 am 12 Juli 2012, 09:15:22
...Fehleinschätzung in der Literatur...????

!!!Die Kursänderung des Dampfers ist im KTB vermerkt!!!

Das ist bekannt. Allerdings wird die Bedeutung dieser Kursänderung für die allgemeine Wahrscheinlichkeit, dass ein U-Boot nach Sichtung des Schiffs auch auf Torpedoschussweite heran kommt, offensichtlich erheblich überschätzt. Sie war in diesem Einzelfall zwar wichtig, aber für den U-Boot-Kommandanten wegen der Küstennähe auch vorhersehbar. Ansonsten wäre er vielleicht etwas später getaucht und hätte seine höhere Überwassergeschwindigkeit länger genutzt.

In der Mehrzahl der Fälle wird jedoch ein geradeaus fahrendes Schiff bei konstanter Sichtweite, selbst mit überlegener Geschwindigkeit, im Moment seiner Sichtung zufällig einen Kurs haben, auf dem es auch von einem 50% langsameren U-Boot noch abgefangen werden kann. Weicht der Kurs des Schiffs von diesem Bereich erheblich ab, kommt es in der Mehrzahl der Fälle gar nicht erst zu einer Sichtung. Zur Erläuterung eine hierauf sinngemäß anzuwendende Grafik:

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