Weiter mit M 575

Begonnen von Seekrieg, 03 Februar 2012, 21:00:54

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Seekrieg

9. Juli 1941 Kiel
Von 8 bis 15 Uhr Schulfahrt. Beim Auslaufen begegnen uns drei Dampfer estnischer Nationalität (Riga). Sie führen als Decksladung Bauholz und scheinen Prisenschiffe zu sein. Es sind nicht die ersten, und unser Kieler Hafen ist z. Z. wieder einmal voll belegt. Sogar die kriegerischen Herren ,,Tirpitz", ,,Scheer", ,,Lützow" und ,,Prinz Eugen" haben sich hier zu einem Stelldichein versammelt.
Von 15 bis 18 Uhr waren wir im Kohlenhof, um die durch unsere Sonntagstour etwas gelichteten Bestände wieder aufzufüllen. Anschließend war bis 19.30 Uhr ,,Rein Schiff". Dabei haben die Seeleute unsere Telefonleitung wieder gründlich mit durchgespült, so daß die Gespräche gar nicht oder ganz naß ankommen. Die Matrosen sind ein freundliches und liebes Völkchen, aber unberechenbar in ihrem technischen Nihilismus.

10. Juli 1941    
Von 8 bis 17 Uhr fahren für die Sperrschule. Thema: Wasserbombenwerfen. Dabei knackt und knistert unser Boot wieder einmal in allen Fugen. Uns fällt außerdem noch ein Umformer aus, so daß wir über Beschäftigungslosigkeit nicht zu klagen haben. In unserer Messe tanzen bei jeder Detonation die Kaffeetassen auf der Back. Die Kaffeekanne springt kopfüber zu Tal und von der Decke über uns regnet es wieder einmal in unvorstellbaren Massen Kakerlaken. Es ist herrlich!
Die einzigen, die bei der Knallerei profitieren sind die Heizer. Ihnen rollt die Kohle aus den Bunkern in den Heizraum nach, so daß sie in den nächsten Tagen überhaupt nicht zu trimmen brauchen.
Anschließend folgt das bewußte Fischen en gros. Ergebnis: Ein Zentner. Es wären noch mehr gewesen, wenn sich nicht noch einige andere Boote nassauernd mit in unser Fanggebiet eingeschlichen hätten. Aber wir sind auch so zufrieden.

11. Juli 1941 Kiel - In See.
08.00 Uhr: Da wir von der Sperrschule im Augenblick nicht benötigt werden, geht die Flottille zu einer größeren Übungsfahrt in See. Mit nördlichen Kursen dampfen wir davon. Die See ist ruhig, und vom wolkenlosen Himmel strahlt eine heitere Sonne. Damit sind alle Voraussetzungen für einen ruhigen Tag gegeben. Von 12.00 bis 13.30 Uhr lagern und dinieren wir am Eingang zum Großen Belt. Darnach manövrieren wir mit wechselnden Kursen und verschiedenen Aufgaben weiter, bis der Schreckensruf: ,,Wasser im Schiff!" auf einmal jede weitere Tätigkeit unterbindet.
Wasser im Schiff! Das ist einmal etwas Neues. Aber was nun? Umkehren und versuchen, den nächsten Hafen zu erreichen? Nein! Das kommt nicht in Frage. Wenn wir ein Loch im Strumpf haben, blasen wir auch nicht gleich ,,Kehrt Marsch", und so muß auch mit einem porösen Kahn ein Weiterkommen möglich sein. Wenn wir nur erst wüßten, wo das Leck nun eigentlich ist. Bis jetzt haben wir nur festgestellt, daß stündlich etwa zwei bis drei Tonnen Wasser eindringen.
Systematisch wird der ganze Schiffsboden abgesucht und selbst zu den unmöglichsten und unzugänglichsten Stellen wird gekrochen und hingerobbt. Endlich entdecken wir im letzten Drittel des Wellentunnels das Leck. Hier sind einzelne Niete aus der Bordwand gesprungen, und nun halten die Platten nicht mehr dicht. Darüber darf man sich nicht wundern; denn solche Schäden sind bei der dauernden Plauzerei mit den Wasserbomben und unvermeidlich. Sofort geht das Maschinenpersonal an die Behebung des Schadens. In die Spalten und Fugen wird Werg gestopft und Walzblei nachgehämmert. So muß es gehen, und nach Verlauf von zwei Stunden hatten wir unsern Pott dann wieder dicht. Wir verlassen unseren Ankerplatz vor der Insel Arrö, stoßen zur Flottille und beginnen um 23 Uhr mit den vorgesehenen Nachtübungen.
Für uns Funker liegt die Hauptaufgabe dabei in der schnellen und reibungslosen Übermittlung der Befehle und Nachrichten durch die Ultra-Kurzwellen-Station. Es klappt. Langsam schiebt auch der Mond seine ungeputzte Scheibe über den Horizont. Dunstige Nebelbänke geben ihm das Geleit. Langsam vergehen die Stunden.
03.00 Uhr: Wir haben unsere Nachtübung beendet und sind irgendwo vor Anker gegangen. Die Wache zieht auf, alles andere kann wegtreten und schlafen gehen. Wir lassen es uns nicht zweimal sagen und freuen uns, daß ein Stückchen der Nacht auch noch für unsere persönlichen Bedürfnisse übriggeblieben ist.

12. Juli 1941 In See - Apenrade
Heiß und sengend ist der neue Tag aufgezogen. Was nützt es, daß man die zerrissensten Strümpfe und das poröseste Hemd anzieht. Auch die größten Löcher ermöglichen an solchen Hundstagen nicht die nötige Luftzirkulation. Seit 9 Uhr sind wir bereits wieder unterwegs und laufen jetzt 12.30 Uhr in den dänischen Hafen Apenrade ein. Da wir die Funkstation besetzt halten müssen, lösen wir uns gegenseitig ab, damit jeder einmal einen Blick ins Städtchen tun kann. Da aber kaum etwas zu erleben und zu profitieren ist, kehre ich bald wieder von Land zurück und mache es mir an Bord bequem.
Dann verwickle ich unseren Obersteuermann, der ebenfalls tatenlos auf der Brücke herumlungert, in ein Gespräch. Harmlos, aber zielbewußt beginne ich und steuere dann auf mein Urlaubsanliegen zu. Die Hitze hat auch ihn weich gemacht, und so willigt er denn, ohne jedes Für und Wider ein. Nun steht nur noch die Genehmigung des Kommandanten aus. Trotzdem beginne ich sofort mit Reisevorbereitungen und packe langsam meinen Koffer. Ich bin wieder einmal Optimist und glaube auch bei der Marine noch an Wunder.

13. Juli 1941    Apenrade - Kiel - Dresden
06.00 Uhr Auslaufen Apenrade. Bei herrlichem Wetter Rückfahrt durch den Alsensund. 12.30 Uhr Einlaufen Kiel. (Apenrade - Kiel 60 sm)
Der Kommandant hat einen Schwächeanfall gehabt, aber meinen Urlaubsschein dann doch unterschrieben. Um 14 Uhr bin ich startklar und eile zum Bahnhof. Die beste Verbindung nach Dresden ist 16.17 Uhr über Berlin. So bleibt mir noch eine ganze Stunde Zeit. Ich setze mich deshalb in den Warteraum und genehmige mir ein Glas Bier. Das Geld für ein Telegramm nach Hause spare ich aber. In dieser Hinsicht verlasse ich mich ganz auf Gertruds zweites Gesicht.
Endlich rollt der Zug. Wie schön ist das und wie lange bin ich nicht Zug gefahren. Draußen fliegen Städte und Dörfer vorbei, saftige grüne Wiesen und üppige Felder, auf denen das Korn reif und voll auf den Halmen steht. Man kann sich nicht satt sehen an den fruchtbaren Bildern, an dem Gedeihen und Tragen, am schönen deutschen Land. Der Zug rollt dahin und ich mit. Endlich wieder einmal nach Hause! Kiel - Dresden 300 sm = 560 km.

12.   Wieder einmal daheim

14. Juli 1941  Dresden
Pünktlich 01.18 Uhr kam ich auf dem Hauptbahnhof in Dresden an. Da die Straßenbahndirektion nachts aber auch nicht einen Wagen fahren läßt, so sehe ich mich notgedrungen nach einer Kraftdroschke um, obwohl mir vor den damit verbundenen Widerwärtigkeiten graut; denn da die Droschkenfahrer Anweisung haben, nur die Innenstadt zu befahren, läuft daß ganze Unternehmen immer auf eine demütige Bettelei hinaus. Man vertritt nämlich hier im Binnenlande stur die Ansicht: Wer so spät ankommt und den Weg bis zu den entfernteren Stadtgebieten nicht zu Fuß zurücklegen kann, der mag sich die Nacht über den Bahnhof um die Ohren schlagen. Nach ihrer Auffassung ist es wertvoller und richtiger, das knappe Benzin für verspätete Nachtbummler zu reservieren, damit sie sich in fünf Fahrtminuten nach Hause bringen lassen können. Man ist gleich wieder bedient. -
Ich schließe mich zwei Kameraden an, die in dieselbe Richtung wollen und ebenfalls mit der Zeit kargen müssen. Der eine kommt aus einem Feldlazarett in Griechenland und will auf der Fahrt zu seiner Truppe an die Ostfront wenigstens zu Hause schnell noch einmal guten Tag sagen. Der andere ist in Brüssel stationiert und hat die stundenlange Fahrerei ebenfalls satt. Unseren vereinten Vorstellungen gelingt es denn auch, einen Droschkenchauffeur zu überreden, uns nach Hause zu fahren.

16. Juli 1941 Dresden
Es könnte ja alles so schön, so sehr schön sein, wenn der furchtbare Krieg nicht wäre, oder wenn man wenigstens irgendwie ein Ende absehen könnte.  Auch hier in der Heimat verspürt man jetzt den Krieg auf Schritt und Tritt. Nicht nur, daß es alles auf Marken gibt und daß die Leute vor den Geschäften Schlange stehen. Nein, auch bis in die letzten Phasen des Alltags zwängt er sich hinein, und selbst unsere Kleinen atmen nichts anderes mehr als Krieg und Krieg. So springt unser Günter unentwegt von Tisch und Stühlen, und wenn man ihn zu ruhigerem Verhalten ermahnt, dann meint er: ,,Vati, ich spiele Fallschirmspringer", und daß muß ich ja dann einsehen, da gehört nun einmal das Springen mit dazu. Bald wieder liegt Günter platt auf dem Fußboden und ruft: ,,Deckung!" Dann erfolgt noch ein Plauz und Jürgen liegt neben ihm und plappert ebenfalls so gut er es kann: ,,Deckung!" Im nächsten Augenblick wieder stolpert man über zahlreiche Porzellanpatronen der elektrischen Sicherungen. ,,Wirf doch nicht alles so herum!" flehe ich Günter an. ,,Das sind doch Bomben vom letzten Fliegerangriff", antwortet er, ,,und das Aufräumkommando war noch nicht da." Vermutlich gehört da Mutti dazu, aber sie muß jetzt kochen und hat im Augenblick wenig Zeit. Was sonst noch verstreut umherliegt, ist Jürgens Werk.
Während Günter so die Logik zu seinen Gunsten vergewaltigt und keinen noch so berechtigten Forderungen Gehör schenkt, kann man sich auf anderen Gebieten wieder recht vernünftig und sachlich mit ihm unterhalten. Gewöhnlich schneidet er selbst die verschiedensten Themen an und fragt nach Dingen, mit denen er allein nicht recht klar kommt, und die er erläutert haben will. So fragte er mich gestern, warum nun eigentlich Churchill die Schranke über das Meer gelegt hat und wie er sie im Wasser festgemacht hat und was ,,nationalsolustig" ist. Dann wieder entwickelt er Zukunftspläne und malt sich aus, wie er einmal Soldat an einem großen Ferngeschütz werden will. Hoffentlich ist bis dahin der Krieg zu Ende. -

17. Juli 1941 Dresden
Die Heimat ist leer geworden, und der alte Bekanntenkreis weist immer größere Lücken auf. Mit Beginn des Rußlandfeldzuges haben neue starke Einberufungen eingesetzt, und mancher; den man noch friedlich zu Hause wähnte, steht jetzt auch schon irgendwo an den weiten Fronten. Es ist, als habe der Krieg noch einmal einen neuen, gewaltigen Anlauf genommen.
Öfter als in den vergangenen Wochen spricht man jetzt wieder von Gefallenen und Verwundeten. Nachbars Sohn liegt auch im Lazarett. Mit dem Motorrad unterwegs zur Stellung ist er von Tieffliegern angegriffen worden, gestürzt und liegt nun mit schweren Schädelverletzungen darnieder. Überall, wohin man auch hört, trifft man auf die Spuren des Krieges, und es gibt niemanden mehr, der sich nicht um nächste Angehörige, Verwandte und Bekannte bangt und sorgt. Es hat jetzt jeder sein Päckchen zu tragen, der eine mehr, der andere weniger. Leicht und unbeschwert aber schreitet keiner mehr dahin.

18. Juli 1941 Dresden
Es ist bedauerlich und tragisch, daß all dieses Lenken und Leiten, dieses erzieherische Formen und Gestalten der Kinder nun ganz allein der Mutter überlassen bleiben muß und daß bei einer solch entscheidenden Wende die dirigierende Hand des Vaters fehlt, der gerade unsere wilden Jungen immer wieder bedürfen. So nagt und frißt der Krieg allenthalben, selbst, im engsten Kreise der Familie. Nichts ist ihm heilig. Alles wird zersetzt, gelockert, unterhöhlt, wird brüchig und löst sich auf. Ein Kamerad sagte mir einmal: ,,In Wirklichkeit sind unsere Frauen schon lange Witwen und unsere Kinder Waisen, uns fehlt nur noch das Holzkreuz und der leere Stahlhelm auf dem Hügel. Beides aber können wir alle Tage haben. Ich wollte damals diese harten Worte nicht wahrhaben, aber es ist so. -

20. Juli 1941 Dresden
Man geht hier hin und da hin. Man kommt mit diesem zusammen und mit jenem. Man spricht hier ein Wort und da, und manchmal wundert man sich, daß es trotz des harten Krieges immer noch Menschen gibt, die im Leerlauf stehen, und die der Krieg scheinbar gar nichts angeht. Neben der lieben Esserei, der ihre einzige und größte Sorge gilt, haben sie allenfalls noch Interesse, ob es heute regnen wird oder nicht. Schal plätschern sie durch den Alltag, und oft besteht ihre einzige Aufgabe darin, den lieben Nachbar durch den Schmutz zu ziehen. Glücklich und zufrieden führen sie, in eitlem Sonnenschein gehüllt, ein gott- und staatswohlgefälliges Leben. Wie Schaum schwimmen sie, trotz Krieg, an der Oberfläche des Lebens und -  sind selig.

21. Juli 1941 Dresden - Kiel
Heute muß ich nun wieder fort. Sieben ganze Tage Urlaub, das ist zu wenig für so viel Liebe. Gertrud ist traurig. Jürgen schläft und Günter schließt stumm und gefaßt hinter mir das Gartentor zu.
Auf den Bahnhof erlebt man dann das wehmütige Abschiednehmen noch einmal im Großen. Vor jedem abfahrenden Zug wiederholen sich das schmerzliche Umarmen und Händeschütteln, das wehe Winken und das traurige Nachschauen bis zum letzten Augenblick. Wieviel verweinte Augen, wieviel Schmerz und wieviel bitteres Herzeleid läßt jeder Zug auf den Bahnsteigen zurück. Wieviel. -
Um 23.23 Uhr kam ich in Kiel an und erreichte noch die letzte Straßenbahn. Gegen Mitternacht war ich dann im Scheerhafen. Mein Boot war aber nicht da. Es liegt in der Werft. Ich werde also heute Nacht auf M 129 schlafen und erst morgen früh hinüberpilgern. Man versäumt ja nichts.

13.   Werftbetrieb und Kohlenmeßfahrt

22. Juli 1941 Kiel
Nein, man versäumt wirklich nichts! Abgetakelt und ausgeschlachtet liegt M 575 in der Werft. In seinen Eingeweiden rumort und hämmert es. Schwere Maschinenteile baumeln an knarrenden Flaschenzügen über Deck. Grell flammen Schweißbrenner auf, und hin und wieder bellen im heiseren Ton die Niethämmer. Werftbetrieb!
Langsam werfe ich nun auch bei mir den großen Hebel herum und schalte von Urlaubsfreuden auf Werftarbeit. Es geht wieder rund.

23. Juli 1941 Kiel
Das Jahr hat seinen sommerlichen Höhepunkt erreicht. Vom klaren, wolkenlosen Himmel brennt sengend heiß die Sonne. Bunt und fettig spiegelt sich ihr Glanz im ölig schwarzen Wasser des Hafenbeckens wider. Darüber zittert flimmernd der Duft warmer Aufgelöstheit, und auf dem Boot liegt still des Sommers heißer, sengender Atem. Deck und Reling, Aufbauten und Masten glühen sich einander an. Kein Windhauch wagt kühlend dazwischenzutreten. Träg und faltig hängt das bunte Flaggentuch an Stock. Hochsommertag. –
Nachts zwei Stunden Fliegeralarm.

24. Juli 1341
Wie die Tage, so haben auch die Nächte ihre stark ausgeprägte sommerliche Note. Niemand will in den heißen Blechkasten hinunter. Viele nächtigen im  Freien. Die Kojenbewohner zerren ihre Matratzen an Oberdeck, und wo sich ein freies Fleckchen bietet, da schlagen sie ihre Lagerstatt auf. Einige schlafen auf dem Peildeck, andere in der Pinaß oder in den Rettungsbooten. Ja, selbst unter dem langen 10,5 cm-Geschütz findet man noch einen anständigen Schlafplatz.
Noch leichter haben es die Hängemattenbesitzer. Sie nehmen ihren Schlafbeutel und baumeln sich einfach irgendwo auf. Begehrt sind die Plätze zwischen Schornstein und Rettungsbooten und zwischen dem langen Rohr der 10,5 und der Reling. Die Zwischenräume haben gerade die richtige Entfernung. Aber auch zwischen den Wanten und den zahlreichen Tampen des stehenden Gutes kann man sich bis in die Mastspitzen hinauf häuslich einrichten und eine luftige Lagerstatt suchen.
Aber wehe dem, der in der Dunkelheit von Land zurückkommt. Wie er sich heil durch das Netz der Matten und Matratzen windet, ist seine Sache und besonders schwierig, wenn man zufällig einmal alles doppelt sieht. Aber was ist heutzutage noch leicht! –
Nachts wieder zwei Stunden Fliegeralarm.

25. Juli 1941                                                                      
Kiel ohne feindliche Flieger, wie vieles ein unvorstellbarer Begriff. Sie kommen wieder einmal Nacht für Nacht. Gestern erst waren sie mit 20 bis 25 Flugzeugen da und führten einen kleinen Großangriff durch. Zum Glück kam er trotz der vielen Leuchtbomben nicht voll zur Entfaltung. Heute flogen sie kurz vor Mitternacht ebenfalls wieder ein. Sie beschränkten sich diesmal aber in der Hauptsache auf den Abwurf von Kleiderkarten. Das können sie immer machen; denn das tut nicht weh und unsere Wirtschaftsplanung heben sie damit auch nicht aus den Angeln. Über Berlin, so erzählt man sich hier in witziger Weise, sollen die Engländer sogar einen Schinken abgeworfen haben, und auf dem daran befestigten Etikett um hundertfache Vergeltung gebeten haben. Vielleicht greift unsere Propaganda diese Idee auf. Es wäre ein plausibler Grund, das Verschwinden der Schinken im großdeutschen Lebensraum zu erklären. Es wäre ein Grund. -

26. Juli 1941                                                                     
Unser Boot ist fertig. Es ging einmal schneller als wir dachten. Um 9 Uhr legen wir ab und starten gleich zu einer kleinen Probefahrt. Man weiß nämlich nie genau, ob auch alles wieder eingebaut ist und nicht etwa die Hälfte vergessen wurde. Es ist ja alles schon dagewesen.
Diesmal aber fällt die Fahrt zufriedenstellend aus. Die Maschine läuft, die Schrauben drehen sich, und vorwärts kommen wir auch. Mehr kann man billigerweise nicht verlangen. Gegen 11 Uhr machen wir an unserem alten Liegeplatz im Scheerhafen fest.
Es ist gerade die richtige Zeit, um noch zum Wochenende zurechtzukommen.

27. Juli 1941                                                                       
Wir sind Wachboot. Damit ist der Tagesablauf eigentlich vorgeschrieben, vormittags nichts, nachmittags nichts und abends feuchtfröhliches Beisammensein. Schöner kann es uns gar nicht gehen. Man lebt und wird gelebt, und die übrige Zeit wartet man auf den Frieden. Man muß sich nur zu beschäftigen wissen.
Ich für meinen Teil werde den freien Sonntag zum Briefschreiben benutzen.

28. Juli 1941 Kiel
08.00 Uhr: Leinen los! Auslaufen zur Prüffahrt in den Kaiser-Wilhelm-Kanal. Wie immer darf erst im letzten Augenblick das Telefon abgeschlagen werden, und dann muß es ganz schnell gehen. Dabei aber ist es passiert. Eben turnte mein Funkgefreiter Mühlegger noch unter der Pier am Telefonanschlußkasten herum. Dann klatschte es, und da plätscherte er schon im Bach. Schnell zog ich ihn wieder heraus. Es ist nur gut, daß Sommer ist. Trotzdem, notwendig war es nicht!
Dann pendeln wir los. Das Wetter ist herrlich und die Fahrt ebenfalls. Bald haben wir unsere Prüfung hinter uns, treten den Rückmarsch an und liegen 12.30 Uhr wieder fest. Das erste und dringendste ist wieder das Telefonanschlagen. Jetzt passen wir natürlich besser auf. Für den Spott brauchen wir auch nicht zu sorgen; denn immer wieder fragt man uns, ob wir wieder eine Unterwasserleitung legen wollen. Das fehlte uns gerade noch. Macht uns die Überwasserleitung doch schon genug zu schaffen.
Nachmittags ist Sport und Baden. Im kurzen Dauerlauf geht es en bloc am Kanal entlang, und bald ist eine lauschige Stelle zum Baden gefunden. Es ist schön, einmal den Kohlenstaub abzuschütteln und aus den vom Schiffsdunst geschwängerten Klamotten auszusteigen und Luft, Sonne und Wasser freien Zutritt zu lassen. Es lebt und atmet sich viel leichter, und die Sonne meint es heute so gut.
Wir tummeln uns bis gegen 17 Uhr. Dann brechen wir auf und marschieren wieder zurück. Flotte Marschlieder werden gesungen. Mein Hintermann, der Signalgefreite Luchterhand, singt dabei so laut und stürmisch, daß ich ständig einen kräftigen Rückenwind zu spüren meine und leicht und beflügelt marschiere. An Bord angelangt, stürzen wir uns über die bereits gedeckte Abendbrottafel und beschließen damit den Tag, bzw. den blauen Montag. Manchmal ist es wirklich schön bei der KM.

29. Juli 1941  Kiel
01.30 Uhr. Der übliche Fliegeralarm. Es fehlt einem beinahe etwas, wenn ausnahmsweise einmal die Nacht  ruhig verläuft. Der einzige Unterschied zwischen den einzelnen nächtlichen Alarmen besteht nur noch darin, daß man einmal leichter aufsteht, ein andermal schwerer. 20 Flieger sind gemeldet. Sie kurven zwischen Fehmarn und Laaland. Drei Flugzeuge lösen sich sodann aus dem Verband und schwirren über der Kieler und Eckernförder Bucht. Die Flak kommt nirgends zum Einsatz. Es scheinen Minenflieger zu sein. Die Nacht ist stockdunkel und neblig. Da können sie über See ungefährdet tief niedergehen und uns den Fehmarn-Belt und die übrigen Verkehrswege wieder mit Minen zuwerfen. Endlich 02.40 Uhr ist Entwarnung. Wir können schlafen gehen.
Von 8 bis 11.30 Uhr kompensieren im Hafen. Nachmittags an der Pier gelegen. Es regnet.

30. Juli 1941    
So, und heute fahren wir nun wieder einmal für die Schule, schließlich sind wir ja die Sperrschulflottille und dazu da! Schade, daß das Wetter so garstig ist. Der Himmel ist bis an den Rand angefüllt mit Wolken. Dazwischen tummeln sich kalte Böen und starke Regengüsse. Es macht keinen Spaß.
15.10 Uhr Fliegeralarm. Über uns brummt es. Zu sehen ist bei diesem Wetter natürlich nichts. Es ist für beide Teile gut. Die Flieger brauchen nicht anzugreifen und wir nicht zu schießen.
Gegen 16 Uhr treten wir den Rückmarsch an. Um 17 Uhr liegen wir fest und dann ist Ausscheiden mit Krieg. Es ist ein müdes Leben hier. Man darf es gar niemandem erzählen.

31. Juli 1941 Kiel - Aarhus
Für heute ist Kohlenmeßfahrt befohlen, d.h. es soll empirisch festgestellt werden, wie viel Schaufeln Kohle zu einer Schraubenumdrehung gehören und wieviel zu einer Seemeile. Also fahren wir.
Eine Kohlenmeßfahrt ab und zu gehört nun einmal zum guten Ton bei der Kriegsmarine und daran können wir kleinen Leute auch nichts ändern. Wenn aber schon eine Kohlenmeßfahrt gefahren werden soll, dann wenigstens in Richtung Dänemark, damit für uns auch etwas herausspringt. Auf diesen phänomenalen Gedanken ist unsere hohe Obrigkeit aber scheinbar schon viel früher gekommen und hat von der noch höheren Stelle auch schon die Genehmigung dazu erhalten. Dann und wann gelingt eben doch einmal eine glückliche Verkettung des Primär- und Sekundäreffektes.
Punkt 05.00 Uhr werfen wir jedenfalls dienstbeflissen die Leinen los und rauschen davon. Starker Regen und mäßiger Seegang begleiten uns.
14.00 Uhr: Korsör ist erreicht. Langsam klärt sich auch das Wetter auf. Hier und da zwängt sich die Sonne durch die Wolken. Dafür aber trommelt und knackt es im Empfänger ganz gewittrig, kaum daß man noch einen Funkspruch aufnehmen kann.
15.00 Uhr: Es geht weiter. Wir schlagen den bekannten Haken nach backbord und halten auf Aarhus zu. 20.40 Uhr laufen wir ein. Für heute haben wir genug gemessen, ganze 127 sm. Das genügt.

1. August 1941 Aarhus                                                                  
Von 7 bis 15 Uhr fuhren wir wieder unsere vorgeschriebenen Kohlenmeßstrecken. Ich weiß nicht, wie viele es waren und wie oft wir noch fahren müssen. Um 15 Uhr aber war jedenfalls Dienstausscheiden mit und dann schossen wir natürlich an Land, Ernst, Wilhelm, Walter und ich. Die Richtung war uns noch vom letzten Male her bekannt, und im übrigen überlassen wir in solchen Fällen am besten Wilhelm die Führung. Er findet instinktiv das Richtige.
Dabei ist es im Grunde genommen schwer zu sagen, warum und mit welchem Ziele wir eigentlich an Land gehen, zunächst wohl darum, um überhaupt einmal von Bord zu kommen, andere Menschen zu sehen und eine andere Umgebung. Dann tut es unendlich wohl, wieder einmal durch eine saubere und gepflegte Stadt mit heilen Straßenzügen zu wandern, und schließlich ist es eine besondere Wohltat, sich in einer dezenten Gaststätte mit zivilen Allüren an einer gepflegten Tafel zu einem kleinen exklusiven Imbiß niederzulassen. All dies ist nichts Weltbewegendes, vielleicht sind es sogar nur Imponderabilien, aber sie wiegen mit der Länge des Krieges immer schwerer.
So pendeln wir geruhsam durch die Straßen der Stadt, verharren, die Augen offen, bald hier, bald da, oder peilen die Lage nach dieser oder jener Richtung. Wilhelm hat eben eine Tafel Schokolade erstanden und kaut nun, als ob es trocken Brot wäre. Spielerisch klimpert er dabei in der Hosentasche mit ein paar kupfernen Scheidemünzen, die er beim Einkauf zurückerhalten hat.  Plötzlich hält er mir ein 25-Órestück hin und fragt: ,,Weißt du, warum die Óre ein Loch in der Mitte haben?" ,,Nein." - Damit man sie mehrmals benutzen kann!" – ,,Das verstehe ich nicht." - ,,So, ich denke du bist auch technisch geschult und gebildet? Also paß auf! Wenn man z.B. so ein 25-Órestück in einen Automaten steckt und hat durch das Geldstück zuvor einen Zwirnsfaden gezogen, so läßt es sich immer wieder herausziehen. Klar?" -
Das wußte ich allerdings noch nicht. Kriminelle Technik ist nicht mein Spezialgebiet, im Automatenbau aber bin ich immerhin so gut beschlagen, daß ich Wilhelm, wenn er es nicht selbst schon wüßte, ganz genau erklären könnte, warum und wieso das nicht geht. Aber das ist nun einmal so. Der Mensch setzt sich aus Plus- und Minuswerten zusammen. Wilhelm verholt sich indessen bald, weil er heute glaubt, allein schneller und billiger zu einem Entschluß und zu einem Ziele zu kommen.
Damit aber ist für uns die Gewähr gegeben, daß für uns der Abend gutbürgerlich verläuft. Einmal Kaffee und Kuchen und später noch ein Flasche Öl. Und so war es auch.

2. August 1941 Aarhus
Nicht  ausgelaufen. Vormittags kohlen, nachmittags und abends an Land. Hier in Dänemark kann man  den Krieg weiß Gott vergessen. Man lebt wie in friedlichen Zeiten. Nur wenn die Nachrichten kommen  und die Frontberichte, dann schreckt man hoch wie aus einem schönen Traum, in dem man die  Wirklichkeit ganz vergessen hatte. Es ist nur gut, daß die militärische Entwicklung im Osten rasch vorangeht. Vielleicht  gelingt es uns  doch bald, entscheidende Erfolge zu erzielen und den Krieg rasch zu beenden. Manche  Kameraden sind ganz optimistisch. Hoffentlich behalten sie recht. Mir kommt der Ostraum allerdings immer wie ein Faß ohne Boden vor, grenzenlos, - und das ist mir so unheimlich.
Und hart sind die Kämpfe, sehr hart. Darüber können auch die flotten Kriegsberichte nicht hinwegtäuschen, die man jetzt öfters zu hören bekommt. Man scheint hier im Osten für die Kriegsberichterstattung viel auf ehemalige Sportberichterstatter zurückgegriffen haben, die nun glauben, mit berufsmäßiger Routine einen spannenden und atemberaubenden Bericht  hinlegen zu müssen. In Wirklichkeit aber können diese Leute auch heute noch nicht einen Sportplatz oder eine Arena von einem Schlachtfeld unterscheiden. Mit sensationslüsterner Hast berichten sie, wie einzigartig der Angriff anläuft und wie schneidig er vorgetragen wird. Sie faseln vom vorzüglichen Start unserer Panzer, vom  meisterhaft berechneten Schuß und von fabelhaften Leistungen. Wunderbar ist es, wie herrlich sich unsere Männer vorarbeiten, wie der Feind schwer angeschlagen in die Knie geht und eben noch den rettenden Waldrand  (- lies Seile) erreicht. Es  fehlt nicht mehr viel, dann hört man auch noch das Beifallklatschen.
Solche Rundfunkreportagen wollen mir gar nicht  gefallen. Dann schalte ich lieber den Apparat ab. Ein Krieg ist nun einmal keine Boxveranstaltung! Das müßte sich nach zwei Jahren endlich herumgesprochen haben!

Urs Heßling

#1
moin,

Danke für eine tolle Darstellung

nur eine minimini
Zitat von: Seekrieg am 03 Februar 2012, 21:00:54
9. Juli 1941 Kiel
... Sogar die kriegerischen Herren ,,Tirpitz", ,,Scheer", ,,Lützow" und ,,Prinz Eugen" haben sich hier zu einem Stelldichein versammelt.

der schwere Kreuzer muß die "Admiral Hipper" gewesen sein, der Prinz lag zu der Zeit in Brest (mit schwerem Bombentreffer).

... und auch die "Lützow" war nach dem Lufttorpedotreffer am 13.6. erst einmal für längere Zeit werftreif.

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

Seekrieg

#2
3. August 1941    Aarhus  -  Kiel
Man sollte Aarhus als stille Friedensinsel doch nicht so verschreien. Heute nacht von 02.00 bis 04.30 Uhr hatten wir einen ganz  zünftigen Fliegeralarm. Es brummte ganz vernehmlich und   zum Schluß kamen auch noch ein paar Bomben, nicht zu viel, aber für einen Anfänger wie Aarhus gerade genügend. Sinn und Zweck hat diese Bombardiererei friedlicher Städte natürlich nicht,  aber wenn es einmal schon so ist, dann ist es besser, die Lasten des Krieges werden gleichmäßig verteilt, und was in Aarhus fällt, das tut den Kielern nicht weh.  -
05.00 Uhr. Wir treten den Rückmarsch nach Kiel an. Das Wetter ist kühl, trüb und wolkig, der Sonnenschein knapp. Er wird in dem nächsten Tagen sicher rationiert werden.
Ich setze mich zu meinen Funkgasten auf Station und helfe, damit alles klar geht; den seit heute morgen rollen die Funksprüche am laufenden Band an. Zunächst  treffen einzelne  Meldungen über feindliche Flugzeuge und aus verschiedenen Seegebieten über beobachtete Abwürfe ein. Dann folgen die entsprechenden Sperrmeldungen und Einsatzbefehle für die R-Boote. Das währt fast bis gegen mittag. Unterdessen werden bereits die ersten Räumergebnisse bekanntgegeben. Danach kommt endlich der Wetterfrosch zu Wort. Schließlich folgen Auslauf- und Geleitzugmeldungen und nach und nach die Wieder-Freimeldungen der einzelnen Schiffahrtswege.
Darüber aber geht auch der Tag zur Neige. Schon gondeln wir im heimatlichen Gewässer der Außenförde. Unsere Kohlenmeßfahrt geht zu Ende.
20.15 Uhr. Wir haben festgemacht. Der erste, der an Land sprang, war unser Postbüttel, der von der nahen Dienststelle unbedingt noch die eingegangene Post abholen wollte. Ihm folgten ein paar Unentwegte, unter anderem Wilhelm, für die es einfach unmöglich ist, einmal einen Abend, noch dazu am Sonntag, an Bord zu bleiben.
Für mich ist Post  eingetroffen. Gertrud  hat geschrieben. Das ist für mich die schönste Sonntagsfreude. ... ,,Auch unserem Günter fehlst Du sehr. Er versteht ja nun auch schon, daß es eigentlich ganz anders sein müsste. Und dann muß ich ihm immer von Dir erzählen, wo Du  jetzt bist, was Du machst und was wir tun würden, wenn Du zu Hause bei uns wärest. So reden und leben wir uns gegenseitig in ein Leben hinein, daß doch keines ist. Wie lange noch, Vati?" -   

14.   Es wird nichts Ganzes und nichts Halbes

4. August 1941    Kiel
Im Hafen geblieben. Den Maschinenonkels die Ergebnisse der ,,Kohlenfreßfahrt" zur Auswertung unterbreitet, damit sie rechnen und schöne Kurven malen können. Abends an Land. Auf der Post ein kleines Päckchen mit Schokolade für die Buben aufgegeben. Anschließend im Kino. Jetzt, 23.30 Uhr, wird der Tag mit dem letzten Federstrich zu den Akten gelegt.

5. August 1941    Kiel - In See
Wenn man uns durchaus nicht braucht und wir absolut nichts zu tun haben, dann kann man es uns billigerweise auch nicht verargen, wenn wir ausnahmsweise einmal schon am Dienstag mit unserem Wochenendtörn beginnen, und so brachen wir denn heute morgen 08.30 Uhr kurz entschlossen zu einer längeren Übungstournee in die mecklenburgischen Küstengewässer auf.
Strömender Regen, böige Kaltfronten und Seegang 4 bis 5 begleiten uns. Zu den geplanten Übungen kommt es unter diesen Umständen natürlich nicht. Um so si¬cherer aber erreichen wir unser Ziel und gehen um 17 Uhr auf der Höhe von Dahme vor Anker. Selbstverständlich gibt es Landurlaub. In rascher Folge rauscht unsere Pinaß zwischen Boot und Seebrücke hin und her, um die vielen land- und sensationshungrigen Kameraden schnell und sicher an das Ziel ihrer Sehnsüchte zu bringen. Ein großer Teil marschiert sofort weiter zum nahegelegenen Kellenhusen. ,,Hier braucht man wenigstens nicht von vorn anzufangen", meint Walter und hält mir im Vorgefühl kommender genußreicher Freuden spendenfreudig sein ,,Attika"-geschwollenes Zigarettenetui zum Zulangen hin. Dann hüpft er behend in die auf- und abpen¬delnde Pinasse und gondelt davon.
Ich bleibe an Bord. Wenn auch das Wetter jetzt zum Feierabend etwas vernünftiger geworden ist, so fehlt mir zu einem sensationellen Landgang jede Lust. Außerdem müssen wir unsere FT.-Station besetzt halten, und da ist es schon besser, ich bleibe hinter meinem Empfänger. Dafür kann einer von meinen jungen Pimpfen an Land schießen. Sie haben es notwendig.
Selbstverständlich verfolge ich bei diesem edlen Tun auch eigennützige Ziele. Ich will nämlich heute einmal unseren Sender ausprobieren. Es brennt mir schon lange auf der Seele. Ich weiß zwar, daß unsere ,,Elektronensteuerungsmaschine" in Ordnung ist, aber ganz sicher und hundertprozentig überzeugt bin ich erst dann, wenn ich einmal auf die Taste gedrückt habe und auf mein Dit-dit das Echo der Leitstelle gehört habe.
Außerdem juckt es mir schon lange in den Fingern. Eine Taste haben und nicht drücken dürfen, ist für den Funker dasselbe wie für den Raucher eine Zigarette ohne Streichhölzer. Hier nun, in diesem abgelegenen mecklenburgischen Winkel, allein auf weiter Flur und abseits jeder feindlichen Funküberwachung sollen mich keine zehn Pferde davon abhalten.
Haarscharf wird die Sendefrequenz eingestellt, der Rundfunk für die kurzen Augenblicke abgeschaltet, damit in den Lautsprechern nichts zu hören ist, und dann wird in der andächtigen, abendlichen Ätherstille einmal mit breiten Strichen, bewußt lang und tolpatschig, über die Schwebungslücke gewischt. Schon ist die Leitstelle da, schleudert nervös und hastig ein paar Fragezeichen heraus und schließt, als von mir aus nichts weiter erfolgt, mit einem barschen ,,Verlassen Sie sofort diese Welle!"
Stolz und glücklich über den gelungenen Versuch und die Durchschlagskraft unseres Senders, konnte ich es mir nicht verkneifen, meinem Gegenüber wenigstens mit einem kurzen ,,Richtig" den Empfang zu quittieren. Und damit schloß meine heimliche Sendeprobe.
Es war auch Zeit; denn in den Decks ruft man schon wieder nach Musik. Der nächste Hebeldruck gilt deshalb dem Rundfunk, damit das ,,Volk" seinen Willen hat. Oh, es ist nicht leicht, Funker zu sein!

6. August 1941    In See
00.15 Uhr Fliegeralarm! Es gibt scheinbar in ganz Deutschland keine ruhige Ecke mehr, wo man vor den lästigen feindlichen Fliegern einigermaßen sicher ist. Im Westen färbt sich der Horizont feurig rot. Abwehrende Flakwolken stehen in dichter Folge darüber. Auch unser Geschütz ist klar für den Fall, daß sich einer der Angreifer bis zu uns her verirren sollte.
02.10 Uhr: Es herrscht wieder Ruhe. Wir atmen auf; denn nichts ist schrecklicher, als einem Feind ausgeliefert zu sein, den man nicht sehen und gegen den man sich nicht zur Wehr setzen kann. -
9 Uhr morgens. Das Wetter ist immer noch böig und im höchsten Maße unberechenbar. Die See schwankt zwischen 4 und 5. Wir brechen trotzdem auf und sammeln uns mit den übrigen Booten der Flottille. Schließlich können wir nicht den ganzen, langen Tag müßig hier am Badestrand vor Anker liegen bleiben.
11.00 Uhr. Der gute Wille allein tut´s auch nicht, und wenn die anderen Voraussetzungen fehlen, muß man doch notgedrungen wieder umkehren. Unsere M-Böcke sind nun einmal mehr oder weniger Schönwetterfahrzeuge, und damit muß man sich abfinden, wenn man sein Schiff nicht sinnlos aufs Spiel setzen will. Wir suchen deshalb gegen mittag Landschutz auf und gehen im ruhigen Wasser des Timmendorfer Strandes vor Anker. Der Rest des Tages verläuft dann wie gestern. Unsere Matrosen bevölkern das Bad und die Badegäste unser Boot. Was soll man auch weiter machen!

7. August 1941    In See
Über unserer mecklenburgischen Expedition steht nach wie vor ein böser, zäher Unglücksstern. Unentwegt weht und bläst es aus allen Knopflöchern, und das gegenseitige Beißen und Kratzen der Wellen mit weißen Schaumkämmen scheint kein Ende zu nehmen. So kommen wir wieder nicht zu unseren geplanten Übungsfahrten, selbst wenn wir es ernstlich wollten. Zu allem Überdruß ist auch noch unser Führerboot, mit dem wir uns heute morgen kurz nach dem Ankerlichten vereinbarungsgemäß trafen, kesselkrank geworden und hoppelt nun müde und abgekämpft im aufgeregten Wasser hin und her. Was blieb uns bei solchen negativen Umständen anders übrig, als wieder irgendwo vor Anker zu gehen. Nach dem Stand der Dinge und der Verflochtenheit der Gefühle konnte dieses Irgendwo naturgemäß aber nur Kellenhusen sein.
Im Geschwindschritt hielten wir darauf zu. Unsere Bemühungen, an die Seebrücke heranzukommen, blieben indessen vergeblich. Der Wind, der von Land stand, hatte das Wasser so weit vertrieben, daß unser Lot schon weit vor der Seebrücke weniger als 4 m Wassertiefe anzeigte. So mußten wir doch wieder auf Reede gehen, und warfen unseren Anker, den wir erst um 8 Uhr gehievt hatten, bereits kurz nach 10 Uhr wieder weg. Uns soll es gleich sein. -
Am Abend eilte natürlich alles an Land, auch ich. Irgendwie fühlte ich mich verpflichtet, den Kellenhusenern wieder einmal meine Aufwartung zu machen. Es ist ja auch so ein netter, freundlicher und empfangsbereiter Badeort, was nicht zuletzt darin zum Ausdruck kommt, daß der jüngste Matrose in Kellenhusen nun schon vier Wochen alt ist, aber darüber soll noch nicht öffentlich gesprochen werden. Das ist noch g. g., ganz geheim! -

8. August  1941   In See - Kiel
Alles geht einmal zu Ende, das schlechte Wetter, das schöne Geld, die Kohlen und auch die geruhsamen Tage. Was bleibt uns unter diesen Umständen anders übrig, als den Rückmarsch nach Kiel anzutreten. Punkt 8 Uhr machen wir uns auf den Weg. Langsam hinkt die kessellahme ,,Arkona" voraus. Folgsam, mit Kopfschmerzen im brummenden Schädel und mit einem hin und her zackenden Kielwasser, das auf alkoholische Einflüsse hinweist, zuckeln wir hinterdrein. Wir haben Zeit, viel Zeit. -
Um 15 Uhr laufen wir im Kiel ein, fahren gleich zum KohIen und liegen bereits um 17 Uhr wieder klar im Scheerhafen. Von Rechts wegen hätten wir nun gleich wieder ins Wochenende fahren können, aber das halten die stärk¬sten Nerven nicht aus. Jetzt wollen wir erst einmal von unserm letzten Seetörn ausruhen. Also bleiben wir in Kiel.

9. August 1941    Kiel
Es ist klar, daß der Tommy zu unserer Begrüßung nach Kiel kommt. Pünktlich 00.30 Uhr schwirrt er an. Es ist milder Mondschein und leichte Bewölkung, herrliches Wetter für solche Art von Mondscheinkrieg.
Es brummt. Von allen Seiten ziehen sie wieder einmal heran. Bald hört man auch das verteufelte Pfeifen der Bomben. Es brennt. Hell beleuchtet der feurige Wider¬schein unser Boot. Zu allem Überdruß hängt man auch noch zwei Leuchtbomben genau über uns.
Die Flak rast. Es müssen neue Maschinen sein. Sie brummen recht laut und haben eine größere Geschwindigkeit. Querab fegt ein Tommy im Tiefflug über die Dächer. Ist er im niedergehen, oder soll das ein Angriff werden? Die ganze Breitseite hält er uns her. Die 2 cm-Flak schießt Dauerfeuer. Fast verschwindet die Maschine unter den gelben, roten und grünen
Geschoßgarben. Trotzdem zerflattert sie nicht in tausend Stücke. Sie fliegt weiter, verliert aber ständig an Höhe. Sicher hat sie Treffer und der Pilot versucht nun eine Notlandung. Achteraus sind unterdessen unter starken De¬tonationen zwei neue große Feuer entstanden. Über dem einen wälzt sich eine ungeheuere dunkle Rauchwolke. Sind etwa die Ölbehälter getroffen?
Der Angriff nimmt kein Ende. Die Erde glüht, der Himmel glüht. Wieder bringt eine deutsche Stadt ihr schweres nächtliches Blutopfer. - Etwa 25 feindliche Flugzeuge sollen heute nacht über Kiel gewesen sein. - Man spricht von 60 gezählten Bombentrichtern. In der Knorrstraße liegt noch ein Blindgänger. Der ganze Häuserblock ist deshalb abgesperrt.
An der Pier gelegen. Rein-Schiff-Betrieb. Anschließend Wochenendtörn. Sonst o.B. -

10. August 1941 Kiel
Sonntagsroutine. Nachmittags war ich einmal an Land, damit man nicht ganz versauert. Die Frage ist nur immer die: Wohin? Denn wenn man schon an Land geht, dann will man auch ein klein wenig Ablenkung und Zerstreuung, und wäre es nur ein Kino oder eine kleine, unterhaltsam Stunde in eine Café. Aber was ist davon in dem zerstörten Kiel noch übrig? Was am Lokalitäten wirklich noch steht, das ist bis zum letzten Platz überfüllt. Jeder drängt sich dort hin, und sei es auch nur, um für Minuten Ablenkung und Vergessen zu tanken. So wird dann aus dem hoffnungsvoll angetretenen Landgang in der Regel nicht viel anderes als ein plan- und freudloses Streifen durch die Straßen der Stadt und gewöhnlich kehrt man bedrückter und unzufriedener als man gegangen ist, wieder an Bord zurück. Aber der Sonntag hat seinen Willen gehabt. Man war ,,spazieren."

11. August 1941 Kiel
Es regnet schon wieder ein paar Tage lang, es ist kalt und ungemütlich. Der Sommer geht dem Ende entgegen. Wir liegen an der Pier und warten auf Arbeit, aber auch warten will gelernt sein.

12. August  Kiel
Fahren für die Sperrschule. -
Ernst hat Post bekommen. Post aus der Vergangenheit. Ernst bekam nie Post. Die Gegenwart lehnt er ab, und die Vergangenheit hatte er begraben. Wer sollte ihm also schreiben? Niemand, und doch bekam er heute eine Karte. Enthielt sie auch außer der Anschrift kein einziges Wort, so war die Ansichtsseite dafür um so mitteilsamer.
Ein kleiner Hund war darauf zu sehen, ein lieber, zottiger Kerl. Treu und brav saß er vor einer geschlossenen Tür und wartete auf sein Herrchen, das bald wiederkommen wollte. Er wartete, wie eben nur ein Hund warten kann, treu, ausdauernd, mit grenzenloser Geduld und mit dunklen, traurigen Augen. Unter dem Bildchen aber standen gedruckt die Worte: Ich kann warten, warten. -
Es war nicht schwer zu erraten, wer hier wartete, wer auf ein liebes, verbindendes Wort hoffte, auf ein Nicht-ganz-vergessen. Sogar Ernst hatte das erraten. Nun kauert er verbissen in seiner Sofaecke und grübelt. Jäh aus seinem ,,Vergessen hatt´ ich´s, und vergaß es gern" aufgeschreckt, sucht er krampfhaft nach einem Ausweg aus dem Wirrsal der Gegebenheiten und nach der Gestaltung eines Weltbildes, in dem sich das Böse und das Gute zu einem harmonischen Ganzen vereinen läßt. Wir lassen ihn gewähren. In solchen Momenten darf man ihn nicht stören.

13. August 1941    Kiel
Nachts zweimal Fliegeralarm, von 00.35 bis 02.15 Uhr und von 02.30 bis 03.15 Uhr. Es waren allerdings nur vorüberfliegende Einheiten, aber die schöne Nachtruhe war trotzdem hin. Bei Fliegeralarm sollen alle bis auf die Brand-, Maschinen- und U.K.-Wache den Luftschutzkeller in der Sperrschule aufsuchen. Es muß aber immer wieder darauf hingewiesen werden, daß dieser Befehl auch durchgeführt wird; denn die meisten Kameraden bleiben viel lieber an Bord.
Ich muß für meinen Teil allerdings auch gestehen, daß ich, wenn auch teilweise durch meine ,,U.K.-Stellung" bedingt, noch nicht im Luftschutzkeller war. Mir graut immer davor, so tief im Keller zu sitzen, nichts zu sehen und nichts zu hören und nur still und ergeben auf den vernichtenden Schlag aus dem Himmel zu warten. Da ist mir meine Position am U.K.-Gerät schon lieber. Da hört man wenigstens, was anliegt, wieviel Flugzeuge im Anmarsch sind und wo und wie sie operieren. Man sieht das wütende Abwehrfeuer, den glühenden Sperrgürtel und den Feind im wilden Scheinwerferstrahlengewirr. Man hört, wenn er über einem brummt. Lauschend und atemlos verharrt man die nächsten Sekunden. Endlich wagt man wieder aufzuatmen, wenn sich das tödliche Brummen etwas entfernt hat. Man lebt wieder, man atmet und geht mit im Auf und Ab des Angriffs. Alle Sinne sind hell wach. Jeder Nerv ist zum Zerreißen gespannt. Und dann ist es ja auch so gleichgültig, ob wir einmal in unserer Blechschachtel erdrückt oder tief im Keller von zusammen-stürzendem Gestein zermahlen werden. Es ist beides nicht bekömmlich.
Die anderen Kameraden denken ebenso und verstecken sich deshalb, wenn es einigermaßen angeht, irgendwo an Bord. Ernst klemmt gewöhnlich in der dunklen Nische des Niederganges, Walter hockt unter dem Scheinwerferstand.  Der nächste hockt auf dem Peildeck, kauert in der Minenlast, zwischen dem Röhrengewirr der Kesselanlagen oder in der Kombüse, kurz, überall dort, wo ein einigermaßen unkontrollierbares Fleckchen Platz für einen Unterschlupf bietet.
Man muß an das Märchen vom bösen Wolf und den sieben Geißlein denken, die in ihrer Not auch überall nach einem Versteck suchten, in den Betten, unter der Waschschüssel und im Uhrenschränkchen. Weiter möchte ich den Vergleich aber nicht treiben. Er würde eine zu dunkle Prophezeiung ergeben; denn trotz allem wurden sie von dem erbarmungslosen Ungeheuer Wolf vernichtet, wurde ihr Heim zerstört.
Zwar weiß das Märchen im letzten Augenblick mit Hilfe des Wunders die entstandene tabula rasa zu überbrücken und die bereits Verlorenen wieder ins verwüstete Heim zurückzuführen, aber deshalb ist es ja auch ein Märchen!
Man sollte im Kriege nicht denken. Man dreht sich dann zu leicht im Kreise und findet keinen Ausweg mehr. Ernst meint auch, das Denken müsse man den Pferden überlassen. Sie hätten größre Köpfe. Vielleicht hat er recht.
Schulfahrt. -

14. August  Kiel
Wir fuhren wieder für die Schule. Es war der übliche Zauber ohne irgendwelche Besonderheiten. Post kam auch keine, so daß ich notgedrungen einmal auf die anonyme Post zurückgreifen mußte, die immer noch zahlreich und über Bedarf eingeht. Meistens sind es Briefe von kleinen Mädchen, die auf diesem ,,nicht mehr ungewöhnlichen Wege" versuchen, mit einem Soldaten in Korrespondenz zu treten. Ich halte nicht viel davon und rate auch den Kameraden ab; denn wirklich Gutes kommt doch nicht auf den Markt, das findet bereits vorher unter der Hand seine Interessenten. Was durch die Feldpost auf diesem indirekten Weg offeriert wird, ist meist zweite Wahl. Gelangweilt greift man trotzdem in diesen Briefstapel und weiß doch schon im voraus, daß man, wie beim grauen Glücksmann, nur eine Niete ziehen kann. Immerhin, auch diese können unterhalten.
An einen unbekannten Matrosen, steht auf dem Briefumschlag. Das soll also ich sein. Und nun zum Inhalt selbst. Belanglosigkeiten. Flache, handelsübliche Redewendungen. Alles in allem, Stil, Schrift und Fehler lassen auf ein zwölfjähriges Mädchen schließen oder bestätigen das zuvor gesagte. Legen wir Brief und Mädchen ad acta. Es lohnt nicht. - 

15. August 1941 Kiel
Fahren für die Sperrschule. -
Wie die Uhr ihre Zeiger erst langsam im Kreise dreht, bevor sie zum Stundenschlag ausholt, so bewegte auch Ernst seine Gedanken zunächst reihum und ließ sie Karussell fahren, ehe aus den Erwägungen heraus der entscheidende Schlag erfolgte. Schade, daß er ins Leere ging und außer etwas Wind nichts Greifbares zurückließ. Diese Verlagerung der Gefühle sollte indessen auch sichtbar zum Ausdruck kommen. Zu diesem Zwecke wollte er die Karte selbst unbeantwortet lassen, seinen Sohn aber mit dem größten Spielzeugauto beglücken, das sich in Kielauftreiben ließ.
Ich mußte als gelernter Vater und anerkannter Spielzeugfachmann heute Abend mit ihm von Geschäft zu Geschäft pilgern. Es gab natürlich jetzt im dritten Kriegsjahr nichts, nicht einmal ein kleines Holzauto, und erst recht nicht ein so großes, in dem ein kleiner Bub fahren konnte.
02.45 Uhr bis 03.15 Uhr Fliegeralarm, ,,Berlin-Heimkehrer".

16. August 1941 Kiel
An der Pier gelegen. Rein Schiff gemacht. Proviant und Bier übernommen und unser Boot für ein geruhsames Wochenende klargemacht.
Nachmittags an Land. Der Blindgänger auf der Knorrstraße ist jetzt gesprengt. Dabei hat er eine Hausecke mitgenommen und die Straßenbahnschienen aus der Bettung gewuchtet. Eben sind Bauarbeiter dabei, die Fahrbahn wieder herzurichten und neue Straßenbahngleise einzubauen. Morgen bereits soll der Betrieb wieder aufgenommen werden. Hoffen wir, daß uns bis dahin der Feind nicht an einer anderen Stelle wieder alles zerschlägt. Die starke Bewölkung läßt allerdings kaum auf einen Besuch schließen. Außerdem kommt der Engländer sonnabends erfahrungsgemäß selten. Also hoffen wir!       

17. August 1941 Kiel
Das war wieder ein herrlicher Sonntag! Es regnete von früh bis abends und Ernst traf wohl das richtige, als er das Gerücht verbreitete, alle verfügbaren Engel wären nach Kiel zum Austreten beordert. An einen Landgang war unter diesen Umständen natürlich nicht zu denken und damit entstand für alle die akute Gefahr eines seelischen Vakuums.
In dieser Not blieb nichts anderes übrig, als schleunigst einen zum Geburtstag abzuteilen, um den Sonntag ein einheitliches Drehmoment zu verleihen. Das Unglück wollte es, daß man mich als Geburtstagskind erkor und unvorsichtigerweise einmal das Brett an seiner dicksten Stelle zu bohren versuchte. Ich trat dieses Amt zwar an, übernahm damit aber auch die Steuerung der alkoholischen Infiltration und die Regelung der gesellschaftlichen Umgangs-formen. Diese aber blieben ständig unterhalb des roten Striches, da jeder neue Kasten Bier erst durch eine Erzählung oder einen amüsanten Erlebnis-bericht erkauft werden mußte.
Die aufgelockerten Zungen wußten viel zu erzählen, und da niemand verlangte, daß die Berichte unbedingt parallel zur Wahrheit verliefen, gab es eine flotte Unterhaltung. Schade, daß die schönsten Abenteuer keine Wiedererzählung gestatten. Um aber den Sonntag nicht ganz ohne einen literarischen Extrakt abzuschließen, will ich wenigstens Ossi mit einer Erzählung aus seiner Flunkizeit zu Worte kommen lassen.

Hier ist die Stelle, die schon wiederholt, auch im Marineforum, Auferstehung gefeiert hat!

,,Es gab eine Zeit", so erzählte er uns nämlich, ,,da war ich auch schon klug und weise, aber noch nicht Maat, sondern nur billiger Gefreiter. Damals fuhr ich auf T 12 und unter einem Kommandanten, der für sein Leben gern eine Tasse Kaffee trank. Auch auf See liebte er diese  Beschäftigung und ließ sich deshalb von seinem Flunki oft ein Täßchen voll auf die Brücke bringen. Ein Täßchen voll, hatte ich gesagt; denn auf dieses voll kam es an, weil es nämlich durchaus nicht einfach war, zumal bei Seegang, aus der Kombüse die zwei Niedergänge hoch auf die Brücke zu klettern und nichts zu verschweppern."
,,Nun war unser Alter ein feiner Kerl. So etwas gibt es heutzutage gar nicht mehr bei der K.M., aber im diesem Punkte hatte er auch seinen Spleen. Nichts war ihm verhaßter, als wenn die Hälfte des Kaffees in der Untertasse schwamm. ,,Kaffee mit Fußbad", krähte er dann und war in den nächsten fünf Minuten nicht zu genießen, der Alte. Da aber sein Flunki nie lernte, weder die anrollenden Wellenberge noch die Krängung des Bootes zu berechnen, so lernte er auch nie, sauber und adrett zu servieren. Und unser Kommandant sah sich infolgedessen bald nach einem intelligenteren Menschen um. Seine Wahl fiel natürlich auf mich."
So erzählte Ossi, und ließ sich auch durch das spöttische und zweifelnde Hüsteln der Kameraden nicht beirren. Schließlich war er ja auch der Mann, der dieses Problem meisterte. Nicht einen Tropfen verschüttete er, und der Kommandant war stets des Lobes voll.
,,An sich war die Sache ganz einfach", fuhr Ossi fort. ,,Der Smutje war mein Freund und füllte mir die Tasse. Dann nahm ich davon einen vollen Schluck in den Mund und stieg mit der nur noch halb gefüllten Tasse zum Alten auf die Brücke hoch. Vorm Schott angelangt, ließ ich den Kaffee dann unbemerkt wieder in die Tasse zurücklaufen, und kredenzte sie dem Kommandanten sauber und schön gestrichen voll mit freundlicher Miene und einer leichten, dezenten Verbeugung. Er war zufrieden mit meinem Dienst, lobte meine Geschicklichkeit und sagte mehr als einmal: ,,Kupke wird noch einmal eine gro¬ße Leuchte in der Marine". Und damit hat er ja auch recht behalten."
Also sprach unser Ossi, griff dann zur Flasche und leerte sie in einem Zuge; denn von dem vielen Reden war ihm die Zunge trocken geworden. Wir taten ein gleiches.
Draußen aber regnet es, und Ernst spricht von Engelurin. -

18. August 1941  Kiel
Von 02.00 Uhr bis 04.30 Uhr Fliegeralarm. Man merkt schon, daß die Nächte länger werden und die Alarme auch. Es kann einem bange werden, wenn man an den kommenden Winter denkt. Der Krieg im Osten macht uns doch schwer zu schaffen. Wir können uns der Angreifer im Rücken nicht erwehren, und jeder Sieg in Osten muß mit einer zerstörten Stadt im Westen oder Norden des Reiches bezahlt werden. Wenn das so weiter geht, fahren wir uns fest.
Heute sind meine beiden Funkkameraden Mühlegger und Seitz ausgestiegen. Sie sind zum Maatenkursus nach Mürwik abkommandiert worden. Gern lasse ich sie natürlich nicht ziehen, aber sie haben sich als zu verlässig und tüchtig erwiesen, und deshalb habe ich sie auch zu diesem Lehrgang vorgeschlagen. Sie wollen auch ihren Lohn und ihr Vorwärtskommen haben. Jedes Dienst- und Arbeitsverhältnis muß auf Treue aufgebaut sein. Treue aber ist ein gegenseitiges Verpflichtetsein.
Als Ersatz erhielt ich den Funkgefreiten Stein von M 557 und den frischgebackenen Matrosen IV Beerwerth. Er kommt eben von der Nachrichtenschule Mürwik und ist ein stilles und schüchternes Kerlchen aus dem Ruhrgebiet. Geduld, auch er wird bald ein zünftiger Funker sein. – Schulfahrt.

RonnyM

Auf alle Fälle muß ich traurig zur Kenntnis nehmen, dass Kiel ja schon 1941 stark zerstört war. Da hatten wir in Wesermünde/Bremerhaven mehr Glück. Da wurde es erst im Sept. 44 heftig.

Grüße Ronny
...keen Tähn im Muul,
over La Paloma fleuten...

Seekrieg

#4
12. September 1941 In See - Kiel
Dasselbe: Fahren und Evolutionieren im Verband. Der Infanterist würde sagen: ,,In Linie links marschiert auf! - Reihe rechts!"  Eine schöne Beschäftigung, wenn man nichts anderes vor hat, zumal sie auch nicht anstrengt, da im Gegensatz zur Infanterie nicht unsere Beine, sondern unsere Maschinen laufen.
Die Freiwache und was sonst noch abkömmlich ist, sitzt im U-Raum und klönt. Ich gehöre natürlich auch mit zur Partie, registriere treu und brav das Für und Wider im Durcheinander der Meinungen und helfe verbogene Ansichten mit ausrichten.
Über Mittag melden sich ein paar feindliche Aufklärer zu Wort und geben der Diskussion vorübergehend eine andere Richtung. Um 12.30 Uhr ist Wachwechsel. Damit soll aber nicht gesagt sein, daß die Freiwache von heute morgen nunmehr auf Station steht. Das bleibt immer noch der Intelligenz und der dienstlichen Wendigkeit jedes einzelnen überlassen.
Der Nachmittag bringt dann die gleichen Manöver auf heimatlichen Kurs und die unentwegten Landgänger beginnen schon langsam, sich landfein machen. Man muß die Feste und ein geruhsames Leben feiern, solange sich Zeit und Gelegenheit dazu bieten.
16.45 Uhr: Wir laufen ein. Es regnet. Bald liegt unser Boot gemächlich ausgestreckt an der Pier im Scheerhafen. Schon hüpft das unruhige Moment der Besatzung über die Stelling an Land, während sich die seßhaften Bestandteile still klönend in den Decks versammeln. Dann greift der eine zu einem Buch, der andere zum Schreibpapier und der dritte stößt ver¬sonnen seine Zigarette und rückt dabei die Wurzeln zurecht, mit denen er im Zeitgeschehen steht. Darüber geht dann der Tag zur Neige, einer von den vielen, die leer kommen und leer gehen und das Leben so schrecklich schal und belanglos machen.

13. September 1941 Kiel
Im Hafen geblieben. –
Nachmittags war ich kurz an Land, und jetzt habe ich es mir in meiner Funkbude bequem gemacht. Obgleich es erst 19 Uhr ist, gibt es schon wieder Fliegeralarm. Heute aber lasse ich mich nicht stören. Ich will einen Brief an Gertrud schreiben und bin in Gedanken schon ganz zu Hause.
Sie beklagt sich, daß keine ordentlichen, abendfüllenden Briefe mehr eintreffen. Was soll man schreiben, bei uns ist doch alles und alle Tage dasselbe. Es ist, als wenn man hier auf Arbeit geht. Früh fährt man aus, und abends kehrt man heim. Dazu gibt es abwechselnd einmal Sonnenschein und dann wieder Regen, aber das ist auch alles. Keinen Gedanke kann ich fassen. Aller Augenblicke bellt die Flak oder quakt der UK-Sender.

14. September 1941 Kiel
Sonntagmorgen. An meiner Armbanduhr ist es gerade 8. Ich strecke mich noch einmal herzhaft in meiner Koje und presse den letzten, noch verbliebenen Rest Schlaf aus den Knochen. Dann lange ich zum nahen Bulley. Es ist morgens immer mein erster Griff. Ich schaue hinaus. Es regnet, in Strömen sogar. Trübe Aussichten für einen Sonntag. Trotzdem werde ich aufstehen. Irgendeine Methode wird sich schon finden, mit der man auch einen Regensonntag totschlagen kann.
Sonntagabend. Es hat den ganzen Tag geregnet und trommelt auch jetzt noch unentwegt aufs platte Dach meines Funkhäuschens. Ich bin an Bord geblieben, habe meine Bücher hervorgekramt und habe gearbeitet. Wenn man nur wieder einmal richtig arbeiten könnte! So von ganzem Herzen, zielbewußt, planmäßig und in aller Ruhe.

15. September 1941 Kiel
Wir haben wieder den ganzen Tag an der Pier vertrauert. Nervtötend ist so etwas.
23.10 Uhr: Wieder Fliegeralarm. Es sind aber nur vereinzelte Maschinen. Kurz vor Mitternacht gelang unserer Flak ein Abschuß. Lodernd stürzte das Flugzeug herab, während der Pilot langsam, vom Scheinwerferlicht begleitet, am Fallschirm herabpendelte. Die letzthin abgeschossenen Flieger sagten aus, daß die Kieler Strecke wegen ihrer starken Flakabwehr berüchtigt sei. 01.30 Uhr Entwarnung.

16. September 1941  Kiel
An der Pier gelegen und gegammelt!
Im Ersten Weltkrieg soll es ähnlich gewesen sein. Unseren großen Pötten geht es ja noch schlimmer. Sie liegen ja beinahe ständig im Hafen. Wahrscheinlich will man die Flotte wieder schonen, die Trümpfe in der Hand behalten. Ich weiß nicht, ob das richtig ist. Das Landheer wird von einem Kriegsschauplatz zum anderen gehetzt, und die Flotte steht, bis auf die U-Bootflotte und Kleinverbände, Gewehr bei Fuß. Was soll das? Im Weltkrieg führte diese Strategie nach Skapa Flow!

17. September 1941  Kiel                                                                 
An der Pier gelegen. -
Nachmittags Ausmarsch mit Exerzierdienst. Besseres hat man mit uns nicht vor. Nun fehlt nur noch, daß wir stropgerechten Geländedienst durchführen und Marinebuschkrieg spielen. Dann kann man mich aber lange im Busche suchen; denn für diese Art von Bodenverbundenheit fehlt mir jedes Bedürfnis, und bei der ersten besten Gelegenheit werde ich mich aus dem Staube machen und versuchen, ein anderes Kommando zu bekommen. Alt werde ich auf M 575 jedenfalls nicht.

18. September 1941 Kiel                     
Heute hat die Sperrschule endlich wieder Arbeit für uns.
07.50 Uhr trotten die Sperrzöglinge ein und Punkt 8 Uhr legen wir ab. Der Tag hat wieder einmal eine Aufgabe und damit auch Sinn und Berechtigung.

19. September 1941 Kiel                                                               
Schulfahrt. -
,,Ich kam, ich sah, ich siegte!" Dieses Wort hat einst der alte Cäsar geprägt. Seitdem wird es viel gebraucht und angewandt, auch von Leuten, die kein Cäsar sind.
So standen heute wieder Frauen in der Tafelrunde zur Diskussion. Wilhelm prahlte mit seinen 375 Dankschreiben, und unser Palavermacher, alias Röhrentöter, versucht mit allen Mitteln nach Münchhausenmanier, ihm den Ruhm des besten Damenbezwingers streitig zu machen. Seine Zunge geht wie auf Kugellagern. Einige Kameraden schmunzeln und finden das Amüsement köstlich. Weil er aber meist völlig kritiklos
daherschwatzt und uns für ausgemachte  Dummköpfe zu halten scheint, wiesen wir heute unseren Palavermacher etwas scharf zurecht. Er mußte sich sagen Iassen, daß sich ein richtiges Mädel, oder gar eine Dame, niemals mit ihm abgeben würde. Das wirkte wie eine Kaltwasserdusche.

20. September 1941  Kiel
Von 01.10 bis 05.15 Uhr Fliegeralarm. Dichte, tiefhängende Wolkendecke. Keine Scheinwerfer. Starkes Sperrfeuer. Keine Bomben. 
Sonnabend. Die Woche ist schon wieder um? Im Hafen gelegen. In der vergangenen Woche sind wir gerade zweimal in See gewesen. All die übrigen Tage aber haben wir im Leerlauf gestanden. Wenn das so weitergeht, spreche ich den Kommandanten um Urlaub an, und wenn er mir nur vier oder fünf Tage bewilligt. Es ist besser als gar nichts und genügt,  um zu Hause einmal nach dem rechten zu sehen. Eine Woche Bewährungsfrist billige ich dem Kommando noch zu, aber dann ist meine Geduld restlos aufgebraucht. 
23.30  bis 00.40 Uhr wieder Alarm.  Dichter Nebel verhindert aber jede Kampfhandlung.

21. September 1941  Kiel
Sonntag. Im Hafen gelegen.
Uns überraschte die Sondermeldung, daß der Kessel von Kiew zerschlagen ist.
[H./H.] Am Ende der Schlacht am 26. 9. machten die H.Gr. Süd und Mitte 665 000 Gefangene, darunter der Gen.Lt. Wlassow. 3718 Geschütze und 884 Panzer wurden erbeutet.* A. Hillgruber und G. Hümmelchen: ,,Chronik des zweiten Weltkrieges, S. 98. (eingefügt J.Stm.)
Die Sondermeldung informierte auch darüber, daß die Insel Ösel mit der Hauptstadt Ahrendsburg genommen sei. Begonnen hatten die Kämpfe schon am 13.9. Auch finnische Kriegsschiffe waren an den Kämpfen beteiligt.
Unser gutes, altes Boot hat auch aufgehorcht bei dieser Meldung. Ösel? Ösel, der Name kam ihm doch irgendwie bekannt vor. Natürlich. Es hat ja den ersten Weltkrieg auch schon mitgemacht und war damals 1917 bei der Eroberung der Insel auch mit dabei. Tapfer hat es da gekämpft, bis es durch einen Minentreffer waidwund geschlagen, abgeschleppt werden mußte. Wenn es erzählen könnte!  Wieviel würde es berichten.
So aber erinnert nur noch eine vergilbte Fotografie im achteren Niedergang an die damalige schwere Zeit. 1917 war es, und auch vor Ösel.
Um 15 und um 17 Uhr störten uns drei feindliche Aufklärer. Zwei Jäger von uns sind zur Abwehr aufgestiegen, eine Seltenheit!

22. September 1941  Kiel
Wir fahren wieder für die Schule. 13.30 bis 13.45 Uhr Fliegeralarm.
Während der Mittagstafel unterhielt uns Wilhelm wieder mit seinen ,,Siegen" und den Erfolgen, die er am gestrigen Sonntag errungen haben wollte. Obwohl ich weiß, daß Wilhelm kein ausgesprochener Aufschneider, sondern eher ein Witzbold ist und uns mit seinen erotischen Greuelmärchen nur foppen und aus der Reserve locken will, so gab ich ihm doch zu bedenken, daß eines Tages auch einmal der umgekehrte Fall eintreten könnte und daß es dann heißen könnte: ,,Sie kam, sie sah, sie siegte." ,,Wehrlos",  fuhr ich fort, ,,stehst du ihr dann gegenüber, alle Arme hoch erhoben. Was dann? Der freie Mann nimmt, der besiegte wird genommen. Auch die Liebe kennt kein Erbarmen. Das will Wilhelm natürlich nicht wahrhaben.
Der Himmel ist gegen mich, bzw. gegen meinen Urlaub.

23. September 1941 Kiel
Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Wir fahren wieder für die Schule!
Kriege werden nicht nur durch Waffen, sondern auch durch Propaganda und Lüge gewonnen. Dieser Umstand hat eine gewisse Skepsis gegenüber wehrmachtsamtlichen Verlautbarungen zur Folge. Man glaubt nicht mehr alles oder nur mit Vorbehalt. Eine negative Flüsterpropaganda greift um sich, und die feindlichen Hetzsender gewinnen an Einfluß. Da diese begreiflicherweise aber auch lügen, so kommt man vom Regen in die Traufe. Man verliert die politische Orientierung und hängt schließlich völlig in der Luft.
Einen einigermaßen sicheren Überblick über die Verhältnisse gewinnt man, wenn auch lokal bedingt, aus dem eigenen Erleben. Es gipfelt bei uns z. Z. in den häufigen Luftangriffen, denen wir nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen haben. Vergleicht man nur rein zahlenmäßig die Häufigkeit der Fliegeralarme und die Länge ihrer Dauer, so offenbart sich mit erschreckender Deutlichkeit, wie uns der westliche Gegner langsam, aber sicher, überrundet.
Erfolgten die Angriffe im März noch in Intervallen von 5 bis 6 Tagen, und betrug die Alarmlänge auf den Tag umgerechnet nur 23 Minuten, so stieg die Frequenz der Einflüge
im April schon auf 4 Tage und die auf die einzelnen Tage umgelegte Alarmdauer auf 56 Minuten.
Im Mai beliefen sich die entsprechenden Daten auf 2,9 und 38 und im Juni auf 2,2 und 42.
Im Juli erfolgten die Einflüge aller 2,5 Tage und die durchschnittliche Alarmdauer betrug pro Tag 38 Minuten.
Im August beliefen sich die Vergleichszahlen auf 1,9 und 58 und im September bis jetzt auf 1,5 und 63.
Berücksichtigt man dabei noch die Sommermonate mit ihren kurzen Nächten, dann weiß man ungefähr, was der kommende Winter bringen wird und wie die militärische Gesamtlage einzuschätzen ist. Ein Kommentar dazu ist überflüssig. -

24. September 1941Kiel
Das Fahren für die Schule hat scheinbar schon wieder aufgehört. Wir liefen deshalb heute morgen allein und gewissermaßen privat aus und fuhren wieder unsere Verbandsübungen. Später wurde Geschützexerzieren und Rollendienst daraus, also ,,Mann über Bord!", ,,Kutter klar!", ,,Feuer im Schiff!", und wie die neckischen Spiele alle heißen mögen. Erwärmen kann sich niemand dafür, aber es ist immer noch besser, als tatenlos an der Pier herumzuliegen.

25. September 1941 Kiel                              
Dasselbe. Es ist nur gut, daß ich als Stationsleiter von diesem Zauber entbunden bin. In diesem Falle drücke ich mich tatsächlich gern einmal.

26. September 1941 Kiel                                                           
Schulfahrt. -
Es geht klar! Der Chef hat meinen Urlaub genehmigt und zwar ganz großzügig. Ganze 14 Tage hat es bewilligt, vom 27. September bis 12. Oktober. Morgen früh rausche ich ab, und nun habe ich natürlich alle Hände voll zu tun, damit alles reibungslos abläuft. Aber in solchen Stunden ist einem ja auch kein Handgriff zu viel. Also los! Wie werden sie sich zu Hause freuen!

Seekrieg

#5
16. Urlaub, eine notwendige Konsequenz.

27. September 1941  Kiel - Dresden
Es ist noch stockdunkle Nacht, als ich aufbreche. Zum Glück treffe ich unterwegs eine Taxe, die mich mitnimmt; denn Straßenbahnen fahren um diese Zeit noch keine. Auf dem Bahnhof angekommen, gebe ich schnell noch ein Telegramm auf. Es wird zwar wieder überflüssig sein, aber sie werden sich freuen, wenn sie mich auch einmal vom Zuge abholen können. –
05.32 Uhr: Pünktlich setzt sich unser Zug in Bewegung. Er schnaubt davon und frißt  Kilometer um Kilometer in sich hinein. Langsam beginnt es draußen zu tagen, oder besser gesagt, zu nebeln; denn man erblickt nur graue, flüchtige Schleier, aber das stört nicht. In mir ist um so hellerer Sonnenschein.
Gegen 10 Uhr wird es klarer. Der Zug braust weiter durch die Landschaft. Es ist schon recht herbstlich geworden. Wald und Bäume tragen ein buntes Gewand. Auf den Feldern werden die Kartoffeln eingebracht und die Herbstbestellung wird in Angriff genommen. Schnell und flüchtig ziehen die Bilder vorüber. Es ist schön, so durch die Landschaft zu flattern, der Heimat entgegen. Meine Gedanken eilen dahin und den Ereignissen voraus. Schon viele Male habe ich das Wiedersehen im Geiste erlebt. Von weitem schon werde ich winken, damit sie mich gleich entdecken.
14.44 Uhr. Es ist so weit. Langsam schiebt sich der Zug in die lange Bahnhofshalle. Längst habe ich das Fenster geöffnet, winke und hänge mehr draußen am Zug, als drinnen im Abteil. Da sind sie! Endlich! –
Unterdessen kommt die Straßenbahn und nimmt uns da letzte Stück Weg ab. Wenn wir nach Hause kommen, wird wohl Jürgen von seinem Mittagsschläfchen aufgestanden sein. Tatsächlich!.

30. September 1941 Dresden
Es sind herrliche, sonnige Herbsttage. Wir sind viel im Garten und arbeiten und schaffen oft, bis die zeitige Dämmerung hereinbricht. Es macht viel Freude, so Hand in Hand zu arbeiten und im eigenen Heim und am eigenen Glück zu schaffen. Alles Tun hat auf einmal wieder Sinn und Ziel, ist zweckmäßig und gerade. Dann kommt der schöne, geruhsame Abend, das gemeinsame Abendbrot, noch eine unterhaltende Stunde mit den Kindern, und wenn sie zur Ruhe gegangen sind, ein stilles und liebes Versunkensein im unterhaltsamen Geplauder. Jedes Wort und jeder Blick ist wie ein köstliches Geschenk. Jede Minute hat ihr volles Gewicht. Es gibt keine Stunde mehr ohne Glanz und Sonne.
Könnte es nicht immer so sein! Gertrud stellt, wenn nicht gerade ein schönes Konzert ist, den Rundfunk ab. Sie will durch den Nachrichtendienst nicht an die rauhe Wirklichkeit erinnert werden und die schönen Tage bis zuletzt ohne jeden herben Beigeschmack auskosten. Es ist ein Selbstbetrug, aber ein köstlicher.

3. Oktober 1941 Dresden
Das heißt, in machen Dingen muß ich mich doch ändern, wenn ich einmal für immer wieder nach Hause komme. Es gibt da so verschiedene, in gesellschaftlicher Hinsicht nicht ganz satisfaktionsfähige Angewohnheiten und Allüren, die man sich im Laufe des Krieges und an Bord angewöhnt hat und die man dann des konventionellen guten Rufes halber doch wieder ablegen müßte. Ich will sie nicht alle aufzählen und nur auf eine üble Angewohnheit hinweisen, die mir gestern zufällig zum vollen Bewußtsein kam.
Wir saßen gemeinsam beim Abendbrot. Gertrud, die gewöhnlich auch mir die Schnitten herrichtet, weil sie der kategorischen Ansicht ist, ich würde sie mir zu dürftig belegen, kam einmal ausnahmsweise bei der Fütterung ihrer drei Männer nicht rechtzeitig nach, d.h., sie kauten schneller, als ihre beiden Hände schaffen konnten. Was lag nun näher, als daß sich ihr größter Junge ausnahmsweise einmal selbst bediente. Und dabei geschah dann der Faux pas. Ich kredenzte mir also eine richtige Seemannsstulle und nahm auch reichlich von der vorhandenen Wurst, da ich Gertruds kontrollierende Blicke bis ins Innerste spürte. Dabei fiel aber als Abfallprodukt eine dicke schwarze Wurstpelle an und blieb auf dem Teller liegen. Gewohnheitsgemäß faßte ich sie und warf sie rücklings durchs offene Fenster.
Jürgen riß die Augen auf. So etwas hatte er noch nicht gesehen, und Günter war laut begeistert und rief: ,,Die nächste will ich auf die Straße werfen!" Mutti zankte: ,,Du bist zu Hause, Vati!" -  Eigentlich hat sie ja recht, aber man ist das von Bord her so gewöhnt. Da fliegt auch alles Überflüssige durchs Bullauge. Draußen ist ja die See, der große Außenbordaschenbecher, der alles aufnimmt und wegräumt.
Ja, das möchte ich mir zu Hause dann schon langsam abgewöhnen. Bis dahin aber muß man eben ein Schild auf die Straße stellen: Vorsicht! Wurstschalen! Knochen! Papier und Kippen! Schließlich schadet es ja auch nichts, wenn die Leute erfahren, daß hier ein Urlauber zu Hause ist. Mag dieser Umstand auch ruhig seinen Schatten bis auf die Straße werfen!

4. Oktober 1941 Dresden
Zwölf Tage Urlaub! Damit läßt sich schon etwas anfangen. Man wird etwas warm in der Heimat und kann hier und da den Dingen auf den Grund gehen. Ja, es bleibt sogar Zeit und Muse, an Nachbars Gartenzaun stehen zu bleiben und die häuslichen und familiären Verhältnisse in der Straße zu sondieren. Ich tue dies nur, um festzustellen, wie sich die großen weltgeschichtlichen Ereignisse im Detail widerspiegeln, und dazu ist die Straße gerade der richtige Reflektor.
Es hat sich natürlich manches verändert. Zum Heeresdienst wurden nach und nach fünf Mann einberufen: der einzige Sohn des Landvermessers Z., achtzehn Jahre, der Kaufmann G.l mit fünfzig Jahren, ferner der Eisenhändler H., der Büroangestellte St. und der Sohn des Fabrikbesitzers w. Er hatte sich erst noch eine neue Frau zugelegt und eine entsprechend  großzügige Abschiedsfeier veranstaltet. Der Ernst und die Schwere des Ringens scheint man in der Heimat doch noch nicht in allen Kreisen begriffen zu haben.
Von unserer Straße stehen somit von 20 männlichen Einwohnern 6 unter Waffen, das sind 30 %, und das dürfte auch der allgemeinen Frequenz entsprechen. Damit aber hat der Krieg auch in der Heimat in seinen Auswirkungen ein Ausmaß angenommen, das nicht mehr überboten werden möchte. Kriege, die mit dem letzten Mann und dem letzten Groschen gewonnen werden, verlieren allen Sinn; denn sie sind zu teuer und außerstande, die politischen Machtverhältnisse zu ändern. Sie führen bestenfalls zum Ausgangspunkt, dem status quo ante, zurück. Den aber könnte man jederzeit und ohne Kanonendonner haben.

12. Oktober 1941   Dresden - Ludwigslust
Vorüber! - Günterle weint herzzerbrechend. Jürgen schläft und Mutti will mich wohl nur erst fort lassen, ehe es mit ihrer Fassung zu Ende geht. Man weiß ja nie, ob man sich noch einmal wiedersieht, oder ob man den letzten Händedruck ausgetauscht, das letzte Mal der Liebe ins Angesicht geschaut hat. Und selbst wenn man dieses Letzte weit von sich weist, so bleibt doch jeder Tag der Trennung ein Opfer und jede Stunde Alleinseins Leid. Es ist eine schwere Zeit für uns Männer, aber noch schwerer für unsere Frauen. -
Im Zug sitzen noch mehr Urlauber. Manche kommen aus dem Gebirge  und bringen schon den ersten Schnee mit. Anfangs wird erzählt. Bald aber verstummt das Gespräch. Der eine versucht zu schlafen, der nächste läßt sich durch eine Illustrierte ablenken und der dritte schaut gedankenverloren zum Fenster hinaus. Ich lasse meine Gedanken pendeln, und wie ein schöner Film rollen die kurzen Urlaubstage noch einmal vor dem geistigen Auge ab. Es war schön  zu Hause, so schön.
Unterwegs haben wir einen längeren Aufenthalt. Lokomotivwechsel wird vorgenommen. Als sich aber die Prozedur länger hinzieht, wächst in uns immer stärker die Gewißheit, daß wir den Anschlußzug in Ludwigslust nicht mehr erreichen. Es ist nur gut, daß mir das nicht auf der Hinfahrt passiert ist. Ich wäre aus der Haut gefahren!

13. Oktober 1941  Ludwigslust - Kiel - Lübeck
Der Anschlußzug war natürlich fort, und so beginnt die neue Woche im Wartesaal. Sechs Stunden Aufenthalt. Sechs Stunden! Für Soldaten ist Zeit ein leerer Begriff.
Endlich 03.26 Uhr geht die Fahrt weiter. Ich muß noch drei oder vier Mal umsteigen, bis ich endlich gegen Mittag mit dem Bummelzug in Kiel eintrudele. Es regnet. Langsam schlendere ich zum Hafen hinaus; denn mein Boot ist sicher in See und wird vor 17 Uhr  zurück sein. Also keinerlei Überstürzung. Sie schadet nur der Gesundheit.
Im Scheerhafen, der völlig leergefegt ist, angekommen, melde ich mich vorsichtshalber bei der Verwaltung. Hier aber wird mir eröffnet, daß die Flottille in Kolberg im Einsatz steht. Einsatz, hu, wie das wieder klingt, ein dummprotziges Wort für eine Selbstverständlichkeit. Ich lasse mir einen Fahrschein für Kolberg verpassen und trabe wieder ab. Kurz verweile ich noch für ein paar Augenblicke bei dem Transportschiff, das am  gegenüberliegenden Kai angelegt hat und Verwundete auslädt. Dann aber schiffe ich mich auf dem nächsten Straßenbahnwagen ein und nehme Kurs zum Bahnhof. 19.12 Uhr rollt der Zug aus der Halle. Es ist schön, bin lange nicht Eisenbahn gefahren.
In Lübeck komme ich nicht weiter. Ich steige also aus, lasse mir vom Roten Kreuz eine Suppe verabreichen und schlage im Obdachlosenasyl der nächsten Kaserne mein Nachtlager auf. Morgen geht es weiter.

14. Oktober 1941  Lübeck - Stettin - Kolberg
Die schöne alte Hansestadt näher zu betrachten, bleibt mir leider keine Zeit. Schon 08.04 Uhr sitze ich wieder im West-Ost-Expreß und laß mich nach Stettin bringen.
Stettin? - Zwei Stunden Aufenthalt. Wieviel Erinnerungen knüpfen sich an diese Stadt. Hier begann damals für mich das Kriegsdrama. Wie lange ist das schon her, und wie lange wird es noch dauern. Manchmal macht man sich doch rechte Sorgen. -   
14.53 Uhr. Die Fahrt geht weiter. In trauriger Herbstmelancholie zieht Pommerns weites Land vorüber. Feiner Sprühregen hat eingesetzt. Der Nachmittag vergeht. Schon fängt es an zu dunkeln.
18.49 Uhr. Kolberg. Aussteigen. Zum Regen ist die Finsternis getreten und eine nasse, unangenehme Kälte. Verlassen stehe ich vorm Bahnhofsgebäude, betrachte die undurchdringliche Finsternis und überlege: Wo könnte nun M 575 stecken?
Endlich raffe ich mich auf und frage mich tastend nach dem Hafen durch. Es geht kreuz und quer ein paar Straßen entlang, über eine Brücke und dann durch ein Stückchen morastigen Wald. Aber es ist richtig. Schon gluckst irgendwo in der Nähe Wasser. Es riecht auch nach Hafen. Endlich tauchen die schwarzen Schatten unserer Boote im Dunkel auf. Im matten Schein der blauen Stellingslampen klettere ich am Bord und bin froh, als ich endlich wieder dort bin, wo ich z. Z. nun einmal hingehöre.
Die Kameraden, allen voran Wilhelm, der Wilde, begrüßen mich mit Hallo und nehmen mich wieder in ihren Kreis auf. Natürlich muß ich gleich ,,Geburtstag" haben, aber das ist nicht so schlimm und kommt auch mir zu gute. Also zum Wohl!  ,,Rostig wird im Gleis die Schiene, wenn kein Wagen drüber läuft. Düster wird des Seemanns Miene, wenn er ab und zu nicht säuft." - 

Seekrieg

#6
17.   Wir räumen die Kolberger Minensperre

15. Oktober 1941 Kolberg - Swinemünde
Es ist doch gut, daß ich mich gestern noch an Bord gefunden habe; denn heute morgen hätte ich wieder auf der verlassenen  Pier gestanden und noch einmal nachreisen müssen. Das gibt es! Manche Kameraden sind auf diese Weise schon wochenlang unterwegs gewesen,  bevor sie ihr Boot endlich wieder eingeholt hatten.
Wir haben Punkt 8 Uhr abgelegt und sind nach Swinemünde gefahren, wo wir 12.50 Uhr einliefen. Nach kurzem Verschnaufen gingen wir zur Liebesinsel kohlen und anschließend noch zum Sperrzeugamt, zwölf Ottern übernehmen. Es war spät, als wir uns endlich am Hohenzollernkai zur Ruhe legten. Morgen fahren wir wieder zurück.
Anscheinend schlägt man jetzt eine raschere Gangart ein. Es wird auch Zeit. Besonderheiten haben sich während meiner Abwesenheit nicht zugetragen. Der Dienst verlief zunächst in dem üblichen Rahmen. Vom 27. bis zum 29. September lag man an der Pier. Vom 30. September bis zum 3. Oktober vertrieb man sich die Zeit auf See mit Rollendienst, und vom 4. bis 6. Oktober erholte man sich von diesen Anstrengungen im Hafen. Am 7. Oktober 06.55 Uhr brach man dann in Kiel die Zelte ab und segelte gen Kolberg, wo man am 8. Oktober 12 Uhr einlief. Am 9. Oktober sah man sich im Hafen um, und vom 10. bis 14. Oktober wurde bereits an der Minensperre geräumt. Dies wird in den nächsten Wochen auch weiterhin unsere Aufgabe sein. Ich bin gespannt, wie sich die Sache anläßt.

16. Oktober 1941 Swinemünde - Kolberg
Um 11 Uhr liefen wir in Swinemünde aus und um 17 Uhr in Kolberg ein. Die flotte Marschfahrt war recht angenehm, unangenehm aber war der starke Betrieb in unserer Funkstation. Die ,,Tirpitz" war in See, und da so ein großes Schiff niemals ganz fertig wird, zog man am Funk die halbe Werft mit hinter sich her. Diese langen Funksprüche aber zu entknobeln, war für uns eine langweilige und unangenehme Arbeit. Wir waren deshalb froh, als wir mit dem Einlaufen ausschalten konnten. Mögen sich andere mit der ,,Tirpitz" herumärgern. –
Swinemünde – Kolberg 50 sm.

17. Oktober 1941   Kolberg
Wir haben hier in dem kleinen Hafen ein wunderbar lauschiges Liegeplätzchen und sind die einzigen Schiffe in ganz Kolberg, wenn man von den kleinen Fischloggern absieht, die hinter uns im Fischereihafen liegen. Sobald wir die äußerst schmale Einfahrt passiert und Fort Münde querab haben, packen wir uns auf Steuerbordseite an den Kai. Er ist nur wenige Meter breit und geht in hohen, jetzt herbstlich bunten Laubwald über. Auf der gegenüberliegenden Seite erheben sich steil ein paar Hafengebäude und Silos und dahinter breitet sich dann die eigentliche Stadt aus. So kommen wir hier in den seltenen Genuß von gleichzeitiger See-, Land-, Stadt- und Waldluft. Erholungsbedürftige Seelen könnten hier ein auskömmliches und friedliches Dasein fristen, wenn, ja, wenn eben kein Krieg wäre.
Schon macht sich unsere gesamte Flottille klar zum Auslaufen. Man merkt es an dem emsigen Getriebe an Deck. In den Kesseln wird der Dampf gewaltsam hochgetrieben. Aus den Schornsteinen quillt dicker, schwarzer Rauch. Zäh wälzt er sich über die Boote hinweg.
09.00 Uhr: Seeklar wird belegt. Das Wetter auf See ist noch zu stürmisch. Wir warten deshalb mit dem Auslaufen. Da aber auch nach zwei Stunden noch keine Wetterberuhigung eingetreten ist, bleibt uns schließlich nur noch eins zu tun: Feuer aus! Daran läßt sich nichts ändern. Minenfischen ist nun einmal eine Schönwetterangelegenheit.
14 Uhr gibt es Landurlaub. Schön, ich werde aber an Bord bleiben. Kolberg rennt mir nicht fort, das kann ich mir jederzeit noch in Ruhe betrach¬ten. Jetzt will ich mich erst einmal richtig an Bord einleben, bin ja erst zwei Tage wieder hier.

18. Oktober 1941   Kolberg
07.30 Uhr: Wir laufen aus. Es ist zwar noch nicht richtig hell, aber wir wollen das Versäumte von gestern nachholen. Es herrscht noch etwas Seegang, aber zur Not muß es gehen.
Schön sieht es aus, wenn die Boote in Kiellinie dahindampfen. Voran wankt das Führerboot M 502. Dann folgen wir, M 575, und in unserem Kielwasser die Einheiten M 557, M 129 und M 511. M 511 ist neu zur Flottille gestoßen und steht unter dem Kommando unseres ehemaligen Obersteuermannes Lepski. Den Schluß bildet ein kleines R-Boot, das als Bojenfahrzeug fungiert.
Die Minensperre ist erreicht. Ossi und ein paar Matrosen, die den Sperrmixerlehrgang absolviert haben, legen auf dem Achterdeck bereits das Minenräumgerät klar. Bald gibt das F-Boot durch Flaggen das Signal zum Versenken des Suchgerätes und dreht zum ersten Anlauf bei. Gestaffelt folgen die übrigen Boote in kurzen Abständen.
Es dauert nicht lange, dann kracht es bald hier, bald da. Die geschnittenen Minen detonieren. Hohe, grandiose Wasserfontänen steigen aus der See. Eben ruft Ossi über Deck zur Brücke hinauf, daß auch wir eine Mine in unserem Gerät haben. Dumpf röhrt sofort unsere Dampfpfeife auf und warnt das uns folgende Boot zur Vorsicht; denn jeden Augenblick kann sich die Mine aus dem Gerät lösen und vor dem Bug unseres Hintermannes auftauchen. Tatsächlich hat sie sich auch schon losgerissen und schwimmt jetzt an der Wasseroberfläche. In 20 m Entfernung treibt sie auf Backbordseite vorbei. Das letzte Boot, M 511 schießt mit der 2 cm-Flak danach und sucht sie unschädlich zu machen. Endlich geht sie berstend in einer weißen Wasserwolke hoch.
So kommt der Mittag heran. Es regnet in Strömen. Der Herbst zeigt sich von seiner unangenehmsten Seite. Im Wetterbericht meldeten heute Libau und Riga sogar schon Schnee. Leider dürfen wir nicht in die warmen Decks, die jetzt so angenehm wären, aber es ist verboten, sie während des Räumens zu betreten. Alle Schotten sind dicht und die Niedergänge zudem noch mit starken Balken abgestützt. So wird das Mittagessen flüchtig im Stehen an Oberdeck eingenommen. Es gibt Schalkartoffeln und Hering, und der Himmel liefert eine schöne Regentropfensoße dazu. Sie wird gar nicht alle, weil sie sich immer wieder ergänzt.
,,Heringe müßte es regnen. Das wäre in Ordnung!", meint Ossi, der neben mir an der warmen Kombüsenwand lehnt und einen Fisch mit der fünfzinkigen Gabel tranchiert. ,,Stimmt", antworte ich, ,,aber lieber Ossi, kläre mich lieber erst einmal darüber auf, was wir hier eigentlich treiben. Du bist ja jetzt der Hauptmacher und mußt es am besten wissen." ,,Minen räumen", entgegnet er trocken, ,,das siehst und hörst du ja."  ,,Esel", antworte ich ihm, und nach dieser kernigen Anrede rückt er dann auch mit der Sprache heraus.
,,Ja, siehst du", hebt er an, ,,wie wir seiner Zeit vor Pillau, so hat man auch hier vor Kolberg kurz vor Beginn des Rußlandkrieges eine Sperre gelegt. Sie sollten diese Häfen vor unliebsamen Überraschungen schützen. Damit ist es aber nun Gott sei Dank vorbei, und da die Sperre den ein- und auflaufenden Schiffsverkehr sehr behindert und auch schon unschuldige Opfer gefordert hat, so soll sie nunmehr geräumt werden."
,,Erst hatte das OKM dazu ein paar Räumboote angesetzt, aber nunmehr sollen wir mit unserem schweren Gerät die Minen räumen und seit ein paar Tagen sind wir dabei. Bis jetzt haben wir schon 14 Minen gefischt."
,,Und wie lange denkst du, wird uns diese Arbeit in Anspruch nehmen?" frage ich ihn noch. ,,Das ist schwer zu sagen", meint er. ,,Die Sperre hat immerhin 300 Minen und ist 8 sm lang und 1 000 m breit. Es kann vier Wochen dauern, es kann aber auch noch länger dauern.
Das kommt in der Hauptsache jetzt aufs Wetter an und das wird nicht besser, sondern jeden Tag schlechter."
Nun ist unter Knallen, Krachen und Plauzen auch der Nachmittag vergangen. Das Geschäft ließ sich heute gut an. Unser Boot hat drei Minen zur Explosion gebracht, dabei allerdings zwei Ottern verloren. Das gesamte Tagesergebnis der Flottille beträgt 16. Damit können wir zufrieden sein. Um 18 Uhr laufen wir ein.

19. Oktober 1941   Kolberg
Sturm und Regen verbieten ein Auslaufen. Wir haben vom Sonntag auch nichts anderes erwartet. Da das Wetter aber gar so unfreundlich ist, bleibt man am besten an Bord. Was will man auch an Land. Hier im Deck ist es doch viel gemütlicher und Not leiden wir auch nicht. Für sechs Wochen hat man unser Boot in Kiel verproviantiert, und wenn das Brot jetzt auch langsam härter wird, zu hungern brauchen wir jedenfalls nicht. Auch für das nötige Bier ist gesorgt worden. Jede Ecke ist vollgepfropft. Selbst die Pinaß hat man in weiser Voraussicht bis an den Rand mit den Flaschen dieses edlen Gesöffs vollpacken lassen. So ist ein Sonntag im Hafen wohl auszuhalten.

20. Oktober 1941 Kolberg
Wir bleiben im Hafen. Der Sturm wütet weiter. Kalter Regen rauscht hernieder. Wild und gefühllos zaust der Wind in den Baumkronen des nahen Waldes. Müde flattern die braunen Blätter herab und fallen aufs regennasse Deck. Der Herbst ist da. Es ist ein trauriger  Anblick.     
Von 23.30 Uhr bis 24.00  Uhr war Fliegeralarm. So etwas gibt es hier also auch. Bis jetzt ist aber weder ein Schuß noch eine Bombe gefallen. Hoffentlich bleibt es so.

21.Oktober 1941   Kolberg
Weiterhin Sturm.  Wir können nicht auslaufen und bleiben im Hafen. -  Heute Nachmittag hatte ich Gelegenheit, unseren ehemaligen Obersteuermann Lepski zu seinem neuen Boot zu beglückwünschen. Er belegte mich zugleich mit Beschlag und forderte mich auf, ihm seinen Geheimspind einzurichten, da er wußte, daß ich darin Erfahrung und meine Sachen übersichtlich geordnet habe. So half ich ihm den ganzen Nachmittag; und werde wohl auch morgen noch ein paar Stunden damit zu tun haben. Dabei erzählte er mir, wie er zu seinem Boot gekommen  war und wie schwierig die Ausrüstung und Indienststellung gewesen wäre.
M 511 war wegen Altersschwäche schon seit längerer Zeit ausgemustert und lag bereits in der großen Abfallkiste der Werft. Da aber der Bedarf an M-Booten sehr groß ist und der Neubau von Schiffen mit den Anforderungen nicht Schritt hält, mußte man M 511 notgedrungen wieder hervorholen. Nun galt es das Boot herzurichten, damit es seinen Dienst versehen und einigermaßen mit den anderen Booten konkurrieren konnte. Es kam in die Werft, wurde überholt und ausgerüstet. Das alles aber kostete einen harten Kampf; denn um jedes Stück und um jeden Arbeitsauftrag mußte erst gerungen werden. Es kostete Mühe, viel Wege und noch mehr Formulare. Trotzdem wollte man ihm nur das Allernotwendigste bewilligen und das nicht gern. Einmal fehlte es in den Ausrüstungslagern mitunter selbst am Notwendigsten, und dann sind die Ämter ja von Natur aus zugeknöpft.
Nach und nach traf dann auch die Besatzung ein, alles neue, unbekannte Gesichter. Man arbeitete gemeinsam, übte zusammen und probierte, bis schließlich alles eingespielt war und so klappte, daß man es wagen konnte. ,,Vieles ist noch zu tun, und lang ist Liste mit dem, was noch werden soll, aber es wird." So schloß der Obersteuermann, und ich glaube es ihm gern; denn er ist die Zähigkeit und Ausdauer selbst.

22. Oktober 1941  Kolberg
Es hat sich nichts geändert. Es stürmt immer noch. Wir verbrachten den Tag wieder in Ruhe und Gelassenheit an der Pier. Vormittags war ich wieder bei Obersteuermann Lepski. Ich hätte nicht übel Lust, auf seinen Vorschlag einzugehen und ganz auf M 511 überzusteigen. Es war mit ihm stets ein gutes Zusammenarbeiten, und dienstlich würde er mir bestimmt genügend freie Hand lassen. Es ist aber kaum anzunehmen, daß mich der Kommandant frei gibt. Sicher aber würde er mir  diese Bitte als Mißtrauensvotum auslegen und übel vermerken. Auch meine Kameraden würden mir sehr fehlen. Lassen wir darum lieber die Dinge beim Alten.
Nachmittags war ich an Land. Ich wollte mir endlich einmal Kolberg ansehen und unseren neuen Standort aus der Nähe betrachten. Wer  einigermaßen belesen ist, der sieht Kolberg auch heute noch mit den Augen des alten Nettelbeck, jenes draufgängerischen Kolberger Bürgers, der seine Vaterstadt gemeinsam mit Schill und Gneisenau 1807 sechs Monate lang verbissen gegen Napoleon verteidigte, bis der Frieden von Tilsit den Kampfhandlungen ein Ende bereitete. In seiner Lebensbeschreibung hat er die Zustände und damaligen Ereignisse so anschaulich und fesselnd geschildert, daß man die Stadt schon kennt und lieb gewonnen hat,  bevor man in ihren altehrwürdigen Mauern selbst heimisch geworden ist.
Der alte Perser Omar Chaijam hat vor etwa 800 Jahren einmal das schöne Wort geprägt: ,,Vor dir und mir ist mancher Tag vergangen. Das lehrt das All dem Blick, der unbefangen; drum leise, leise tritt den Staub! Ja, leise! Wer weiß, du trittst auf einstmals schöne Wangen." Daran muß ich immer denken, wenn ein eine alte Stadt oder Kulturstätte betrete. Wieviel Generationen mögen hier schon geblüht, wie viel Schicksale sich verflechtend ineinandergefügt und wie viel Epochen sich im geschichtlichen Auf und Ab übereinandergeschichtet haben.
Kolberg, an dem kleinen pommerschen Flüßchen Persante gelegen, war einst Hauptstadt der heidnischen Kaschuben, im Mittelalter Hansestadt, im Dreißigjährigen Krieg Bollwerk gegen das gefährlich um sich greifende Schweden und im 18. und 19. Jahrhundert abwechselnd Prellbock gegen die anstürmenden Russen und Franzosen.
Damit aber scheint Kolbergs geschichtliche Mission auch abgeschlossen zu sein; denn mit der um die Mitte des vorigen Jahrhunderts anlaufenden Industrialisierung vermochte es nicht Schritt zu halten. Es fehlten ihm dazu die inneren Voraussetzungen; das kommerzielle Ungestüm und ein Hinterland mit großem wirtschaftlichen Potential. Kolberg war weder Zentrum noch Ausläufer eines Industriegebietes und konnte mithin auch keine Führer- oder Mittlerfunktion übernehmen. So blieb es im wesentlichen in den Verhältnissen des ausklingenden 19. Jahrhunderts stecken und verfiel wie viele andere Städte im Osten unseres Vaterlandes in die schöne Melancholie einer Dornröschenbeschaulichkeit, die die Zugluft der Zeitereignisse nur wie ein angenehmes Fächeln im Laub des umrankenden Efeus empfindet und wie den Duft der alles überwuchernden Heckenrosen. Das ist aber auch das, was mich in den alten Städten so anheimelt, was einem eine gewisse Ruhe und Sicherheit verleiht, weil man nicht unmittelbar in der Strömung der Zeit steht.
Herrlich ist es, durch eine Stadt zu wandeln, die vom Schrecken des Krieges noch nicht gezeichnet ist. Die Häuser stehen noch senkrecht in ihren Fundamenten und in den Straßen pulst friedliches Leben. Lange verweile ich vor der Marienkirche, einem schönen Backsteinbau aus dem 15. Jahrhundert. Wie stark müssen die Menschen der damaligen Zeit in Gott geruht haben, daß sie zu seiner Ehre solche Bauwerke aufführten. Uns sind heutzutage schon die 2,50 M Kirchensteuer im Jahr zu viel. Ganz oben auf dem Kirchendach ist einst der kleine Nettelbeck herumgeklettert. Muß der ein waghalsiger Bengel gewesen sein!
Trotzig und verbissen schauen die alten Bastionen in den Tag. Ihre Zeit ist vorüber. Damals, als man noch ehrlich mit Schwert und Pieke focht, da stellten sie ihren Mann. Tapfer schlugen sie zurück, bis unter den stürzenden Sturmleitern im Hagel der Geschosse und unter den geschleuderten Feuerbränden der Angriff zusammenbrach und der Feind wieder am Boden lag. Auch Napoleons eisernen Kanonenkugeln boten sie noch unerschütterlich die Stirn. Den modernen Waffen aber sind sie nicht mehr gewachsen. So ließ man denn auch bereits 1873 Kolberg als Festung eingehen. Die Zeiten, wo man Kriege noch auf der Landstraße ausfocht, sind vorüber. Jetzt kämpft man auf einer höheren Ebene. Das Zeitalter der dritten Dimension ist über uns hereingebrochen.

Seekrieg

#7
23. Oktober 1941   Kolberg                                                
Sturm. Wir halten uns weiterhin an der Pier fest und stellen einen Posten vor das Schiff, der aufpaßt, daß uns nichts passiert. Dann gehen wir an unsere Arbeit. Irgendetwas gibt es ja immer zu tun; denn auch im Hafen steht der Betrieb nicht still.
Jeden morgen muß zunächst rein Schiff gemacht werden. Dann gibt es Proviant zu holen, neues Gerät herbeizuschaffen und klarzulegen, jenes auszubessern und dies und das zu ändern. Während diese Arbeit in erster Linie die Matrosen angeht, doktern die Heizer an den Eingeweiden ihrer Kessel und die Maschinenleute takeln wieder, ich weiß nicht zum wievielten Male, ihren Diesel auseinander. Auf See kann ja nichts unternommen werden, und so stehen für die Reparaturen lediglich die Ruhetage im Hafen zur Verfügung. Auch wir vom FT-Abschnitt haben unsere Beschäftigung.
Die Telefonanlage, auch hier das A und O der Besatzung, ist an einer Stelle undicht und muß in ihrer ganzen Länge überholt werden, und das sind hier in Kolberg immerhin einige Hundert Meter. So geht der Tag oft schneller zur Neige, als es beabsichtigt war und nötig wäre. Manchmal ist man gar nicht so weit gekommen, wie man wollte und wünscht sich notgedrungen, daß der gute und vorteilhafte Sturm auch am kommenden Tage noch anhalten möge.
Am schönsten sind dann die langen Abende, an denen man sich und den Krieg vergessen kann. Man liest ein schönes Buch zur Entspannung oder kniet sich tief in eine liebgewonnene Arbeit, die man sich aus friedlichen Zeiten bis ins unruhige Heute herübergerettet hat. Zeit und Gegenwart versinken dabei, und gewöhnlich wird es Mitternacht oder gar 1 Uhr, ehe man sich notgedrungen dazu entschließt, endlich in seiner Koje unterzutauchen.
Für heute abend aber habe ich mir vorgenommen, einen Brief zu schreiben. Das ist jetzt nicht ganz einfach; denn daß wir hier in Kolberg Minen räumen, das will ich doch nicht gern erzählen, sonst sorgen sie sich daheim noch mehr. So wird jede Zeile wieder mehr oder weniger ein Balancieren um die Wirklichkeit. Sie schreibt: ,,Heute haben wir zwei Stunden lang nach Birnen angestanden. Für mich hätte ich diese Zeit natürlich nicht geopfert, aber die Buben wollten gern wieder einmal etwas Obst essen. Anschließend besorgte ich in der Drogerie etwas blaue Farbe für die elektrischen Birnen in dem Hausflur. Unsre Luftschutzleute wollen ja alles noch dunkler und noch finsterer haben. Dabei ist es jetzt schon abends stockfinster, unheimlich und zum Fürchten." ...
,,Gestern stand in der Zeitung, daß die Aufnahme der Schulneulinge nunmehr endgültig auf den 12. November festgesetzt worden ist. Von mir aus möchte ich diesen Tag am liebsten so weit hinausschieben, bis Du wieder bei uns bist und wir unser Günter gemeinsam Hand in Hand auf seinem ersten Gang zur Schule begleiten können."

24. Oktober 1941   Kolberg
Es hat sich nichts geändert. Wir liegen immer noch im Hafen fest. Ich benutze die unfreiwillige Liegezeit zu einer intensiven Fachausbildung meiner zwei Funker. Darüber hinaus betreiben wir fleißig UK-Übungen innerhalb der Flottille, da der UK-Sprechverkehr jetzt während des Minenräumens an erster Stelle steht und die schnellste Nachrichtenverbindung zwischen den einzelnen Booten darstellt. Wir lassen also jeweils einen Mann am UK-Gerät an Bord, währen wir das zweite, eine tragbare UK-Tornisterstation schultern und damit ins Gelände ziehen. Einige verteilen sich in die Dünen, andere postieren sich im Hafen. Auch die Maikuhle, ein Gasthaus im nahen Walde, wird besetzt. Es ist die gefragteste und meist gesuchte Position. Dann treten wir untereinander und mit unseren Booten in Verbindung und wickeln unseren Nachrichtenverkehr ab. So waren wir gestern vormittag und heute nachmittag unterwegs und haben uns schön aufeinander eingespielt. Ich bin froh darüber; denn nichts wäre mir peinlicher, als wenn es auf See einmal nicht funktionieren würde. Ich lasse mir nun einmal nicht gern etwas am Zeuge flicken.

25. Oktober 1941   Kolberg
Der Sturm hat endlich nachgelassen. Wir können wieder auslaufen. Seit 07.30 Uhr ist seeklar. Vorsichtshalber wollen wir aber doch erst noch den Morgenwetterbericht abwarten. Um 10 Uhr ist es dann so weit. Wir zwängen uns durch die Hafeneinfahrt und gondeln los.  Es ist immer noch allerhand Seegang, aber es soll versucht werden.
Bald geht es wieder rund. Es pufft, kracht und zischt an allen Ecken. Ich bin auf meiner Station und peile ab und zu einmal durchs Bulley. Von hier oben kann man alles wunderbar überblicken, und außerdem ist es schön warm. Man klappert nicht vor Frost mit allen Knochen wie unten auf dem zugigen Oberdeck. Höchst unangenehm ist es aber, daß wir stets die Schwimmwesten tragen müssen. Es sind große, unhandliche Dinger, die über den Kopf zu stülpen sind und dann dick und wulstig vor der Brust hängen, so daß man gar nicht mehr an sich heruntersehen kann. Ernst hat dieselben Empfindungen und meint: ,,Man kommt sich wie eine Jungfrau im vollblütigsten Alter mit hochgeschürztem Busen vor. Es ist nur gut, daß wir diese Dinger nicht umbinden müssen, wenn wir an Land gehen. Man könnte seinem Mädel nicht einmal einen Kuß verpassen, so weit wäre man auseinander, von anderen Dingen ganz zu schweigen." Ja, so ist es. Sie konnten zusammen nicht kommen. Einmal ist das Wasser zu tief und dann wieder die Schwimmweste zu dick. Schließlich weiß man nicht, wozu es gut ist. –
16.00 Uhr. Eben haben wir wieder im Hafen festgemacht. Es ist ja Wochenende, und da wollen wir nicht wieder bis zum Dunkelwerden suchen. Ein paar freie Abendstunden sollen uns auch hier in Kolberg zum Wochenende bleiben. Außerdem sind wir mit unserer heutigen Beute zufrieden. Wir hatten 2 Minen und das Gesamtergebnis der Flottille betrug 17. Das ist genug. Es ging auch alles klar. Nur unser Boot mußte einmal ausscheren, als wir eine Mine im Gerät hatten und sie trotz aller Bemühungen nicht wieder loswerden konnten. Wir liefen deshalb auf Strand zu und suchten sie hier im flachen Wasser abzustreifen. Endlich kam sie hoch und wurde mit der 2 cm-Flak beschossen. Sie explodierte aber nicht, sondern blubberte ganz still und leise ab. Beim Aufschlagen auf Grund muß sie sich aber doch irgendwie die Hörner eingerannt haben. Die detonierte und machte ihren Unmut in einer dunklen Schlamm- und Wasserwolke Platz. Das war gut, sonst hätten wir sie noch irgendwie sprengen müssen; denn nichts ist gefährlicher, als solch eine verschleppte Mine. 

26. Oktober 1941   Kolberg
Der Tag war schwer. Zwar liefen wir auch erst wieder um 10 Uhr aus, aber dann gab es bis zum Einlaufen keinerlei Verschnaufen mehr. Gleich am Morgen fiel unser Umformer für das Radio aus. Das aber ist so ungefähr das schlimmste, was uns passieren konnte. Drei Mann hoch quirlten wir im Funkraum herum.  Können wir uns schon so kaum drehen in der kleinen Bude, so kann man sich jetzt, wo wir alle die dickbauchigen Schwimmwesten umgebunden haben, überhaupt nicht mehr bewegen. Will man sich einmal drehen, so müssen es die anderen auch; denn wie Zahnräder greifen wir jetzt ineinander. Trotzdem, unser Umformer mußte unbedingt wieder laufen.
Mit allen Kräften gingen wir dem Ding zu Leibe. Was sich losschrauben ließ, wurde abgetakelt, und wo sich ein blankes Drahtstückchen blicken ließ, wurden die Meßinstrumente angeklemmt. So wurde gewühlt und gesucht, bis wir den Fehler schließlich fanden. Endlich gegen 13 Uhr konnte ich die Maschine wieder klarmelden.
Lange sollte unsere Freude aber nicht anhalten; denn bald darauf geht etwa 20 m neben uns auf Backbordseite eine Mine mit schrecklichem Getöse hoch. Das Boot erhält einen derben Schlag und knackt in allen Fugen. Zwar ist uns das heute schon öfters passiert. Wir fahren das Drachengerät, das besser zu greifen scheint und müssen mitten in der Sperre sein, aber so wie jetzt hat es uns noch nicht durchgeschüttelt. Der Umformer brummt infolgedessen schon wieder nicht, auch das Radio schweigt und selbst unserem Funkempfänger hat es die Sprache verschlagen.
Ich gehe hinaus auf die Brücke, um nachzusehen, was eigentlich anliegt. Also, unser Minen-Karle, wie man Lepski neuerdings nennt, soll das Unheil verschuldet haben. Als rangjüngster Kommandant fährt er an letzter Stelle und hat nur die Aufgabe, die geschnittenen Minen abzuschießen. Hinter diesem aber ist er her, wie der Wilddieb hinter dem Kitz. Und so hat er diese letzte Mine eben mit ein paar raschen Schüssen etwas zu früh unschädlich gemacht.
Unserem Kommandanten geht das zu weit. Zornig steht er in der Backbordbrückennock und ruft den Signälern auf dem Peildeck zu: ,,Geben sie  hinüber: Sind sie wahnsinnig?" Unser Signalgast stellt sich in Positur und wedelt mit seinen roten Lappen den Spruch hinüber. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Sie lautet: ,,Nein. Ich bin Lepski!"
Wir gehen wieder an unsere Arbeit. Es steht ja noch alles auf Null. Zunächst bleibt uns nichts anderes übrig, als den Umformer einmal vollends auseinander zunehmen. Nun ist eine solche Reparatur an sich nicht weiter schlimm. Aber das Drum und Dran. Es ist ja alles so verbaut und räumlich beschränkt. Um überhaupt erst einmal an die Maschine heranzukommen, müssen wir drei, vier andere Apparate abtakeln und beiseite räumen. Danach muß eine Koje auseinandergenommen werden und auch noch ein Spind, und erst dann steht man vor einem Wust von Kabeln. Irgendeine Zeichnung, die uns helfen könnte, gibt es nicht. So muß man auch hier Schrauben lockern und zerren, um auf diese Weise schließlich die einzelnen Leitungen zu identifizieren, das aber dauert alles seine geraume Zeit und will verstanden sein.
Unterdessen geht die Plautzerei mit den Minen weiter. Und oft kracht es wieder bedenklich nahe. Manchmal ächzt und stöhnt das Boot in alle Fugen. Freie Zeit, um ab und zu einmal einen Blick durchs Bulley zu werfen, bleibt uns aber heute nicht mehr. Trotzdem sind wir auch so auf dem Laufenden und erfahren mit einer gewissen Genugtuung, daß durch die dauernden schweren Erschütterungen auch die Dampfpfeife und kurze Zeit später der Maschinentelegraph ausgefallen sind. Es ist ja auch alles morsch und brüchig. Nicht umsonst ist M 575
Weltkriegsteilnehmer. Hauptsache bleibt indessen, daß wir nicht ausfallen und unser Herz treu und brav weiterschlägt.
17 Uhr: Eben haben wir die Einfahrt passiert und kurven nun im engen Hafenbecken dicht zusammengedrängt an unsere Liegeplätze. Beinahe aber wäre uns auch hierbei noch eine kleine Häkelei unterlaufen. Der heutige Sonntag scheint es in sich zu haben. Wir hatten jedenfalls ziemliche Schlagseite, woher mag der liebe Gott wissen. Uns als wir nun so dicht aneinander vorbeischeren, hätte sich unsere Mastspitze um ein Haar mit der des Nachbarbootes verfitzt, aber es ging noch einmal klar. Wir sind nun einmal solche alte Klarfahrer. Trotzdem, Wilhelm, was unsere seemännische Nummer I ist, - alles, was hier an Bord eine Nummer und etwas zu sagen hat, heißt bekanntlich Wilhelm, - stand schon bereit, um die schweren Wasserbomben nach der anderen Schiffsseite hinüberzurollen, um auf diese Weise das verlorene Gleichgewicht wieder herzustellen. ,,Wozu haben wir denn?" meint er. ,,Es ist nicht das erste Mal, daß sie uns aus der Klemme geholfen haben." 
Nach einem kurzen Imbiß eile ich wieder hoch in den Funkraum. Wir wollen noch arbeiten. Bis gegen 21 Uhr quälen wir uns mit dem Umformer herum, dann aber geben wir die Sache auf. Mit Bordmittel läßt sich hier nichts mehr ausrichten. Die Ankerwicklung hat Erdschluß. Wir werden wohl die Werft zu Hilfe nehmen und ihn neu wickeln lassen müssen. Um aber wenigstens noch etwas abendliche Rundfunkunterhaltung zu haben, legen wir eine Strippe zum Nachbarboot und zapfen dort den Radioapparat an. So ist wenigstens das schlimmste Übel behoben, und dann will ich endlich Abendbrot essen und Feierabend machen. Der Tat war lang genug.
Im U-Raum ist heut zum Sonntagabend alles ausgeflogen. Nur Ossi sitzt noch an der Back und berechnet die Bilanz des heutigen Tages. ,,Unsere Beute betrug 8", berichtet er, ,,während die der Flottille auf 25 heraufgeschnellt ist. Für einen Sonntag ist das ein ganz anständiges Ergebnis. Insgesamt sind bis jetzt, einschließlich dem, was die Räumboote geräumt haben, 150 Minen beseitigt worden. Es bleiben uns aber genau noch einmal 150." – ,,Das werden wir auch noch schaffen", antworte ich ihm. - ,,Sicher", fährt er fort, ,,aber dann ist auch noch die zweite Sperre zu räumen, die auf der Ostseite vor dem Hafen liegt. Sie ist zwar kleiner, nur 5 sm lang, aber sie beansprucht auch ihre Zeit. Es kommt eben vor allem auf das Wetter an. Zu Weihnachten wollen wir jedenfalls wieder in Kiel sein." –
Ja, das wollen die Kameraden, die in Kiel beheimatet sind, alle. Es gefällt ihnen gar nicht, daß wir hier in Kolberg sind und sie nicht mehr jeden Abend nach Hause können.
Knapp zwei Monate sind es noch bis Weihnachten. Weihnachten, wie das schon wieder klingt. Ich möchte auch einmal zu Weihnachten zu Hause sein. Es ist mein einziger Wunsch. Ich werde ihn einmal ganz groß auf den Wunschzettel schreiben und dick mit Rotstift unterstreichen. Vielleicht geht der Weihnachtsmann darauf ein.

Urs Heßling

moin,

Zitat von: Seekrieg am 05 Februar 2012, 10:50:45
,,Ja, siehst du", hebt er an, ,,wie wir seiner Zeit vor Pillau, so hat man auch hier vor Kolberg kurz vor Beginn des Rußlandkrieges eine Sperre gelegt. Sie sollten diese Häfen vor unliebsamen Überraschungen schützen. Damit ist es aber nun Gott sei Dank vorbei, und da die Sperre den ein- und auflaufenden Schiffsverkehr sehr behindert und auch schon unschuldige Opfer gefordert hat, so soll sie nunmehr geräumt werden."

Ergänzung aus der "Chronik"
3.– 22.7.1941
Ostsee
Von den U-Booten der Baltischen Flotte laufen S-7 und S-9 am 3.7. in das Gebiet vor Libau und Stolpmünde aus,...
Gegen Vorstöße sowj. U-Boote werden an den deutschen Küsten Defensiv-Minensperren ausgebracht. Auf einer Hafensperre vor Kolberg sinken am 3.7. der Fischkutter KOL.72, am 7.7. der auf Fangfahrt befindliche Fischdampfer Neuenfelde (193 BRT) sowie der Frachtsegler Luise Bergmann (274 BRT). Eine schwere Folge eigener Verluste folgt in den nächsten Monaten. Allein vor Kolberg gehen noch die Minensucher M 511 (3.11.), M 529 (2.12.), Küstenschutzboot DPk 50 / Hollandia (220 BRT, 2.12.) und 3 weitere Handelsschiffe verloren: die finn. Cisil (1847 BRT, 23.8.), Mariann (ex-niederl. Holland, 1991 BRT, 10.9.), Julius H. Stinnes 27 (2530 BRT, 10.9.).

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

Baunummer 509

Immer wieder spannend und fesselnd zu lesen.

vielen Dank dass Du uns daran teilhaben lässt. Solche Dokumente sind sehr wertvoll und machen Geschichte auf einmal menschlich und greifbar. Vor allem weil Dein Vater ein wirkliches Talent zum schreiben hat.

In meinem gesammelten Werken sind es nun schon 130 Seiten (die natürlich nirgendwo anders auftauchen werden!). Ich würde mir immer noch eine Veröffentlichung wünschen.
In mir hättest Du den ersten Käufer!

Gruß und einen schönen Sonntag

Sebastian


RonnyM

...siehste Basti, dem schließe ich mich uneingeschränkt an... :-D :MG: top

Grüße Ronny
...keen Tähn im Muul,
over La Paloma fleuten...

smutje505

Hallo Jürgen wieder  top top top und danke @ Urs für die aufschlußreichen Ergänzungen

Seekrieg

Hallo zusammen. Ja, das Schreiben lag meinem alten Herrn (Lehrer). Gern würde ich seine Aufzeichnungen veröffentlichen, finde aber keinen Verlag, den es interessiert. Jürgen
Also:

27. Oktober 1941   Kolberg
So ist das nun. Sonnabend und Sonntag fahren wir zur See und an den Wochentagen liegen wir an der Pier. Im Sommer hatten wir oft den gleichen Törn. Wochentags waren wir im Hafen und übers Wochenende standen wir auf ,,hoher" See vor Kellenhusen. Ossi hatte dieser Tage den gleichen Gedanken und sagte in diesem Zusammenhang zu Walter, um ihn einmal in kameradschaftlicher Weise aufzuziehen: ,,Dir wäre es wohl auch lieber, wenn die Sperre vor Kellenhusen läge?" Walter aber ließ sich  nicht foppen. Er blieb ganz ruhig und entgegnete gelassen: ,,Mach´ dir keine Sorgen, lieber Ossi. Diese Sperre habe ich schon geräumt. Da läuft niemand mehr auf." Arme Marlies, mußte ich bei mir denken. Ob sie ,,hochgegangen" oder ganz still ,,abgeblubbert" ist? Ich weiß es nicht. Walter hat mich seit ihrem letzten Besuch, wo sie bei mir Rückenhalt suchte, nicht mehr ins Vertrauen gezogen.
Draußen stürmt die See. Graue Wolken haben über Nacht die ersten Bröckchen weißen Schnee aufs kahle Land gestreut. Er hält nicht lange vor. Es ist noch Anfängerarbeit, aber man merkt die Absicht und ist verstimmt. Bei dem Wetter verlohnt es sich auch nicht, abends an Land zu gehen. Wir bleiben deshalb  lieber an  Bord verschanzen uns hinter einer Batterie Flaschen und machen Budenzauber. Das ist auch schön.

28. Oktober 1941 Kolberg
Weiterhin Sturm und Regen, also im Hafen gelegen. Um aber auch etwas Positives zu tun, rollten wir ein 100 l Rotweinfaß an Bord und lenzten es im Laufe des Abends. Dazu wurde Garn gesponnen, und Wilhelm sang das schöne Lied vom Sanitätsgefreiten Neumann. So ward aus Abend und Morgen die zweite Nacht.

29. Oktober 1941   Kolberg
Wie ein launisches Weib hat sich die See im Handumdrehen wieder beruhigt, und so fahren wir denn heute morgen hinaus auf eine spiegelglatte See. Dazu war uns das Jagdglück besonders hold. Wir schnitten alleine 10 Minen und holten so die Versäumnis der letzten Tage wieder ein. Gegen mittag kam eine Abordnung der Heizer auf die Brücke und meldete, daß jede Maschine zehn Millionen Umdrehungen gemacht hat. Dazu hatten sie sich die Kameraden einen mächtigen Bart aus Putzwolle unter die Nase geklebt und die Ölspritze gleich einem Säbel umgebunden. Voraus trugen sie ein, dem Erntekranz nachgebildetes Gestell, dessen Reifen schön mit Putzwolle umwickelt war und an dem die Insignien ihrer Fakultät, also Schraubenschlüssel und andere Maschinenwerkzeuge hingen. Es war klar, daß zu diesem Jubiläum auch eine alkoholische Nachfeier gehörte, und so ward schließlich aus Abend und Morgen die dritte Nacht.

30. Oktober 1941   Kolberg
Das Wetter ist weiterhin ruhig. Im westlichen Teil der Ostsee dagegen ist es noch stürmisch. Wir erfahren es aus den Funksprüchen. Immer noch suchen die Schiffe Landschutz auf oder laufen gar nicht aus. Leider erreichte uns auch die traurige Nachricht, daß die beiden Vorpostenboote 1610 und 1611 gesunken sind. Hoffentlich geht bei uns alles gut.
Heute haben wir von 8 bis 17 Uhr gesucht. Unser Ergebnis war 11 Stück. Damit marschiert unser Boot bis jetzt an der Spitze der Flottille. Bei dem schönen, ruhigen Wetter habe ich mich heute lange mit auf dem Achterschiff aufgehalten und den Räumarbeiten zugesehen. Immer tiefer fressen wir uns in die Sperre hinein. Am Südende haben wir begonnen und schon 2/3 des 8 sm langen Minenfeldes geräumt. Bei dem ru¬higen Wetter wie heute geht es auch flott voran. Schön achterlich gestaffelt, damit sich die Geräte gut überlappen, fährt die Flottille die Sperre in ih¬rer ganzen Breite ab. Das kleine R-Boot spurt genau hinterher und wirft in kurzen Abständen die Bezeichnungsbojen, damit wir beim nächsten Anlauf genaue Ansatzstellen haben. Ist auf diese Weise ein breiter Streifen bis zur gegenüberliegenden Seite der Sperre abgekämmt, so drehen wir nach steuerbord, laufen leer zurück und beginnen dann an den ausgelegten Spurbo¬jen mit unserem nächsten Streifen. Ich möchte sagen, es ist wie beim Tischler, beim Hobeln. Span um Span wird von der Sperre abgenommen. An Gerät fahren wir entweder Otter oder Drachen, die die Räumleine straffen und in unserem Falle nach backbord ausscheren lassen. In der Räumleine selbst sind, abgesehen von den Tragbojen, Messer angebracht, die das Minentau zerschneiden, sobald es von ihnen erfaßt wird. Häufig werden auch statt der Messer Sprenggreifer verwandt, die in derselben Weise arbeiten, nur das sie eben das Minentau nicht schneiden, sondern auseinandersprengen. Der Erfolg ist derselbe. Die Mine schwimmt auf und kann abgeschossen werden. In der Theorie klappt das, in der Praxis nicht immer; denn leider gibt es zähe Minen, die einfach nicht loslassen oder sich anderweit im Gerät verfangen.
Ob wir eine Mine im Gerät haben, erkennen wir am Zugmesser, der auf dem Achterdeck liegt und an dem die ganze Apparatur hängt. Er zeigt 1 000 kg an, wenn wir Otter, und 2 000 kg, wenn wir Drachen fahren. Schnellt er über diese Normalstellung hinaus, dann ist etwas im Gerät. Und jetzt kommt der richtige, echte Minensucher zum Vorschein. Man erkennt ihn an der Geschicklichkeit, der Umsicht und nicht zuletzt an der großen Ge¬wissenhaftigkeit, mit der er dabei zu Werke geht und die Mine abschüttelt.
Ich habe früher manchmal etwas mitleidig auf die armen Sperrmixer herabgesehen, wenn sie in einem Wirrwarr von endlosen Leinen, Tampen, Schlaufen und Drahtenden wühlten und zwischen Drachen, Ottern, Rollen und Schäkeln scheinbar nicht mehr aus noch ein wußten. Aber ich bin schon lange eines besseren belehrt worden,  und heute ziehe ich vor jedem Minensucher tief dem Hut, auch wenn ihn noch keine Sondermeldung anerkennend erwähnt hat.

31. Oktober 1941   Kolberg
07.30 Uhr liefen wir in Kolberg aus,  in Swinemünde 13.00 Uhr. Wir müssen kohlen. Haben nur noch 24 Tonnen. Mit dieser Menge würde ich zu Hause ganze 8 Jahre reichen. Für unsere freßgierigen Kessel aber sind 24 t nichts. So rackern wir uns ab, um unsere Bunker bis an den Rand mit diesem schwarzen Gut vollzupfropfen. Morgen werden wir dann nach Kolberg jagen und wieder räumen. Es wird wieder krachen und donnern, einmal näher, einmal weiter, vielleicht auch einmal ganz nahe. Ich weiß es nicht. Und die Zeit wird vergehen, ein Tag nach dem anderen, unwiederbringlich. Manchmal kommt mir alles so sinnlos vor. Ich kann mir nicht helfen, aber die Zuversicht, die noch im vorigen Jahr herrschte, ist doch verdammt zusammengeschrumpft. Der Krieg dauert zu lange. An langen Kriegen aber sterben die Völker, auch Sieger.

1. November 1941 Swinemünde
Wir bleiben heute noch in Swinemünde. Einige Boote sind noch beim Kohlen, und wir selbst wollen uns in der Ausrüstung mit neuem Gerät eindecken. Recht so, auf See haben wir heute doch nichts verloren. Es stürmt wieder. Peitschend gischten die Wellen über die lange Mole. An der Signalstation wird eben der Sturmball hochgezogen. Also bleiben wir lieber hübsch an der sicheren Pier.

2. November 1941 Swinemünde - Kolberg
Die Nacht war recht kurz heute, und schuld daran war Ossi. Er hat sich gestern Abend vollaufen lassen. Ich weiß auch nicht, warum. Er trinkt sonst selten viel über den Durst. Vielleicht fehlte ihm seine Räumarbeit, vielleicht hatte er Sehnsucht nach seiner jungen Frau und suchte absichtlich eine alkoholische Ablenkung. Kaum aber hatte er ein paar Glas hinter der Binde, so fühlte er sich auch schon stark. Man kennt das ja:
Nichts zu boxen? Nichts zu ringen?
Kein Klavier in den 4. Stock zu bringen?
Leider fehlte das Klavier, und so fing er in Ermangelung jedweder anderer Beschäftigung an zu randalieren, zu poltern und zu demolieren, bis es uns schließlich zu bunt wurde, und wir ihn mit Gewalt zur Ruhe zwingen mußten. Leicht war das aber nicht; denn er hatte sich im Schlafraum verbarrikadiert und das Licht gelöscht. Dazu hielt er einen großen Hammer in der Hand, mit dem er unablässig an das eiserne Schott schlug.
Es war schwer, ihm beizukommen. Endlich aber konnten wir ihn doch ,,besiegen", aber es war 2 Uhr vorüber, als wir endlich in unser Körbchen kletterten. Heute morgen wußte er natürlich von nichts und tat wie die Unschuld vom Lande.
10 Uhr: Wir laufen aus. Die See ist erträglich und flott geht die Fahrt. Auf Station ist nichts von Bedeutung. Es scheinen nicht viele Schiffe unterwegs zu sein. Unser U.K.-Gerät, daß wir während des Räumens ständig besetzt halten müssen, um jederzeit innerhalb der Flottille Sprechverkehr durchführen zu können, brauchen wir heute nicht zu schalten. So leben wir einen geruhsamen Tag. 15.30 Uhr laufen wir in Kolberg ein. Der Rest des Sonntags gehört nun uns. Ossi legt sich schlafen und ich gehe mit Walter, Ernst und Wilhelm an Land. Wollen sehen, ob wir in einem Café ein Stück Kuchen auftreiben und anschließend eine Kino- oder Theaterkarte ergattern können. Kolberg soll ein ganz ansehnliches Theater haben. Vielleicht haben wir Glück. -

18.   Schwere Arbeit zwischen heimtückischen Minen

3. November 1941 Kolberg
07.30 Uhr seeklar. Wie ist das Wetter? Einigermaßen. Seegang 4-5. Dann also los. Es ist noch dunkel und trüb, als wir uns im Gänsemarsch durch die schmale Einfahrtsrinne schieben. Schwere Regenwolken hängen tief herab. Fast kann unsere Mastspitze ihre wattigen Bäuche kraulen. Bald sind wir an unserer Sperre. Wieder fahren wir hin und her und her und hin. Es geht hinein ins Feld, heraus und wieder hinein, den ganzen Tag. Mit der Zeit wird auch das langweilig, zumal wir kaum noch etwas finden. Nur bei uns sprang der Zugmesser heute morgen plötzlich einmal auf 4 000 kg. Wir mußten gleich zwei Minen im Gerät haben, brachten sie aber beim besten Willen und trotz aller Manöver nicht hoch, und zu guter letzt riß uns noch der ganze Rattenschwanz ab. AIs wir schließlich den Rest mit der Winde einholten, hatten wir gerade noch einen halben Drachen an der Leine und der war auch noch verbeult. Neues Gerät wurde ausgebracht und dann ging es wieder hin und her und her und hin.
Plötzlich, 12.25 Uhr knallt es wieder einmal, nicht sehr stark. Es war fast mehr ein kurzes Puffen und muß beim letzten Boot, bei M 511 gewesen sein, an dem jetzt eine weiße Dampfwolke hängt. Wir kurbeln sofort an unserem UK-Sprechgerät und rufen M 511 an, aber niemand antwortet. Stattdessen winken seine Signäler, was die Arme hergeben: ,,Kommt zu Hilfe! Wir saufen ab!" Schon eilt M 557 herbei und wir halten ebenfalls auf M 511 zu.
Unterdessen laufen die ersten Meldungen ein. ,,Boot hat Treffer an der Back. - Besatzung geborgen. - Ein Verletzter. -  Arzt am Bord." - Gott sei Dank. Das ist noch einmal glimpflich abgegangen. Wir sind bis auf wenige Meter herangekommen und peilen die Lage. M 511 macht Wasser und ist etwas nach vorn abgesackt. Man will versuchen, das Boot über den Achtersteven abzuschleppen oder wenigstens in flaches Wasser zu setzen. Vielleicht kann man es auch unterfangen.
Man versucht das Erstere. M 557 nimmt M 511 in Schlepp. Mit AK legt es sich in die Seile und zerrt. Wacklig folgt das leckgeschlagene Boot. Schon schlagen vereinzelte Brecher über die Reling. Wie weh dieser Anblick tut! Karl Lepskis schönes Schiff. Vor wenigen Wochen erst war es in Dienst gestellt worden, und nun soll es schon verloren sein. Welche Mühe hat er sich gegeben, um sein Boot instand zu setzen! Wie viel Arbeit, wie viel Wege hat das gekostet! Er hat es mir doch erzählt. Es ist ja lange nicht mehr so wie zu Anfang des Krieges, als alles noch in Überfluß vorhanden war. Um jeden Stuhl, um jede Back mußte man reden wie ein Buch, um jeden Tampen, jedes Kilo Farbe kämpfen. Und wie gut hatten sich in dieser kurzen Zeit schon Schiff und Mannschaft aufeinander eingespielt. Soll das alles umsonst gewesen sein?
Aller Augenblicke stecke ich den Kopf zum Bulley hinaus, um die Lage zu sondieren. Nein, M 511 kann sich nicht halten. Jetzt spült die See schon in den Ankerklüsen, die kurz vorher noch über Wasser lagen. Und dann kommt das Ende auch ganz schnell. Das Boot legt sich auf die Seite und rollt langsam, als wäre es das Natürlichste, nach unten ab. –
13.50 Uhr. Wir setzen ein FT ab und melden den Untergang von M 511 sowie die genaue Position. Schiffahrtshindernis. - 14 m Wassertiefe. – Fischereibojen mit West- und Osttoppzeichen geworfen. Es war wie eine Grabrede.
Ein großes Grab ist des Meeres Grund,
ein Kirchhof des Meeres Spiegel.
Die Wellen, schwellend all und rund,
das sind die Grabeshügel.
Über der Untergangsstelle treiben noch ein Kutter und ein Dingi, schwimmen Flöße, Minensuchgerät und rote Bojen. Es könnten Blumen sein auf einem frischen Grab. Wir setzen unsere Boote aus und sammeln die Reste zusammen wie die Scherben, die von einer zerbrochen Vase übrig geblieben sind. Dann dampfen wir langsam davon, vier Boote der Sperrschulflottille. Heute morgen waren es noch fünf.
15.45 Uhr. Wir sind eingelaufen und haben an der Pier festgemacht. Immer noch hängen schwere graue Wolken tief über den Masten. Leise fallen kleine weiße Schneeflocken herab. Sie fallen auch auf unsere schwarzen Boote, aber es gelingt ihnen nicht auf den warmen Aufbauten Fuß zu fassen und das düstere Schwarz aufzulockern. Außerdem steht unseren Booten heute das schwarze Kleid auch besser an. Vier Boote sind es. Heute morgen waren es fünf. -


Teddy Suhren

Hai

Frage an die Boardschrauberführung: Ist es möglich den Bericht um M 575 und Jürgens Vater irgendwie zu Bündeln und evtl. in einer eigenen Rubrik und/oder eigenes Thema zusammenzufassen/ -führen?
Gruß
Jörg

WoWs Nick: Teddy191

Blinki

Ist eine gute Idee @ Teddy Suhren!

Impressum & Datenschutzerklärung