Eine "Seereise"

Begonnen von Turbo-Georg, 22 Januar 2012, 11:13:22

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Turbo-Georg

Die folgende kleine Anekdote fiel mir beim Verfassen des Berichts über ,,Bodenventile" ein.   
http://forum-marinearchiv.de/smf/index.php/topic,16271.0.html 
Im Verlauf  dieses ,,Reiseberichts" erfahrt ihr, welche Rolle dabei Seeventile spielen.
Aber schön der Reihe nach.

Unser Schiff wurde von einer Gruppe gechartert, für die in der Nordsee eine Hochsee- Brandbekämpfungs- und Bergeübung durchgeführt werde sollte. Bei den Mitgliedern dieser Gruppe handelte es sich offensichtlich um höhere Beamte aus dem Bereich Feuerschutz und Rettungsdienst, die sich zu einer Tagung in Wilhelmshaven aufhielten.
Die Herren reisten mit Damen an, denn das Nützliche sollte mit dem Angenehmen verbunden werden. Man erhoffte sich neben einer interessanten Demonstration auf See, auch so etwas wie Seefahrtromantik. Daher war geplant, die erste Nacht zwar im Hafen, doch immerhin an Bord eines Schiffes zu verbringen.
Die Herrschaften sollten demnach auf die zur Verfügung stehenden Kammern an Bord unseres Schiffes, sowie die Kammern unseres bewirtschafteten Vereinsheims, dem festliegenden, ehemaligen Feuerschiff ,,Weser", verteilt werden.
Bei diesen Kammern handelte es sich um die ehemaligen Mannschaftsunterkünfte beider Museums-Schiffe und sie entsprachen weitgehend dem Originalzustand aus den fünfziger bis sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Bis auf die, den Singles vorbehaltenen Offizierskammern unter der Brücke unseres Schiffes, waren die mehr als spartanisch ausgestatten Doppelkammern beider Schiffe für Paare vorgesehen. Bei Tagestörns wurden die Offizierskammern nicht von den nautischen Crew-Mitgliedern benötigt und standen somit für Gäste zur Verfügung. Sie versprühten zwar ebenfalls den Charme längst vergangener Zeiten, verfügten jedoch über etwas mehr Komfort. Die Ausstattung der übrigen Kammern ist mit wenigen Worten beschrieben.
Zwei, übereinander angeordnete Kojen, 60 mal 190 cm, oder kürzer. Unter der untersten Koje zwei Schubladen für Wäsche, zwei schmale Spinde, ein kleiner Tisch mit Sitzbank, ein Waschbecken mit fließendem, kalten Wasser und zum Aufhängen des ,,Ölzeugs" je ein Haken an der Wand. Ich meine mich zu erinnern, dass einige Kammern auch über einen Spiegel am Waschbecken verfügten. Einen ungefähren Eindruck hiervon, vermittelt das Bild von unserer Maschinistenkammer im Achterschiff. Antwort #21
http://forum-marinearchiv.de/smf/index.php/topic,14960.15.html#top
   
Unsere Gästekammern lagen im Vorschiff und waren über einen steilen Niedergang vor der Back zugänglich. Einige von ihnen wurden durch ein Oberlicht spärlich mit Tageslicht versorgt.
Außenkabinen mit Bull-Eyes, gar mit Panoramafenstern und Balkon standen also nicht zur Verfügung. Ähnliches war wohl von einigen Damen erwartet worden, deren Vorstellungen vermutlich stark durch Fernsehserien, wie ,,Traumschiff" geprägt waren. Zumindest musste der Eindruck entstehen, nachdem einige Damen bei der Anreise am Vortag der Veranstaltung, lautstark ihren Unmut äußerten und darauf bestanden,  von ihren Partnern in ein Hotel gebracht zu werden. Eventuell noch durch den Umstand bestärkt, dass auf dem Feuerschiff nur eine und auf unserem Schiff immerhin zwei Gemeinschaftsduschen zur Verfügung standen. Wahrscheinlicher ist aber, dass man sich nicht über die Belegung der Kojen einigen konnte.   

Auch die auswärtigen Mitglieder der Besatzung reisten bereits am Vortag an, denn es galt einerseits noch einige Vorbereitungen zu treffen, andererseits war für den nächsten Morgen 8.00 Uhr ,,Seeklar" angeordnet und das bedeutete für uns Maschinisten 5.00 Uhr in den Antrieb.
Was da zu tun war, könnt ihr hier nachlesen.   
http://forum-marinearchiv.de/smf/index.php/topic,14960.0.html

An der besagten Brandbekämpfungs- und Bergeübung nahmen das Küstenschutzschiff ,,Mellum", der Seenotrettungskreuzer ,,Vormann Steffens" sowie ein Rettungshubschrauber teil und sollte etwa südöstlich der Vogelschutz-Insel Mellum abgehalten werden.

Am nächsten Morgen kamen nach und nach die Gäste von Feuerschiff und aus den Hotels an Bord. Auch bei unseren Gästen im Vorschiff regte sich ,,schon" einiges und die Nachzügler unter ihnen standen noch kurz vor dem Auslaufen an den zwei Duschen Schlange.
Einige von ihnen sahen alles andere als ,,seetüchtig" aus; sie hatten an Land bis tief in die Nacht gefeiert. Wie das Gepolter weit nach Mitternacht vermuten lässt, waren einige Gäste im wahrsten Sinne des Wortes über den Niedergang in ihre Kammern ,,gestürzt", um bei leichtem Geplätscher der Wellen an der Bordwand, für den Rest der Nacht genusvoll zu ruhen.
Aber auch danach wollte sich keine ,,Ruhe im Schiff" einstellen, denn einige Gäste meinten, in Erwartung der Schlangen vor den Duschen am nächsten Morgen, sich noch in der Nacht gründlich reinigen zu müssen. Gegen Reinlichkeit an sich ist ja nichts einzuwenden.
Wir Dampfmaschinisten nutzten bei etwa 450 C im Maschinenraum gerne jede Gelegenheit zum Duschen. Der etwas herbe Geruch eines brunftigen Elches mag auf Elchdamen recht anziehend wirken, aber macht sich ein ähnlicher Geruch in der Enge der Mannschaftsmesse breit, schnappen sich die meisten irgend Etwas Essbares und frühstücken auf dem Bootsdeck weiter.
Nun soll ja das nächtliche Duschen selbst in Luxushotels als störend empfunden werden, aber auf einem Schiffe ist hier noch eine Steigerung zu erwarten, denn der eiserne Rumpf überträgt das kleinste Geräusch in jeden Winkel.
Am unangenehmsten ist aber nachts das penetrante Kreischen der elektrischen Kreiselpumpe der Trinkwasseranlage. Sie springt beim Duschen alle paar Minuten an, um den Druckbehälter der Trinkwasseranlage wieder aufzufüllen.
Aber es gibt immer eine ausgleichende Gerechtigkeit. Nach einer kurzen Nacht starteten die Maschinisten um 5.00 Uhr den Hafendiesel im Vorschiff. Er übernimmt bekanntlich nach Hereinnahme des  Landanschlusses übergangsweise die Bordstromversorgung. Vielleicht haben einige Herren daraufhin bereut, ihren Damen nicht ins Hotel gefolgt zu sein. 

Kurz nach 8.00 Uhr wurden die Leinen los geworfen und wir liefen durch die ,,Kaiser-Wilhelm-Brücke" und den Hafen zum Schleusen. Die beiden Seeschleusen von Wilhelmshaven bilden mit ihren beeindruckenden Ausmaßen angeblich die zweitgrößte Schleusenanlage der Welt. Entsprechend lange dauert der Schleusenvorgang. Mit uns schleusten einige Sportboote und auch größere Segler. Obwohl herrliches Wetter vorausgesagt wurde, war es morgens noch recht diesig. Man konnte aber in einiger Entfernung die Fregatte ,,Sachsen" an ihrem Liegeplatz sehen.
Die Leinenwachen hielten während des Schleusens das Schiff mit Vor- und Achterleine an den Fendern. Die Schrauben liefen dabei gegenläufig mit niedrigster Drehzahl. Bis auf eine Maschinenwache hatten nun auch die Maschinisten nach den ersten Stunden im Antrieb Gelegenheit etwas frische Luft zu schnappen und einen kurzen Klönschnack mit den Decksleuten zu halten bzw. Fragen der Gäste zu beantworten.
Nach dem Schleusen dampften wir auf nördlichen Kurs etwa 10 sm in die Nordsee und trafen auf die vor Anker liegende ,,Mellum".

Die Übung sollte gegen 10.00 Uhr beginnen.
Mit Rauchpatronen wurde auf der ,,Mellum" ein Brand simuliert, der mit Bordmitteln, aber auch mit Unterstützung des herbei eilenden Rettungskreuzers bekämpft wurde. Anschließend erfolgte das Bergen von ,,schwer Verletzten" durch den Helikopter und Übernahme der leichter ,,Verletzten" durch den Rettungskreuzer.
Wir dümpelten bei niedrigster Fahrstufe während der gesamten Übung in der Nähe der ,,Mellum", so dass neben den Gästen, auch der größte Teil der Besatzung der Vorführung folgen konnte.
Nach etwa einer Stunde war die Übung beendet. Bevor der Rettungskreuzer ,,Vormann Steffens" mit hoher Geschwindigkeit ablief, ging er zur Verpflegungsübernahme an unserer Steuerbordseite längsseits. Das Labskaus unseres Smutjes galt als Tipp unter Insidern.
Unsere Gäste wollten es aber vermutlich mit der Seefahrtromantik nicht zu weit treiben, und hatten statt unseres Labskaus bei einem Catering-Service ein Buffet bestellt. Das Buffet sollte nach unserer Rückkehr an unseren Liegeplatz am Bontekai angeliefert und in unserem Salon serviert werden.
Die Gründe, die während der Rückfahrt zu Verzögerungen führten und damit den Zeitplan durcheinander brachten, blieben uns Maschinisten verborgen. Die Konsequenz war, dass wir unseren Termin zum Schleusen verpassten und sich erst zwei Stunden später wieder die Möglichkeit hierzu bot. Es setzte ein reger Telefonverkehr zwischen den Organisatoren und dem Catering-Service ein, um einen neuen Übergabeort zu vereinbaren. Der Bereich vor den Schleusen war militärisches Gebiet und schied aus. Wie wir erst später erfuhren, hatte man sich auf den Fährhafen am Seeaquarium geeinigt, eine ehemalige Hafenzufahrt am heutigen Tonnenhof des Wasser- und Schifffahrtsamtes.
Es wurde allerdings versäumt den Antrieb zu informieren, dass man einen Ausflug in flachere Gewässer vorhatte. Bei einem Tiefgang von 3,50 m war der Fährhafen eigentlich zu flach, um gefahrlos Kühlwasser aus dem unteren Wasserkasten zu entnehmen und es währe richtiger gewesen, rechtzeitig auf den oberen Wasserkasten umzuschalten. Wilhelmshaven wird zu recht auch ,,Schlicktown" genannt. Erst durch das veränderte Geräusch der Kühlwasserpumpe und dem Abfall des Kühlwasserdruckes wurde uns klar, dass wir Grundberührung hatten und bereits Schlick ansaugten.
Der Obermaschinist gebärdete sich wie Rumpelstilzchen und scheuchte uns wie die Hühner durcheinander, während er unablässig auf die ,,Idioten, da oben" schimpfte.
Nach dem Umschalten auf den oberen Wasserkasten wurde mit erhöhtem Kühlwasserdruck kräftig gespült, um die ca. 1000 Kühlwasserrohre des Kondensators von etwa 20 mm Durchmesser und die 8 mm dicken Kupferrohre der Hauptlager- und Gleitbahnkühlung vom Schlick frei zu machen. Es dauerte eine ganze Zeit bis an den Kontrollhähnen das Kühlwasser wieder klar war und wir die ,,Reise" ohne nennenswerte Schäden fortsetzen konnten.
Die Gäste haben von alledem nichts mitgekriegt und gingen am Nachmittag zufrieden wieder von Bord.
Wir haben am Abend noch lange zusammen gesessen, dabei allerlei Witze gerissen und über das Erlebte noch herzlich gelacht.
Der Salon gehörte zum gemeinsamen Frühstück am nächsten Morgen wieder allein den Crew-Mitgliedern.

Lesern, die Wilhelmshaven nicht kennen oder nicht über ausreichende Ortskenntnisse verfügen, empfehle ich das Satellitenbild von Google Earth.
Hier einige geografische Positionen.

,,Kapitän Meyer":                    530 30'49.08''N, 80 07'58.73''O
Feuerschiff ,,Weser":               530 30'49.47''N, 80 08'01.98''O
Kaiser-Wilhelm-Brücke:            530 30'48.76''N, 80 08'08.08''O
Zerstörer ,,Mölders":                530 30'49.44''N, 80 08'19.90''O
Deutsches Marine-Museum     
Fährhafen:                            530 30'49.54''N, 80 08'43.87''O
Seeschleusen:                       530 31'35.95''N, 80 09'25.05''O
http://de.wikipedia.org/wiki/Seeschleuse_Wilhelmshaven

Luftaufnahmen von Wilhelmshaven unter:
http://www.wilhelmshaven.de/images/presseservice/luftbild1.jpg
http://www.xway-image.de/luftbilder-wilhemshaven.html

Weitere Aufnahmen unter:
http://www.wilhelmshaven.de/portal/webcams.htm
Vermeintlich Schwieriges leicht verständlich machen.

Gruß Georg

Turbo-Georg

Vermeintlich Schwieriges leicht verständlich machen.

Gruß Georg

RonnyM

...dass kann man richtig nachvollziehen Georg, wenn die "Hottevolotte" an Bord kommt und verwirrt über den spröden Charm der WESER ist :? :|. Ich kann bestätigen, dass die "Verpflegung" an allererster Sahne ist. top

Übrigens, die MELLUM wird ja auch als "Eierlegende Wollmilchsau" bezeichnet. Für alles vorgesehen, nur wenn's stürmisch wird, darf achtern an Deck nicht gearbeitet werden (PALLAS). Da ständig unter Wasser... :-o :-D

Grüße Ronny
...keen Tähn im Muul,
over La Paloma fleuten...

Impressum & Datenschutzerklärung