Hippers Schlachtkreuzer im Südatlantik

Begonnen von Leutnant Werner, 20 März 2006, 22:26:52

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Leutnant Werner

Hallo Freunde,

es ist noch nicht so lange her, da hatten wir eine hitzige, aber immer noch mit sachlichen Argumenten ausgetragene Debatte über das Thema: Alternativen für das Spee´sche Geschwader, wenn die Falkland-Schlacht nicht stattfindet. Spee, Harold, Torpedo, Deo, Huszar und noch einige andere haben ihre 5 Cents zu dem Thema abgeliefert.

Es ist auch noch nicht so lange her, dass ich über Halperns Werk "A naval history of world war I" eine kleine Rezensur geschrieben habe, in der ich ein Kapitel über nicht ausgeführte Kriegspläne (z.B. Invasion von Borkum - kein Scherz) als Bonusmaterial ausgewiesen habe.

Nicht in diesem Kapitel, und von mir im ersten Durchgang überlesen, ist ein ganz ungeheuerlicher Kriegsplan dort dargestellt von Franz Ritter von Hipper, der in einer Konferenz mit  Admiral von Ingenohl wohl am 12. November 1914 diskutiert wurde. Ich zitiere aus dem genannten Werk, Seite 40:

" Hipper believed he had a better use for battlecruisers than raiding coastal towns or vainly trying to entice the British fleet into a trap. In November he developed a plan, originally submitted by one of his captains, that would have sent the four newest battlecruisers to the West Indies or South Atlantic to conduct commerce warfare and overwhelm any enemy cruisers assigned to protect trade. Hipper maintained this was the one way the big German ships could damage the enemy and thereby justify their existence. His plan was vague on the inevitable question of coaling. The battlecruisers would be blistered to increase their bunkerage, and it was believed that "it would not be difficult to surprise them and coal by force of arms in English bases at least once."  Hippers plan was not approved. Ingenohl preferred giving U-boat warfare a chance to succeed..."

Quellenangabe des Autors: Philbin, Tobias R.: Admiral von Hipper. The inconvenient hero. Amsterdam. B.R. Grüner. pp 92-95.

Ich war natürlich baff: Ich hatte bislang noch nie von DIESEM Kriegsplan gehört. Viele Probleme, die damals von uns kontrovers und von allen Seiten beleuchtet wurden, wurden von einem Praktiker offensichtlich überraschenderweise ganz anders gesehen:

- Die Reichweiten der in Frage kommenden 5 Schiffe (BLÜCHER oder DERFFLINGER, VON DER TANN, MOLTKE, SEYDLITZ) liegen bei 14 Knoten Marschfahrt zwischen 4120 Sm (Moltke) und 5600 Sm (Derfflinger) und unterscheiden sich also nicht wesentlich von denen des Spee´schen Geschwaders (Angaben nach Conway´s 1906-21). Dennoch bleibt Hipper bei der Bekohlungsfrage locker, will sogar in einem englischen Stützpunkt kohlen!
- Ein Durchbruch irgendwo nördlich der Orkney-Inseln stellte offenbar überhaupt kein Problem dar...
- Angriffe auf feindliche Basen außerhalb von Großbritannien stellten offenbar auch kein Problem in der Planung von Hipper dar. Dies wurde tatsächlich praktisch zweimal versucht, und zwar von Spee zur fraglichen Zeit: Papeete (22.09.14) und Port Stanley mit dem bekannten Ergebnis.
- Auch starken Basen des Gegners wurden keine überragenden Eigenschaften zuerkannt. In einer anderen Stelle in Halperns Buch schildert dieser, wie Vizeadmiral Lapeyrere, der kommandierende Admiral der Armee Navale zu Kriegsbeginn, einen Ausbruch von GOEBEN und BRESLAU durch die Straße von Gibraltar in den Atlantik noch am 6.8.14 für möglich hielt (Halpern, S. 56).
- Man stelle sich vor, dass Geschwader geht hypothetisch am 20.11.1914 mit SEYDLITZ, MOLTKE, VON DER TANN und BLÜCHER mit Ziel Südatlantik in See....

Any comments?

Gruß
Lt.

En Echelon

Hi,

Du kommst da irgendwie mit den Schiffen durcheinander:

Blücher kommt gar nicht in Frage, weil gar kein Schlachtkreuzer. Und wenn wir ihn dazuzählen, weil er war ja irgendwie sowas wie eine Vorstufe zum SKr, dann war er der älteste und Hipper spricht von den neuesten. Die neuesten 1914 waren Derfflinger, Seydlitz, Göben, Moltke, v.d.Tann (nach Dienstalter aufsteigend). Göben fällt aus, weil glänzt durch Abwesenheit, bleiben also Derfflinger, Seydlitz, Moltke, v.d.Tann.

Die Idee ist so schlecht nicht, jedoch gehe ich davon aus, dass der Verband Häppchenweise innerhalb von 6 Monaten aufgerieben worden wäre. Die Briten hätten den mit allen Mitteln unter Wasser gebracht.
Gruß

Jan


Nicht Schiffe kämpfen, sondern Menschen!

Leutnant Werner

Hallo En Echelon,

Blücher kommt sehr wohl in Frage, denn Derfflinger stellte erst im November 1914 in Dienst, was nun erfahrungsgemäß nicht bedeutet, dass das Schiff bereits eingefahren ist.
Blücher wird immer als Hybrid bezeichnet, Endstufe des Panzerkreuzers. Aber in einigen Leistungsdaten konnte Blücher mit den ersten Schlachtkreuzern ganz gut mithalten. Der Panzergürtel des Schiffes betrug maximal 180 mm (Invincible- und Indefatigable-Klassen = 152 mm). Die nominelle Geschwindigkeit betrug 24,8 Knoten, aber Blücher konnte eine Geschwindigkeit von 26,4 Knoten erreichen (die genannten britischen Schiffe schafften nominal 25-25,5 Kn und bei Überlast 26,5 Kn).
Mit einer Rohrerhöhung von 30 Grad war die Reichweite der 21cm SK/C 45 höher als die der 28cm- und 30,5cm-Geschütze auf den deutschen Schlachtschiffen und Schlachtkreuzern, und sollte angesichts des Einfallswinkels für die Panzerdecks der frühen britischen Schlachtkreuzer auch eine gewisse Gefahr dargestellt haben.
Der schlechte Ruf von Blücher rührt durch die unvernünftige Lösung für die Mun-Aufzüge der mittschiffs stehenden schweren Türme und von der Tatsache, dass in der Seeschlacht auf der Doggerbank Splitter recht früh im Gefecht die Dampfleitung in Kesselraum Nummer 3 undicht machten, was zu einem Druck- und Leistungsabfall auf 17 Knoten führte.
Gruß
Lt.

En Echelon

Da es sich aber im November '14 erst um eine Idee gehandelt hat, deren Ausarbeitung, wäre sie realisiert worden,  noch reichlich Zeit beansprucht hätte, und Derfflinger bereits im Januar an scharfen Einsätzen teilgenommen hat (Doggerbank), gehe ich davon aus, dass Hipper eher ohne Blücher und mit Derfflinger kalkuliert hat.
Gruß

Jan


Nicht Schiffe kämpfen, sondern Menschen!

Mario

Ein Durchbruch dürfte gar nicht so schwierig gewesen sein, weil es im 1. WK noch keine Flugzeuge für die Aufklärung gab. Und leichtere Einheiten brauchte man nicht zu fürchten.
Der Grundgedanke, die Royal Navy durch deren Einsatz im Südatlantik zu zersplittern, ist gar nicht mal so schlecht. Die Briten wären gezwungen, viele ihrer atlantischen Stützpunkte zu sichern und müßten viele Schlachtkreuzer und sogar Schlachtschiffe nach Süden schicken. Die Wirkung dürfte dabei noch viel fataler gewesen sein, als 1939 durch die deutschen Panzerschiffe.
Der Haken liegt meiner Meinung nach in der gewagten Kohleversorgung durch erbeutete Kohle in feindl. Stützpunkten und vor allem in der mangelnden Möglichkeit, Gefechtsschäden zu reparieren.
Gelingt es den Briten nur ein/zwei Mal, die Brennstoffversorgung zu vereiteln, dann müssen die Deutschen rudern und sind damit praktisch erledigt.

Huszar

Hört sich wie Op Berlin 26 Jahre später an  :D

Kombinieren wir mal aber ein wenig die beiden Threads zusammen.

Spee verstäkt sich irgendwie im Pazifik, und irgendwann im Dezember läuft das Schlachtkreuzergeschwader aus.

Alle 4 (bzw 5) würde ich aber nicht losschicken - die dt. Home Fleet sollte auch einige schnelle, moderne grosse Kreuzer behalten.

Ich persönlich würde die Blüher, VDT und Moltke schicken.

Begründung:
Blüher hat in der Nordsee als Hybrid recht wenig verloren - und die Mun stimmt mit den der SH/GN überein.
Die Derfflinger hat ein ganzlich anderes Kaliber, als die anderen BCs, die Versorgung wird somit nur unnötig erschwert.
VDT und Moltke benutzten die selbe Mun, sind nominell gleich schnell, und sind die ältesten. (mit der REichweite können wir nicht viel trixen, sind praktisch gelich)



Das grösste Problem bereitet mM nach der Durchbruch in den Atlantik, bzw die Bekohlung gleich danach. Im Winter, im Nordatlantik...


mfg

alex
Reginam occidere nolite timere bonum est si omnes consentiunt ego non contradico
1213, Brief von Erzbischof Johan von Meran an Palatin Bánk von Bor-Kalán

harold

Hab in den letzten Tagen ein wenig in Christensen´s Lebenserinnerung des Christian Stöckler, Heizer auf "Dresden" und später interniert in Quiriquina, hineingelesen.
Unter anderem geht er -auch nach den Informationsaustausch in der Internierung- davon aus, dass zumindest VdTann dem Spee´schen Geschwader entgegenlaufen hätte sollen;
sagt aber nicht, wie weit (Durchbruch, oder weiter südlich, oder...?).
Auch nach seinen Informationen war die Kohlenversorgung durch US-Schiffe (zumindest in diesen ersten Kriegsmonaten) problem- und reibungslos.
Nur zur Bekohlung auf See findet er manchmal recht eindeutig negative Worte.
(Werd das Buch mal hier kurz vorstellen, wenn´s jemand interessiert. Ist eine deutsche Übersetzung aus dem Dänischen, aus 1936).

Harold
4 Ursachen für Irrtum:
- der Mangel an Beweisen;
- die geringe Geschicklichkeit, Beweise zu verwenden;
- ein Willensmangel, von Beweisen Gebrauch zu machen;
- die Anwendung falscher Wahrscheinlichkeitsrechnung.

DHEO

letztendlich hätte die ganze Aktion nur dann sinn gemacht, wenn nach der Teilaufsplitterung der Home-Fleet, bedingt durch deutsche SK im Atlantik, die Hochseeflotte in der Nordsee mächtig auf den Putz gehauen hätte, was ich für die damalige zögerlichkeit der deutschen marineführung als unwahrscheinlich halte.

Grüße

Dirk

Thomas

Hallo,

ich hätte nochmal eine Frage zur Kohlenversorgung:
Während des Kreuzerkrieges wurden doch reihenweise auch die (reichlich herumfahrenden) Kohlefrachter aufgebracht. Die deutschen Schiffe haben sich doch damit wohl Versorgungsnetzte/punkte mit diesen Prisen zugelegt. Im WK II war dieses dann aus den Erfahrungen von der SKL generalstabsmäßig mit deutschen Handelsschiffen und Prisen vorher durchgeplant worden (siehe Scheer, BERLIN, etc).

Dennoch meine ich gelesen zu haben, dass zum Teil auch von den übrigen Schiffen (also nicht den Kohlefrachtern) die Kohlen geräumt werden mußten, um die Versorgung sicherzustellen. Ebenso wurden von den Briten Kohlefrachter möglichst aus den gefährderten Gebiete herausgehalten, umgeleitet oder zurückgehalten.

Weiss jemand mehr dazu, vielleicht auch aus den Berichten zu den Kreuzern?

Grüße
Thomas

Leutnant Werner

Diese Beobachtung ist korrekt. Man sah einige der Schwierigkeiten voraus, die sich daraus ergeben, nicht die vorherrschende Kolonialmacht auf dem Erdball zu sein. Daher waren überall auf dem Erdball verstreut, deutsche "Etappenoffiziere" im Einsatz, um einen Kohlenachschub für die deutschen Auslandskreuzer zu organisieren. Hat am Anfang mäßig geklappt, später dann gar nicht mehr. Wenn die deutschen Schlachtkreuzer in den Atlantik hätten auslaufen sollen, dann wäre die Beigabe eines schnellen Versorgers wohl am Besten gewesen. Dieses Konzept gab es aber im 1WK noch nicht, wiewohl es technisch umsetzbar gewesen wäre. Sicherlich hätte man Versorgungsschiffe vorab in den Atlantik senden können, wie im 2WK auch.
Ich finde die Idee eines Ausbruches von Hippers Aufklärungsgruppe, aus der Retrospektive des 2 WK gesehen, frappierend. Am Ende aller Überlegungen auf beiden Seiten hätte womöglich die Aufgabe der Doktrin von der Entscheidungsschlacht und auch die Aufgabe von der "Fleet-in-being"-Doktrin gestanden.
Gruß
Lt.

DHEO

Das Unternehmen hätte enorme Resourcen an Kohle verschluckt, denn letztendlich mussten vorher deutsche Kohledampfer auf warte-Position sein, denn eine Versorgung über neutrale Staaten wäre nicht geglückt, zumal so ein SK ja auch ein paar Tonnen mehr braucht als ein Panzerkreuzer, und selbst die hatten schon Probs.

Und diese benötigten Resourcen hätten der Schlachtflotte in der Nordsee gefehlt, um die situation vernünftig ausnutzen zu können.

Das Vorhaben wäre zwar als Überraschung gelungen, mit sicherheit hätten die deutschen SK auch einiges an Schaden anrichten können, aber letztendlich wären auch sie gestellt und vernichtet worden, wenn sie nicht vorher mangels Kohle eh die "Segel hätten streichen müssen.

Grüße

Dirk

Seydlitz

DHEO sieht die Sache meiner Meinung nach genau richtig.
"Wir bleiben im Verband! Wenn wir auch selbst nicht mehr feuern können, so ziehen wir einen Teil des feindlichen Feuers auf uns und entlasten die anderen."
Kapitän zur See Zenker "von der Tann" 31.05.1916

Zerstörerfahrer

Wie wärs, mit nur einem relativ kleinen Vorstoss , etwa Höhe Azoren, um das Spee Geschwader aufzunehmen ?
Zeitpunkt würde hinhauen. Kohlen sollten sich für die relativ kurze Reise beschaffen lassen. Spee hätte allerdings Order erhalten müssen, kein Aufsehen zu erregen . England sucht nach allen Himmelsrichtungen und die dt. Geschwader laufen wieder nach Hause. Mit ein bischchen Glück, sollte noch eine Küstenbeschiessung drin sein und dann Aufnahme durch die Hochseeflotte, Höhe Skagerak. Eine Kriegsentscheidende Wirkung hätte es nicht gehabt, aber der moralische Sieg, wäre unvorstellbar , vor allen Dingen nach dem Erstarren der Westfront. Allerdings wäre er unter hohem Risiko erkauft worden, das gebe ich zu .

Was meint ihr dazu ?
Vielleicht hat ja jemand mal die Entfernungen parat, um zu sehen wie viel Kohle benötigt werden würde.

Leutnant Werner

Kohle gabs in Deutschland ohne Ende, auch wenn die leider lange nicht so gut war wie die walisische Kohle. Frachter gabs in Deutschland auch ohne Ende, denn Deutschland war die zweitgrößte Handelsschiffnation mit etwa einem Sechstel der Welt-Tonnage.
Ziel von Hippers Vorschlag war nicht, das Spee´sche Geschwader aufzunehmen. (Gleichwohl wurde von dem Etappenoffizier in San Fancisco, Fregattenkapitän von Knorr, genau dieser Vorschlag gemacht). Hipper wollte Handelskrieg führen und alle unterlegenen vor Ort angetroffenen Feindeinheiten versenken. Das hätte natürlich für allerhand Aufsehen gesorgt...
Gruß
Lt.

Zerstörerfahrer

@ Werner, ich weiss, das dies nicht Hippers Ziel war. Ich halte aber langwierige Operationen mit den Schlachtkreuzern für ein viel zu grosses Risiko , gerade weil die Hochseeflotte dadurch stark geschwächt wird.  
Die Option eines kurzen Vorstosses, vielleicht zur Aufnahme Spees halte ich daher für die bessere Alternative.

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