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Identifizierung eines in der Eckernförder Bucht gestrandeten MARINEFÄHRPRAHMES

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longwood:
Hallo,

an der Evakuierung des KZ Stuffhof (bei Danzig) auf dem Seewege im Jahre 1945 waren auch Einheiten der Kriegsmarine beteiligt.

Am 04. Mai 1945 strandete bei Bookniseck (Nordseite der Eckernförder Bucht) in der Gemeinde Waabs (Landschaft Schwansen) ein Marinefährprahm mit überwiegend weiblichen KZ-Häftlingen.

Der MFP nahm in Hela über 500 KZ-Häftlinge an Bord, darunter etwa 350 Frauen und Kinder. Die Bewachung erfolgte durch SS-Leute.

Zusammen mit 15 bis 20 anderen Schiffen fuhr der MFP am 27. oder 28. April 1945 im Geleit los. Dieser wurde aber bald durch ständige Fliegerangriffe zersprengt. Einige Schiffe fuhren bis Neustadt, Flensburg oder Dänemark.

Auch der bei Bookniseck gestrandete MFP wurde ständig von Flugzeugen attackiert. Getötete Personen wurden von der SS einfach über Bord geworfen; verletzte und unverletzte Personen aber auch von anderen Schiffen übernommen. Der letzte Angriff erfolgte in der Kieler Bucht, da angenommen wurde, dass auf den Schiffen NS-Funktionäre nach Dänemark flüchten wollten.

Der MFP erhielt auch Einschüsse unter Wasser, so dass Wasser in den Schiffsrumpf eindrang und dieser – bedingt durch den erhöhten Tiefgang – nicht direkt auf den Strand fahren konnte, sondern etwa 50 – 100 m davon entfernt aufsetzte. Zum Schluss sollen noch etwa 100 – überwiegend weibliche - KZ-Häftlingen sowie das Personal der Kriegsmarine und das Wachpersonal der SS an Bord gewesen sein. Über das weitere Schicksal der leidgeprüften Frauen berichte ich evtl. später .

Bis ca. 1950 lag das Wrack vor dem Strand und wurde von den Kindern als (hoch-) gefährlicher Spielplatz benutzt; während die Einwohner der Umgebung sich an den Einzelteilen „bedienten“.

Am 10. Januar 1950 erschien in der regionalen Zeitung – der „Eckernförder Zeitung“ (EZ) – eine kurze Notiz unter der Überschrift

Arbeiten in der Bucht
„(..) Weiter liegt bei Booknis ein alter Panzerfährprahm, bei dem vor kurzem von Unbefugten der Versuch gemacht wurde, die Eisenteile abzuwracken. Durch Eingreifen der Behörden ist dies verhindert worden. (..)“

und dann – am 20. Oktober 1950 – eine weitere kurze Notiz

„(..) Das Wrack einer in Höhe von Bookniseck in den letzten Kriegstagen gestrandeten Panzerfähre soll jetzt von einer Firma, die diese traurigen Überbleibsel turbulenter Tage für 800,-- DM aufgekauft hat, abgewrackt und der Schrott geborgen werden.“

und dann noch einmal am 11. Januar 1952 unter der Überschrift

Vom Großreinemachen in der Bucht

„(...) Im Bereich der Eckernförder Bucht wurden bisher sechs U-Boote, darunter mehrere Kleinst-U-Boote, zwei Schuten, ein Landungsprahm, einige Torpedofangboote und größere Barkassen sowie ein Schnellbootheck geborgen. (...)“

Die damalige Bergung erfolgte nur halbherzig, denn immer wieder verletzten sich Badegäste an den Eisenteilen des Wrackes zumal die Wrackstelle aus mir unerklärlichen Gründen nicht gekennzeichnet war.

Aber lassen wir die EZ ca. 37 Jahre später weiter berichten; und zwar in der Ausgabe vom 6. Dezember 1989 mit der Überschrift

Bergungseinheit hebt heute gestrandetes Schiff / Vor 44 Jahren ertranken bei Booknis zahlreiche Jüdinnen

„WAABS. Heute morgen gegen 10 Uhr wird eine Bergungseinheit der Bundeswehr versuchen, ein vor 44 Jahren bei Bookniseck gestrandetes Schiff zu bergen. Die Freiwillige Feuerwehr Waabs unter Leitung ihres Wehrführers Karl-Heinz Plett wird das Gelände weiträumig absichern. Schaulustige sind nicht willkommen, da nicht ausgeschlossen wird, dass sich an Bord des Schiffes noch scharfe Munition befindet, so der Leitende Verwaltungsbeamte des Amtes Schwansen, Wolfgang Will, auf Anfrage. Das Schiff, das am 4. Mai 1945, einen Tag vor der Teilkapitulation des Deutschern Reiches unterging, war besetzt mit Juden, vorwiegend Frauen und Mädchen, von denen viele ums Leben kamen.

(...)

Das Schiff vor Booknis war eine Art Fähre. Es lag nur 50 bis 80 Meter vom Strand entfernt. Das Wasser war an dieser Stelle sehr flach, so dass man vom Schiff auf das Land zu Fuß gehen konnte. Ein Bürger aus Kleinwaabs, damals 26 Jahre alt, war einige Wochen nach dem Untergang des Schiffes auf dem Wrack. Der Rumpf lag zum Teil unter Wasser und einige Tote trieben noch drin“.

Und dann noch einmal am - 8. Dezember 1989 - unter der Überschrift

Waabs: Granaten geborgen / Flak-Geschosse enthielten Sprengstoff

„WAABS. Zwanzig Meter vom Ufer entfernt fanden zwei Taucher des Bombenräum-Kommandos Kiel drei mit Sprengstoff gefüllte Flak-Grananten vom Kaliber 8,8.(...) Aus dem Wasser gefischt wurde auch eine alte Landungsklappe. Der Haufen Schrott, über und über mit Muscheln besetzt, hatte Badegästen wiederholt Verdruss bereitet: Wenn sie sich nämlich durch das Wrackteil Schnittverletzungen an den Füßen zuzogen.“

Diese Bergung erfolgte aber auch nur halbherzig, denn im Sommer des Jahres 1990 hatte ich mit Schnorchel und Maske selbst an der Strandungsstelle getaucht und immer noch aus dem Meeresboden herausragende Eisenteile entdeckt.

Allerdings ist die ungefähre Wrackstelle jetzt nach den Regeln der Seeschifffahrtsordnung gekennzeichnet; und zwar durch gelbe Stangen mit einem liegenden Dreieck. Erst waren die Stangen in den Meeresboden eingerammt , jetzt aber – da diese durch Wellenschlag offensichtlich beschädigt wurden – im Strandbereich. Vor einigen Jahren sollen dort noch kleine gelbe Tonnen ausgelegt gewesen sein.

Von dem MFP existieren 3 Fotos; und zwar

1 Foto des gestrandeten MFP (Aufnahme geschätzt um 1946)

2 Fotos von der Gedenkfeier am 4. Mai 1946 – dem 1. Jahrestag der Rettung - am Strand von Bookniseck; und zwar ein Foto mit Personen an Bord und ein Foto mit Personen am Strand mit dem MFP im Hintergrund.

Nun meine Frage: Um welchen MFP handelt es sich? Bei dem Typbestimmung wird es wohl keine Schwierigkeiten geben; schwieriger wird es wahrscheinlich bei der Nummer des MFP.

Ein Anhaltspunkt könnten die Antworten zu meiner Frage „Sperrschlepper Adler“ vom 11. Januar 2011 sein.

Ferner bin ich an allen weiteren Informationen zu diesem MFP – z. B. dem gesamtem „Lebenslauf“ und Bildern - interessiert; evtl. existiert sogar das Kriegstagebuch noch.

Bei dem in der EZ vom 8. Dezember 1989 genannten Kaliber 8,8 handelt es sich wahrscheinlich um einen Schreib- oder Übertragungsfehler, denn ich – obwohl kein MFP-Fachmann – kann mir nicht denken, dass ein derartiges Geschütz an Bord installiert war.

Im Hörfunk wurden im Mai 2010 sogar von mehreren Sendern von dieser Tragödie bei Bookniseck berichtet; sehr ausführlich – ausgedruckt ca. 10 Seiten DIN A 4 – vom NDR Info am 03. Mai 2010 (aufzurufen bei Google mit „Judenschiff Booknis“) oder bei anderen Sender – allerdings in wesentlich kürzerer Form – aufzurufen bei Google unter „Flammeninferno auf der Ostsee“.

Über dieses Thema möchte ich in der neuen Chronik der Gemeinde Waabs und in einem der nächsten Jahrbücher der Heimatgemeinschaft Eckernförde berichten.

Mein „Fernziel“ ist, die gesamte Evakuierung des KZ Stutthof auf dem Seeweg zu dokumentieren.

Auf die Identifizierung des MFP hofft

Hans-Hermann H. alias longwood

PS – für die Moderatoren: Die Urheberrechte an den Bildern hat die Familie Molzahn in Ascheffel. Am 05. Januar 2011 hat Herr Molzahn mir fernmündlich seine Zustimmung gegeben, die Bilder für die Suche nach dem MFP zu verwenden.

Karsten:
Hallo Hans-Hermann,

das ist ein MFP vom Typ D - also Kennung "F 801" aufwärts. Näheres muss in Ruhe geprüft werden.

Saubere Arbeit!

Viele Grüße,

Karsten

t-geronimo:

--- Zitat von: longwood am 02 Februar 2011, 14:24:51 ---PS – für die Moderatoren: Die Urheberrechte an den Bildern hat die Familie Molzahn in Ascheffel. Am 05. Januar 2011 hat Herr Molzahn mir fernmündlich seine Zustimmung gegeben, die Bilder für die Suche nach dem MFP zu verwenden.
--- Ende Zitat ---

Hallo longwood!

Zum einen Danke für Deine interessanten Berichte!

Und zum anderen ein besonders großes Danke schön an den verantwortungsbewußten Umgang mit dem Thema Bild- und andere Rechte. Das ist vorbildlich!! :TU:)

longwood:
Hallo,

ich habe noch einmal in mikroverfilmten älteren Zeitungen hinsichtlich der Bergung der Wrackreste des MFP „gestöbert“ und wurde tatsächlich noch einmal fündig.

In der Tageszeitung „SCHLEI – BOTE / Landeszeitung für Angeln und Schwansen“ stand in der Ausgabe von 7. Dezember 1989 folgender Artikel, den ich den Teilnehmern dieses Forums nicht vorenthalten möchte.

Waabser „Bade-Falle“ beseitigt

Klappe vom Landungsboot nach 44 Jahren geborgen

„WAABS. Am Booknisser Strand beseitigten Taucher gestern ein gefährliches Badehindernis und hoben gleichzeitig ein Stück deutscher Zeitgeschichte. Ein Bagger zog eine rund 750 kg schwere Klappe eines Landungsbootes der ehemaligen deutschen Kriegsmarine an den Strand. Zahlreiche Urlauber hatten sich in den vergangenen Jahren an den messerscharfen Rostteilen verletzt. Manche mussten sogar ins Krankenhaus.

Das große Metallstück ist auch Teil des dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte. Denn in dem Landungsboot kam am 4. Mai 1945 eine nicht mehr genau feststellbare Zahl von jüdischen Häftlingen aus dem Konzentrationslager Stutthof bei Danzig an den Booknisser Strand. Das KZ war vor den herannahenden sowjetischen Truppen evakuiert worden, um die Spuren der Verbrechen zu verwischen. Die meisten Jüdinnen waren typhuskrank, waren wahrscheinlich zu medizinischen Versuchen missbraucht worden.

Von dem Landungsboot selbst fand das vom Wasser- und Schifffahrtsamt beauftragte Bergungsunternehmen gestern keine Spur mehr. Vermutlich war die Landungsklappe im Laufe der Jahre an die Küste „gewandert“. Das Boot selbst muss weiter ab liegen. Dafür fanden die Taucher andere unangenehme Dinge: Zwei Acht-Zentimeter-Flakgrananten. Der Booknisser Strand gegenüber dem Sportplatz musste großräumig abgesperrt werden. Die Granaten sind immerhin mit je 800 Gramm hochbrisantem Sprengstoff gefüllt. Den ganzen Tag über suchten die Taucher gestern noch nach weiteren Munitionsteilen, die für Badegäste und Kinder gefährlich werden könnten. Schon seit Jahren gab es in der Gemeinde Waabs Bemühungen, um die „Bade-Falle“ zu beseitigen.“

Zu den Beitrag sind zwei Fotos abgedruckt; und zwar zeigt ein Foto den Raupenbagger im flachen Wasser mit der Landungsklappe am Haken und das andere einen Taucher mit einer Granate in der Hand.

Auf die Identifizierung des MFP hofft auch weiterhin

Hans-Hermann H. alias longwood

longwood:
Hallo,

als ich kürzlich mit dem Fahrrad auf dem Küstenwanderweg bei Booknis Eck gefahren bin, habe ich festgestellt, dass die Strandungsstelle des Marinefährprahmes immer noch als Sperrgebiet nach den Vorgaben der Seeschifffahrtsstraßenordnung gekennzeichnet ist.

Im Wasser liegen zwei kleine gelbe Spitztonnen aus; an Land sind zwei gelbe liegende Kreuze – jeweils befestigt an gelb-rot-gelben Stangen - aufgestellt.

Ob noch Wrackreste vorhanden sind, ist mir nicht bekannt. Als ich im Jahre 1990 „mit Schnorchel und Maske“ danach getaucht hatte, waren noch Reste – trotz der vorausgegangenen Bergungsaktion im Jahre 1989– vorhanden. Aber das ist schon über 20 Jahre her...

Ich hoffe, dass ein Taucher sich gelegentlich die Strandungsstelle ansieht und davon hier im Forum berichtet.

Leider konnte bisher im Forum nicht ermittelt werden, um welchen MFP es sich handelt...   ...aber bekanntlich stirbt die Hoffnung zuletzt.

Gruß aus Schleswig-Holstein

Hans-Hermann H. alias longwood

PS: Leider habe ich in der Gemeinde Waabs – in der auch Booknis Eck liegt – auch kaum Einzelheiten zu der damaligen Strandung erfahren. Vielen haben etwas gehört (was meiner Einschätzung nach aber auch zum Teil in den Bereich der  Phantasie gehört) – aber keiner weiß etwas genaues (oder will es nicht sagen). Und die Zeitzeugen werden leider immer weniger...

Aber wie gesagt: Ich habe die Hoffnung immer noch nicht aufgegeben...

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