Hier nun der 2. Teil von "Mein Wehrdienst in Heer und Marine"
Wie bekannt wurde in den Morgenstunden des 16.12. 1944 die Ardennenoffensive unter dem Decknamen "Die Wacht am Rhein"
unter grösster Geheimhaltung gestartet , selbst höhere Wehrmachtsoffiziere und besonders die US-Army wurden total überrascht,
ging man doch davon aus , dass die Aufstellung der Truppenverbände nur der Verteidigung dienen sollten . Auch das Wetter spielte
mit , so dass die Luftwaffe beider Seiten wegen schlechter Sicht nicht in die Kämpfe eingreifen konnte .
Am Morgen des 16.12. wurde um 5:00 früh der Alarmzustand im Bunker ausgerufen , neben zusätzlicher Munition erhielt jeder von
uns noch 2 Handgranaten , die im Koppel eingesteckt wurden , aber keine Notverpflegung wie allgemein üblich . Um 5:20 dann
Abmarsch zum Sammelplatz,wo unsere Kompanie in einer grösseren Lichtung Aufstellung nahm, hier trafen wir auch die Kameraden
der beiden anderen Züge zum letzten Mal . Der Kompaniechef wünschte Allen für die Operation Glück und Gottes Segen , und dazu
wurde noch ein Korn-Schnaps überreicht . Nach kurzer Einweisung begann dann der Vormarsch in einer breitgefächerten Formation
gegen 6:00 mit starker Artillerie-Unterstützung . So kamen wir schnell voran ohne direkte Feindberührung , da die Vorhuten der
1. US-Army bereits mit dem Einsetzen des Granatfeuers in die zurückliegenden Auffangstellungen ihre Positionen einnahmen .
Nach einigen Kilometer Geländegewinns erwiderten auch die Amis das Artilleriefeuer , so dass eine Granate in meine Zug-Formation
einschlug , ich befand mich ca. 10 meter vom Einschlag entfernt und lag natürlich gleich flach , ein Granatsplitter hatte meinen
rechten Oberschenkel durchschlagen , den Schmerz spürte ich nicht , aber vom auslaufenden Blut wurde mein Bein warm und keine
Bewegung mehr möglich , ich versuchte durch Abdrücken den Blutfluss zu stoppen , was einigermassen gelang . Nach Abflauen des
Artilleriefeuers war mir klar,dass die Offensive voran kam und wohl kein Gegenstoss zu erwarten war, danach ein Gebet nach oben.
Nach einiger Zeit kamen nun auch die Sanitäter und legten mir einen Wundverband an , zunächst mussten jedoch die Schwer -
Verwundeten abtransportiert werden , so dass ich erst später abgeholt wurde , in meinem Zug fielen hierbei 3 Kameraden und 5
wurden schwer verletzt . Durch den grossen Blutverlust verlor ich das Bewusstsein , so dass ich den Abtransport zum Sammelplatz
nicht mehr wahrgenommen habe , erst als mir die Tannenzweige ins Gesicht fielen , muss ich wohl die Augen geöffnet haben , man
dachte wohl ich sei schon tot , hatte nur noch schwache Atmung , also hat man mich dann zu den Verwundeten gelegt und nach
etwas heissem Tee kam ich langsam wieder zu mir . Am späten Nachmittag erfolgte dann der Weitertransport per LKW zum Haupt-
Verbandsplatz nach Stadt-Kyll,hier wurde ein neuer Verband angelegt und die so wichtige Spritze gegen Wundstarrkrampf injeziert
am 18.12. dann der Weitertransport in ein Krankenhaus nach Menden/Westf. , hier erhielt ich nach langer Zeit mal wieder warmes
Essen und Betreuung durch Rote-Kreuz-Schwestern . Am 22.12. wurde von hier ein Lazarettzug zusammengestellt der uns nach
Halle/S. brachte , es waren erschütternde Szenen die sich im Zug abspielten, viele verbrannte Panzersoldaten bei denen nur noch
die Augen zu sehen waren , rannten halb wahnsinnig vor Schmerzen in den Gängen herum und mussten später auf den Betten
festgeschnallt werden , für die armen Kameraden war wohl nicht genügend Morphium vorhanden .
Im Militär-Hospital wurde ich in einen Saal mit ca. 20 Betten eingewiesen , es war das schönste Weihnachtsgeschenk , mal wieder
in einem richtigen Bett zu liegen . Bei guter Betreuung mit komplizierter Wundbehandlung, die Austrittsöffnung war ca.3x4 cm gross
musste ich erst wieder auf Krücken das Laufen lernen , konnte dann am 12.2. 45 das Verwundeten-Abzeichen entgegennehmen ,
Anfang März durfte ich schon etwas frei laufen und am 25.3. bekam ich noch einen 10 tägigen Heimaturlaub geschenkt .
So schön wie es war mal wieder die Eltern sehen zu können , es war doch ein trostloser Anblick , WHV zu fast 70 % zerstört , und
von meinen 6 Jugendfreunden waren schon 4 gefallen , davon 2 auf U-Boote . Am 30.3. erlebte ich noch den letzten grossen Luft-
Angriff auf Wilhelmshaven allein im Luftschutzkeller unseres Wohnhauses , als ca. 40 meter entfernt die letzte 250 Kg-Bombe eines
Teppich-Abwurfes explodierte und ein Wohnhaus schräg gegenüber vom Marine-Bekleidungsamt schwer beschädigte , da ging mir
ganz schön die Muffe , das Haus schwankte wie ein Schiff auf hoher See .
Am letzten Urlaubstag meldete ich mich beim Spiess in der Jachmannkaserne , da ich einen neuen Marschbefehl benötigte , diesen
erhielt ich dann von der 1. SSt.Abt. Friedrichsort,so wurde von mir aus einem Grenadier wieder ein Matrose , doch konnte ich wegen
stetiger Umorganisation auch nicht zum Gefreiten ernannt werden . In Kiel erhielt ich wieder Knarre und Ausrüstung und wurde in
einem schon bestehendem Zug eingegliedert . Es war wohl an einem Sonntag , dem 14.4. als ich Ausgang bis 22:00 bekam und
mit dem Fährboot von Friedrichsort nach der Anlegestelle Kiel-Bellevue fuhr um mich dort umzusehen , die Rückfahrt sollte dann lt.
Fahrplan gegen 19:30 erfolgen , das klappte jedoch nicht ,da auf der Förde Nebel aufzog und das Boot nicht auslaufen konnte,
so machte ich mich nun langsam auf dem Weg zu Fuss nach Friedrichsort , hier traf ich dann gegen Mitternacht ein , der Posten
informierte sogleich den UvD wegen Zeitüberschreitung . Auf meiner Stube angekommen,war ich nur noch allein ,da der Zug gegen
23:00 feldmarschmässig in Richtung Waren-Müritz die Kaserne verliess . Am Morgen um 7:00 wurde ich zur Schreibstube gerufen wo mich der Spiess erst mal zur Schnecke gemacht hat und mir unerlaubtes Entfernen von der Truppe vorwarf , konnte ihm dann
aber den Sachverhalt erklären , so dass ich am 16.4. mit 30 Führungsbüchern im Gepäck (nur meins war nicht dabei) die Reise nach
Waren-Müritz antrat , wo ich erst 2 Tage später eintraf , denn die Jabos der Allierten griffen immer wieder die Lokomotiven an , so
dass die Züge dann stundenlang stehenblieben bis eine neue Lok ankam , es war eine tolle Leistung der Reichsbahn,wie sie unter
schwierigsten Bedingungen den Verkehr noch halbwegs aufrecht erhalten konnte .
Als ich mich beim Spiess in Müritz meldete , es war auch eine Bereitstellungsabteilung der 1.SSt.Abt. , teilte er mir mit , dass mein
Zug bereits abkommandiert und in eine Marine-Infanterie-Abteilung integriert sei und weiter nach Osten verlegt wurde . Um den
24.4. war bereits das Artilleriefeuer der Roten Armee zu hören die sich bereits Neu-Brandenburg näherten . Am 28.4. kam die Order
alle wichtigen Unterlagen und Ausrüstungen im Barackenlager zu zerstören ,es waren nur noch 4 weitere Matrosen im Lager die
zusammen mit dem Spiess diese Aufgaben erledigten . Am 30.4. kam ein Oblt. zu uns und teilte mit , dass wir das Lager verlassen
und uns in Richtung Westen absetzen sollen , es wurde auch höchste Zeit , denn am 1. Mai rückten bereits russische Streikräfte in
Waren kampflos ein . So marschierten nun meine 4 Kameraden und ich gen Westen wo wir am 1.5. ohne Bewaffnung den ersten
Kontakt mit einer Vorhut des XVIII. US-Korps westlich von Parchim hatten , fuhren mit ihrem Jeep jedoch weiter . Am 2.5. erreichten
wir nach ca. 60 Km Fussmarsch das Auffanglager vor der Stadt Hagenow , farbige Amis nahmen uns hier in Empfang und filzten uns
von oben bis unten , auch geklaut wurde einiges , sogar mein Fleischorden . Auf einer eingezäunten Wiese waren weit über 100
Soldaten festgesetzt und täglich kamen mehr dazu , die Wehrmacht war schon in der Auflösung begriffen . Man gut , dass wir noch
eine Notverpflegung bei uns hatten , denn zu Essen gab es in diesen Tagen nichts . Um den 5. Mai übergaben uns die Amis den
Engländern , die uns in Güterwagen nach Heiligenhafen und weiter auf die Insel Fehman brachten , dort wurden wir in einem
grossen Zeltlager vor dem Ort Burg untergebracht . Für Ordnung und Disziplin in den Zelten mit ca. 25 Schlafplätzen sorgten die
Unteroffiziere der Wehrmacht , von den britischen Soldaten war nichts zu sehen . Die Verpfegung war miserabel und zu allem
Überdruss machten sich auch noch die Läuse breit bis zu den Kopfhaaren , abends wurden die Biester dann zwischen beiden
Daumennägeln geknackt , aber das Jucken nahm kein Ende . Mitte Juni 45 wurde die erste Gruppe zur Entlassung aufgerufen,
es waren die Landwirte , auch ich meldete mich und gab an, dass mein Onkel in Ostfriesland einen grossen Bauernhof hat, es war
eine Gruppe von ca. 20 Soldaten die von Heiligenhafen per LKW zum Entlassungslager vor EUTIN gebracht wurden . Zuerst wurden
wir von den Läusen befreit mit einer grossen Ladung DDT-Pulver, das mit einer grossen Pumpe von oben bis unten verabreicht
wurde , war das eine Erlösung . Auch hier hatten wieder die Feldwebel der Wehrmacht das Sagen , diese nahmen auch die Daten
auf und erstellten die Entlassungsliste,als ich mein Soldbuch vorlegte wurde ich gleich fertiggemacht , ich gehöre doch alsElektriker
zu den Bauhandwerkern , dies ist die 2.Gruppe , also zurück auf Fehmarn , doch diesen Befehl führte ich nicht aus . Man hätte nun
leicht abhauen können , aber ohne Zivil-Kleidung war es schwierig , da wäre man nicht weit gekommen .
Aber ich hatte mal wieder Glück , nach einigen Kilometern Fussmarsch sahe ich neben der Strasse einen Bauernhof,vor der Scheune
konnte ich jemand ausmachen der in blauer Marine-Uniform sich bewegte , als ich näher kam war es ein Bootsmann der ca. 30
Solaten der Marine betreute , die hier einquartiert waren , ich schilderte ihm mein Problem mit der Bitte um hier bleiben zu können ,
ich gab ihm mein Soldbuch und so bekam ich noch einen Schlafplatz mit Stroh oben auf dem Tennenboden , es war ein lustiger
Haufen mit netten Kameraden . Um den 20.7. wurden nun auch die Bauhandwerker zur Entlassung aufgerufen und so begab ich
mich zum Lager nach Eutin , diesmal klappte es besser und so erhielt ich den Entlassungsschein von einem britischen Offizier
ausgehändigt . Mit Mannschaftswagen der britischen Streitkräfte ging es nun über Oldenburg nach Wilhelmshaven wo ich am 27.7.
im Kreis der Familie gelandet bin , damit war dann das Kapitel Wehrmacht für mich beendet . Bereits Anfang August hatte ich
wieder Kontakt mit der Marine , als ich auf der Werft meine Tätigkeit aufnahm mit der Wiederherstellung der Energieversorgung ,
doch leider ohne Perspektive , nach dem Kontrollratsbeschluss wurde die Werft plattgemacht , so dass ich Mitte 1947 von der
Werft Abschied nahm und auch von meiner Heimatstadt .
Das war die Wiedergabe der Geschehnisse , die sich in meiner relativ kurzen Dienstzeit im letzten Kriegsjahr ereignet haben . Der
Bitte einiger Forumskollegen , doch etwas aus dieser Zeit hier einzustellen bin ich nur zögerlich gefolgt , da ich nicht direkt in
Kampfhandlungen verwickelt wurde und somit nichts Dramatisches als Frontkämpfer erlebt habe .
Sollte ich somit die Erwartung einiger Kollegen nicht entsprochen habe, bitte ich diesbezüglich um Nachsicht .
Als Anlage füge ich noch einige Fotos hinzu .

Halina ( Günter Seiss )