Strategie der Reichs- und Kriegsmarine

Begonnen von ufo, 12 Januar 2006, 17:39:10

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ufo

Ja – ich fange mal mit dem Schuldbekenntnis an:
Ich gestehe, dass ich bei so einigen Kriegsmarineschiffen finde, dass die vollkommen unnütz waren. Andere finde ich ausgesucht fehldesigned. Wieder andere finde ich entschieden überzüchtet.
Ich sehe da nix von der so gern beschworenen kleinen aber feinen Hightech-Marine, die immer mal aus der Mottenkiste geholt wird.

Aber!

Solche Kritik sollte einen nicht verleiten jeden Sinn und jedes Konzept in der Reichs- / Kriegsmarine zu übersehen. Der Autor Knut Stang behauptet in seiner Arbeit "Das zerbrechende Schiff" die Bauten der Reichs- und Kriegsmarine haben letztendlich nur einem Selbstzweck gedient ohne jedes strategische Konzept. Die Schiffe wurden, so argumentiert er, gebaut, um der Marine Willen. Eine Marine ohne Schiffe ist keine Marine. Also mussten Schiffe her.
Nun. Dafür hat er immerhin einen Doktorhut ergattert. Na, ja; muss wohl auch – ähm – interessante Dissertationen geben.

Zumindest verleitet obige Kritik an den Dampfern der Kriegsmarine einen leicht dazu zu folgern, die Strategen am Ruder hätten Tirpitz'schen Hochseeflottenträumen nachgehangen. Nichts gelernt aus vier Jahren Seekrieg. Wirkt der Z-Plan nicht fast wie eine Blaupause hingemalt von Tirpitz  Geist?

Ist Modernität nicht erst mit Doenitz eingezogen in die Deutsche Marine?! Sieht das Konzept von 1944 nicht fast schon aus wie die Bundesmarine von 1966!

Tja – Raeder? Nix gelernt?

Recht frisch erschienen:


"Raeder versus Wegener, Conflict in German Naval Strategy"
Kenneth P. Hansen
Naval War College Review, Autumn 2oo5, Vol. 58, No.4, 81 – 1o8

Der Autor rollt die Geschichte von Hinten auf. Die Crew-Kammeraden Wegener (u. a. Autor von "Die Seestrategie des Weltkrieges") und Raeder (bekannt, oder?) waren lange und gut befreunded und zerstritten sich schlussendlich dann doch über – ja, über sehr, sehr grundlegende Fragen der Deutschen Marinestrategie.

Wegener hing sehr dem Konzept der Entscheidungsschlacht an, wie auch Mahan sie vordenkt. Anders als Tirpitz sieht Wegener aber, dass die Schiffe den Krieg zum Gegner tragen können müssen.
Auch wenn die Royal Navy eine entschieden aggressive Tradition pflegte, so war eben nicht der geringste Grund da überhaupt eine Flottenschlacht zu veranstalten.
Wegener schlägt vor nach Norwegen und auf die Shetlands vorzudringen. Das zeigt zwar ein deutlich weitreichenderes Denken, als Tirpitz das an den Tag gelegt hat. Der Grundgedanke dieser Operationen ist aber bei ihm immer die Royal Navy zum Alles oder Nichts Schowdown zu zwingen.

Die Ideen, zumindest die Kritik an Tirpitz Risikostrategie fand schon vor 1918 (!) viele offene Ohren und durchaus Lob. Nicht so beim Crew-Kameraden Raeder! Der arbeitet eifrig daran die Publikationen seines Freundes zu unterbinden, zu sapportieren und zu untergraben.

Warum? Welcher Schule nun hing Raeder an?

Hansen zeigt wie sich Raeders Denken von Seestrategie entwickelt genau zwischen Mahan'schem Seemachtdenken auf der einen Seite und dem Kreuzerkrieg mit leichten Einheiten der 'Jeune Ecole' auf der anderen Seite. Er folgt darin den Fussstapfen eines Französischen Seestrategen.

Angriffe weniger oder gar einzelner Einheiten in einem Kriegsschauplatz können die strategische Lage in einem Theater auf der anderen Seite der Erde verändern! Das denkt nicht nur bis Norwegen, das denkt weltweit. Kreuzerkrieg ist auf einmal nicht nur eine Unterbrechung des gegnerischen Seehandels sondern massgeblich eine Diversion gegnerischer Einheiten.
Zu Papier gebracht wurde die Idee zuerst von einem Franzosen, der sich frug wie man als Mittelmacht wohl gegen die Royal Navy bestehen könnte. Raeder fügte die aus unterschiedlichen Einheiten zusammengesetzte Task Force als schlagkräftigeren und viel flexiebleren Nachfolger des homogenen Geschwaders hinzu mixte das zu einem sehr fein geschliffenen und polierten Konzept.

Der Autor zeigt dann wie aus Strategie Schiffe werden, Schiffe, die mal die Rolle des Störenfriedes in fernen Gewässern spielen können und die dann wieder an andere Stelle Teil einer modernen Task Force sein können.

Bei der Bewertung der Panzerschiffe stützt sich Hansen meiner Meinung nach zu sehr auf Grove, "The Price of Disobedience" und unterbewertet die strategischen und politischen Auswirkungen der Panzerschiffe.

Inssgesammt aber streicht er vor allem eine Eigenheit heraus – Reichweite! Strategische Flexibilität durch Reichweite.

Selbst die gehassliebten Hochdruckheissdampfanlagen (mit solch einem Wort kann man Angelsachsen immer das Deutschlernen vergraulen) bewertet er als vom Konzept her richtig!
Die bestehenden Anlagen der US Navy gaben wirklich Anlass zu hochtrabenden Hoffnungen. Dass im Z-Plan dann wieder Diesel en masse auftauchen ist seines Erachtens lediglich ein Zugeständnis an bedauerliche Ingenieursprobleme.  

Damit aber versinkt auch der Task Force Gedanke in den Weiten der See. Die Deutschen Zerstörer sind mit Hängen und Würgen imstande Narvik zu erreichen. Ende der Fahnenstange.

Und die Hippers ...

Hansen geht dann ganz ausgibig ein auf die Dampfer, die sich meines Erachtens nach (mit Abstand noch vor den Panzerschiffen) die Goldmedallie eingefahren haben was Deutsche Reichs- und Kriegsmarineentwicklungen betrifft ... die Trossschiffe! (zwei oder drei 's'?)
(USS) Prinz Eugen haben die Amerikaner nach genauem begucken auf den Müll geworfen. Geblieben sind seine Kanonen und sein Flugzeug als Museumsstücke.
Dithmarschen hingegen ist als USS Conecuh die Grossmutter der US Naval Fleet Oiler geworden, ausgibig getrestet und probegefahren nach dem Krieg hat sie zahllose Details an ihre Enkel vererbt.

Das ein Oiler nicht einfach nur lahm und träge Treibstoff durch die Gegend schleppen kann sondern gleichzeitig Aufklärer, Hospital, Werkstatt, Lagerschuppen, Gefangenenlager und wenn's not tut auch ma' Hilfskreuzer  sein kann, war ganz entschieden neu und eine ausgesprochen feine, scharfe und elegante Waffe im Seekrieg.

Vorbei die Zeit, da eine Seemacht Stützpunkte haben musste, um in fernen Gewässern strategisch operieren zu können.



Nach dem Lesen von Hansens Artikel wirken die Deutschen Dampfer etwas mehr aus einem Guss. Nicht besser! Beileibe nicht! Aber man kann die Idee hinter den Schiffen sehen.
Ob's gut war?

Hansen streicht Operation Berlin als die Sternstunde Deutscher Seekriegsstrategie heraus. Da funktionierte alles genau, wie geplant. Das war genau der Seekrieg einer Mittelmacht, der einer Grossmacht so unendlich viel Kopfzerbrechen bereiten konnte.

Und er macht deutlich dass es für die Reichs- / Kriegsmarine mit den vorhandenen (oder nicht vorhandenen) Mitteln, in der politischen Landschaft (innen- wie aussenpolitisch) das mit Abstand besste und schlagkräftigste Konzept war.


Ganz ausgesprochen lesenswert!


Ufo

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