Wie gelangten Geheimsachen von U 260 in Feindeshand?

Begonnen von Götz von Berlichingen, 17 September 2009, 00:09:29

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Götz von Berlichingen

Der Militärhistoriker Dr. Günther W. Gellermann beschreibt in einem Kapitel seines Buches Geheime Reichssache - Geheime Kommandosache. Rätselhafte Fälle aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges [Mittler, Hamburg - Berlin - Bonn 2002] die mysteriösen Vorgänge beim Untergang von U 260 durch Minentreffer am 12.03.1945 vor der irischen Küste.

Dabei sind dem irischen Geheimdienst, der sie an den OSS und dieser wiederum an die Briten weiterleitete, offenbar mit Ausnahme des KTB sämtliche Geheimsachen an Bord in die Hände gefallen, obwohl ausreichend Zeit vorhanden gewesen wäre, sie zu vernichten und dies vom Kommandanten auch per FT gemeldet wurde.

Dazu zählen u.a.:


  • Fronthinweise der Torpedoinspektion für U-Boote
  • Laufender Befehl Nr. 25 - Jan. 1945 Feindliche Minenlage in Op.-Gebieten um England
  • Laufender Befehl Nr. 32 - Jan. 1945 (Kurzsignale für den Fall des Angriffs auf und der Beschädigung eines U-Bootes
  • Reservehandverfahren Offizier R.H.V.
  • Schlüsselheft Nr. 17 zum R.H.V.
  • Tauschtafelweiser zum R.H.V. Offizier
  • Kenngruppenheft Nr. 5 zum Kurzsignalheft 1941
  • Kurzsignalheft 1944 - I Satzbuch
  • Kurzsignalheft 1944 - II Buchgruppenheft
  • Kenngruppenheft Nr. 7 zum Kurzsignalheft 1944
  • Doppelbuchstabentauschtafeln für Kenngruppen Kennwort: Meer
  • Funkspruchheft "Ursula" Ausgabe Juni 1944
  • Schlüsselheft F
  • Der Schlüssel M - Verfahren M Offizier und M Stab
  • E.S. - Tafel 4 Ausgabe August 1943 (»Mitnahme im Flugzeug oder in die vorderste Linie ist Landesverrat!«)

Viele der Schlüsselunterlagen gekennzeichnet mit: »Vorsicht! Wasserlösliche Farbe!«. Sie sind offenbar ohne mit Wasser in Berührung gekommen zu sein von den Iren erbeutet worden.

Der für die Ausführung des Vernichtungsbefehls verantwortliche II. WO Lt. z.S. G. Kuntze verweigerte lt. Gellermann die Beantwortung diesbezüglicher Fragen.

Die Geheimsachen befinden sich heute im Militärarchiv in Dublin, nachdem sie unmittelbar nach der Übernahme zunächst an die Amerikaner übergeben und von dort offenbar nur unvollständig wieder zurückgegeben worden waren.
Seltsamerweise sind einige Dokumente, die bis vor einiger Zeit im Militärarchiv Dublin lagerten, heute nicht mehr auffindbar. Gellermann wurden dieselben später entfernten Dokumente von einem irischen Journalisten, der sie seinerzeit noch kopieren konnte, zugänglich gemacht.

Gellermann schreibt zum Inhalt und der Bedeutung der Geheimdokumente für den Feind:

ZitatEs ist unstrittig, daß Geheimunterlagen von U 260 mit Ausnahme des KTBs des Bootes nicht vernichtet worden sind. Insbesondere Schlüsselunterlagen fielen so in die Hand des Gegners [die Schlüsselmittel brauchten nur kurzzeitig mit Wasser in Berührung zu kommen, um unleserlich zu werden]. Weshalb die Dokumente nicht vernichtet wurden, obgleich hierfür ausreichend Zeit zur Verfügung stand, da die Besatzung in aller Ruhe und geordnet ihr Boot verlassen konnte, bleibt unverständlich [der für die Vernichtung der Geheimunterlagen zuständige Offizier, Lt. z.S. Kuntze, gibt hierzu keine Auskunft]. Die Frage, ob dadurch, daß nun diese geheimen Unterlagen vom Gegner verwendet werden konnten, zusätzliche Gefahren für die im Einsatz befindlichen deutschen U-Boot-Männer entstanden, muß bejaht werden. Die folgenden beiden Befehle aus der geheimen Kommandantenmappe von U 260 waren dem Gegner sicherlich unbekannt, weil sie erst im Januar 1945 erteilt wurden:

Der »laufende Befehl Nr. 32 - Januar 1945« gab dem Gegner Kenntnis von den Kurzsignalen, die von den deutschen U-Booten bei Angriffen seiner Streitkräfte abgegeben werden sollten. Hierunter befanden sich auch vier Signale, die den Umfang der bei diesen Angriffen erlittenen Beschädigungen angaben:

  • UIVJ - "Bin leicht beschädigt"
  • UITH - "Bin beschränkt tauchklar"
  • UIUI - "Bin tauchunklar"
  • UIWK - "Bin tauchunklar und manövrierunfähig"

Diese Kenntnis vom Erfolg seiner Angriffe war für den Angreifer geradezu eine Aufforderung, diese bis zur völligen Vernichtung des Bootes fortzusetzen. [...]

Auch die Ermahnungs-, bzw. Erfahrungs-Funksprüche des BdU, die sich unter den Geheimsachen von U 260 befanden, waren für den Gegner von großem Nutzen [ab der zweiten Kriegshälfte (1944 rd. 130 Stück) wurden vom BdU diese sog. Erfahrungs- bzw. Ermahnungsfunksprüche an die im Einsatz befindlichen U-Boote gefunkt. In ihnen wurden für wichtig gehaltene Erkenntnisse von Kommandanten wie Abwehr- und Minenlage in bestimmten Einsatzgebieten den anderen U-Boot-Kommandanten mitgeteilt]. Er gewann hier die Möglichkeit, seine von den Deutschen in bestimmten Gebieten erkannten Abwehrmaßnahmen umgehend zu verändern. [...]

Vgl. Erfahrungs-FT Nr. 136 vom 9. Januar 1945: »Interesse des Gegners an neuen Einrichtungen, Schlüssel M und Schlüsselmittel ist so groß, daß er mit allen Mitteln versucht, auf tauchunklare, manövrierunfähige, teils sogar sinkende Boote zu kommen. Lehre: Muß [Boot] kampf- und manövrierunfähig in der Nähe von Feindstreitkräften zum Aussteigen der Besatzung auftauchen, sofortiges Sinken unter allen Umständen mit letztem Einsatz sicherstellen.« [...]

Auch diese Unterlage fiel in die Hand des Gegners. Der BdU mußte nach dem FT von Becker [Kmdt. U 260] vom 12. März 1945, 22:30 Uhr, davon ausgehen, daß die Geheimunterlagen von U 260 ordnungsgemäß vernichtet worden waren. Er konnte nicht wissen, daß dies nicht geschehen war und sich die Dokumente in den Händen der Gegner befanden. Aus diesem Grund konnten auch den U-Boot-Kommandanten keine entsprechenden Warnhinweise gegeben werden.

Kann jemand der hiesigen U-Boot-Experten nähere Aufschlüsse über diese mysteriösen Ereignisse geben?

MS

Vielleicht hilft diese Seite weiter

U 260

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Grüsse
:MG:

Götz von Berlichingen

@ MS:

Danke für den interessanten Hinweis.

Es bleibt jedoch weiterhin rätselhaft, weshalb die Geheimsachen nicht ordnungsgemäß vernichtet wurden.

Gellermann schreibt dazu in seinem Buch:

ZitatAufgrund des Sachverhalts (Operieren in flachem Wasser) hätte die jederzeitige Vernichtung der Schlüsselunterlagen bereits vorbereitet sein müssen.
»Bei Operieren auf flachem Wasser muß die Vernichtung der Schlüsselunterlagen vorbereitet sein, besonders Rotdruckunterlagen so lagern, daß Wasser hinzutreten kann.« BdU/GKdos. 3181 v. 1.8.1942/NA [S. 221, Anm. 168]

Der Freiwillige John O'Donovan war offenbar derjenige, der ein Schlauchboot von U 260 entdeckte und dieses mit seiner Lampe zu einer Landungsstelle leitete. Ihm wurde von Lt. Kuntze gesagt: »I am a Jerry from an U-Boat.« Ein anderer Deutscher sagte etwas von »Mine« oder »Minen«. Weitere Angaben wurden gegenüber Donovan nicht gemacht. [...]

Die Iren gewannen den Eindruck, als wenn das Schiff ohne jede große Eile aufgegeben wurde. Viele Besatzungsmitglieder hatten persönliche Dinge bei sich wie Nagelfeilen, Kämme und Zahnbürsten. Alle waren sehr gut mit Zigaretten ausgestattet. Offenbar wurde der gesamte umfangreiche Zigarettenvorrat des Bootes vor dem Verlassen des Schiffes an die Besatzung verteilt.

Am 15. März 1945 teilte Major I.P.O. Connel, G-2 Stab des Hauptquartiers der irischen Streitkräfte Südirland der G-2 Abt. des irischen Verteidigungsministeriums folgendes mit [Secret/Ref. NO.SI/781 G2 Staff Headquarters Southern Command Collins Barracks, Cork To: C.S.O. i./c. Departement of Defense, G2 Branch, Parkgate Dublin, 15 March 1945, Salvage of Items from Sea near Glandore on 13th March 1945, MA Dublin o. Sign.]:
»Zwei Fischer haben verschiedene Gegenstände aus dem Meer geholt. Darunter befand sich auch ein Metallbehälter, der sofort von Leutnant Gageby zum Hauptquartier der irischen Streitkräfte gebracht wurde.« [Gageby wurde am 18.10.1999 vom Verfasser brieflich um Auskunft über den Metallbehälter gebeten. Der Brief wurde leider nicht beantwortet.]

Dieser Behälter wurde von Herrn Scully, Union Hall Co., Cork, gefunden.
In einem Gespräch mit Hauptmann Galvin vom G-2 Stab berichtete Mr. Scully, daß er den Metallbehälter am 13. März 1945 gegen 17.00 Uhr im Wasser treibend ungefähr eine Meile südlich von Rabbit Island, das ist etwa eine Meile südwestlich der Einfahrt des Hafens von Glandore, gefunden habe. Er holte den Behälter an Bord, um ihn zunächst auf seinen Inhalt zu überprüfen. Nachdem er ihn geöffnet hatte, war er zunächst versucht, ihn wieder über Bord zu werfen. Dann überlegte er sich aber, daß der Inhalt vielleicht für die Militärbehörden von Interesse sein könnte. Er entschloß sich daher, den Behälter an Land zu bringen. [...]

Der Fischer meinte zu seinem Fund, daß der Behälter nicht länger als acht bis zwölf Stunden im Wasser getrieben sein könnte. Wegen seines Gewichtes und der ruhigen See wäre er auch nicht über eine größere Strecke bewegt worden.

Worin bestand der Inhalt dieses Metallbehälters? Handelte es sich tatsächlich um die geheimen Unterlagen von U 260? Leutnant Douglas Gageby wurde nach Südirland geschickt, um die angetriebenen Unterlagen sicherzustellen. Es handelte sich tatsächlich um die deutschen Kriegsmarinecodes und die weiteren geheimen Unterlagen von U 260. Diese wurden sofort an die Amerikaner (OSS) weitergegeben. [S. 36/37]

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