Die Volksmarine aus Sicht der U.S.Navy-Vertretung in West-Berlin

Begonnen von der erste, 23 Dezember 2011, 11:09:21

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der erste

Na ja, so schlimm war das aber auch nicht. Alle Waffensysteme, die wir hatten, waren aufgeklärt. Schiffe der sowj. Flotte fuhren damit über die Weltmeere und wurden von allen anderen beschattet und fotografiert. In See sah man sich auch öfter,und durch die Bundesmarine wurden wir ja auch beschattet. ich denke da nur an "Daphne", die immer da war wo wir waren. Aber ich denke mal, das das zuhängen und verkleben der Fenster auch etwas damit zu tun, das auch Schemen und Wandbilder aufgehängt wurden, die man nicht unbedingt sehen sollte. Ein Beispiel unserer, allerdings auch sicherlich übertriebenen Geheimniskrämerei, ist folgendes: Als die ersten RS-Boote 1962 nach Peenemünde- Nord kamen, wurden sie mit Netzen und Planen verhüllt, um sie faktisch uneinsehbar zu machen. Allerdings wußte man zu dem Zeitpunkt nicht, das sie schon auf dem Transport, bzw. der Überfahrt in die DDR aufgeklärt wurden.
Ich stelle hier mal einen Vortrag ein, der sicher so nicht bekannt ist, welcher aber die amerikanische Einschätzung der DDR Marine wiedergibt. Er wurde 2001 gehalten und steht seit 2002 auf unserer www.mkbug.de Homepage zur Verfügung, allerdings im internen Teil, aber das hier ist ja auch intern. Die angesprochene Schließungszeremonie im Hauptquartier in Berlin liegt mir auch in CD Form vor.

Die Volksmarine aus Sicht der U.S.Navy-Vertretung in West-Berlin

Mit einem feierlichen militärischen Zeremoniell wurde am 29. Juli 1994 im Hauptquartier der amerikanischen Truppen in Berlin-Dahlem die Dienststelle der U.S.Navy geschlossen.
Sie hatte dort, wenig bekannt, 49 Jahre als Teil der U.S.Besatzungstruppen bestanden. Die politische Entscheidung, mit sämtlichen Waffengattungen in der früheren Reichshauptstadt präsent zu sein und von dort aus Besatzungsrechte für Deutschland in den Grenzen von 1937 auszuüben, wurde von allen amerikanischen Nachkriegsregierungen getragen.
Der in West-Berlin stationierte Vertreter der U.S.Navy, in der Regel ein Fregattenkapitän, hatte stets zwei Funktionen: Er war als Teil der U.S. Streitkräfte dem Stadtkommandanten beigeordnet und truppendienstlich dem Oberbefehlshaber der amerikanischen Marine für Europa in London unterstellt. Als Verantwortlicher für den Nachrichtendienst der U.S.Navy in der Viersektorenstadt unterstand er dem Director of Naval Intelligence (DNI), also dem Chef des Marinenachrichtendienstes, in Washington. In dieser Funktion war er für die Beschaffimg von Informationen aus dem anderen Deutschland und den früheren Ostgebieten zuständig. Der bei der Schließungszeremonie anwesende Vertreter des DNI hat in seiner Ansprache diesen Bereich besonders gewürdigt und damit zugleich die Erlaubnis erteilt, ihn öffentlich zu machen. Mein Kurzvortrag wird sich nur mit der nachrichtendienstlichen Seite der U.S.Navy in Berlin befassen, allerdings mit der Einschränkung, daß damit keine amtlich autorisierte Stellungnahme vorgetragen wird. Ich werde kurz auf die Vorgeschichte der U.S.Navy Dienststelle bis zur Mitte der 60er Jahre eingehen, um mich dann mit der Entwicklung der Volksmarine nach der Übernahme der dritten Generation von Karnpfschiffen aus der Sovjetunion, am Ende des Jahres 1962, zu beschäftigen. Die Einbindung der Volksmarine in das Herrschaftssystem der DDR, ihr Kampfauftrag, die ,,Mission", die Gliederung, Ausbildung und deren Einschätzung durch die U.S.Navy sollen folgen. Ein Resumee und ein paar persönliche Anmerkungen werden den Abschluß bilden.
Lassen Sie mich mit der Vorgeschichte der U.S.Navy in Berlin beginnen. Mit den ersten Besatzungstruppen zogen im Juli 1945 auch Angehörige des Nachrichtendienstes der U.S.Navy in Berlin ein. Sie bildeten bis Ende 1955 einen Teil der dem Commander Naval Forces Germany (CONMAVGER) unterstellten Einheiten und waren danach dem operativen Nachrichtendienst in unterschiedlichen Organisationsformen, meist aber als Unterabteilung einer Task Force , unterstellt.
Captain Arthur H. Graubart, der inzwischen einen legendären Ruf als Ziehvater der Naval Historical Group in Bremerhaven und Initiator der Neugrüindung der westdeutschen Marine besitzt, hat den Nachrichtendienst von Berlin aus aufgebaut. Er bediente sich dabei der Hilfe von ehemaligen Angehörigen der Kriegsmarine, früheren Mitarbeitern der Rüstungsindustrie und von sprachgewandten Kaufleuten. Es gab auch eine baltische Baronin aus der Abwehr des Admiral Canaris, deren Kenntnisse der russischen Mentalität und Sprache unerreicht blieben.
Die rund 6000 Zivilangestellten bei den Alliierten wurden aus Mitteln für die Besatzungskosten in Anlehnung an den Öffentlichen Dienst bezahlt, unterstanden deutschem Arbeitsrecht, waren aber dienstrechtlich der jeweiligen Beschäftigungsstreikraft unterstellt.
Unter den Bedingungen des geteilten Deutschlands, aber der offenen Grenze, gelang mit den nachrichtendienstlichen Mitteln dieser Zeit eine so umfassende Aufklärung der Seepolizei, VPSee und der Seestreitkräfte der NVA, daß Admiral Verner resigniert feststellen mußte: "Der Klassenfeind weiß alles." Richtig ist, daß er fast alles wußte. Von der Mitte der 60er Jahre an, als die Selbstisolierung der DDR endgültig wirksam wurde, stammten die Informationen über die Volksmarine, in der Tagesroutine East German Navy, EGN, genannt überwiegend aus offenen Quellen. Sie wurden ergänzt durch die aktuellen Erkundungen der Flotte und des Marinevertreters in der Potsdamer Militärmission, durch Flüchtlingsaussagen und den Austausch unter den westlichen Nachrichtendiensten. Da man davon ausgehen kann, daß rund 80 % aller von Nachrichtendiensten gesammelten Meldungen aus offen zugänglichen Quellen stammen, war diese Washingtoner Entscheidung verständlich. Mit hohem Personal- und Kostenaufwand, insbesondere durch den Einsatz moderner EDV- und Kommunikationsrnittel, konnte so ein hinreichendes Wissen über die Volksmarine, die Seewirtschaft, die Infrastruktur der Nordbezirke, über die Forschung und Entwicklung und auf anderen Gebieten gewonnen werden. Diese Grunddaten, sogenanntes "raw inteffigence material", wurde dann zur Auswertung an die U.S.Navy und an die übergeordneten Nachrichtendienste weitergeleitet. Von dort erfolgte ein "feed back", eine Bewertung und spezielle Forderungen.
Egon Bahr hat in seinen Lebenserinnerungen"Zu meiner Zeit" einen weitergehenden Auftrag enthüllt. Bei seinen Verhandlungen über den Status von Berlin wurden die Nachrichtendienste der Sowjetunion und der USA eingeschaltet. Henry Kissinger verließ sich dabei auf den Apparat der U.S.Navy, weil er die eigentlich dafür zuständige Central Intelligence Agency (CIA) für nicht "dicht genug" hielt.
Bleibt die Frage zu stellen, warum sich die seit dem 2. Weltkrieg zur größten Seemacht der Geschichte aufgestiegene U.S.Navy für eine Küstenmarine in einem Binnenrandmeer des Atlantik interessierte. Die Verantwortung für das besiegte Deutschland wurde bereits erwähnt. Wichtiger war die Möglichkeit, die Volksmarine als nachrichtendienstüche Quelle für das sowjetische Vorbild zu nutzen. Die Organisation, Ausbildung und Waffentechnik der Volksmarine waren überwiegend sowjetischen Ursprungs, die operative Arbeit der Stäbe an der Roten Flotte orientiert. Die Kommandeure der Volksmarine hatten fast ausnahmslos sowjetische Militärakademien absolviert, ihre Führung entsprach also weitgehend dem Stil und Inhalt ihrer Lehrmeister. Es galt also Mosaiksteinchen für einen weltweit operierenden Nachrichtendienst zu beschaffen. Über die Kenntnis der Struktur der Volksmarine wurde auf diese Weise die Funktion eines Stabschefs in der sowjetischen Flotte geklärt, die Konstruktionstauchtiefe von Nuklear-U-Booten der ersten Generation über einen Leningrader Unterauftrag an das Wolgaster Institut für Schiffbau ermittelt und während der Kuba-Krise die Frage nach dem Aktionsradius der Torpedoschnellboote des Projekts 183, im Westen P-6 genannt, beantwortet. Beispiele diese Art ließen sich beliebig vermehren.
Ein weiterer Grund die Volksmarine im Auge zu behalten bestand darin, daß den Deutschen im Osten soviel innovative Tüchtigkeit zugetraut wurde, aus der "Russentechnik mehr herauszuholen als im Grundkonzept vorgesehen. Überraschungen dieser Art sollten nicht eintreten.
In der Dienststelle der Navy gab es ein Lagezimmer mit den Einrichtungen, die jedem Stabsoffizier geläufig sind. Auf einer großmaßstäblichen Seekarte der südwestlichen und mittleren Ostsee, die wegen der höheren Qualität vom SHD der DDR stammte, waren für die DDR-Küste die Territorialgewässer und die Grenze zwischen den Operationszonen der 1. und 4. Flottille auf der Höhe Darss-Moen eingetragen. Die Küstenbeobachtungsstationen von Barendorf bis zur Greifswalder Oie, die Stützpunkte der Flottillen und ihre Ausweichhäfen, der Bestand an Kampf- und Hüfsschiffen, Hubschraubern etc. in der "Naval Order of Battle", der NOB. Ferner das Kommando in Rostock-Gehlsdorf, seine Führungsstelle in Tessin und alle anderen Einheiten und Einrichtungen, deren Aufzählung ich mir hier erspare. Dazu wurden die taktischen Zeichen der Volksmarine benutzt. Schautafeln und Graphiken demonstrierten die jeweils aktuelle Lage, Film- und Videogeräte erlaubten die Vorführung bewegter Bilder. Muster von Erzeugnissen der Militärpresse wurden ausgelegt. Lagevorträge wurden für hochrangige Militärs und Mandatsträger ausgearbeitet, dabei mit mehr oder weniger Schaueffekt gearbeitet. (Die Mai-Parade blieb hierfür beliebt, insbesondere das Vereinte Orchester der NVA im Stechschrittl). In der Regel wurde nach der Erläuterung der Militärgeographie des Ostseeraums das Regierungssystem der DDR erklärt. Bei den Vertretern parlamentarischer Demokratien erzeugte die innige Verbindung von Partei- und Staatsmacht Beklemmungen. Ein Militär als Verteidigungsminister, der zugleich im Politbüro Sitz und Stimme hatte, verwies auf eine im Westen unbekannte Machtfülle. Wurde dann berichtet, daß der Chef der Volksmarine zugleich Stellvertreter des Ministers und Mitglied des Zentralkomitees der SED, damit in der Nomenklatur zwar etwas niedriger, aber eben doch mit erheblichem Einfluß auf die politische Wülensbildung versehen war, konnte das schon nicht mehr überraschen. Perplex waren aber alle, wenn berichtet wurde, daß der Chef der Volksmarine im siebzigsten Lebensjahr stand und sein Amt seit 29 Jahren ausübte. Amerikaner, die fest an die Auffrischung durch Rotation glauben, konnten dies kaum fassen.Die Frage, ob durch die Vergreisung der Führung Frustrationen im nachrückenden Offizierskorps potenziert wurden, konnte nicht mit Sicherheit beantwortet werden. An "Obristenaufstände" in der Volksmarine glaubte jedoch kein Nachrichtenoffizier. Irritationen kamen auch auf, wenn die Frage nach der tatsächlichen Führung der Volksmarine angesprochen wurde. Das Organisationsdiagramm zeigte den Chef umgeben von sowjetischen Marineoffizieren als Vertreter des Warschauer Pakts, von der Politischen Verwaltung und den Vertretern des Ministeriums für Staatssicherheit in der Verwaltung 2000. Welche Rolle spielte der Militärrat? Wer bildete die erweiterte Leitung der Volksmarine? Eine befriedigende Antwort auf diese Frage hat es erst nach der Wende gegeben: Der Chef der Volksmarine führte ausschließlich nach den Weisungen des Ministers.
Mit Unverständnis wurde auch auf die Meldung reagiert, daß automatisierte Führungssysteme in der Volksmarine kaum vorhanden waren, die Entwicklung derartiger Anlagen um Generationen hinter vergleichbaren des Westens zurücklagen. Der damit verbundene Rückstand in der Reaktionsfähigkeit wurde mit Erleichterung registriert, alle Bemühungen zur Aufholung auf diesem Gebiet aber mit hoher Priorität verfolgt.
Weiteres Erstaunen rief die Durchdringung des Staatsapparates durch das Militär hervor. Die Hauptabteilung 1 in der Staatlichen Plankommission, beim Finanzminister und in allen wichtigen Industrieministerien erzeugten den Eindruck einer perfekten Militarisierung der Staatsgewalt und der Gesellschaft mit ihren ausgedehnten paramilitärischen Institutionen. Wurde die Frage der Finanzierbarkeit dieses Aufwandes angesprochen, mußte auf den amtlich veröffentlichten Verteidigungsetat verwiesen werden. Allerdings wurde hinzugefügt, daß ein großer Teil der Rüstungsausgaben in anderen Etats versteckt waren. Ein Prokopfvergleich der Rüstungsaufwendungen der DDR mit westlichen Staaten war wegen der Währungsumrechnung schwierig.
Die Darlegung der Aufgaben der Volksmarine war einfach. Dazu gab es vielfältige Stellungnahmen in amtlichen und propagandistischen Veröffentlichungen, an deren Wahrheitsgehalt kein Zweifel bestand. Die Volksmarine war eine in den Warschauer Vertrag eingebundene Koalitionsmarine zum Schutz der Küste der DDR und verfügte darüber hinaus über ein begrenztes Offensivpotential. Dafür sprach, daß die Masse der Kräfte nicht zentral vom Kommando geführt wurde und in der 1.und 4. Flottille für den Einsatz im Küstenvorfeld ausgerüstet und ausgebildet war. Die Unterstellung einer Landungschiffsbrigade unter die eine und einer Korvettenbrigade unter die andere Flottille änderte daran wenig. Allerdings wußte man, daß die Minensuch- und Räumschiffsverbände am Ende ihrer Verwendungsfähigkeit angekommen und Ersatz nicht in Sicht war. Ob zur Überwindung der Lücke, bis zur Indienststeflung eines in der Entwicklung befindlichen schwachmagnetischen Küstenminensuchers an einen Import aus der SU gedacht war, blieb ungewiß.Die U-Jagdkomponente der Volksmarine war nach der Indienststellung der 16 Schiffe des Projekts 133. 1, der "Parchim'-Klasse, relativ modern. Ob der auf diesen Schiffen mitgeführte U-Jagdtorpedo tatsächlich über Flachwassereigenschaften verfügen würde, wurde bezweifelt. Ein Schwachpunkt war mit Sicherheit die aus der SU gelieferte Antriebsanlage. Es wurde auch bekannt, daß der Export eines waffentechnisch stark verbesserten "Parchim" an die Baltische Flotte zu Diskussionen über den Stellenwert der Waffenbrüderschaft geführt hatte. In einem häufig verwendeten Videofilm über die Landungsschiffe des Projekts 108, der "Frosch l"-Klasse, überzeugte die moderne Konstruktion und Bewaffnung dieses Schiffstyps. Wurde nach der dafür nötigen Marineinfanterie gefragt, mußte berichtet werden, daß ihre Aufstellung an der Teilstreitkräfterivalität mit der Armee gescheitert war. Ein an der Küste stationiertes Mot.-Schützenregirnent hatte die Aufgabe zu übemehmen. Noch größer war das Erstaunen, wenn nach den Marinefliegem gefragt wurde. Viele der Flagg- und Stabsoffiziere waren mit dem Dilemma der Kriegsmarine vertraut, die ohne eigene Fliegerverbände in den 2. Weltkrieg eintrat, weil Göring das Luftwaffenmonopol für sich beansprucht hatte. Eine Wiederholung dieses Fehlers hielt man für ausgeschlossen. Als überzeugte Vertreter des ,,Seekriegs aus der Luft", wurde deshalb die Überlebenschance der Kräfte der Volksmarine niedrig angesetzt. Die Zuführung des Jagdbombergeschwaders 28 nüt 20 Maschinen des Typs SU-22 M 4 kam spät und bis zur Wende blieb unklar, ob dieser Typ Punktzielwaffern Seezielraketen oder sogar Marschflugkörper hätte einsetzen können. Die U-Jagd- und Minenräumkapazität des Hubschraubergeschwaders 18 wurde, beim Fehlen eines ausreichenden Luftschirms, ebenfalls skeptisch beurteilt.
Mit großer Besorgnis reagierte man dagegen auf die Übernahme des Küstenraketensystems "Rubesh". Es war vor allen Dingen nicht gleich bekannt, welche qualiativen Verbesserungen die an die DDR gelieferte Variante besaß. Seit dem Golfkrieg, wo ähnliche Raketen chinesischer Herkunft ein besonderes Bedrohungspotential dargestellt hatten, war man an der vollständigen Aufklärung dieses Waffensystems stark interessiert. Vollständig ist dies aber erst nach der Wende auf dem Testgelände am Patuxent River in der Nähe von Washington geglückt. Dort ist auch ein Kleines Raketenschiff des Projekts 1241 Ä ("Tarantul l") ausgiebig mit unterschiedlichen Ergebnissen erprobt worden.
Das Offensivpotential der Volksmarine wurde in den Vorträgen breiter vorgestellt. Seit der
Einführung der Raketenschneilboote des Projekts 205 (" OSA-1"), der großen
Torpedoschnellboote des Projekts 206 ("Shershen') sowie der kleinen TS-Boote der ,,Jltis" und "Libelle"-Klasse sowie den später hinzugekommenen Kleinen Raketenschiffen des Flrojekts 1241 Ä, galt das besondere Interesse dieser Flottille. Auf der Bug-Halbinsel hatte sich eine elitäre Truppe von Schnellbootsfahrern und Raketenspezialisten herausgebildet. Die Zuführung der Raketenschnellboote hatte Ende 1962 unter großer Geheimhaltung begonnen. Sie wurden im Nordhafen von Peenemünde versteckt und waren doch schon vor ihrem Eintreffen in der DDR aufgeklärt. Die Führung der Volksmarine hätte also den Besatzungen die Unbeqemlichkeiten ersparen können, die mit der Geheimnistuerei verbunden waren. Seit dem Elath-Zwischenfall wußte man von der Wirksamkeit der "Styx"-Rakete, die im Osten P15 genannt wurde. Keine der NATO-Marinen besaß zu dieser Zeit eine vergleichbare Waffe. Das Unbehagen darüber in der Bundesmarine hat Admiral Ciliax in einem Aufsatz für das MGFA beschrieben. Hinzu kam, daß man von einem hohen Grad an technischer Zuverläsälgkeit bei diesen Raketen in deutscher Hand ausging. Der Parole: "Jede Rakete ein Treffer" wurde Glauben geschenkt und alle Anstrengungen unternommen, die P- 15 und ihre Nachfolgemuster P-21 /P-22 aufzuklären. Auch dieses Unternehmen war erfolgreich. Sorgen bereiteten Meldungen, daß mit großem Aufwand in der Akademie der Wissenschaften und in einigen Industriekombinaten an der Entwicklung einer modernen Schiff-Schiff-Rakete gearbeitet wurde. Zeiss Jena wurde zugetraut, einen auf der Höhe der technischen Entwicklung im Westen stehenden Zielsuchkopf zu bauen. Das für diese Raketen bestimmte Boot desProjekts 151, in der NATO als BALCOM 10 (Baltic Combatant 10) bekannt, wäre ein Angriffsrnittel neuer Qualität geworden, dessen Einführung bei der Volksmarine und dessen Export in die Warschauer Pakt-Staaten oder sogar nach Kuba und Vietnam Probleme bereitet hätte. Das Vorhaben ist an der wirtschaftlichen Misere in der DDR und an der Nichteinhaltung von Zusagen der somjetischen Seite gescheitert. Es hat zugleich die Grenzen aufgezeigt, die der Rüstungsindustrie der DDR in den 80er Jahren gesetzt waren.
Die meisten Analysten hielten den Dransker Stützpunkt der 6. Flottille für besonders luft- und minengefährdet. Die Dislozierung in vorbereitete kleine Häfen wäre mit Hilfe der Satellitenaulklärung rasch erkannt worden. Deshalb wurde der Beschaffung von Informationen über Mittel der Tarnung und Täuschung, das aufblasbare KTS-Boot vom Typ "Libelle" mit einer genau nachgebildeten Radarsignatur mag dafür als Beispiel dienen, hohe Priorität eingeräumt. Alle Mittel und Methoden der elektronischen Kriegführung, in der DDR, funkelektronischer Kampf' genannt, gehörten zu den Schwerpunkten der Arbeit als Zulieferer für einen anderen Nachrichtendienst der USA.
Taktische Varianten des Einsatzes der Stoßkräfte der Volksmarine waren in ihren Grundzügen bekannt. Sie orientierten sich gegen Ende der DDR an den Möglichkeiten der veralteten Raketenträger. Dabei wurde der Einfallsreichtum bewundert, mit der die Unzulänglichkeiten der Waffensysteme kompensiert werden sollten.
Die Kürze der Zeit verbietet das Eingehen auf andere Waffensysteme oder Einheiten derVM. Der beeindruckende Apparat des Chefs der Rückwärtigen Dienste, das Nachrichtenregiment und andere würden dazu gehören.
Das Kampfschwimrnerkommdo 18 in Kühlungsborn blieb ein Buch mit sieben Siegeln. Man ging davon aus, daß seine Ausrüstung auf der Höhe der westlichen Tauchtechnik stehen würde. Über Unterwassertransporter, Mini-U-Boote etc. hatte man kaum Kenntnisse. Es war auch unklar, ob Froschmänner der VM aus sowjetischen oder polnischen U-Booten an NATO Küsten ausgebootet worden wären, um als Kommandos sensible Stellen der Verteidigung der Ostseeausgänge lahm zu legen. Ungewiß blieb auch, ob es eine Arbeitsteilung unter den Kampfschwimmereinheiten der Verbündeten Ostseeflotte gab. Eine Antwort darauf lieferte erst die Nachwendezeit.
Aufmerksam wurde die Ausbildung des Personals der VM beobachtet, jede erreichbare Quelle danach befragt. Die Ausbildung an der Offiziershochschule in Stralsund , die den jungen Offizier nicht nur zur Führung von Menschen, Schiffen und Waffen befähigen, sondern auch zu einem treuen Anhänger des SED-Regimes formen sollte, hielt jedem Vergleich stand. Die Trennung der Laufbahnen von See- und Ingenieuroffizieren, in der U. S.Navy nicht üblich, hat an dieser Einschätzung nichts geändert. Die Laufbahn des Politoffiziers wurde mit der eines Verantwortlichen für die Truppenmoral verstanden. Daß überzogene Indoktrination eher Gegenteiliges bewirkt, wußte man aus weltweiten Erfahrungen sehr wohl. Die Nichtaufnahme von Frauen in die Offizierslaufbahn wurde, je nach dem Verständnis des Zuhörers für die Rolle der Frauenbewegung, positiv oder negativ betrachtet. Als eine Verschwendung von"human capital", d.h. von intellektuellem Sachverstand , wurde die bis zu fünf Jahre dauernde Weiterbildung an sowjetischen und anderen Akademien bewertet. Zwei Jahre reichen der U.S.Navy, um einen qulifizierten Stabsoffizier auszubilden.
Die Ausbildung von Wehrpflichtigen und Längerdienenden an der Flottenschule wurde ebenfalls positiv bewertet. Bei der Möglichkeit des Zugriffs auf quahlifizierte Facharbeiter eines Industrielandes, konnte man sich auch kaum Probleme bei der Rekrutierung von Nachwuchs in einer Wehrpflichtarmee vorstellen. Verwunderung rief gelegentlich die Tatsache hervor,daß die Ableistung eines längeren Wehrdienstes nicht mit Geld, sondern mit einer bevorzugten Zulassung zu einem Studienplatz verbunden sein konnte. Wehrmüdigkeit und Wehrdienstverweigerung wurden dagegen erst spät zur Kenntnis genommnen und offenbar in ihrer Auswirkung unterschätzt Wie wurde nun die Fähigkeit der VM eingeschätzt, ihren Auftrag zu erf'üllen? Trotz allerlei Bedenken über das tatsächliche Funktionieren der Zusammenarbeit der Verbündeten Ostseeflotten unter sowjetischer Führung, wurde diese Frage klar bejaht. Dazu hatte man die Manöver, Planspiele und Übungen sorgfältig verfolgt und ausgewertet. Insbesondere die Manöver "Waffenbrüderschaft" 1970 und 1980, die auf dem Gebiet der DDR stattfanden und in der propagandistischen Selbstdarstellung ein sonst unübliches Maß an Offenheit boten, haben dazu beigetragen. Eine bis über die Mitte der 80er Jahre hinaus gültige Strategie des Vorstoßes in Richtung Ostseeausgänge und Nordsee war in Manövern und Stabsübungen mehrfach geübt und verbessert worden. Dabei hätte die VM eine Aufgabe in der ersten strategischen Staffel zu lösen gehabt und wäre mit der Bundeswehr konfrontiert worden. Ob Deutsche unter diesen Umständen auf Deutsche schießen würden unterlag keinem Zweifel. Insgesamt wurde der VM ein hohes Maß an Professionalität und Einsatzbereitschaft
zuerkannt.
Der schrittweise Übergang auf eine defensive Strategie, nach 1987, mußte für die exportierte Lage der Volksmarine Konsequenzen haben. Ein neuer Chef der VM setzte die Reduzierung der überzogenen Bereitschaftsnormen, die aus Angst vor ,,jähen Wendungen" in der Sicherheitslage jahrelang praktiziert worden waren, durch. Politisch unabweisbare Reduzierungen der Streitkräfte und überproportionale Steigerungsraten bei den Mitteln für die Beschaffung von modernen Schiffen und Geräten ließen eine Änderung in der Zusammensetzung, Größe und Einsatzkonzeption der Volksmarine wahrscheinlich werden. Sie sind in vollem Umfang erst nach 1990 deutlich geworden.
Das Modell des "real existierenden Sozialismus" war Ende 1989 in der DDR gescheitert. Die Öffnung der Mauer überschwemmte die Nachrichtendienste mit Informationen, die in der Presse gelegentlich hysterische Züge annahmen. Ein großer Strom enttäuschter DDR-Bürger passierte die Aufnahmelager, um sich rasch eine Zukunft im Westen zu suchen. Unter ihnen waren auch Angehörige der VM und Reservisten aller Dienstgrade. Das Bild der Volksmarine begann sich zu runden, ohne wirkliche Überraschungen zu liefern. In Zusammenarbeit mit der Bundesmarine gelang schließlich die Entschleierung einiger militärischer Fakten, die für die U.S.Navy im GolfKrieg von hohem Wert waren.
Während der wirtschaftliche Niedergang der DDR die Fachleute im Westen nicht überraschte, verblüffte der rapide Zerfall der SED-Herrscha:ft und die Hilflosigkeit ihrer Führung. Deshalb bereitete die Frage Sorge, ob die Modrow-Regierung die NVA in der Hand behalten würde. Mit der Berufung von Admiral Hoffmann zum Verteidigungsminister hatte man jedoch eine gute Entscheidung getroffen, und auch Pastor Eppelmann war gut beraten, ihn als Chef der NVA zu behalten.
Mit der NVA wurde die Volksmarine aufgelöst und abgewickelt. Nur eine Handvoll ihrer Angehörigen bekamen die Chance, sich dem vereinten Deutschland zur Verfügung zu stellen. Bei den hierzu notwendigen Verhandlungen waren Statusfragen nebensächlich. Es ging insbesondere um die Versorgungsansprüche der Entlassenen und um die Sicherung einer bescheidenen Existenz für den jüngeren Personalbestand.
Sehr bald nach der Wende erlaubten Kontakte zu Offizieren der VM gegenseitigem Kennenlernen und sachliche Gespräche. Das Blau und Gold der Marine erwies sich auch hier als eine gute Basis für die Verständigung. Auf ausdrücklichen Wunsch des ranghöchsten Offiziers der U.S.Navy in Deutschland wurden deshalb zu der eingangs erwähnten Schließungszeremonie die beiden in Berlin lebenden Admirale der deutschen Nachkriegsniarinen eingeladen. Der westdeutsche Admiral sagte ab, Admiral Hoffmann wurde mit dem ihm zustehenden Protokoll für einen Dreisterneflaggoffizier begrüßt. Sein Beitrag für die friedlich abgelaufene Wende in der DDR sollte damit gewürdigt werden. Es ist einem amerikanischen Pohtikwissenschaftler vorbehalten geblieben, die Rolle der NVA bei der Wende zu analysieren. Dale R. Herspring, ein großartiger Kenner des Militärapparatesder DDR, der auch als Historiker bei der U.S.Navy beschäftigt gewesen ist, hat in seinem 1998 erschienenen Buch"Requiem for an Arrny" (Abgesang auf eine Armee) die Rolle der Militärs in den Tagen des Umbruchs gründlich untersucht und positiv bewertet. Deshalb hat er sein Buch"allen Angehörigen der NVA gewidmet, die durch ihre Unterstützung des friedlichen Übergangs zu Demokratie in einer Zeit großer Spannungen dazu beigetragen haben die deutsche Wiedervereinigung zu verwirklichen."
Gestatten Sie mir zum Schluß eine persönliche Bemerkung.
Der Soldatenstand hat es in Deutschland nicht immer leicht gehabt. Nach zwei verlorenen Weltkriegen jeweils geschmäht und verfolgt, haben viele in der DDR geglaubt nun einer gerechten Sache dienen zu können. Die Enttäuschung dieser Menschen ist deshalb besonders bitter und verständlich. Bleibt zu hoffen, daß die Geschichte der Volksmarine Gegenstand unvoreingenommener Forschung wird, um pauschalen Verurteilungen vorzubeugen, wie sie den Wehrmachtsangehörigen von dem Erben eines Zigarettenimperiums präsentiert wurden.-- Ende












RonnyM

@der erste, das ist ein Beitrag allererster Sahne... top :MG:

Grüße Ronny
...keen Tähn im Muul,
over La Paloma fleuten...

hillus

Hallo Holger,

danke für Deinen tollen Beitrag, der sehr informativ und voller Spannung ist. Das ist für mich sogenannter "GOLDSTAUB", mal nicht nur Schiffchen und brüllende Kanonen, sondern eben das Innenleben einer Marine, was von den Anderen unbedingt erkannt werden wollte. Bei den Kampfschiffen schreibst Du selbst, wußte die US-Navy eigentlich sofort recht viel. Aber das ist eben nur die eine Seite!!

Schöne Weihnachten! :MG:

Jochen

Urs Heßling

moin,

sehr guter und informativer Beitrag  top :MG:

betr. Herrn Reemtsma bin ich allerdings nicht Deiner Meinung. Er hatte und hat in der Sache recht, hat allerdings beim "ersten Anlauf" einigen selbsternannten Kritikern viel zu sehr das Ruder überlassen und dadurch der Sache schwer geschadet. Das gehört aber nicht in diesen Thread.

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

der erste

Zitat von: Urs Hessling am 27 Dezember 2011, 19:26:50
moin,

sehr guter und informativer Beitrag  top :MG:

betr. Herrn Reemtsma bin ich allerdings nicht Deiner Meinung. Er hatte und hat in der Sache recht, hat allerdings beim "ersten Anlauf" einigen selbsternannten Kritikern viel zu sehr das Ruder überlassen und dadurch der Sache schwer geschadet. Das gehört aber nicht in diesen Thread.

Gruß, Urs

Nur ganz kurz: Der Beitrag ist nicht von mir. Ich bin aber seit 10  Jahren mit dem Verfasser befreundet. Olaf kennt ihn auch. Zu Reemtsma kann ich leider nichts sagen, da fehlt mir die Kenntnis zu dem genannten Vorgang. Vielleicht kann man darüber einen eigenen Thread aufmachen.


der erste

Das abgebildete Gebäude war die Unterkunft für Wache, Küche und anderes. Der Eingang zum Bunker ist weiter hinten. Die Website ist wohl nicht mehr erreichbar. Hier ein anderer Link zum Innenleben. Leider ist der Bunker seit vielen Jahren nicht mehr begehbar. Wir waren 2011 mit der MK drin und haben ihn besichtigt. Die Bunkerlage befindet sich auf mehreren Flurstücken. Das in der Anzeige genannte muss nicht unbedingt incl. des Bunkers selbst sein. Es gibt dazu mehrere Grundstückseigentümer. Das war auch der Grund, warum der Bunker schließen musste. Man war sich nicht einig.
https://www.modernruins.de/index.php/underground/bunkeranlagen/mfnv-nva/objekt-16-001

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