Verfahren und Kniffe in der Navigation

Begonnen von Schorsch, 02 Januar 2018, 09:44:47

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Schorsch

Hallo zusammen!

Beim Aufarbeiten meiner Weihnachtsgeschenke, zu denen auch zwei Teile von ,,Mathematik des Steuermannes" aus dem Jahr 1942 gehören, ist mir eine Frage untergekommen, die ich an die navigatorisch Ausgebildeten im Forum stellen möchte. Es dreht sich um die sogenannte ,,Aufgabe der vier Punkte": aus zwei gemessenen Horizontalwinkeln zwischen mindestens drei bekannten und sichtbaren Landmarken (die ersten drei der vier Punkte) können nach Peripheriewinkelsatz zwei kreisförmige Standlinien gewonnen werden, aus deren Schnittpunkt sich der Schiffsstandort (der vierte Punkt) ermitteln lässt, sofern sich die drei Landmarken und das Schiff nicht auf einem gemeinsamen Kreis, dem sogenannten ,,gefährlichen Kreis", befinden.

Jetzt meine Fragen zur Anwendung bzw. Effizienz des Verfahrens:
Wenn die erwähnten Horizontalwinkel ermittelt werden, z.B. als Differenz zwischen zwei rechtweisenden Peilungen, so lassen sich doch aus diesen rechtweisenden Peilungen zu den Landmarken auch geradlinige Standlinien ermitteln, deren Schnittpunkte ja auch den Schiffsstandort ergäben. Wie müsste eine Situation beschaffen sein, in der u.U. keine rechtweisenden Peilungen, wohl aber der Horizontalwinkel gemessen werden, so dass der Schiffsstandort nur nach dem oben beschriebenen Verfahren festgestellt werden könnte? Wie misst man eigentlich Horizontalwinkel, ohne dass zuvor rechtweisende Peilungen genommen werden? Kann z.B. ein Sextant auch horizontal eingesetzt werden?

Mit freundlichen Grüßen
Schorsch

Nachklapp: Ich habe den Threadtitel etwas offener formuliert, da mit Sicherheit noch die eine oder andere Verständnisfrage aufkommen wird, insbesondere, wenn ich beginne, die sphärische Trigonometrie durchzuackern.
'Judea, London. Do or Die.'

"Ubi dubium, ibi libertas." (Wo Zweifel ist, da ist Freiheit.)

Urs Heßling

moin, Schorsch,

Zitat von: Schorsch am 02 Januar 2018, 09:44:47
Wenn die erwähnten Horizontalwinkel ermittelt werden, z.B. als Differenz zwischen zwei rechtweisenden Peilungen, so lassen sich doch aus diesen rechtweisenden Peilungen zu den Landmarkenauch geradlinige Standlinien ermitteln, deren Schnittlinien ja auch den Schiffsstandort ergäben.
Ja.
Aber das Horizontalwinkelverfahren ist mE ein Ersatzverfahren beim Fehlen rechtweisender Peilungen


Zitat von: Schorsch am 02 Januar 2018, 09:44:47
Wie müsste eine Situation beschaffen sein, in der u.U. keine rechtweisenden Peilungen, wohl aber der Horizontalwinkel gemessen werden, so dass der Schiffstandort nur nach dem oben beschriebenen Verfahren festgestellt werden könnte? 
- Kompassausfall
- evt. starkes Schwojen des Schiffes, das ein Ablesen des Kompasses schwierig macht.


Zitat von: Schorsch am 02 Januar 2018, 09:44:47
Wie misst man eigentlich Horizontalwinkel, ohne dass zuvor rechtweisende Peilungen genommen werden? Kann z.B. ein Sextant auch horizontal eingesetzt werden?
Ich kenne nur das Verfahren unter Einsatz des Sextanten : also: ja.


Woll'n 'mal schau'n, was noch an Stellungnahmen kommt.

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

Schorsch

Hallo Urs,

danke für Deine Antworten. Es werden in dem Heft jeweils nur die Verfahren genannt. Eine Priorisierung bezüglich der Schnelligkeit oder der Genauigkeit des jeweiligen Vorgehens findet nicht statt. Da ist es gut, wenn man von erfahrener Seite eine Rückkopplung bekommen kann.

Mit freundlichen Grüßen
Schorsch
'Judea, London. Do or Die.'

"Ubi dubium, ibi libertas." (Wo Zweifel ist, da ist Freiheit.)

olpe

Hallo,
ich bin mir nicht sicher, inwieweit in den deutschen Marinen (KM, BM, VM, DM) für die Lösung dieser nautischen Aufgabe mit drei Landmarken und zwei Horizontalwinkeln der s.g. Protraktor zur Anwendung kam. In der damaligen sowjetische Seekriegsflotte ist diese Methode gelehrt und dann sicher auch angewandt worden. Soweit ich mich noch recht an die Navi-Ausbildung erinnern kann, konnte mit Hilfe dieses Gerätes, die gemessenen Horizontalwinkel zwischen den Landmarken eingebend, durch Verschiebung auf der Karte der Standort des Schiffes ermittelt werden.     
Die Genauigkeit der Methode wird als recht hoch angesehen ... eine Formel im Internet ist hier zur sehen (russ.):   --/>/> klick
Holger (@Hogo) müsste dieses Gerät auch noch kennen ...  :-) ...

Ein Bild des Instrumentes:



(Q Link: savashantiques.com)
Grüsse
OLPE


der erste

Ich glaube, hier nennt man es Doppelwinkeltransporteur. Man überträgt damit die gemessenen Winkel in die Seekarte und markiert den Standort mit einem kleinen Loch. D.h. es wurden alle Schenkel so lange verschoben, bis die sie die Peilobjekte, die natürlich in der Karte vorhanden sein sollten, streiften. War an Bord bei uns vorhanden, wurde selten, meistens zu Schulungszwecken, verwendet. In Ermangelung dessen, funktioniert das ganze aber auch mit Pergamentpapier.

Schorsch

Hallo olpe,

in den Darlegungen, die die Basis für den Thread bilden, wird relativ viel Platz dafür aufgewendet zu erklären, wie die Mittelpunkte der kreisbogenförmigen Standlinien aus den ermittelten Horizontalwinkeln auf der jeweiligen Karte zeichnerisch zu gewinnen sind. Das ist für mich ein Hinweis, dass dieser Winkelmesser, den Du vorgestellt hast, zumindest bei der Kriegsmarine wahrscheinlich nicht zur Anwendung kam.

Mit freundlichen Grüßen und den besten Wünschen für das neue Jahr
Schorsch
'Judea, London. Do or Die.'

"Ubi dubium, ibi libertas." (Wo Zweifel ist, da ist Freiheit.)

Matthias Strauß

Hallo Schorsch,
ich maße mir an, zu diesem Thema Ergänzungen beizutragen, was ich gerne tue. Zur Frage der möglichen Situation kann man der Antwort von Urs nicht widersprechen, es ist aber nicht der Hauptgrund für die Anwendung dieses Verfahrens der terrestrischen Standortbestimmung in der Navigation. Es ist die Genauigkeit, die für dieses Verfahren steht. Siehe Abb. DW1-3. Die dazu notwendigen 2 Horizontalwinkel wurden in den dt. Marinen immer mit dem Sextant abgenommen. Das von Olpe vorgestellte "Navigationsmonster" habe ich auch auf einem damals sowj. U-Jäger der Poti-Klasse gesehen. Nach Aussagen des Kmdt. wurde es allerdings nicht verwendet. Die Aussagen vom Ersten kann ich bestätigen.
Die weiteren Abb. DW 4-5 beinhalten weiterführende Fehlerdiskussionen in den terrestr. Standortbestimmungen und ihre math. Grundlagen. Zusätzlich sind die individuellen Fehler der Beobachter und die Gerätefehler der Sextanten zu beachten. In Abb. DW 4 erkennt man sehr gut den geringeren Fehlerkreis bei der Doppelwinkelmessung gegenüber der Standortbestimmung mittels einer oder mehrerer Peilungen. Dennoch wurde dieses Verfahren wenig genutzt, da im Navigationsabschnitt auf den Booten nur ein Sextant vorhanden war. Für diese Doppelwinkelmessung wurden aber zwei Beobachter mit Sextant benötigt, um gleichzeitig die je zwei zugewiesenen Objekte zu peilen. Eine Versegelungsmessung würde hier keinen Sinn machen.

Jack

der erste

Hallo Matthias Strauß - Lehrbuch "Leitfaden der Navigation", Terrestrische Navigation, Verlag für Verkehrswesen Berlin 1975? Ich stell noch ein Schema aus dem sowjetischen "Handbuch für den Wachoffizier "ein, auf dem die Anwendung des Doppelwinkeltransporteurs gezeigt wird.

Schorsch

#8
Hallo zusammen,

danke für die weiteren Beteiligungen an der Diskussion. Ich bin noch in Meldau/Steppes: ,,Lehrbuch der Navigation", Bremen, 1935 bezüglich der Lösung der Aufgabe der vier Punkte fündig geworden. Neben der Konstruktion der Kreisbögen wird dort auch die Variante vorgestellt, die auf dem von Jack (Matthias Strauß) eingestellten Scan als zweite Möglichkeit (Bild 10.14) zur Lösung präsentiert wird. Allerdings verzichten auch hier die Autoren auf eine Fehlerbetrachtung, die eine Abschätzung der Genauigkeit der verschiedenen Herangehensweisen ermöglichen würde.

In frappierender Übereinstimmung zu dem, was Holger (der erste) schreibt, steht die folgende Aussage, die auf Seite 68 in Meldau/Steppes gemacht wird:
ZitatDie Doppelwinkeltransporteure und Doppelwinkelmesser, die man zur Lösung dieser Aufgebe [der vier Punkte] konstruiert hat, sind in der Handelsflotte kaum jemals gebraucht worden. In der Tat sind sie auch nur bei sehr behutsamen und sorgfältigen Gebrauch und dauernder Kontrolle ihres unversehrten Zustandes von Nutzen. Der Gebrauch durchsichtigen Papieres ist billiger, einfacher und ebenso genau.

Mit freundlichen Grüßen
Schorsch
'Judea, London. Do or Die.'

"Ubi dubium, ibi libertas." (Wo Zweifel ist, da ist Freiheit.)

olpe

Zitat von: Schorsch am 04 Januar 2018, 06:38:54
Allerdings verzichten auch hier die Autoren auf eine Fehlerbetrachtung, die eine Abschätzung der Genauigkeit der verschiedenen Herangehensweisen ermöglichen würde.
Hallo,
im "Handbuch für den Wachoffizier der Volksmarine" sind Genauigkeitsbetrachtungen der Doppelwinkelmessung bzw. der Aufgabe der vier Punkte als Formel enthalten. Der Vollständigkeit halber habe ich den gesamten Abschnitt einbezogen ... @Schorsch, vielleicht sind diese Angaben verwendbar ...
Grüsse
OLPE

Schorsch

Hallo olpe,

anwendbar ist das in jedem Falle (auch wenn ich mir momentan von der Fülle des Materials etwas erschlagen vorkomme). Danke fürs Einstellen! top

Mit freundlichen Grüßen
Schorsch
'Judea, London. Do or Die.'

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