Lütjens und die Entscheidung, nicht umzukehren

Begonnen von Götz von Berlichingen, 14 März 2017, 20:34:15

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Zitat von: Urs Heßling am 15 März 2017, 13:12:02
Zitat von: Götz von Berlichingen am 15 März 2017, 11:59:31
Ob Tovey bei Meldung einer Kehrtwendung von Lütjens durch Suffolk und Norfolk Lütjens die Rückkehr nach Drontheim noch abschneiden konnte, scheint möglich, sollen aber nautisch versiertere Mitgleider beurteilen.
Ah ja. :-D
Dann bin ich mal gespannt, wen Du im FMA findest, der sich meldet, er sei nautisch versierter als ich. :wink:

Gruß, Urs

*lach* Das war wohl der klassische Fall eines Mißverständnisses - mit dem nautisch versiertere Mitglieder meinte ich natürlich als ich...  :sonstige_154:

Bzgl. Drontheim war ja (selbst) mir klar, daß Tovey den kürzeren Weg hatte, wenn aber nautisch versiertere Mitglieder glaubhaft versichern, daß dies auch für den Rückmarsch durch die Dänemarkstraße nach Narvik der Fall sei, so nehme ich das zur Kenntnis. Es bleibt allerdings die Tatsache bestehen, daß dieser Kurs nach Narvik den dt. Verband mit jeder Meile näher an die eigenen Basen heran- und damit in den Wirkungsbereich der eigenen Luftwaffe wohl schon am Abend des nächsten Tages gebracht hätte, wohingegen die britischen Schiffe, sowohl die Fühlungshalter als auch die Home Fleet, anders als im tatsächlichen Verlauf, sich immer weiter von ihren Basen ins Nordmeer hinein entfernen hätten müssen (dies ist auch bei der Treibstofflage der Fühlungshalter (eine Ablösung wie im Atlantik möglich aus allen Richtungen - Neufundland, Karibik, Nordirland, Westengland - wäre dort nicht möglich gewesen) als auch der Home Fleet zu berücksichtigen (Tovey selbst stand ja am 27.05.1941 vor der Umkehr aus Treibölknappheit und konnte dabei aber jeden süd- und westenglischen Hafen zur Beölung anlaufen; vor Narvik mit knappen Ölvorräten wäre es für ihn dagegen wesentlich ungemütlicher gewesen) und dabei ebenfalls in den Wirkungsbereich der Luftwaffe gekommen wären. Dies ist bei einem evtl. Abfangen des dt. Verbandes vor dem Erreichen von Narvik auch zu berücksichtigen. Der Rußlandfeldzug hatte noch nicht begonnen und die Luftwaffe dort noch nicht gebunden, deshalb wäre evtl. das Verlegen von Bomberverbänden von Frankreich nach Norwegen kurzfristig möglich gewesen.


t-geronimo

Ich stimme auch eher Alex zu, zumindest wenn als Entscheidungszeitpunkt der nach dem Gefecht gewählt wird.
Mit dem Wissen, dass nun auch der Gegner ein leistungsstarkes Funkmeßgerät zur Verfügung hat, war die Zeit der unbemerkten Durchbrüche vorbei, eine weitere Chance mehr oder weniger passé (auch deshalb war ja mW u.a. Mai als der letzte mögliche Zeitpunkt für einen klassischen (unbemerkten) Durchbruch gewählt und TP zu Hause gelassen worden - die langen Nächte neigten sich dem Ende entgegen und die Phasen der Dunkelheit wurden zu kurz, um die DS komplett im Dunkeln passieren zu können).
Hat es danach überhaupt noch mal jemand probiert? Dickschiffe sowieso nicht, aber selbst die HSK, die noch zusätzlich auf Tarnung hoffen durften, gingen danach doch (fast(?)) alle durch den Kanal.

Nimmt man als Zeitpunkt der Abbruch-Entscheidung den des Treffens auf die DS-Sicherung, bin ich 50-50. Da konnte man die Effektivität des Gegner-Radars noch nicht in vollem Ausmaß einschätzen. Das hätte man erst auf dem Weg nach Norwegen oder ins Nordmeer gemerkt (und dann vielleicht verflucht, es nicht doch versucht zu haben). Aber auch da gilt wieder: selbst ohne Gegner-Radar wäre es allein meteorologisch schon mit jedem Tag schwerer geworden, nochmal durchzukommen, s.o.

Die letztgenannten Fakten zeigen meiner Meinung nach aber auch, das es fast unmöglich ist, Lütjens Entscheidung nachzuvollziehen, bei aller Sachlichkeit und Intelligenz der friedlich ausgetauschten Argumente (war beim B-Schiff nicht immer so...):
Es ist fast unmöglich, das Wissen von heute wirklich, wirklich, wirklich auszublenden. Und damit können wir glaube ich nie die 100% erreichen und damit hat letzten Endes keiner recht oder unrecht - beide Möglichkeiten wären gegangen.


Eine vielleicht auch nicht ganz uninteressante Diskussion (dann aber vielleicht auch wieder in einem eigenen Thema):
Was wäre denn passiert, wie wäre entschieden worden, wenn die BS-PG-Gruppe nach Norwegen zurückgekehrt wäre? Man wüßte dann, der Gegner hat Radar.
Was nun? Nach kurzer Zeit ein erneuter Versuch mit BS-PG? Warten auf TP? Wenn letzteres, wer fährt dann los? BS-TP ist klar, aber wird der Spritfresser PG dann noch mitgenommen, wenn man sich den Durchbruch freischießen muß und eine sofortige Beölung nach Erreichen des Atlantiks vielleicht nicht möglich ist?
Oder hätte der GröFaZ entschieden, mit BS und TP Norwegen noch wirksamer vor einer Invasion zu schützen? Hätte die Skl schon da befohlen, beim ersten Feindkontakt wieder abzudrehen?
Viele Möglichkeiten...

Ausgeblendet für solch ein taktisch-strategisches What-if müßte allerdings werden, das nach Rheinübung (allerdings unabhängig davon) eh die ganze Versorgerkette gesprengt wurde.
Gruß, Thorsten

"There is every possibility that things are going to change completely."
(Captain Tennant, HMS Repulse, 09.12.1941)

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Urs Heßling

#17
moin,

Zitat von: Götz von Berlichingen link=topic=27860.msg314962#msg314962/quote]
.. wenn aber nautisch versiertere Mitglieder glaubhaft versichern, daß dies auch für den Rückmarsch durch die Dänemarkstraße nach Narvik der Fall sei, so nehme ich das zur Kenntnis. Es bleibt allerdings die Tatsache bestehen, daß dieser Kurs nach Narvik den dt. Verband mit jeder Meile näher an die eigenen Basen heran- und damit in den Wirkungsbereich der eigenen Luftwaffe wohl schon am Abend des nächsten Tages gebracht hätte,
Mit den genannten 06:00 Positionen hätte Tovey zu einem selbst konstruierten "Abfangpunkt" ca. 150 sm nordöstlich von Island einen Weg von 800 sm gehabt, Lütjens einen Weg von 900 sm.

Dieser "Abfangpunkt" ist 650 sm von der Westspitze der Lofoten, also dem Beginn der Einfahrt in den Westfjord und nach Narvik entfernt, also nicht gerade "vor Narvik".

Ein solcher Punkt hätte an der Grenze der Reichweite der in Norwegen stationierten Bomber gelegen.
.. und was lag an Bombern in Norwegen ? meiner Googlung im internet nach im Mai 1941 nur die II./KG 30 in Banak (Abstand zu dem gegißten "Abfangpunkt" rund 1000 sm = 1.800 km)
.. und die Ju 88 hätten die Home Fleet auch erst einmal finden müssen.

Ein ad-hoc-Verlegen eines Geschwaders von Frankreich nach Nordnorwegen innerhalb von 24 h halte ich für nur schwer machbar (ganz abgesehen von der notwendigen Zustimmung des "Reichsmarschalls")

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

Götz von Berlichingen

Zitat von: t-geronimo am 15 März 2017, 16:45:50Die letztgenannten Fakten zeigen meiner Meinung nach aber auch, das es fast unmöglich ist, Lütjens Entscheidung nachzuvollziehen

Mal eine ganz dumme Frage:

Ballard hat ja sowohl die Titanic als auch die Bismarck gefunden. Aus der Titanic wurde ja auch allerlei Inventar geborgen (und versteigert).
Ich meine mich zu erinnern, daß Tauchroboter auch in BS eindrangen.

Wäre es eigentlich theoretisch möglich, im Kommandostand nach den KTBs Flottenstab und Schiffsführung zu suchen? Ich möchte zu gern wissen, was da drinstand...

Falls ja - sollen wir schon mal zusammenlegen à la NARA-Rollen?  :-D :lol: Und wer vehandelt mit Ballard um einen Sonderpreis? Oder sollte man lieber mit Putin in Verbindung treten?  :biggre:

Nein, im Ernst: wäre so etwas machbar (vorausgesetzt, die KTBs wurden vor dem Untergang nicht verbrannt oder dergleichen).
Aus der Andrea Doria wurde ja auch der Tresor geborgen und mit großem Tamtam geöffnet, wobei allerdings nur verschlammte Geldnoten gefunden wurden. Es gibt aber wohl Techniken, Papier durch entsprechende Behandlung vor dem Zerfall am Luftsauerstoff zu bewahren.

Zitat von: t-geronimo am 15 März 2017, 16:45:50
Eine vielleicht auch nicht ganz uninteressante Diskussion (dann aber vielleicht auch wieder in einem eigenen Thema):
Was wäre denn passiert, wie wäre entschieden worden, wenn die BS-PG-Gruppe nach Norwegen zurückgekehrt wäre? Man wüßte dann, der Gegner hat Radar.
Was nun? Nach kurzer Zeit ein erneuter Versuch mit BS-PG? Warten auf TP? Wenn letzteres, wer fährt dann los? BS-TP ist klar, aber wird der Spritfresser PG dann noch mitgenommen, wenn man sich den Durchbruch freischießen muß und eine sofortige Beölung nach Erreichen des Atlantiks vielleicht nicht möglich ist?
Oder hätte der GröFaZ entschieden, mit BS und TP Norwegen noch wirksamer vor einer Invasion zu schützen?

Ich denke, BS wäre erst mal für ein, zwei Monate in die Werft zur Ausbesserung der Gefechtsschäden gegangen. Inzwischen wäre die Ausbildung von TP weitergegangen und diese wohl kriegsbereit geworden. Man muß auch mal den psychologischen Aspekt für die Besatzungen von BS und TP berücksichtigen. Ein solcher Erfolg von BS (insbesondere, wenn man noch bei Prince of Wales nachgesetzt und diese evtl. versenkt hätte), hätte der BS-Besatzung einen ungeheuren Auftrieb und Selbstbewußtsein und Zutrauen zu ihrem Schiff gebracht. Ebenso der TP-Besatzung, die gesehen hätte, zu welchen Leistungen das Schwesterschiff fähig ist. Das hätte die Grundlage für ein Gemeinschaftsgefühl ebenso, vermutlich noch mehr, wie bei den Schwesterschiffen GU & SH ergeben.

Es scheint mir fraglich, ob nach Beginn Barbarossa noch eine Atlantikunternehmung im Sommer 1941 erfolgt wäre, da erstens die Nächte nicht lang genug waren, man zweitens nun von dem auch lt. Lütjens dem eigenen überlegenen britischen Radar wußte und drittens Hitler, der schon "Rheinübung" skeptisch gegenüberstand (Frage nach möglichem Abbruch des Unternehmens am 22.05.1941 gegenüber Raeder) während des laufenden Rußlandfeldzuges (man glaubte ja an einen Sieg innerhalb von ca. vier bis fünf Monaten) einen Atlantikeinsatz schon wegen möglicher Konfrontation mit den USA nicht wünschte. Nach einem Sieg gegen die Sowjetunion glaubte er, wäre eine andere Lage geschaffen und er hielt es für möglich, daß GB dann Frieden schlösse.

Aus meiner Sicht wäre also ein erneuter Atlantikeinsatz frühestens im Herbst 1941 möglich gewesen; und dann vielleicht nur zur Heimholung von GU & SH, die ja in Brest ständigen Luftangriffen ausgesetzt waren nach dem Szenario: Durchbruch BS & TP durch die Dänemarkstraße oder Island - Faröer - Enge, Auslaufen GU & SH aus Brest, Zusammentreffen auf Treffpunkt im Atlantik, gemeinsame Rückkehr nach Norwegen (evtl. nach kurzer gemeinsamer Suche nach Geleitzügen). Ein Aufbau eines Versorgungsnetzes aus Tankern wäre aufgrund der ausreichenden Reichweite aller vier Schlachtschiffe dabei m.M. nicht notwendig gewesen.

Zur Frage von PG: ich denke, es wäre klüger gewesen, diese bei einem solchen Rückholeinsatz von GU & SH aufgrund ihrer Reichweite nicht mitzunehmen (siehe beigefügte Stellungnahme der Gruppe West vom 06.03.1941 zur Frage des gemeinsamen Einsatzes von HP mit GU/SH: »Bei Aufzählung der Vor- und Nachteile bei gemeinsamen, bezw. getrenntem Operieren mit "Hipper" wird hiesigen Erachtens der Nachteil des kleinen Aktionsradius noch unterschätzt.).

Der weitere Einsatz von sowohl BS/TP als auch SH/GU wäre meiner Ansicht nach nur von Norwegen aus im Nordmeer sinnvoll gewesen, um die Murmansk-Geleitzüge zu unterbinden. Atlantikverwendung scheidet schon wegen der immer feindseligeren Haltung der USA aus - dazu kommt das britische Radar (auch Flugzeugradar), das es ausgeschlossen erscheinen läßt, daß noch unbemerkte Durchbrüche durch die Bewachungslinien und unbemerktes Operieren im Atlantik möglich wäre.

t-geronimo

Wir können es auch hier weiter stricken.  :-D

Was wäre denn passiert, wenn BS-PG sofort nach dem Treffen auf Norfolk-Suffolk abgedreht hätten?
Wie bei OP Berlin ab ins Nordmeer? Dabei hätte man dann gemerkt, das mindestens einer der Kreuzer folgt. Beölung Weißenburg also nicht möglich. Ergo Umkehr in einen norwegischen Hafen.
Dann hätte es aber keine Gefechtsschäden gegeben und man wäre nach Auftanken sofort wieder klar. Evtl. noch Radar BS reparieren.
Und dann? Sofort wieder raus oder warten auf TP? Die nächste schwere Entscheidung.  8-)


Aus dem Wrack gibt es nichts zu bergen, denke ich. Gängige Praxis war doch, alles in einen Sack zu packen, Gewicht dazu und dann ab ins Meer.
Gruß, Thorsten

"There is every possibility that things are going to change completely."
(Captain Tennant, HMS Repulse, 09.12.1941)

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J.I.M

Zitat von: Urs Heßling am 15 März 2017, 10:29:38
Zitat von: Götz von Berlichingen am 14 März 2017, 23:14:34
Generaladmiral Marschall hat den Abbruch der Operation und die Rückkehr nach Norwegen als »die einzig richtige Entscheidung« bezeichnet
Ja, aber da mag auch noch Marschalls Grimm über Raeder wegen seiner eigenen Ablösung nach Abbruch der Operation "Juno" eine (nicht so kleine) Rolle mitspielen, also auch der Versuch einer nachträglichen Rechtfertigung des eigenen Handelns.

Gruß, Urs

Unterlag nicht Marschall auch dem Einfluss, dass er seine Meinung nach der Versenkung(wie wir alle auch) getroffen hat. Da diese Sache mit der Versenkung der BS geendet hat, ist jede andere Option erstmal attraktiv. Attraktiv: Weil es hätte ja auf die Art besser ausgehen können. Eigentlich nur menschlich.

Nachher wollen es alle vorher schon besser gewusst haben.... :-D

JIM

Matrose71

Zitat von: t-geronimo am 15 März 2017, 17:43:00
Wir können es auch hier weiter stricken.  :-D

Was wäre denn passiert, wenn BS-PG sofort nach dem Treffen auf Norfolk-Suffolk abgedreht hätten?
Wie bei OP Berlin ab ins Nordmeer? Dabei hätte man dann gemerkt, das mindestens einer der Kreuzer folgt. Beölung Weißenburg also nicht möglich. Ergo Umkehr in einen norwegischen Hafen.
Dann hätte es aber keine Gefechtsschäden gegeben und man wäre nach Auftanken sofort wieder klar. Evtl. noch Radar BS reparieren.
Und dann? Sofort wieder raus oder warten auf TP? Die nächste schwere Entscheidung.  8-)


Aus dem Wrack gibt es nichts zu bergen, denke ich. Gängige Praxis war doch, alles in einen Sack zu packen, Gewicht dazu und dann ab ins Meer.

Kurt Cäsar Hoffmann (Kommandant der Scharnhorst) hat meine Gedanken, als ich das erste Mal über Rheinübung gelesen habe auf den Punkt gebracht, warum hat er nicht sofort das Feuer auf diese beiden Kreuzer Cola Büchsen eröffnet, die auf 7km und 9km gesichtet wurden?
Nein er fährt seelenruhig zwischen beiden durch und macht gar nichts, als sie sich dann dahinter hängen.

Das ist für mich bis Heute völlig unverständlich, entweder ich drehe ab wie bei Berlin oder ich eröffne sofort das Feuer auf dieser geringen Entfernung und schieße zumindestens einen mal lahm und schaue dann weiter.

Ich verstehe es wirklich nicht, aber vielleicht fehlt mir auch der strategische Weitblick eines Stabsoffiziers....  und ich bin zu impulsiv. :-D
Viele Grüße

Carsten

t-geronimo

Letzteres ist manchmal durchaus möglich... :MLL:

Im ersten Augenblick haben sie sicher gedacht, den Kreuzern im Nebel schnell entkommen zu können (kurz wurde ja das Feuer eröffnet, woraufhin sich die Kreuzer fix in die Suppe zurück zogen).
Als dann klar wurde, das man die nicht los wird, herrschte vermutlich rasch der jetzt-oder-nie Gedanke, gepaart mit der Unlust, sich in schlechter Sicht, engem Seeraum, Minenfeldern und einem eigenen ausgefallenen Funkmeßgerät mit feindlichen Torpedoträgern zu bekriegen? Und jede Stunde, die das kostet, bringt die Home Fleet deutlich näher ran.
Und die Hoffnung, die Kreuzer doch noch loszuwerden, vereint mit dem Glauben, die HF sei ja noch in Scapa, trug wohl das ihrige bei.


Ich gebe Die recht: bei Fighting Steel hätte ich das auch anders gelöst.  8-)
Gruß, Thorsten

"There is every possibility that things are going to change completely."
(Captain Tennant, HMS Repulse, 09.12.1941)

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Leipzig

Vielleicht ist das anderswo schon mal behandelt worden, das ist hier ja sicher nicht die erste Diskussion zu diesem Thema in diesem Forum (aus meiner Sicht aber trotzdem sehr lesenswert), aber mich beschäftigt ein etwas anderer Aspekt:

Man kann sicher gut darüber diskutieren (jedenfalls, wenn man vertieftere Kenntnisse vom Thema hat als ich), was objektiv zu welchem Zeitpunkt die richtige Entscheidung gewesen wäre. Aber kann man auch davon ausgehen, dass Lütjens nur oder zumindest vorrangig so gehandelt hat, wie es seinen eigenen taktischen Vorstellungen entsprach, und deshalb aus seinem tatsächlichen Handeln entsprechende Rückschlüsse ziehen? Ich kenne ja nur die gängigen Standardwerke zum Thema von Brennecke, Kennedy, Müllenheim-Rechberg, Bekker usw., aber ich halte es für möglich und plausibel, dass Lütjens mehr nach den (vermeintlichen oder tatsächlichen) Vorstellungen Raeders als nach seinen eigenen gehandelt hat.

Auf der einen Seite ist nämlich ja wohl bekannt, dass Lütjens persönlich die "Rheinübung" für höchst riskant hielt. So hat er sich bei Raeder noch kurz vor Beginn der Operation dafür ausgesprochen, auf die Einsatzbereitschaft der "Tirpitz" oder sogar die der "Scharnhorst" zu warten und die Schiffe nicht "teelöffelweise" einzusetzen. Er hat generell geäußert, dass es ein Fehler sei, bei solchen Unternehmungen den ganzen Flottenstab mitzunehmen, weil dieser dann mit verloren gehen könne, dass er aber natürlich für seine eigene Zeit als Flottenchef insoweit keine Änderung anregen könne. Er hat sich von Carls mit der Bemerkung verabschiedet, er werde nicht zurückkommen.

Auf der anderen Seite hat er aber auch erklärt, es seien schon zwei Flottenchefs im Unfrieden mit der Skl aus dem Amt geschieden, er wolle nicht der dritte sein. In einem Beitrag in dieser Diskussion ist seine (mir bis dahin unbekannte) Äußerung im Hinblick auf ein mögliches Umkehren zitiert worden, er sei doch nicht Marschall. Dabei hatte er selbst mit "Scharnhorst" und "Gneisenau" auch vorsichtig operiert, aber gesehen, dass man Marschall dessen Vorsicht höheren Ortes vorgeworfen hatte. Und der Operationsbefehl sah bei "Bismarck" ja auch die Bereitschaft zum Kampf mit schweren feindlichen Einheiten vor, während sich "Scharnhorst" und "Gneisenau" befehlsgemäß vor jeder schweren Einheit hatten zurückziehen müssen. Offenbar herrschte in der Skl die Vorstellung, mit der "Bismarck" jetzt endlich auch an die schwer gesicherten Geleitzüge herankommen zu können.

Cajus Bekker hat in "Verdammte See" in anderem Zusammenhang (nämlich mit der Operation "Juno") geschrieben, die Draufgänger der Kriegsmarine hätten am grünen Tisch gesessen. Ich könnte mir vorstellen, dass Lütjens den Eindruck hatte, man (d. h. insbesondere Raeder) erwarte von ihm als Flottenchef Draufgängertum, und dass er sich dann entsprechend verhalten hat, auch wenn das seinem eigenen taktischen Naturell nicht entsprach und er hinsichtlich des Ergebnisses selbst pessimistisch war.

Dass er in der Dänemarkstraße gegenüber "Prince of Wales" nicht nachgesetzt hat, steht dazu nicht im Widerspruch, denn er wusste auch, dass es Raeder auf den Handelskrieg ankam und nicht auf die Versenkung von Kriegsschiffen. Auch insoweit handelte er buchstabengetreu nach dem Operationsbefehl. Für den Handelskrieg war es im Sinne der Skl besser, nach dem erkämpften Durchbruch in den Atlantik weiterzulaufen und ggf. mit der französischen Küste eine (aus damaliger Sicht, die Beurteilung sollte sich ja bald ändern) günstige Ausgangsstellung für weitere Operationen zu erreichen, als sich wieder nach Norwegen oder Deutschland zurückzuziehen. Lütjens könnte sich deshalb auch bewusst für den erkanntermaßen riskanteren Weg entschieden haben.

Raeder hat übrigens ja auch hinterher immer erklärt, dass Lütjens in seinem Sinne gehandelt habe und er selbst die Verantwortung für die "Rheinübung" und deren Folgen trage; Lütjens wurden - soweit ich weiß - auch intern nachtäglich von höherer Stelle keine Vorwürfe gemacht (ganz anders als etwa Bey nach der Operation "Ostfront").   

Es würde mich interessieren, wie die Fachleute hier im Forum das sehen.

Viele Grüße
Leipzig             

Urs Heßling

"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

Matrose71

#25
@ Leipzig,

Sehr guter Beitrag  top

Aus meiner Sicht vieles bis alles richtig zusammengefasst, bis auf die Sache mit Marschall, der handelte m.A. nach nicht vorsichtig, sondern unabhängig/selbständig nach der strategischen und taktischen Lage die er vorfand.
Raeder warf ihm ja bei Glorious zu viel Draufgängertum vor, weil SH den Torpedotreffer bekommen hat, m.M. nach war Marschlall für Raeder zu  selbständig mit eigenem Kopf, eher Typ Guderian und Rommel und das passte ihm nicht, während Lütjens halt auch gegen seine Überzeugung "angepasst" nach der Vorstellung von Raeder und der SKl handelte, dafür brauche ich aber dann keinen Flottenchef.
Viele Grüße

Carsten

ede144

Zitat von: Matrose71 am 17 März 2017, 10:33:07
@ Leipzig,

Sehr guter Beitrag  top

Aus meiner Sicht vieles bis alles richtig zusammengefasst, bis auf die Sache mit Marschall, der handelte m.A. nach nicht vorsichtig, sondern unabhängig/selbständig nach der strategischen und taktischen Lage die er vorfand.
Raeder warf ihm ja bei Glorious zu viel Draufgängertum vor, weil SH den Torpedotreffer bekommen hat, m.M. nach war Marschlall für Raeder zu  selbständig mit eigenem Kopf, eher Typ Guderian und Rommel und das passte ihm nicht, während Lütjens halt auch gegen seine Überzeugung "angepasst" nach der Vorstellung von Raeder und der SKl handelte, dafür brauche ich aber dann keinen Flottenchef.

Lütjens hatte nicht nur Raeder und die SKL, sondern auch Befehle von Gruppe Nord und Gruppe West. Meiner Meinung nach, war damit das Chaos schon vorgegeben.

Götz von Berlichingen

@ Leipzig:

Ich bin der Ansicht, daß man Lütjens mit Sicherheit ein zu starkes "Kleben" am Wortlaut der Operationsbefehls, bzw. der vermuteten Absicht der Skl unterstellen kann, dafür spricht schon sein auch von Dir zitierter Ausspruch, er wolle nicht der dritte Flottenchef sein, der im Unfrieden mit der Skl aus dem Amt scheidet.
Ein weiteres Indiz dafür sind die Spannungen mit Lindemann (nicht nur über die Frage des Nachsetzens gegenüber Prince of Wales).
Müllenheim-Rechberg berichtet ja, daß er noch am Morgen des letzen Tages vor Gefechtsbeginn auf der Brücke gewesen sei und Lindemann geradezu apathisch mit aufgeblasener Schwimmweste (!) - Müllenheim-Rechberg schreibt, er habe zweimal hinsehen müssen, um es zu glauben - sein Frühstück einnahm und ihn als seinen ehemaligen Adjutanten völlig ignoriert und nicht einmal seinen Gruß erwidert habe und knüpft daran die Vermutung, daß Lindemann durch sein ungewöhnliches und merkwürdiges Verhalten »seine innere Distanzierung von der Verantwortung für die durch Lütjens herbeigeführte Lage des Schiffes« demonstrieren wollte und es in den vergangenen Tagen wohl erhebliche Differenzen zwischen Schiffsführung und Flottenchef gegeben haben müsse - vermutlich über die Fragen, die auch wir hier diskutiert haben (Abbruch der Operation und Rückmarsch zur Reparatur nach Norwegen oder Durchhalten, Nachsetzen Prince of Wales, evtl. Versuch einer radikalen Kursänderung nach dem Wiederauffassen durch die brit. Catalina zu den wartenden Tankern im Süden unter Inkaufnahme des Risikos, bei einem Scheitern dieser Taktik mit leeren Tanks auf dem Atlantik zu dümpeln statt auf dem durch die Treibstoffknappheit vorgegebenen Zwangskurs relativ dicht an Irland und England vorbei mit ebenfalls erzwungenen ökonomischen Fahrtstufen und somit vollkommen berechenbar für den Feind den Kurs nach Brest beizubehalten). Müllenheim-Rechberg glaubt wohl, die Lethargie Lindemanns sei auf das Unvermögen, sich mit seinen andersgerichteten Ansichten gegen den Flottenchef durchzusetzen und das nun offenbare völlige Scheitern von dessen Plan zurückzuführen gewesen.

Zitat von: Leipzig am 17 März 2017, 10:04:47Auf der anderen Seite hat er aber auch erklärt, es seien schon zwei Flottenchefs im Unfrieden mit der Skl aus dem Amt geschieden, er wolle nicht der dritte sein. In einem Beitrag in dieser Diskussion ist seine (mir bis dahin unbekannte) Äußerung im Hinblick auf ein mögliches Umkehren zitiert worden, er sei doch nicht Marschall.

Mir ist diese Äußerung so auch nicht bekannt. Ich meine mich zu erinnern, daß Urs sie in die Diskussion eingebracht hat, allerdings mit der Einschränkung, er wisse augenblicklich nicht mehr, wo er das gelesen habe. Wäre es denkbar, daß hier eine Verwechslung mit der von Leipzig zitierten Äußerung Lütjens', er wolle nicht der dritte Flottenchef sein, der im Unfrieden mit der Skl verabschiedet wird, vorliegt?

Was Lütjens' umsichtige taktische Handlungsweise anbelangt, ist es vielleicht durchaus einmal von Interesse, seinen Bericht als BdA über den Torpedotreffer auf Leipzig am 13.12.1939 - und die Stellungnahmen dazu vom MGrKdo West (Saalwächter) und Flottenchef (Marschall) - zu lesen, die in Koop/Schmolke Die Leichten Kreuzer der Königsberg-Klasse, Leipzig und Nürnberg (Bernard & Graefe, Bonn 1994, S. 202 ff. abgedruckt sind, ebenso wie seine Stellungnahme als Flottenchef zum Verlust der Karlsruhe vom 30.07.1940 (S. 112).

Leipzig

Vielen Dank für eure Antworten.

Die von dir, Götz von Berlichingen, zitierten Berichte von Lütjens kenne ich nicht (ich habe zwar etliche Bücher von Koop/Schmolke, aber dieses nicht), aber nach deinen Formulierungen gehe ich davon aus, dass sie auch sein eher zur taktischen Vorsicht neigendes Naturell zeigen.

Insofern liegt eine geradezu tragische Ironie darin, dass nicht nur Lindemann nach dem Bericht Müllenheim-Rechbergs mit der Vorstellung in den Tod ging, dass sein Vorgesetzter (Lütjens) die Katastrophe verursacht habe, während er selbst es besser gewusst und gekonnt hätte, sondern dass Lütjens möglicherweise am Ende ganz ähnlich gedacht hat, nur bezogen auf Raeder und die Skl als seine Vorgesetzten. Er hatte eine Operation geführt, die es, wenn er selbst zu entscheiden gehabt hätte, in dieser Form und zu diesem Zeitpunkt nicht gegeben hätte und die er von vornherein buchstäblich als Himmelfahrtskommando ansah, und er hatte sie genau so geführt, wie es ihm vorgegeben worden war. Das Ergebnis bestätigte dann seine eigenen Erwartungen/Befürchtungen.

Ich habe in (weniger qualifiziert als hier, oft am Rande von Modellbauveranstaltungen anlässlich eines "Bismarck"-Modells geführten) Gesprächen immer wieder die Meinung gehört, die "Bismarck" sei ja ein tolles Schiff gewesen und Lindemann ein prima Kommandant, aber der völlig unfähige Lütjens habe die ganze Sache vermasselt. Ich denke, dass man das etwas differenzierter sehen muss. Lütjens war ganz sicher kein Trottel, sondern ein erfahrener und hochqualifizierter Seebefehlshaber, sonst wäre ihm nie die Schlüsselstellung des Flottenchefs anvertraut worden. Natürlich hätte er mit dem Operationsbefehl in der Tasche auslaufen können, um dann auf See für sich operative Entscheidungsfreiheit in Anspruch zu nehmen und so zu handeln, wie er selbst es für richtig hielt. Aber Marschall hatte genau das getan und war dafür gerügt und letztlich abgelöst worden. Insofern stimme ich dir zu, Matrose 71. Marschall wurden mal seine Vorsicht und sein eigenmächtiges Abweichen vom Operationsbefehl (Stichwort: Harstadt) vorgehalten und mal sein Draufgängertum, als er nämlich die sie bietende Gelegenheit nutzte, mit "Glorious" ein großes gegenerisches Kampfschiff zu vernichten auch unter Inkaufnahme des Risikos, dass eines seiner Schlachtschiffe dann durch einen Treffer längere Zeit für die eigentlich von der Skl vorgesehen Aufgaben ausfiel. Lütjens verhielt sich dann konsequent anders, er hielt am Operationsplan fest, obwohl die Voraussetzungen (unbemerkter Durchbruch in den Atlantik) nicht mehr vorlagen, und er verzichtete darauf, "Prince of Wales" zu versenken, um keine weiteren Schäden zu riskieren.

Ich will damit Lütjens´ Verhalten nicht uneingeschränkt verteidigen. Man kann durchaus sagen, dass es der Verantwortung für zwei der modernsten und stärksten Schiffe der Kriegsmarine und etwa 4.000 Menschen an Bord besser entsprochen hätte, nach der eigenen Einsicht zu handeln und dabei in Kauf zu nehmen, als dritter Flottenchef auch im Unfrieden gehen zu müssen. Aber Lütjens hat es als Soldat wohl anders gesehen: Er hatte seinem Vorgesetzten (Raeder) seine Bedenken vorgetragen, der hatte gegen ihn entschieden, und letztlich war er auch als Flottenchef eben nur ausführendes Organ für die Befehle der Skl, die im Fall Marschall gezeigt hatte, dass sie dem Flottenchef gerade keine operative Handlungsfreiheit zugestehen wollte. Also hat er konsequent versucht, das zu tun, was seine Vorgesetzten getan haben wollten, auch wenn er selbst innerlich nicht dahinterstand.

Leipzig     

mudfladdy

Ein interessantes Thema.

Lütjens als Person kann ich nicht beurteilen - im Nachhinein gab es einige "Fehler", welche das Scheitern sicherer machte.
(nicht volltanken in Norwegen, Passivität bei Identifikation durch britische Kreuzer, nicht-nachsetzen bei POW nach Versenkung HMS Hoods, langer Funkspruch der Ortung erneut ermöglichte)

Es ist spekulativ zu überlegen was die richtige Entscheidung gewesen wäre.
Nach der Versenkung von Hood, wäre ein Rückmarsch zielführend? Die Mission unentdeckt nach Norwegen zurückzulaufen, gab es diese?

Persönlich glaube ich, dass Lütjens (warum auch immer) das Schiff nach Frankreich, für eine weitere Verwendung im Zufuhrkrieg, ausserhalb des Flaschenhalses und abseits der britischen Flotteneinheiten haben wollte.
Aus dieser Sicht macht es Sinn nach Frankreich zu laufen, PE zum Kreuzerkrieg zu entlassen (damit der eigentliche Auftrag zumindest zu 50% umgesetzt werden kann) und dann mit den später reparierten S & G einen neuen, besseren Vorstoss zu unternehmen.
L wusste ja nicht dass die Versorgungsschiffe in den nächsten 4 Wochen verloren gehen, PE den Einsatz frühzeitig abbrechen muss und dass er es nicht schafft.
Die Auseinandersetzungen mit Lindemann sind interessant, es fehlen aber Beweise. Wir kennen auch die Motive der überlebenden Offiziere nicht - haben sie bewusst ihre Führung angeschwärzt? Möglich wäre es - im NS-Regime konnte es tödlich enden wenn man einen Fehler gemacht hatte - oder auch nur in den Verdacht geriet. Sündenböcke waren nötig.
Ob es so war, ob Lütjens einfach eine Reihe falscher Entscheidungen traf - oder gar besondere Befehle hatte - ich weiss es nicht.

Interessant wäre aber zu klären ob PE und B genug Treibstoff für einen 28kn-Rückmarsch von der Dänemark-Strasse gehabt hätten. NACH dem Treffer auf B.

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