Aspiranten

Begonnen von Sven L., 04 April 2016, 13:56:40

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FAUN

Bevor wir uns in akademischen Betrachtungen vertiefen, sollten wir die damalig gängigen Nachschlagewerken sprechen lassen. So steht in ,,Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908",  auf Seite 309:

Marineingenieurkorps, die Gesamtheit der leitenden und wachthabenden Ingenieure für die Maschinen der deutschen Kriegsschiffe; die Rangstufen sind: Marineingenieur (Rang des Leutnants zur See), Marineoberingenieur (Oberleutnant zur See), Marinestabsingenieur (Kapitänleutnant), Marineoberstabsingenieur (Korvettenkapitän), Marinechefingenieur (Fregattenkapitän). Vorläufig ergänzt sich das M. noch aus geeigneten Obermaschinisten; indessen ist die Ingenieurlaufbahn seit 1903 von der Marinemaschinistenlaufbahn getrennt worden. Neuerdings muß jeder Anwärter für die Marineingenieurlaufbahn das Zeugnis zum einjährigen Dienst, praktische Tätigkeit von 30 Monaten in Maschinenfabriken nachweisen und eine Eintrittsprüfung bestehen, darf auch nicht über 21 Jahre alt sein. Die Marineingenieuranwärter werden zunächst drei Monate militärisch, dann neun Monate technisch auf Schiffen des heimischen Geschwaders ausgebildet und nach Bestehen einer praktischen Prüfung zum Marineingenieurapplikanten befördert, als solche werden sie zwei Jahre in Maschinistenstellen an Bord und ein Jahr auf der Maschinistenklasse der Deckoffizierschule beschäftigt und legen dann die Aspirantenprüfung ab. Als Marineingenieuraspiranten und später als Marineingenieuroberaspiranten dienen sie vier Jahre an Bord und besuchen ein Jahr die Marineingenieurklasse der zunächst noch mit der Deckoffizierschule verbundenen Marineingenieurschule. Nach dem Bestehen der Ingenieurprüfung und nach der Wahl durch das Seeoffizier- und Marineingenieurkorps werden die Marineingenieuroberaspiranten nach etwa neunjähriger Dienstzeit zu Marineingenieuren befördert.

In Band 4. Leipzig 1906, auf der Seite 573 bemerkt dasselbe Lexikon zum Thema ,,Deckoffizierschule":

Deckoffizierschule, eine zur Inspektion des Bildungswesens der deutschen Marine gehörige, von Seeoffizieren geleitete Anstalt in Wilhelmshaven zur fachwissenschaftlichen Ausbildung von Deckoffizieren, technischen Offizieren und Ingenieuren. Die Feuerwerker werden auf der Oberfeuerwerkerschule in Berlin ausgebildet.

Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 2. Leipzig 1911.,  sagt auf Seite  134 hierzu:

Marineingenieurkorps der deutschen Marine, leitet die Bedienung der Maschinen und Kessel an Bord der Schiffe. Dienstgrade: Chef-, Oberstabs-, Stabs-, Oberingenieur und Ingenieur. Es ergänzt sich aus jungen Leuten unter 21 Jahren, mit Berechtigung zum Einjährig- Freiwilligen-Dienst, die 30 Monate in einer Dampfmaschinenfabrik praktisch gearbeitet und die Marineingenieurschule (s.d.) erfolgreich besucht haben.

Und zur Schule:

Marineingenieurschule, ausschließlich für das Maschinenpersonal der höhern Laufbahn (Ingenieuraspiranten, erste Maschinisten, Ingenieure) bestimmte Fachschule in Kiel, 1. Okt. 1901 errichtet.

Etwas weiter, auf Seite 142, wird klargestellt, daß  das Maschinenpersonal nicht zu den Ingenieuren zählt, ein Durchstieg ist ebenfalls ausgeschlossen.

Maschinenpersonal, das Personal zur Bedienung der Schiffsmaschinen und Kessel, besteht in der deutschen Marine aus Maschinistenanwärtern, Heizern, Obermaschinistenanwärtern, Oberheizern, Maschinisten- und Obermaschinistenmaaten, Maschinisten und Obermaschinisten. Einstellung als Maschinistenanwärter setzt Befähigungzeugnis zum Seemaschinisten oder Einjährigenzeugnis und zweijährige praktische Beschäftigung beim Maschinenbau voraus und erfolgt bei der Werftdivision oder Torpedoabteilung. Aufrücken zum Marineingenieur ist ausgeschlossen.

Wie wir sehen, herrscht ein kleines Wirrwarr. Zum einen ist die Schule einmal in Wilhelmshaven, zum anderen in Kiel, dann gibt es das Maschinenpersonal als Allgemeinheit der in der Maschinetätigen, aber auch als Einschränkung auf die ,,Nichtingenieure".  Nichtsdestotrotz haben wir eine Beschreibung des Werdeganges. Vielleicht noch zur Ergänzung, auf den Handelsschiffen gab oder gibt es noch die sog. Schweinchenmesse, also eine Messe nur für die Ings.  bzw  Ing.-Assis im Blaumann.  Die Nautiker, so sich im Blaumann bewegten, saßen in der Mannschaftsmesse, allerdings erst nach Rückfrage und Zustimmung beim Bootsmann. Vielleicht ein Relikt aus früheren Zeiten.

bettika61

Hallo,
über die gewollt strikte Trennung der 3 Klassen
Seeoffiziere, Marineingenieure, Deckoffiziere in der Kaiserlichen Marine und ihre Hintergründe:
Aus dieser Denkweise leitet sich Einrichtung einer "Aspirantenmesse" ab.

ZitatSo wie regierende
Monarchen und die sie umgebende Entourage nur sehr widerwillig bereit waren,
Bürgerliche am Hof, geschweige denn als Kanzler ihrer Regierungen zu akzeptieren,
so groß war der Widerwille des adligen Offizierkorps, Aufsteiger aus bürgerlichem
Hause in den eigenen Reihen nicht nur zu dulden, sondern als gleichwertig zu betrachten...

Mit einer Konsequenz, Arroganz und Starrsinnigkeit sondergleichen versuchte die
Führung der Marine, diese Schranken bis zu ihrem schmählichen Ende in der Revolution
von 1918 soweit irgend möglich aufrechtzuerhalten. Diese Schranken durchzogen
alle dienstlichen, aber auch privaten Lebensbereiche. Getrennte Kasinos oder die
lange Zeit Seeoffizieren vorbehaltene Offizierschärpe sind nur einige wenige Merkmale.
Viel schmerzlicher war die bewusste Ausgrenzung: Die Teilnahme von Ingenieuren
an Landausflügen der Seeoffiziere galt als ebenso ,,unmöglich" wie der Austausch
von Visitenkarten, geschweige denn gegenseitige Einladungen, zumal wenn
diese auch die jeweiligen Ehefrauen betrafen....

Zum anderen ging es aber auch um die
bewusste Aufrechterhaltung von Klassenschranken: Seeoffiziere rekrutierten sich aus
sogenannten ,,erwünschten Schichten", d.h. dem gehobenen Bildungs- und Besitzbürgertum,
Marineingenieure kamen hingegen lange Zeit eher aus dem unteren Mittelstand.

Hatten es die Marineingenieure schon schwer, als halbwegs gleichwertig anerkannt
zu werden, so galt dies erst recht für die Deckoffiziere. Zuständig für Navigation,
Signal- und Funk, den Betrieb der Maschinen und das Funktionieren der Waffensysteme
standen sie zwischen Offizieren und Ingenieuren einer-, Unteroffizieren mit
Portepee und Mannschaften andererseits. Auch wenn die Marineführung nolens volens
den Marineingenieuren manche Konzession machen musste, so galt dies nicht
für die Deckoffiziere...
Für viele Kommandanten waren sie selbst unter den Bedingungen
des Krieges ein ,,Rotes Tuch", einzelne Versuche, sie mit der Verleihung des
Dienstgrades eines ,,Deckoffizierleutnants" nach zwanzig Jahren aktiver Dienstzeit
zufrieden zu stellen, waren angesichts offenkundig diskriminierender Ausführungsbestimmungen
wie auch der Weigerung, ihnen Zutritt zu den eigenen Kasinos, geschweige
denn die gleiche Uniform zu konzedieren, zum Scheitern verurteilt. Vor
diesem Hintergrund war es auch nicht weiter erstaunlich, dass die Marineführung ihren
eigenen Ingenieuren den Aufstieg in der militärischen Hierarchie lange Zeit verweigerte.
Nur sehr zögerlich wurden ihnen höhere Laufbahnen eröffnet, und erst nach
dem Sturz der Monarchie konnte ein Marineingenieur – kein Seeoffizier (!) – Kommandeur
der technischen Schulen werden..

aus Marine braucht Technik - und Techniker!
100 Jahre Marinetechnikschule im Wandel der Geschichte
Prof. Dr. Michael Epkenhans
Militärgeschichtliches Forschungsamt
http://www.maritimesviertel.de/wp-content/uploads/2013/07/maritimesviertel_heft_outlet_merged.pdf
Grüße
Beate

,,Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen." George Santayana

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