Potsdam Flüchtlingsschiff 1945

Begonnen von B. Henz, 20 Februar 2015, 11:31:04

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B. Henz

Meine Mutter ist es mit uns 4 Kindern dank eines netten Matrosen im Winter 1945 in Gotenhafen gelungen, mit ihrer Freundin auf der Potsdam einen Platz zu ergattern, nach unserer Flucht von unserem Evakuierungsort Bütow in Pommern. Ich war gerade 4 Jahre alt und sehr krank von den Strapazen der Flucht (bittere Kälte, kaum Nahrung, die kämpfende Front nur 10 km entfernt), sodass meine Mutter unterwegs bei der Überfahrt oft zum Schiffsarzt musste. Daher kannte sie sich gut auf dem Schiff aus, meine 8-jährigen Brüder ebenfalls. Die hatten auf ihren Ausflügen an Bord einmal an Deck beobachtet, wie ein älterer Soldat aufschrie, weil eine Rakete seitlich auf uns zu kam. Der Käpitän gab dann den Befehl, sofort in den Rückwärtsgang zu gehen, und so schoss die Rakete vor dem Schiff an uns vorbei.
Wir kamen also heil in Kopenhagen an, und die Decks über uns wurden langsam geräumt. Ein Matrose kam zu unserer Luke und sagte, dass sich keiner von unserem Deck nach oben begeben dürfte, weil er sonst sofort erschossen würde. Als es dann aber sehr lange über uns stille war, packte uns unsere Mutter und ging zusammen mit ihrer Freundin, ebenfalls mit 4 Kindern, bis ans oberste Deck. Die Frauen dachten sich, dass doch niemand so ohne weiteres 2 Frauen und 8 Kinder erschiessen würde. Auf dem obersten Deck war ein Wachmann von der Besatzung, der verwundert fragte woher sie denn kämen. Das Schiff war in Kürze zur Rückfahrt nach Gotenhafen bereit. Unser unterstes Deck mit verwundeten Soldaten und Flüchtlingen wurde dann sofort geräumt. Offenbar hatte der Soldat, der uns an Bord halten wollte, mit den Dänen kooperiert, die zum absehbaren Kriegsende hin nicht mehr so viele Deutsche aufnehmen wollten. Später erfuhren wir im Lager, dass die Potsdam nach unserem Transport nicht wieder in Kopenhagen angelegt hat. Wir waren also offenbar auf der letzten der 6 oder 7 Fahrten, welche die Potsdam 1945 auf der Strecke von Gotenhafen nach Kopenhagen gefahren ist.
Hier kommt nun meine Frage: Weiss jemand, wann diese Überfahrt war?
Zudem: Ist etwas über den Sabotageversuch auf der Potsdam bekannt?
Wir sind übrigens von Kopenhagen aus zunächst per Eisenbahn nach Skagen gebracht worden, waren dort bei deutschen Soldaten in Baracken direkt am Meer untergebracht, und konnten uns wunderbar erholen. Eines morgens wachten wir aber auf und waren von Stacheldraht umgeben, wohl wegen Kriegsende. Die restlichen 2 Jahre der Internierung verbrachten wir dann in Frederikshavn, in einem riesigen Gefangenenlager, bevor man uns 1947 die Rückreise in unsere Heimat, ins völlig zerstörte Ruhrgebiet erlaubte. 

smutje505

Hallo B.Henz hier erfährst du einiges über die "Potsdam"- Potsdam (Schiff, 1935)Wiki

TW

#2
Potsdam  Fahrt 1: 31.01.1945 Gotenhafen – Sassnitz 04.02.1945 ca 7.500 -- Quelle: Bericht Conrad Cleff vom 16.3.1966 (Ordner 390b)
Potsdam  Fahrt 2: ..........................................  – Sassnitz 27.02.1945 ca 6.000  Entladung dauerte bis 6. März  --  Quelle: Heinz Schön, Ostsee '45, S.340+344
Potsdam  Fahrt 4: 25.03.1945 abds Hela – Kopenhagen 29.03.1945 ca 8.000  -- Quelle Lieske In: http://www.vorfahrenforschung.de/fluchtberichte_aus_danzig.htm
Potsdam Fahrt 5: 07.04.1945 Hela – Kopenhagen 08.04.1945 ca 8.000  -- Quelle: http://www.amenzell.de/lgr1c.htm

Es soll noch eine Fahrt gegeben haben. Möglicherweise Mitte März.
Nicht alle Links bestehen noch. Bei Quelle "Lieske" handelte es sich um Christel Lieske mit Sohn Wolfgang-Ekhard und Mutter.

P.S. Von der Beobachtung einer Leuchtrakete durch ein Kind sollte man nicht auf Sabotage schließen. Ein Schiff wie die Potsdam könnte einem militärischen Flugkörper nicht ausweichen.


Darius

Hi,

ich habe hier aus der Akte "KTB der Kriegsmarinedienststelle Danzig, Zweigstelle Gotenhafen" die folgenden Infos:
a) 23.02.1945 Potsdam mit 40t Transportgut von Swinemünde in Gotenhafen ein.
b) 23.02.1945, 08.00 Uhr, P.D. Potsdam eingelaufen aus Swinemünde mit 35t Verpflegung für MVA Gotenhafen, 5t 2cm Geschütze für 24. L-Flottille, 37 Kolli für Marine Nachrichtenmittelbetrieb Gotenhafen.

Die Abfahrt 31.01. habe ich nicht gesehen.

:MG:

Darius

TW

#4
Hallo B. Henz und Darius,

Die [reinen] Flüchtlingstransporte sind eben leider nicht im KTB verzeichnet.
Nach Unterlagen der BfZ lagen dem Seetra Engelhardt nach dem Krieg 3 Zeitzeugenberichte zum Einsatz der "Potsdam" vor. In unserem Konvolut (überliefert aus Nachlass Dönitz) ist davon nur der Bericht von Conrad Cleff vorhanden. Man muss also ins Staatsarchiv (das war irgendwo in Bayern, ich hab's schon wieder aus dem Gedächtnis verloren), oder zumindest dort schriftlich anfragen.

Mal sehen, ob ich das genannte Archiv wieder herausfinde.
Gruß, Thomas

TW

#5
Die Akten zur Ostdokumentation (früher Lüneburg) liegen heute offenbar im Bundesarchiv Bayreuth:
https://www.bundesarchiv.de/bundesarchiv/dienstorte/bayreuth/index.html
Quelle: http://www.forum-marinearchiv.de/smf/index.php/topic,22831.msg257497.html#msg257497

Ost-Dokumentation (145 lfd. Meter)

Die in den fünfziger Jahren entstandene Ost-Dokumentation stellt eine aussagekräftige Quelle für das Schicksal der deutschen Vertriebenen dar. Sie enthält:

* Fragebogen- und Erlebnisberichte zur Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ostmittel- und Südosteuropa,
* Unterlagen zur Flucht über die Ostsee,
* Berichte über Verwaltung, Wirtschaft und zum Zeitgeschehen 1919-1945 in den Gebieten östlich von Oder und Neiße,
* Berichte über das Leben der deutschen Volksgruppen in der Tschechoslowakei (1918-1945),
* Gemeindeseelenlisten (z.T. mit Ortsplänen) mit Angaben über den Personenstand der Gemeinden vor der Vertreibung.


Olaf Berg Nielsen

Hallo B. Heinz,
ich kann dir helfen Lagerkarten und andere Informationen über dir und deine Verwandte zu bekommen. Ich habe eine Menge von Bildern von den Flüchtlingslagern in Skagen und Frederikshavn.
Ich sende dir Morgen eine E-Mail

Hallo TW,
dieses Link fungieren bei mir nicht:
http://www.vorfahrenforschung.de/fluchtberichte_aus_danzig.htm
Du schreibst, dass Potsdam am 08.04.1945 in Kopenhagen war und brauche als Quelle: http://www.amenzell.de/lgr1c.htm

Aber war es nicht um Bord  T-4 wo dieser Matrose diente? (Sehe unter 23/1 1945)

Infolge meiner Liste über Schiffe die in Kopenhagener Freihafen zur Kai kamen war Potsdam letzte Mal in Kopenhagen am 29.03.1945 mit ca. 5-6.000 Flüchtlingen, ca. 3-4.000 verwundete Soldaten.

Mit freundlichen Grüßen
Olaf

TW

Alf Menzell schreibt:

06.4.1945
Weiter vor Hela auf Reede. Es gab wieder Fliegerangriffe der Russen auf unsere Schiffe, aber alle Bomben gingen daneben.

07.4.1945
Gegen Mittag Seeklar. Wir liefen nach Kopenhagen aus, wohin wir die Dampfer "Potsdam" und "Antonio Delfino" bringen sollen. Die Fahrt verlief ruhig, die Wache war natürlich permanent.

Menzell gehörte zur Besatzung eines der Geleitschiffe.
Der Link "vorfahrenforschung" ist leider abgeschaltet. Damit ist die Nachprüfung meiner Angaben aus dieser Quelle leider nicht mehr möglich.

TW

#8
Zur Aussage von Conrad Cleff:
Die Reise vom 31.1.45 bis 4.2.45 ist bei Cleff verzeichnet. Er sagt nicht, warum sie so lange dauerte. Dann schreibt er:
Insgesamt holte die Potsdam viermal Verwundete, Truppen und Flüchtlinge von Gotenhafen und zweimal von Hela, nachdem Gotenhafen von den Russen besetzt worden war. [Bei Heinz Schön ist von 7 Fahrten die Rede. TW]

Auf der letzten Reise nach Hela [leider kein Datum angegeben] ging es zurück nach Saßnitz. Stadt und Hafen waren kurz vorher heftig mit Bomben belegt worden, im Hafen und auf der Reede lagen Schiffe gesunken oder ausgebrannt, darunter auch eines der großen Passagierschiffe der Hapag (Deutschland-Klasse). Es war auf der Reede gekentert.
In Saßnitz wurde das Schiff nochmal durch das Marineverpflegungsamt Stralsund mit Proviant ausgerüstet, da es noch eine weitere Fahrt nach Hela machen sollte. Jedoch langte der Brennstoff nicht mehr für die Hin- und Rückfahrt. Der benötigte Brennstoff konnte auch nicht mehr beschafft werden. Das Schiff erhielt die Order, soweit das Öl reichte, nach Westen zu fahren. Mit völlig leeren Bunkern wurde Ende April die Flensburger Förde erreicht. Dort wurde das Schiff von den Engländern beschlagnahmt.


Cleff gibt keinen Hinweis darauf, ob auf dieser letzten (siebten ?) Reise noch Flüchtlinge von Saßnitz mitgenommen wurden. Ich glaube, auf Rügen waren damals kaum noch Flüchtlinge. Sollte allerdings die Flüchtlinge der sechsten Reise nun weiter nach Flensburg transportiert worden sein, dürfte man diese Reise nicht als siebente Reise bezeichnen, sondern müsste sie als Fortsetzung der sechsten betrachten.

Viele Grüße,
Thomas

bettika61

Hallo,
die "Potsdam" war am 7.5.1945 gemeldet in der "Geltinger Bucht"
http://www.forum-marinearchiv.de/smf/index.php/topic,14852.15.html #27

Grüsse
Beate
Grüße
Beate

,,Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen." George Santayana

Olaf Berg Nielsen

Hallo
Laut Akten der "Forschungsstelle Ostsee" machte "Potsdam"  7 Fahrten mit 53.891 Menschen, davon 3 nach Kopenhagen:

11.03.1945 mit ca. 3.600 verwundete Soldaten und ca. 4.000 Flüchtlingen

21.03.1945 mit ca. 5.000 verwundete Soldaten und ca. 5.000 Flüchtlingen

29.03.1945 mit 3-4.000 verwundete Soldaten und ca. 5.600 Flüchtlingen

Gruß Olaf

TW

#11
Zitat von: Olaf Berg Nielsen am 22 Februar 2015, 18:14:49
11.03.1945 ....
21.03.1945 ....
29.03.1945

Das sind durchweg dann die Ankunftstage, nicht ?
Ich werde es in meine Datenbank eintragen.
Vielen Dank und viele Grüße
Thomas

P.S. Was die strittige Tour Anfang April (Zeuge Menzell) betrifft, so könnte sich Menzel geirrt haben. Mit Antonio Delfino lief noch die General San Martin von Hela nach Kopenhagen.

Olaf Berg Nielsen

Hallo Thomas,
in Kopenhagen wurden nur die Ankunftstage registriert.

Vom 23.1. - 16.5.1945 hat Menzell an Bord des Torpedobootes T-4 der 2. Torpedobootsflottille der deutschen Kriegsmarine gedient.

Unter 7. April 1945 stehe: ,,En Torpedojager med nogle faa Flygtninge." (Einen Torpedoboot mit wenigen Flüchtlingen). Aber ich weiß nicht ob es damit T-4 gemeint ist.

8. April: "Antonio Delfino" und ,,Stettin"

9. April: ,,General San Martin", ,,Möwe", "Hestia" und "Herkules"

11. April: "Orion"

Das letztes was man in Kopenhagen von ,,Potsdam" registriert habe, ist unter 19. April. ,,Potsdam" sollte nach deutschen Quellen zwischen Bornholm und Drogden nach Fliegerangriffe weggeschleppt und auf Grund Gesätz.

Mit freundlichen Grüßen
Olaf

TW

#13
Hallo Olaf,
Ich habe das, was Du für den 19. April über die Potsdam gehört hast, einmal bei mir eingetragen, aber es wäre erstaunlich, wenn das Besatzungsmitglied Cleff sich bei seiner Niederschrift 1966 daran nicht erinnert hätte.

Cleff hat absolut kein zeitlich verlässliches Erinnerungsvermögen. Die Versenkung der "Hamburg" beim großen Fliegerangriff auf den Hafen von Sassnitz ereignete sich am 7. März. Cleff schiebt das Ereignis in die Erinnerungen an die letzte Reise der "Potsdam", also Mitte bis Ende April.

Aber Cleff erzählt eine Menge von der letzten Reise, und zu diesen Erinnerungen passt ein Flugzeugangriff auf die Potsdam zwischen Bornholm und Kopenhagen nicht wirklich dazu. Ohne weitere Berichte werden wir das aber nicht aufklären können.

Zur Ausgangsfrage #1 zurück müssen wir sagen: Eine Reise im Winter, noch von Gotenhafen aus ... das war keinesfalls die letzte Reise der "Potsdam", sondern es war die dritte (Ankunft 11.März) oder vierte (Ankunft 21. März). Von da an ging es ab Hela nach Kopenhagen.

Viele Grüße
Thomas

P.S. Über die Tage um den 8. März berichtet Heinz Schön, dass eine eisige Kälte über das Land zog und das Wetter über der Ostsee war stürmisch. Irgendwo im Internet kann man m.E. historische Wetterlagen abrufen. Finde es aber gerade nicht.

t-geronimo

Das kommt hin. Da schien ein fieses Tiefdruckgebiet über der Ostsee gewesen zu sein:

--/>/> http://www.wetterzentrale.de/topkarten/tkreaar2.htm
Gruß, Thorsten

"There is every possibility that things are going to change completely."
(Captain Tennant, HMS Repulse, 09.12.1941)

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