Sehr bemerkenswert...

Begonnen von bodrog, 23 April 2014, 19:36:17

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bodrog

neues maritimes Buch und dann das:

http://www.spiegel.de/kultur/literatur/plagiatsvorwurf-per-facebook-c-h-beck-prueft-buch-von-bader-karsten-a-965808.html


die Foren-Mitglieder mögen sich dazu eine eigene Meinung bilden...  :MG:

Hat es schon jemand gelesen?

MfG

Benjamin

#1
Hier der entsprechende Facebookpost - wurde gestern veröffentlicht.

Liebe Follower, sagt mir, was ich tun soll.

Es gibt ein Buch "Große Seeschlachten: Wendepunkte der Weltgeschichte von Salamis bis Skagerrak" von Arne Karsten und Olaf B. Rader, erschienen 2013 im C.H. Beck-Verlag. Dieses Buch ist vollständig aus Wikipedia-Einträgen zusammenkopiert.

Beispiele? Karsten/Rader schreiben: "Die Tatsache, dass die Rumpfgeschwindigkeit nur von der Wasserlinienlänge abhängt, ist der Grund, warum längere Schiffe – bei entsprechend starkem Antrieb durch Wind oder Ruderer – höhere Geschwindigkeiten erreichen können als kürzere Schiffe. [...] Dies spiegelt sich in dem noch heute geläufigen Seglerspruch 'Länge läuft' wider."

Wikipedia schreibt dazu: "Die Tatsache, dass die Rumpfgeschwindigkeit nur von der Wasserlinienlänge abhängt, ist der Grund, warum größere Schiffe – bei entsprechend starkem Antrieb durch Wind oder Motorleistung – in Verdrängerfahrt höhere Geschwindigkeiten erreichen können als kleinere Schiffe. Dies spiegelt sich in der Redewendung ,,Länge läuft" wider."

Bevor jemand Einwände erhebt: der Wikipediaeintrag ist älter als das Buch von Karsten/Rader, außerdem ist nachvollziehbar, wer diesen Teil des Wikipediaeintrags geschrieben hat: nicht Karsten und Rader.

Anderes Beispiel. Karsten/Rader schreiben: "Die Wasserverdrängung der Iowa entsprach nur auf dem Papier der auf der Londoner Flottenkonferenz von 1936 festgelegten Obergrenze von 45.000 BRT. Bei voller Zuladung lag sie tatsächlich bei etwa 58.000 Tonnen."

Wikipedia dazu: "Die Wasserverdrängung der Iowa entsprach nur auf dem Papier der auf der Londoner Flottenkonferenz von 1936 festgelegten Obergrenze von 35.000 ts (Standardtonnen). Bei voller Zuladung lag sie tatsächlich bei etwa 58.000 ts."

Interessant: Hier haben Karsten/Rader erstens Wikipedia kopiert und dann zwei Fehler eingebaut: die Londoner Flottenkonferenz legte tatsächlich eine Obergrenze von 35.000 ts fest und außerdem haben Standardtonnen (ts) bei Kriegsschiffen nichts mit Bruttoregistertonnen (BRT) bei Handelsschiffen zu tun.

Weiter mit der "USS Iowa". Karsten/Rader schreiben: "Ihre Hauptartillerie bestand aus neun Geschützen vom Kaliber 16 Zoll (= 40,6 Zentimeter), die in zwei Drillingstürmen auf dem Vorschiff und einem weiteren auf dem Achterschiff integriert waren. Die Geschosse hatten eine Reichweite von bis zu 40 Kilometern..."

Wikipedia: "Die Hauptartillerie des Schlachtschiffs bestand aus neun Geschützen vom Kaliber 16 Zoll (40,6 Zentimeter), die in zwei Drillingstürmen auf dem Vorschiff und einem weiteren auf dem Achterschiff zusammengefasst waren. Mit einer Reichweite von bis zu 40 Kilometern...".

Karsten/Rader weiter: "doch die seitlich der Decksaufbauten befindlichen Mehrzweck-Zwillingsgeschütze sowie die zahlreichen kleineren Flugabwehrkanonen wurden entfernt. Die Schiffe erhielten stattdessen moderne Lenkwaffen, darunter 32 Marschflugkörper «Tomahawk» und 16 Seezielflugkörper «Harpoon»."

Wikipedia: "[...] seitlich der Decksaufbauten je fünf Mehrzweck-Zwillingsgeschütze vom Kaliber 5 Zoll (12,7 Zentimeter) und zahlreiche kleinere Flugabwehrkanonen der Kaliber 40 und 20 Millimeter. [...] Bei der Modernisierung ab 1982 erhielt die Iowa mehrere Arten moderner Lenkwaffen: 32 Marschflugkörper BGM-109 Tomahawk in acht Armored Box Launchers, 16 Seezielflugkörper AGM-84 Harpoon."

Karsten/Rader setzen an dieser Stelle eine Fußnote "vgl. Malcolm Muir: The Iowa Class Battleships". Das ist auch die Literatur, die in Wikipedia angegeben ist. Karsten und Rader haben dieses Buch jedoch niemals in der Hand gehabt. Sie haben nämlich in ihrem Buch *nichts* über die USS Iowa zu berichten, was über Wikipedia hinausginge.

Genug: diese Beispiele kann ich beliebig verlängern. Karstens und Raders Buch ist nicht zu retten. Ich finde auf *jeder* Seite wörtliche, nicht gekennzeichnete Übernahmen aus Wikipedia, die sich in den Fußnoten als Quellenstudium ausgeben - und ich kann das belegen.

Nun könnte man einwenden, hier hätten vielleicht zwei seekriegsenthusiastische Laien "in mühevollster Kleinarbeit" den Überblick über Ihre Quellen verloren. Weit gefehlt: Arne Karsten ist ein Schützling und Günstling von Horst Bredekamp und hat mit ihm zusammen viele Jahre lang das DFG-Forschungsprojekt "Requiem" geleitet. Olaf B. Rader ist Mitarbeiter der Monumenta Germaniae Historica bei der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und gibt zusammen mit Johannes Fried die "Erinnerungsorte des Mittelalters" heraus. Karsten und Rader arbeiten nicht irgendwie am Rande der deutschen Geschichtswissenschaft, sondern im Zentrum.

In ihrem Nachwort gilt Karstens und Raders "vielfacher Dank an all diejenigen, ohne deren Anregung, Unterstützung und Korrekturen aus den unterschiedlichsten Perspektiven, als Mitreisende, Mitlesende oder Mitdenkende, dieses Buch nicht in der vorliegenden Form hätte entstehen können" und dann nennen sie nicht etwa Wikipedia-Autoren, sondern: Alexander Demandt, Ralph-Johannes Lilie, Christian Meier und Herfried Münkler.

Desweiteren könnte man einwenden, Karstens und Raders Buch über "Große Seeschlachten" wende sich lediglich an ein Laienpublikum von aussterbenden Ritterkreuzträgern und aktuellen Seekriegs-Nerds, weswegen disziplinäre Standards der Geschichtswissenschaft nicht gälten. Diesem Einwand würde ich entgegenhalten, daß Karsten und Rader durchaus einen Anspruch mit ihrem Buch verbinden. Sie stellen sich ausdrücklich in die Tradition von Hans Delbrücks Monumentalwerk "Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte" - ein Werk, das Karsten und Rader wiederum nicht aus erster Hand kennen, sondern lediglich aus Wikipedia zitieren.

Spätestens an diesem Punkt wird es häßlich: die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat Karsten und Rader für ihr Buch Forschungsreisen nach Venedig, Kopenhagen und San Francisco finanziert. Man stelle sich das vor: die DFG finanziert zwei Historikern einen mehrwöchigen Forschungsaufenthalt in San Francisco, um die USS Iowa zu studieren, und dann kehren die mit nichts zurück als - Wikipedia?
______________

Die Benutzer haben diesen Post mehrere hundert mal kommentiert - bisher. Unter anderem beginnen sie gerade auch, weitere Bücher der Autoren unter die Lupe zu nehmen. Ich zitiere mal ein Kommentar zu obigen Post auf der Facebookseite:

"Wenn man Textstellen aus der Amazon-Leseprobe von Olaf B. Raders "Kaiser Friedrich II." googelt, findet man auch die in verschiedenen Wikipediaeinträgen. Ich bin bisher bei jeder halbwegs charakteristischen Stelle fündig geworden. Nur bei einer davon habe ich nachgesehen, wer der Autor dieser Stelle im Wikipedia-Eintrag war. Die Änderung ist von 2005 (das Buch erschien 2012), und der Verfasser (Nutzer Benowar) ist ziemlich eindeutig nicht Rader."

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Das entsprechende FB-Profil mit dem obigen Texten und weiteren Kommentaren findet ihr hier: https://www.facebook.com/arne.janning?fref
If there's more than one possible outcome of a job or task, and one of those outcomes will result in disaster or an undesirable consequence, then somebody will do it that way.

Karsten

Uiuiui ...

Was lernen wir daraus? Auch Abschreiben will gelernt sein!  :BangHead:
Viele Grüße,

Karsten

bodrog

#3
da fällt mir einiges dazu ein...

ich sach mal Hormann/Kliem: Die kaiserliche Marine im Ersten Weltkrieg. 2013

verglichen mit

Mantey: Unsere Marine im Weltkrieg 1914-1918. 1927

wo ist denn der Mehrwert des neueren Produkts (schönere Bilder vielleicht?) - gibts nicht, weil nie im Archiv gewesen  :/T(
alles Schmalspurhistoriker. Denn echte Forschung kostet Geld und Zeit  :MG: jeder der mal ernsthaft mit Quellen gearbeitet hat, sähe solcherart Machwerke liebe in der Mülltonne! Und auch bei Wiki gilt: Glaube keinem Beitrag, den du nicht selbst geschrieben hast...



Karsten

Zitat von: bodrog am 23 April 2014, 21:13:25im Archiv gewesen

Zwingende Voraussetzung, um tatsächlich was NEUES zu schreiben. Ohne Originaldokumente keine neuen Erkenntnisse!

Zitat von: bodrog am 23 April 2014, 21:13:25Denn echte Forschung kostet Geld und Zeit

Dem ist so, wie ich aus eigener Erfahrung leidvoll bestätigen kann. Allerdings habe ich das als "ungelernter Hobbyhistoriker" auch erst lernen müssen.
Viele Grüße,

Karsten

Leutnant Werner

Mutter hat mir diesen Scheiß zu Weihnachten geschenkt.

Nach den ersten 5 Seiten habe ich es in die Ecke gestellt.

Jetzt wird dieser Hort der Allgemeinplätze in die Tonne gekloppt.

Beste Grüße
Ekke

Violoncello

Hallo zusammen,

zu dem Thema

Zitat von: bodrog am 23 April 2014, 21:13:25
Denn echte Forschung kostet Geld und Zeit  :MG:
:

Nach meinen Erfahrungen beträgt das Verhältnis "Aufwand" zu "Einnahmen" bei Themen, die nicht im Fokus des öffentlichen Interesses stehen und damit entsprechende Auflagehöhen erwarten lassen, etwa 7-10 : 1. Ich muss also bis zu 10 EUR für Recherchen einsetzen, um im Zweifel irgendwann in der Zukunft 1 EUR an Autorenhonoraren zu erhalten. Hierbei sind allerdings die steuerrechtlichen Möglichkeiten ausgeblendet, die das Verhältnis im Einzelfall deutlich günstiger gestalten können.

Ich kann nur jedem Hobbyhistoriker empfehlen, Mitglied in der "VG Wort" (der Schwester der GEMA für die schreibende Zunft) zu werden. Zumindest im Jahr der Erstveröffentlichung eines zitierfähigen Werkes (z. B. ISBN-Nummer) wird man dann an den Ausschüttungen beteiligt, die sein können, als höher liegen als das Autorenhonorar.

Viele Grüße

Violoncello 

Ferenc

Hallo,
Wie sieht es denn aus wenn so was umgekehrt passiert?

Ich habe hier im Forum die Geschichte des Österreichischen Lloydschiffes WIEN, später ital. Lazarettschiff PO "publiziert".
Die Schiffsbiographie zwischen 1918 bis zur Versenkung 1941 habe ich in langwieriger Arbeit aus verschiedenen Quellen zusammengetragen. Diese Zeitspanne war noch nicht recherchiert.
Vor nicht allzulanger Zeit habe ich in Wikipedia meinen Artikel haargenau kopiert/abgeschrieben wiedergefunden. Ich habe ihn jedenfalls nicht in Wikipedia eingestellt.
Was sagt ihr dazu?
Grüße
Ferenc

Peter K.

Tja, mir ging´s vor nicht allzu langer Zeit ´mal ähnlich:
Eines meiner Postings in diesem Forum wurde praktisch wortwörtlich ohne mein Wissen in einem österreichischen Printmedium veröffentlicht! Ich habe mich damals sehr über diese Unverschämtheit geärgert, kostete doch auch diese Recherche Zeit und Geld. Ich habe damals keine juristischen Schritte veranlasst, aber im Gegensatz zu dir kenne ich den "Autor" des fraglichen Artikels und das merk´ ich mir einfach ´mal! Man hilft ja gerne, aber so nicht!
Grüße aus Österreich
Peter K.

www.forum-marinearchiv.de

jockel

Zitat von: Ferenc am 28 April 2014, 21:34:08
...meinen Artikel haargenau kopiert/abgeschrieben...
...tja, so mancher Schriftsteller betreibt halt Schriftstehlerei :-D




Gruß
Klaus

Urs Heßling

moin,

Zitat von: jockel am 28 April 2014, 22:34:33
..tja, so mancher Schriftsteller betreibt halt Schriftstehlerei
top :MG:

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

t-geronimo

Tja, so siecht ein Berufsstand dahin...  :|
Gruß, Thorsten

"There is every possibility that things are going to change completely."
(Captain Tennant, HMS Repulse, 09.12.1941)

Forum MarineArchiv / Historisches MarineArchiv

Tostan

Zitat von: bodrog am 23 April 2014, 21:13:25
Und auch bei Wiki gilt: Glaube keinem Beitrag, den du nicht selbst geschrieben hast...

eher: glaube keinem Beitrag der keine vernünftigen und seriösen quellen angibt. Ist halt wie bei Fachbücher auch. Es gibt solche und solche. Aber im Gegensatz zu Brockhaus und Co(Wikipedia ist kein Fachbuch von Forschern welche mit Primärquellen arbeiten, sondern eine Enzyklopädie, welche den Stand des Wissens wiedergibt) kann man als Leser bei wikipedia die Quellen nachprüfen - die anderen Enzyklopädien geben sie nicht an.

Tostan

Hallo Ferenc,

Zitat von: Ferenc am 28 April 2014, 21:34:08
Ich habe hier im Forum die Geschichte des Österreichischen Lloydschiffes WIEN, später ital. Lazarettschiff PO "publiziert".
Die Schiffsbiographie zwischen 1918 bis zur Versenkung 1941 habe ich in langwieriger Arbeit aus verschiedenen Quellen zusammengetragen. Diese Zeitspanne war noch nicht recherchiert.
Vor nicht allzulanger Zeit habe ich in Wikipedia meinen Artikel haargenau kopiert/abgeschrieben wiedergefunden. Ich habe ihn jedenfalls nicht in Wikipedia eingestellt.

Schau mal hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Hilfe:FAQ_Rechtliches#Was_mache_ich.2C_wenn_ich_in_der_Wikipedia_eine_Urheberrechtsverletzung_entdecke.3F
Man kann in der Wikipedia Urheberrechtsverletzungen anzeigen und löschen lassen, das geht relativ unkompliziert.

Allerdings kann es dann dazu führen, dass nach einer Löschung die Fakten aus deiner Recherche wieder im Artikel auftauchen allerdings mit korrekter Quellenangabe und eigenen Formulierungen - das wäre dann keine Urheberrechtsverletzung mehr.

Asahi.3

Also ich habe persönlich die Erfahrung gemacht, dass Wikipedia grundsätzlich doch auf den Autorenschutz achtet. Ich habe mal einen (mit erheblichem Aufwand recherchierten) Lebenslauf eines auf den Philippinen tätigen Österreichers, den ich in einem Buch veröffentlicht hatte, auf Wikipedia eingestellt; am nächsten Tag war er wieder gelöscht. Da habe ich dem Lektor ein leicht verärgertes e-mail geschrieben, ob er ihm nicht gut genug war. Er schrieb zurück: Der Beitrag musste gelöscht werden, weil er zur Gänze aus dem Buch ,,Wilhelm M. Donko: Österreich-Philippinen 1521-1898" abgeschrieben ist (laut Recherche auf google.books) und somit eine Urheberrechtsverletzung darstellt. Ich habe ihm zurückgeschrieben, dass ich selbst der Autor dieses Buches und dass das in Ordnung gehe. Da hat er wieder zurückgeschrieben, dass er die Freigabe des Verlages braucht, da es sich um eine veröffentlichte Quelle handelt. Ich war durchaus beeindruckt. – Aber sicher sind nicht alle Lektoren so sorgfältig in der Recherche der Quellen.

Mit besten Grüßen, Asahi.3

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