Wie Europa in den Krieg wandelte

Begonnen von Matrose71, 27 Oktober 2013, 06:03:45

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Wendenburg


Frage:
Ging es bei diesem Thema nicht darum "Wie Europa in den Krieg wandelte" und um die Schuldfrage an der Verantwortung für den Kriegsausbruch?


Wendenburg

bodrog

@Big A

ZitatSchön, aber was hat das mit dem Thema zu tun???

genau das, dass es keine Schlieffen-Plan mehr gab, sondern ein Konstrukt Moltke II...

wobei natürlich immer noch die Alternative B: Offensivaufmarsch gegen Russland und Defensive im Westen fehlt...

Zudem fehlt mir bei der ganzen Hypotheisierei alles, was die damals maßgebenden Militärs nicht wahr haben wollten (sowas wie MGs, Defensive stärker als Offensive, etc.) und auch keine Antworten darauf hatten .

Für mich damit EoD  8-)

Matrose71

#122
Salve,

das alles ist aber recht schwierig!
Deshalb wurden auch die "What if" Themen eingeführt, wenn ich jetzt von einem Moltke Plan referieren würde, kommen unsere internationalen Mitleser nicht mehr mit, das wurde mir aber mehrfach per PM, von der Forumsleitung unter die Nase gerieben, wie unkollegeial ich bin, das so differenzierte deutsche Analysen (auch im Bereich Schiffstypenentwicklung) international  nicht verstanden weden!
Insoweit kann ich Kaimarex Ausführungen halbwegs vesrtehen, die internatioanlen Leser und unsere Forumsleitung sehen das eher anders.

Völlig klar ist, dass das was Moltke im August/September 1914 ablieferte, recht wenig mit dem originalen Schlieffen Plan zu tun hatte, allerdings habe ich immense Zweifel, dass der geklappt hätte (Logistik) und für unsere internationalen Leser benenne ich "Moltke" als Schlieffen Plan, sonst gibt es nur wieder Ärger!
Viele Grüße

Carsten

mudfladdy

Zitat von: Urs Heßling am 11 Januar 2017, 17:00:02
moin,

wer bei Suche den Namen "Schlieffen" eingibt, wird finden, daß im FMA schon einiges dazu geschrieben wurde. Der Schlieffen-Plan ist aber nur ein Teilaspekt dieses Threads.

Zitat von: Götz von Berlichingen am 10 Januar 2017, 20:55:51
Wenn hier im Faden immer vom Versagen des preußisch-deutschen Generalstabes schwadroniert wird, der nur den Schlieffenplan gehabt habe, so ist dies Quatsch.
"Quatsch" ist es nicht, von "Versagen" zu sprechen.
Meiner Meinung nach hätten die von Alex als "nicht vorhersehbar" eingestuften Parameter bei einer sorgfältigen, von Geheimdiensterkenntnissen unterstützten Generalsstabsarbeit erkannt und in der Planung berücksichtigt werden können, ja müssen.

Gruß, Urs

Hi,

sorry - "den" Schlieffen-Plan gab es so gar nicht. Ein gern wiederholter Fehler heutiger Foristen.
Der Aufmarsch nach Schlieffen sollte mit deutlich mehr Streitkräften (2 Armeen MEHR als das Kaiserreich hatte) und auch durch die Niederlande hindurch erfolgen.

Moltke der Jüngere arbeitete einen "Plan" aus, der eher aus dem Stehgreif auf die Situation reagierte.
Die Belgier, deren Widerstand zunächst als gering angesehen wurde zerstörten den Zeitplan der Deutschen, zudem blockierten Festungen notwendige Eisenbahnlinien.
Hinzu kam dass Frankreich schneller mobilisierte als erwartet, Rußland früher in Ostpreussen stand und die Kommunikation mit Österreich - vorsichtig formuliert - verbesserungsfähig war (was man am Chaos des Aufmarsches der 2.öst. Armee sehen kann)

Trotzdem hätte man - wegen der massiven Fehler der Franzosen (mit ihrem sinnfreien "Angriffselan" ihre Truppen abschlachtend) das "Ding" gewinnen können, wären die Bayern nicht neidisch auf die Preussen gewesen.
Die Bayern sollten sich im Elsaß zurückziehen und die im Süden stehenden Franzosen tiefer nach Deutschland lassen. Stattdessen griff man an, trieb (im Nordsektor) die Franzosen zurück und ein franz. General nahm seine Armee entgegen dem Befehl des OBs zurück (3.Armee (aus dem Gedächtnis)).
Dies "rettete" die Kampfkraft Frankreichs.

Der Plan, so schlecht er war (auch weil ihm die nötigen Truppen fehlte) hätte funktionieren können, wegen Fehler der Gegenseite.
Die Schlacht an der Grenze - die Eröffnungsgefechte - waren ein einziges Massaker unter den Franzosen, welche mit Bayonett-Angriffen verbluteten.

kaimarex

Wie sagt das chinesische  Sprichwort : Stimmen die Begriffe nicht ...
kommt das ganze Land in Unordnung !!

Schon vor 90 Jahren hat einer der allerhöchsten dt. Generale  den Mythos/ das Märchen von S- Plan im August 1914 zerstört.

Wie viele Märchen ist es ganz bekannt und beliebt, da nimmt man den Zuhörern doch nicht ihre schönen Traumbilder weg.

Ich seh schon : Da Hr. Gröner nicht sofort bei Buchveröffentlichung die ganzen Armeestäbe des August 1914 vors Kriegsgericht gestellt hat( wg Nichtbefolgung ihrer klaren Befehlsvorgaben ), ist es nie allgemein bekannt worden, was denn für ein Auf- und Vormarschplan im Jahr 1914 galt.

Und 2 Bücher a ca. 250 Seiten zu lesen und gar die ca. 45 Karten anzuschauen und zu verstehen, erfordert Mühe. SOLL aber alles MÜHELOS sein.
Mühelos ist : JEDER Aufmarschmarsch nennt sich , Achtung ; Schlieffenplan.(!!! ) 8-) :ML:
Verwenden die Briten, Japaner, Russen, Italiener, Franzosen diesen Begriff auch fleißig ? :-D
sagen die Italienier : Unser Schlieffenplan von Mai 1915 ODER
unser AUFmarsch und Feldzugplan vom Mai 1915 ??

Marinevergleich : Sehr viele Menschen wissen was ein Torpedo ist, heute " weiß " jeder, was eine Lenkwaffe ist.
Um Zeit und Begriffe zu sparen, werden Torpedos jetzt auch auch Lenkwaffen bezeichnet.  Wir sprechen nun nicht mehr von T-Booten, sondern von Lenkwaffenbooten !
Da damals großer Wert auf Geschwindigkeit gelegt wurde, genauer gesagt " schnelle Lenkwaffenboote " für die Angelsachsen: " Rapid guided weapon Boats " RGWB zb . RGWB V29

Stimmen die BEGRIFFE nicht ...  !
Ein deutscher Generalstabsoffizier 1910 nach Gesprächen mit brit.Generalen, deren Angst vor Aufständen in Indien und Ägypten und der Gefahr der Invasion" Man erwartet also von Deutschland dasselbe Verhalten, daß man von England erwarten müßte."

Der preußische Militärgeist hat eine schwache Stelle: die Neigung zur Schablone

mudfladdy

Zitat von: Wendenburg am 12 Januar 2017, 19:38:19

Frage:
Ging es bei diesem Thema nicht darum "Wie Europa in den Krieg wandelte" und um die Schuldfrage an der Verantwortung für den Kriegsausbruch?


Wendenburg

Ja - aber da hängt vieles zusammen.

Beispiel:
Die strategische Ausgangslage VOR dem Krieg war so, dass alle von einem kurzen Krieg ausgingen (keine Vorratshaltung). Offiziere wie von Golz, welche einen langen blutigen Krieg vorhersahen wurden nicht ernst genommen.

Politisch war der Balkan ein Problem.

Es gibt aber diverse "Aufhänger".

Ein Beispiel: Großbritannien sei, so die Sage, von den bösen Deutschen (Kaiser und Tirpitz) gezwungen worden sich mit Russland und Frankreich zusammen zu tun.
Diese Mär wird gerne hervorgeholt, ist aber grundlegend falsch.
Richtig ist, die Briten (Marine) nutzen die deutsche Rüstung um selbst genug Kohle für "noch mehr Schiffe"zu bekommen. Tatsächlich gibt es KEINEN Beleg, dass die Flotte zu irgend einem Zeitpunkt Sorge vor den "Hunnen" hatte. Man hielt sich für überlegen, Deutsche und Deutsche Waffen für minderwertig (weil Deutschland keine Flottentradition hatte, zudem die Briten glaubten ein britisches Kriegsschiff sei mindestens 2 Gegner wert).
Schaut man sich die Schiffsneubauten an - so war HMS Dreadnought das Problem. Vor ihr hatte Großbritannien mehr Pre-DNs als alle anderen Nationen zusammen, ein uneinholbarer Vorsprung. Aber das neue Schlachtschiff entwerte ALLE diese Schiffe, somit wurde der Zähler auf Null gestellt.
Die Flotte Großbritanniens sah sich nie als gefährdet an.
Franzosen und Russen waren der Gegner des deutschen Reichs, die Flotte - Stand 1912 - war groß genug um beide zu schlagen. ABER beide Gegner rüsteten massiv ihre Flotten auf, Deutschland wäre ab 1918-19 rein zahlenmäßig weit im Hintertreffen gewesen. Und da Schiffe nun einmal 3-4 Jahre gebaut werden war das 1912 bereits ersichtlich.
Ergo fällt dieses Argument - wenn man die britische Propaganda weglässt in sich zusammen. Anfängliche Gefechte (inkl. Doggerbank) "bewiesen" ja auch, dass moderne britische Schiffe überlegen waren. Dann kam Jutland - vom dem Schock haben sich die arroganten Lords bis heute nicht erholt.

Die Zahlen bezüglich "Armeegrößen", "Ausgaben fürs Militär" und Aufrüstung allgemein wurden bereits genannt. Daraus geht hervor dass Russland und Frankreich prozentual und in totalen Zahlen lange Zeit weit mehr Geld ausgaben als Deutschland oder Österreich-Ungarn. Erst 1913 drehten die Deutschen auf (Weshalb man gerne NUR dieses Jahr hinzuzieht, nicht aber die Jahre 1900-1912). Gleiches gilt im verstärkten Maß für ÖU.
Die kriegsgeilen Staaten (wenn man dies als INdikator nimmt) waren F und R.

Was den 1.Weltkrieg auslöste war - wie Clark es so schön beschreibt - eine Verkettung von Fehlern und massivem Fatalismus.

In Deutschland waren die Militärs gegen Krieg, sahen aber 1914 die letzte Chance einen aufgezwungenen Krieg gewinnen zu können. Frankreich rüstete auf Haubitzen um (war aber noch nicht fertig), Russlands Wachstum war "atemberaubend", massive Aufrüstungen sollten 1916 beendet werden (wohl eher 1920, aber das erkannte man nicht).

Wirtschaftlich wollte Großbritannien, auf einem zurückfallenden 3.Platz in der Welt (hinter den USA und dem Kaiserreich) einen unangenehmen moderneren Gegner ausschalten.
Zudem schielte man auf den nahen Osten (gemeinsam mit Frankreich) und war verstimmt dass der "Hunne" die Eisenbahn baute.

GBs Politik war übrigens noch idiotischer als die des Kaiserreichs.
Ein rascher Sieg gegen D und ÖU (war so eingeplant) hätte Frankreich und Russland zu Dominatoren gemacht. Großbritannien lag mit beiden im Konflikt, mit Russland so massiv dass man heute glaubt dass schon 1 Jahr später GB sich NICHT mehr am Krieg beteiligt hätte.

Schaut man sich also die politische, militärische und wirtschaftliche Lage an ergibt sich dieses Bild:
Serbien wollte Krieg mit ÖU, sein "Großreich" ausbauen. Man schlachtete ja bereits Minderheiten in Massen ab und wollte mehr. Es war von Rußland gedeckt und finanziert von Ru und F. Russland wollte an die Dardanellen und den Balkan "beherrschen".
Frankreich wollte keinen Krieg (Bevölkerung), die "Elite" schon. Der Stolz der Franzosen war seit 1871 verletzt, man wollte Rache. Deswegen war R-F-Bündnis kein Defensivbündnis. Klar geht seit 12 hervor, dass man IMMER den anderen unterstützen würde. Also auch ein russischer Angriffskrieg hätte französische Unterstützung bedeutet.

ÖU wollte mit Serbien abrechnen, da man erkannte- nach langer Blindheit - dass nur dann "Ruhe" einkehren würde. Serbien würde immer weiter zündeln. Ironischerweise war ÖU Serbiens wichtigster Handelspartner....

Russland wollte die Situation ausnutzen und wurde von F (Politik) ermuntert.

In GB wurde erst 1921 veröffentlicht dass Russland die Mobilmachung zuerst erklärt hatte.

Der Kaiser war halt ungeschickt. Man hätte mobilmachen können und dann zuschlagen. Ironischerweise war der Angriff gegen Belgien dumm und falsch.
Dumm wegen dem Imageschaden
falsch - weil Belgien umgekehrt auch den Franzosen und Briten einen heissen Empfang bereitet hätte.

"Schuldigkeitslevel" so man einen erstellen will (obwohl alle (ausser Belgien) schuldig waren)
1. Serbien - Irre Fanatiker die Krieg wollten
2. Russland - Ablenken von inneren Schwierigkeiten
3. Österreich-Ungarn - Krieg mit Serbien (3. Balkankrieg) war gewollt, jedoch NICHT mit Russland. Intelligente Politik und rasches Handeln hätte den Weltkrieg verhindern können
4. geteilt Frankreich (weil es Russland Blankocheck gab (wird ebenfalls oft ignoriert) und Deutschland - dito an Österreich)
5. GB (man tat nichts um die Krise zu entschärfen, die politische Klasse versagte weil Grey ein Verbrecher und Lügner war)
6. Osmanen: Man wusste was die Stunde schlug - die Pläne zur Zerschlagung des osm.Reichs lagen in F, R und GB bereits vor.
Unschuldig:
Griechenland (von den Briten in Krieg gezwungen, ebenso niederträchtig wie bei Belgien durch Deutschland)
Belgien (von Deutschland attackiert)
Luxemburg  (war im Weg)

Clarks Schlafwandler sind ein Muss... auch andere neuere Bücher sind zu empfehlen. Vermeiden sollte man aber "probritische" Propaganda, welche zu 100 Jahren 1.Weltkrieg herauskam.

Man vergisst dass insbesondere in GB das Trauma des verlorenen Empires (ausgelöst durch den 1.Weltkrieg) noch nachwirkt.

Idealerweise arbeitet man sich durch die Literaturliste durch, die in Clarks Buch einsichtig ist. Man kann da zu vielen Bereichen sehr erhellende Informationen finden.

Huszar

Hallo, Carsten,

Beim Original-Plan sehe ich eigentlich recht gute Chancen, dass es geklappt hätte. Auch wenn die französische Armee in der Masse nicht eingekesselt hätte werden können, wäre mM ein beträchtlicher Teil untergegangen. Auch hätten mehrere wichtige Industriegebiete besetzt werden können. Mein Fazit: auch im schlimmsten Fall wäre Frankreich so geschwächt worden, dass man Zeit bekommen hätte, auch den Ostfeldzug abzuschliessen.

Beim Moltke-Plan bin ich nicht so sicher. Da konnte man sich weit weniger Fehler erlauben, als im Schliefen-Plan, trotzdem halte ich es für möglich, dass die Seine hätte erreicht und Paris hätte besetzt werden können, mit Vernichtung einiger fr. Armeen.

Was dann in REalität gemacht wurde... Da hat die Heeresleitung die Sache gründlichst in den Sand gesetzt.

Allerdings hat man im SOmmer 1914 nicht gewusst (oder gehofft), dass die dt Generäle den Feldzug so gründlich verlieren werden. (nur so nebenbei: was die Generäle anderer Länder so hingelegt haben, da waren die deutschen fast schon genial. Bestes Beispiel Mesopotamien, wo die Engländer ernsthaft geglaubt haben, ohne irgendwelche Logistik, rückwärtigen Diensten und einem leistungsfähigem Hafen von Basra auf Baghdad marschieren zu können...)

Somit:
Die deutsche Kriegserklärung an Russland war militärisch unbegründet und politisch verfehlt, mit einer Kriegserklärung an Frankreich hätte man ruhig bis zum ca. 20-25.08 warten können. Ein Einmarsch in Belgien war aber militärisch in dieser Situation zwingend notwendig. Die dt. Kriegserklärungen haben also keine Vorteile gebracht, haben nur sicher gestellt, dass nach dem Krieg die "offensichtliche" dt. Kriegsschuld bewiesen werden konnte. (Auch ein Grund, weshalb 25 Jahre später Hitler mit Kriegserklärungen sehr sparsam umging - hat aber nichts geholfen, der Verlierer ist ja immer schuld  :wink:)
Reginam occidere nolite timere bonum est si omnes consentiunt ego non contradico
1213, Brief von Erzbischof Johan von Meran an Palatin Bánk von Bor-Kalán

Matrose71

Hallo Alex,

wir sind sehr d'accord!

Ich hätte wirklich gerne gesehen was passiert wäre hätte das Kaiserreich nicht den Krieg gegen Russland erklärt und gegen Frabkreich und Belgien bis zum Äußersten gewartet und in der Zwischenzeit Ö-U mit Serbien geholfen. 3 Wochen sind eine Menge Zeit um viel Umzusetzen und Fakten zu Schaffen im Süden, auch für die Weltöffentlichkeit!
Das hätte Russland und Frankeich völlig anders unter Zugzwang gesetzt und GB hätte richtig heumeiern müssen.
Viele Grüße

Carsten

Huszar

Hallo, Carsten,

Ja, das wäre interessant gewesen!

Mal ein kleines Gedankenexperiment:
Viel früher, als in der Realität (12.08) wird auch bei Vorhandensein der kompletten 2.Armee nicht im Süden angegriffen werden können, wenn aber die 2.Armee nicht zurückgehalten werden müsste (wegen Abtransport nach Galizien), und ernsthaft am Feldzug Teil nehmen würde, würde die Schlacht von Cer (https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_von_Cer) etwas anders aussehen.
Die 2. serbische Armee könnte nicht an die Drina verlegt werden, sondern müsste an der Save und an der Donau gegen die 2.kuk-Armee verbleiben. Ohne diese Verstärkungen könnte die 5.kuk-Armee sehr wahrscheinlich nicht zurückgeschlagen werden können, und mit einem ernsthaften Offensive an der Save und der Donau würden die Serben in einer sehr schwierigen Situation sein.
Ein Jahr später konnte Serbien in etwa zwei Monaten besiegt werden, allerdings haben sich 1915 auch die Bulgaren am Feldzug beteiligt, was 1914 unwahrscheinlich wäre. Auch 1914 wären also mindestens diese zwei Monate für die komplette Besetzung Serbiens nötig. Würden wir diese zwei Monate haben?
In Realität haben die Russen am 20.08 die Grenze in Südost-Galizien überschritten, der Aufmarsch war aber weiter nördlich noch nicht abgeschlossen. Die preussische Grenze wurde aber schon am 17.08 überschritten. Wir können mM ruhig davon ausgehen, dass in der geänderten Zeitschiene (also ohne dt. und kuk-Kriegserklärung) spätestens zwischen dem 17.08 und 20.08 die russischen Kriegserklärungen erfolgen würden. In Preussen würde es keine Unterschiede zur Realität geben, wahrscheinlich aber in Galizien.
Es gibt zwei zu klärende Fragen:
1, würde die linke kuk-Flanke (1. und 4.Armeen) angreifen, wenn die 2.Armee an der äussersten rechten Flanke fehlen würde, und auch für längere Zeit nicht mit diesen Truppen zu rechnen wäre, oder durch Abgaben diese Flanke stärken und im Norden passiv bleiben?
2, könnte ohne die 2.Armee der russische Grossangriff Ende August (Schlacht an der Gnila Lipa) bzw im September am San und in den Karpathen aufgehalten werden?
Meiner Meinung nach würde die linke Flanke nicht angreifen, da im Gegensatz zur Realität nicht wir die Feindseligkeiten eröffnen würden, sondern die Russen, und wir somit nur reagieren würden. Auch müsste die rechte Flanke gesichert werden, da mindestens ein AK dort ausfallen würde (geht ja nach Serbien). Insofern man sich von Vornherein auf eine Defensive vorbereitet und bei Krasnik und Komarow nicht unnütz fast 60.000 Mann verliert, halte ich es für wahrscheinlich, dass das Fehlen der 2.Armee kompensiert werden könnte. Es ist aber wahrscheinlich, dass der russische Angriff wie in der Realität durchschlagen würde, und sich die Front etwa auf der realen Linie stabilisieren würde (Mitte-Ende September).
Falls es keine Panik im Generalstab gibt, und die 2.Armee im September aus Serbien abgezogen wird, würde dieser eine Monat nur dazu reichen, weniger, als die Hälfte des damaligen Serbiens zu besetzen (aus ca. 92.000km2 um die 40-45.000km2). Würde etwa bedeuten, die südlichsten 4 der heutigen serbischen Verwaltungsbezirke, Kosovo und Macedonien wären noch unbesetzt. Die Bahnlinie durch Nisch Richtung Türkei wäre aber offen.

Politisch wäre das Ausbleiben der Debakel in Serbien wahrscheinlich geügend, um Italien zumindest für 1915 noch neutral zu halten.
Reginam occidere nolite timere bonum est si omnes consentiunt ego non contradico
1213, Brief von Erzbischof Johan von Meran an Palatin Bánk von Bor-Kalán

Urs Heßling

moin, Ihr beiden,

ja, interessant, ..

.. aber das Thread-Thema heißt "Wie Europa in den Krieg wandelte" (Indikativ)

Die letzten beiden Beiträge könnten unter der Überschrift
"Abschied von Schlieffen - Eine andere deutsche Strategie für den Kriegsbeginn 1914"
stehen.

Wenn Ihr Euch weiter so und darüber austauschen wollt ... kann ich das einrichten.

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

Huszar

Hallo, Urs,

Ok, zurück zum Thema  :-D

Bei der algemeinen Kriegsgeilheit in Europa war mM ein Krieg schon lange vorprogramiert, eigentlich ein Wunder, dass die Balkankriege (oder der it-türk Krieg) einige Jahre früher nicht zum Weltkrieg geführt haben.
Sobald das Ultimatum von den Serben nicht angenommen wurde, wäre die Mitwirkung von mehreren Ländern nötig gewesen, um den Krieg zu vermeiden. Da aber Russland und Frankreich mobilisiert haben, musste Dtl handeln, um einen drohenden Zweifrontenkrieg auszuschliessen, also Einmarsch in Belgien. Wer wem wann den Krieg erklärt hat, ist in diesem Sinne eigentlich unwichtig - das aber Dtl derjenige war, der dies gemacht hat, lieferte Munition für die Kriegschuld-These (sowohl 1918, als auch heute bei Nationalmasochisten). Auch wenn Dtl mit den Kriegserklärungen an Fr und Ru gewartet hätte, wären die Kriegserklärungen von der anderen Seite spätestens zwischen dem 15.08 und 20.08 erfolgt.
Tja, verliert dann Dtl den Krieg, hätte die Entente andere Gründe für die "offensichtliche" dt. Kriegsschuld finden müssen. Wenn nicht anders, weil Dtl ein falsches Schriftbild benutzt hat...
Reginam occidere nolite timere bonum est si omnes consentiunt ego non contradico
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Matrose71

Salve,

keiner soll sagen, das Forum hier wäre einseitig, so stelle ich mal einen Aufsatz von "meinem Freund" JOHN C. G. RÖHL von 2015 ein, der "Die Schlafwandler" als Revisionismus  und als "brilliant but (in respect of German intentions) flawed—work of an Australian-born historian at Cambridge" bezeicnet.

Das ganze kreist wieder um eine deutschzentristische Sicht der Akten, Archive und angeblichen Kriegsziele, wobei das Septemberprogramm und Fritz Fischer die Hauptrollen spielen und das er es sehr gefährlich findet, dass man nicht mehr die deutsche Verknüpfung (Sonderweg und Schuld) zwischen WWI und WWII sehen möchte.

Sehr unterhaltend fand ich, dass er seine und Fischers Sicht der Dinge mit Galileos Festellung vergleicht, dass die Erde nunmal Rund ist und dass das eingentlich keine andere Interpretation zuläßt, im historischer und wisenschaftlicher Hinsicht, auch wenn das nun andere versuchen.
Viele Grüße

Carsten

mudfladdy

Zitat von: Matrose71 am 15 Januar 2017, 01:46:16
Hallo Alex,

wir sind sehr d'accord!

Ich hätte wirklich gerne gesehen was passiert wäre hätte das Kaiserreich nicht den Krieg gegen Russland erklärt und gegen Frabkreich und Belgien bis zum Äußersten gewartet und in der Zwischenzeit Ö-U mit Serbien geholfen. 3 Wochen sind eine Menge Zeit um viel Umzusetzen und Fakten zu Schaffen im Süden, auch für die Weltöffentlichkeit!
Das hätte Russland und Frankeich völlig anders unter Zugzwang gesetzt und GB hätte richtig heumeiern müssen.

Das ist vollkommen unsinnig.
Die Strategie des Kaiserreichs war, den "schwächeren" Gegner niederzuwerfen um dann den stärkeren (Russland) mit ÖU gemeinsam zu schlagen (und daraufhin einen "typischen" Frieden mit Russland zu erlangen).

Eine vollkommen andere Strategie bedeutet, man hätte gewusst dass
a.) Russland der instabile "leichtere" Gegner war
b.) es zu einem langen Krieg kommt.

Dieses Wissen hätte aber mehrere Jahre vorher andere Voraussetzungen bedingt. Wo kommen die her?

Deutschland konnte nicht anders handeln - auch wenn Passivität gegen Frankreich im Nachgang besser gewesen wäre.

Jedoch wusste man nicht dass Belgien sich gegen Frankreich verteidigt, man wusste ja nicht einmal dass Belgien sich gegen Deutschland verteidigen würde. Die Massaker erfolgten ja auch, weil man deutscherseits erbittert über die harte Gegenwehr war. Frust der Truppe. Das kam nicht von ungefähr.

Der Weg in den Krieg war überseht mit falschen Annahmen, dummen Fehlern, Mißverständnissen und Selbstüberschätzungen. Von allen beteiligten Politikern und Nationen.

heute weiss man es ist eindeutig dass
a.) Belgien sich gegen JEDEN Gegner verteidigt hätte
b.) Großbritannien IMMER gegen Deutschland Krieg geführt hätte
c.) Frankreich IMMER Russland beigestanden wäre

Die Idee einer "friedlichen" Lösung nach dem Attentat gab es nicht - das Risiko dass herauskommt dass die serbische Regierung UND die russische Regierung die Mörder unterstütz haben war viel zu groß. Übrigens selbst dann - so die Aussagen französischer Botschafter gegenüber Österreich-Ungarn, wäre man französischer Seite zu 100% Loyalität gegenüber Russland und Serbien bereit gewesen.

Nur Großbritannien hätte im Juli den Krieg stoppen können (wenn Grey tot umfällt, ein neuer Aussenminister die Lügen Greys erkennt und ein Skandal in UK die Regierung wegfegt, ergo keine Kriegsunterstützung, Frankreich bremst Russland, Russland opfert Serbien), mit dem vorhandenen Personal war das so aber nicht möglich. (Okay, ÖU hätte auch "nicht agieren" können - aber für 1914 war das nicht machbar)

mudfladdy

Zitat von: Matrose71 am 15 Januar 2017, 16:23:34
Salve,

keiner soll sagen, das Forum hier wäre einseitig, so stelle ich mal einen Aufsatz von "meinem Freund" JOHN C. G. RÖHL von 2015 ein, der "Die Schlafwandler" als Revisionismus  und als "brilliant but (in respect of German intentions) flawed—work of an Australian-born historian at Cambridge" bezeicnet.

Das ganze kreist wieder um eine deutschzentristische Sicht der Akten, Archive und angeblichen Kriegsziele, wobei das Septemberprogramm und Fritz Fischer die Hauptrollen spielen und das er es sehr gefährlich findet, dass man nicht mehr die deutsche Verknüpfung (Sonderweg und Schuld) zwischen WWI und WWII sehen möchte.

Sehr unterhaltend fand ich, dass er seine und Fischers Sicht der Dinge mit Galileos Festellung vergleicht, dass die Erde nunmal Rund ist und dass das eingentlich keine andere Interpretation zuläßt, im historischer und wisenschaftlicher Hinsicht, auch wenn das nun andere versuchen.

LOL... Clark hat ja gerade eben Primärquellen genutzt... da heult einer halt, dass seine "Nazis sind schuld"-Ideologie so nicht passt.
(Die FIscher-Fraktion hatte schon immer das Problem dass man im Kaiserreich faktisch Nazis mit anderen Bärten sah und zudem Herr Fischer seine eigenen Naziverbrechen, sagen wir mal "überkompensieren" wollte. So nach dem Motto "wenn die Kaiserlichen Nazis waren konnte ich nix dafür auch einer zu werden".

Clark entlastet Deutschland übrigens in keinster Weise. Er löst sich aber von diesem deutschen Sonderweg, alle Vorgänge aus "deutscher Schuld" zu sehen.

Wenn in Serbien eine Ansammlung von gewalttätigen Sadisten und Verbrechern die Macht hatte, welche Minderheiten bestialisch unterdrückte war das nie Schuld Deutschlands.
Wenn Russland innenpolitische Probleme mit Kriegsgeilheit kompensierte (man wollte offen das osman.Reich zerschlagen, die Balkanstaaten "unter die Obhut nehmen"), wenn Frankreich sich wegen verletzter Ehre "in den Tod rüstete" ist das NICHT ein deutsches Problem gewesen.
Großbritanniens Imperialismus, angefangen in Südafrika - wo man offen einen Nachbarn überfiel und deren Bevölkerung abschlachtete - auch weil dieser Staat fremdländische Investoren (Hust, deutsche Investitionen) hatte - hin zur "Krise im nahen Osten", weil die Osmanen lieber deutsche Eisenbahnen haben wollten), wenn die Briten halt logen um teurere Schiffe zu finanzieren, alles "deutsche Schuld".

In der Tat ein deutscher Sonderweg, in allem "deutsche Schuld" zu vermuten - analog zum hitlerschen Größenwahn. Was der Ösi überkompensierte, wird heute unterkompensiert, frei nach dem Motto "daran werden wir schon Schuld haben".

Ja - das Kaiserreich war mitverantwortlich, der unberechtigte Angriff auf Belgien hat das Image versaut. Die Massaker, wenn auch erklärbar - waren Kriegsverbrechen.

Jedoch waren Russland und Frankreich viel militaristischer, Russland, Frankreich und Großbritannien führten mehr und brutalere Kriege zwischen 1871 und 1914 und die Kolonialherren waren trotz Südwest mörderischer und brutaler als die Kaiserlichen.

Aber Fakten stören nur beim ideologischen "Schunkeln".
Gilt für die Großdeutsche Fraktion analog... dort war die Wehrmacht immer sauber, Opi kein Verbrecher und es war auch nicht alles schlecht...

man könnte kotzen

Matrose71

Zitat von: mudfladdy am 16 Januar 2017, 09:31:36
Zitat von: Matrose71 am 15 Januar 2017, 01:46:16
Hallo Alex,

wir sind sehr d'accord!

Ich hätte wirklich gerne gesehen was passiert wäre hätte das Kaiserreich nicht den Krieg gegen Russland erklärt und gegen Frabkreich und Belgien bis zum Äußersten gewartet und in der Zwischenzeit Ö-U mit Serbien geholfen. 3 Wochen sind eine Menge Zeit um viel Umzusetzen und Fakten zu Schaffen im Süden, auch für die Weltöffentlichkeit!
Das hätte Russland und Frankeich völlig anders unter Zugzwang gesetzt und GB hätte richtig heumeiern müssen.

Das ist vollkommen unsinnig.
Die Strategie des Kaiserreichs war, den "schwächeren" Gegner niederzuwerfen um dann den stärkeren (Russland) mit ÖU gemeinsam zu schlagen (und daraufhin einen "typischen" Frieden mit Russland zu erlangen).

Eine vollkommen andere Strategie bedeutet, man hätte gewusst dass
a.) Russland der instabile "leichtere" Gegner war
b.) es zu einem langen Krieg kommt.

Dieses Wissen hätte aber mehrere Jahre vorher andere Voraussetzungen bedingt. Wo kommen die her?

Deutschland konnte nicht anders handeln - auch wenn Passivität gegen Frankreich im Nachgang besser gewesen wäre.

Jedoch wusste man nicht dass Belgien sich gegen Frankreich verteidigt, man wusste ja nicht einmal dass Belgien sich gegen Deutschland verteidigen würde. Die Massaker erfolgten ja auch, weil man deutscherseits erbittert über die harte Gegenwehr war. Frust der Truppe. Das kam nicht von ungefähr.

Der Weg in den Krieg war überseht mit falschen Annahmen, dummen Fehlern, Mißverständnissen und Selbstüberschätzungen. Von allen beteiligten Politikern und Nationen.

heute weiss man es ist eindeutig dass
a.) Belgien sich gegen JEDEN Gegner verteidigt hätte
b.) Großbritannien IMMER gegen Deutschland Krieg geführt hätte
c.) Frankreich IMMER Russland beigestanden wäre

Die Idee einer "friedlichen" Lösung nach dem Attentat gab es nicht - das Risiko dass herauskommt dass die serbische Regierung UND die russische Regierung die Mörder unterstütz haben war viel zu groß. Übrigens selbst dann - so die Aussagen französischer Botschafter gegenüber Österreich-Ungarn, wäre man französischer Seite zu 100% Loyalität gegenüber Russland und Serbien bereit gewesen.

Nur Großbritannien hätte im Juli den Krieg stoppen können (wenn Grey tot umfällt, ein neuer Aussenminister die Lügen Greys erkennt und ein Skandal in UK die Regierung wegfegt, ergo keine Kriegsunterstützung, Frankreich bremst Russland, Russland opfert Serbien), mit dem vorhandenen Personal war das so aber nicht möglich. (Okay, ÖU hätte auch "nicht agieren" können - aber für 1914 war das nicht machbar)

Dann solltest du aber bitte erklären, warum die Kriegserklärung an Russland am 1. August höchst umstritten war in der kaiserlichen Regierung und im Großen Generalstab. Es bestand überhaupt kein Anlass auf Grund des Schlieffen Plans Russland am 01.08.1914 den Krieg zu erklären.

ZitatDas ist vollkommen unsinnig.
Die Strategie des Kaiserreichs war, den "schwächeren" Gegner niederzuwerfen um dann den stärkeren (Russland) mit ÖU gemeinsam zu schlagen (und daraufhin einen "typischen" Frieden mit Russland zu erlangen).

Eine vollkommen andere Strategie bedeutet, man hätte gewusst dass
a.) Russland der instabile "leichtere" Gegner war
b.) es zu einem langen Krieg kommt.


Das hätte man Wissen können und geht aus vielen Büchern und Quellen hervor, dass hier nicht sorgfältig gearbeitet wurde, wie es Urs bereits angemerkt hat, in Bezug auf andere Themen.

Auch ist dein Eröffnungssatz nach meinem Wissen und militärischen Verständnis falsch, man wandte sich Frankreich zu, da man dort schneller Aufmaschieren konnte und die bessere Logistik und kürzeren Wege für eine "Entscheidungsschlacht" vorfand und glaubte, dass Russland wesentlich länger für einen Aufmarsch brauchte.

Russland hatte 1906 einen Aufstand nahe am Bürgerkrieg hinter sich, es war weithin bekannt, dass es technologisch, ökonomisch und gesellschaftlich abgehängt war im Vergleich zu den anderen Großmächten und auf Kredite von Frankreich und GB angewiesen war.
Bei Mombauer und Tuchmann läßt sich gut nachlesen, dass vor allen dingen Moltke der Jüngere sehr irrational gegenüber Russland eingestellt war, da er ausschließlich Mannstärken auf Grundlage der Bevölkerungsgröße sah, die ökonoschen und logistischen Aspekte wurden aber nicht näher untersucht oder sorgfältig erkundet.

Desweiteren gibt es viele Belege, dass Moltke einem langen Krieg nicht ausschloss.

Insoweit teile ich deine Analyse überhaupt nicht.
Viele Grüße

Carsten

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