Wie Europa in den Krieg wandelte

Begonnen von Matrose71, 27 Oktober 2013, 06:03:45

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maxim

Das sind gute Beispiele dafür, dass es in anderen Staaten auch Anhänger von Angriffskriegen gab - was niemanden mit einem halbwegs guten Geschichtswissen überraschen sollte.

ABER: der Erste Weltkrieg wurde von der deutschen Regierung ausgelöst. Es waren die deutschen Kriegserklärungen und Invasionen von neutralen Staaten, die den Krieg auslösten.

Natürlich gibt es die Diskussionen darüber, ob z.B. Großbritannien deshalb in den Krieg eingreifen musste (die Invasion von Luxemburg, dessen Unabhängigkeit auch von Großbritannien und Deutschland vertraglich garantiert, wurde z.B. nicht als Kriegsgrund zitiert). Aber es war die deutsche Invasion von Belgien, die der Kriegspartei in Großbritannien die Mehrheit lieferte.

Man kann gerne darauf hinweisen, dass es auch in anderen Staaten Kriegstreiber und Kriegsverbrecher gab - womit natürlich recht recht hat. Aber das ändert nichts an der Verantwortung der damaligen deutschen Regierung. Und da geht es nicht um Alleinverantwortung, sondern um Verantwortung. Die Verbrechen und Dummheiten anderer rechtfertigen nicht die eigenen. Entsprechend ist meiner Meinung nach vollkommen legitim die Politik z.B. der damaligen britischen Regierung zu kritisieren und zu verurteilen - aber nicht mit der Behauptung wie "imaginären deutschen Provokationen". Diese waren nicht imaginär und auch nicht nur Provokationen, sondern tatsächlich ein Angriffskrieg. Nur weil es Kriegstreiber in Großbritannien gab (es gab auch entscheidende Gegner eines britischen Eingreifens in den Krieg!!) entschuldigt das nicht die Handlungen der deutschen Regierung. Man findet bei so gut wie jedem Krieg, dass es auf beiden Seiten Verantwortliche für den Krieg gab. Aber das entschuldigt nicht die Verantwortlichen auf einer Seite!

Matrose71

#61
Salve,

ZitatABER: der Erste Weltkrieg wurde von der deutschen Regierung ausgelöst. Es waren die deutschen Kriegserklärungen und Invasionen von neutralen Staaten, die den Krieg auslösten.

Also du findest eine russische Mobilisierung seit dem 25.7.1914, die am 28 Juli auf eine Vollmobilisierung aller deutschen Grenzbezirke hinauslief, also keine Provokation oder besser gesagt, den Auftakt zu einem Krieg?

Man kann doch die Entwicklung von 1904 bis 1914 nicht unberücksichtigt lassen, dass Kaiserreich war nach "seiner eigenen Einschätzung" eingekreist, Russland provoziert zielbewußt mit einer Vollmobilisierung aller Grenzbezirke, zur Verteidigung des Panslawismus und beteuert gleichzeitig, wir wollen nur die Österreicher "warnen", und das flankiert von einem Besuch des französischen Präsidenten!
Das war natürlich alles ganz harmlos........und gar kein Auiftakt zu einem Krieg..... wer es glaubt...

Klar hatte das Kaiserreich Verantwortung, dass es den Krieg hauptverantwortlich ausgelöst hat, stimme ich explizit nicht zu, dazu haben viel zu sehr alle darauf hin gearbeitet und besonders Russsland und Frankreich!
Dazu sollte man sich immer vor Augen führen, dass nur die Mittelmächte zu einem Zweifronten Krieg gezwungen waren, was die Handlungsspielräume ziemlich einengt.
Viele Grüße

Carsten

maxim

Wie gesagt, es mögen auch andere darauf hingearbeitet haben - aber das entschuldigt doch nicht die Handlungen der deutschen Regierungen.

Kennst Du irgendeine Handlung der deutschen Regierung, die darauf hinzielte den Krieg zu verhindern? Jeder kann Dir aber haufenweise Aktionen nennen, die den Krieg verursacht haben.

Du schreibst "Das war natürlich alles ganz harmlos........". Das ist genau der falsche Ansatz. Die waren übel, also waren wir nett und schuldig. Aber keine noch so üble Aktion der britischen, französischen und russischen Regierung entschuldigt die Vorgehensweise der deutschen Regierung. Die deutsche Regierung wollte den Krieg und machte alles, um ihn auszulösen, weil sie meinten, dass sie von dem Krieg profitieren würde, z.B. durch die Eroberung der Industriegebiete in Frankreich, "Lebensraum im Osten", mehr Kolonien etc.

Das Argument mit "Hauptverantwortung" hilft nicht weiter. Ich stimme voll zu, dass es an diesem Krieg nicht nur einen Verantwortlichen bzw. nur eine verantwortliche Regierung gibt. Aber man sollte, wenn man aus der Geschichte lernen will, lieber vor der eigenen Tür kehren - statt zu meinen, dass auf die Hinweise auf die Verantwortung anderer irgendjemanden entlasten würde.

Niemand hier hat damals gelebt und war verantwortlich - also warum nach Argumenten suchen, um die Verantwortlichen zu entschuldigen? Und zwar Leute zu entschuldigen, aufgrund deren Handlung u.a. 2 Millionen deutsche Soldaten starben. Diese Leute hätten einen langen Knastaufenthalt verdient gehabt - und nicht, dass man sie heute mit den Hinweisen auf die Aktionen anderer verteidigt.

Matrose71

Salve,

was für eine Herangehensweise!

Eine mehr oder minder "feindliche" Großmacht mobilisiert seine Armee an deiner Grenze, was nach dem damaligen Bündnissystem zwangsläufig auf ein Zweifronten Krieg hinausläuft!. Man war bei den Briten deswegen am 28. und 29. Juli vorstellig, die fanden dass aber nicht weiter wichtig!
Damit war klar, dass es eine deutsche Reaktion gibt!

ZitatDie deutsche Regierung wollte den Krieg und machte alles, um ihn auszulösen, weil sie meinten, dass sie von dem Krieg profitieren würde, z.B. durch die Eroberung der Industriegebiete in Frankreich, "Lebensraum im Osten", mehr Kolonien etc.

Das ist doch hinreichend widerlegt, als pure Proaganda, der Fischer und Roehl Vertreter, es gab nach Primärquellen, kein einziges Dokument der Regierung(en) des Kaisereichs oder des Kaisers, dass Kriegsziele oder irgendeine geartete Expansion in Europa, vor September 1914 belegen.
Nicht ein einziges!

Das was du da behauptest ist gelogen!

Das Kaiserreich ging ohne definierte Kriegsziele in den WWI und hatte vorher auch keine, die nach Quellen belegbar wären.

Das Septemberprogram, kam deutlich nach Kriegsausbruch und wurde nie von einem offiziellen Regierungsmitglied unterschrieben oder als offiziell bezeichnet weder vom Kaiser, Bethmann Hollweg oder Jagow.
Viele Grüße

Carsten

maxim

Und was ging dieser Mobilmachung voraus? Was hat die deutsche Regierung nach der Mobilmachung gemacht um den Krieg zu verhindern?

Bei den Briten wurde man vorstellig, um herauszubekommen, ob sie neutral bleiben. Wie im Zweiten Weltkrieg ging man von der seltsamen Vorstellung aus, dass Großbritannien neutral bleiben würde - was in beiden Fällen absurd war.

Es mag keine Dokumente geben, die derartige Planungen der deutschen Regierung belegen - aber es gibt haufenweise derartige Aussagen - Aussagen in der Art wie von Balfour. Dir ist schon klar, dass Balfour damals in der Opposition war? Und zwei Wahlen vor 1914 verloren hatte? Im Gegensatz zu Balfour waren die Leute in Deutschland, die sich Vorteile von einem Krieg versprachen, auch in der deutschen Regierung.

Besser als auf Balfour sollte man übrigens auf Mitglieder der britischen Regierung verweisen ;)

Matrose71

#65
Salve,

ZitatEs mag keine Dokumente geben, die derartige Planungen der deutschen Regierung belegen - aber es gibt haufenweise derartige Aussagen - Aussagen in der Art wie von Balfour. Dir ist schon klar, dass Balfour damals in der Opposition war? Und zwei Wahlen vor 1914 verloren hatte? Im Gegensatz zu Balfour waren die Leute in Deutschland, die sich Vorteile von einem Krieg versprachen, auch in der deutschen Regierung.

Falsch, es gab diese Aussagen nur von deutschen Militärs und nicht von- oder ehemaligen Regierungsmitgliedern des Kaiserreichs, dass ist der Punkt um den immer alles kreist!
Die deutschen Regierungen und der Kaiser hatten nachweislich, keine Kriegsziele in Europa vor  Ausbruch des WWI, wenn du was anderes behaupten willst, belege es mit Quellen!

Die Unterstützer von Fischer und Roehl, berufen sich immer auf das deutsche Militär, und schreiben ihm einen politischen Einfluss zu, der an Geschichtsfälschung grenzt, dass deutsche Militär hatte aber keinen größeren politischen Einfluss auf die deutsche Regierung, als Miltärs anderer Länder auch!
Dabei wird auch immer schön unterschlagen, dass das britische, französische und russische Militär, den Krieg gegen Deutschland seit 1907 in zig Konsultationen und Treffen vorbereiteten und planten;
Siehe Barbara Tuchmann Guns of August.

ZitatUnd was ging dieser Mobilmachung voraus? Was hat die deutsche Regierung nach der Mobilmachung gemacht um den Krieg zu verhindern?

Ein Mordanschlag auf den Tronfolger des einzigen Verbündeten, in den Kreise der serbischen "Elite" verwickelt waren!
Die deutsche Regierung wollte einen lokalen Krieg zwischen KuK und Serbien, es ist durch keine Primärquelle belegt, dass die deutsche Regierung auf einen großen europäischen Krieg hinarbeitete, man wollte die Russen bluffen aber keinen europäischen Krieg, sondern einen lokalen!
Russland hat auf Grund seines Panslawismus und um die Serben zu schützen, seit dem 25. Juli 1914, direkt nach dem Besuch des französischen Präsidenten mobilisiert, inklusive der deutschen Grenzbezirke.

Die deutschen Vertreter in London haben am 28 und 29 Juli die britische Regierung drauf hingewiesen, dass an der deutschen Grenze mobilisiert wird.
Viele Grüße

Carsten

maxim

Kurz: Dir fällt keine einzige Aktion ein, mit der die deutsche Regierung versuchte den Krieg zu verhindern.

Der Ermordung durch Kreise mit klaren Verbindungen zum serbischen Geheimdienst und der serbischen Regierung hätte niemals auch nur zu einem lokalen Krieg führen dürfen - ganz zu schweigen von einem Weltkrieg.

Und wegen der Rolle des deutschen Militärs: wenn das deutsche Militär keine besondere Rolle hatte, dann bedeutet dies in der Konsequenz, dass die deutsche Regierung (und nicht nur das deutsche Militär) aktiv auf einen Krieg hingearbeitet hat. Es gibt Leute, die sagen, dass die deutsche Regierung sich von der dümmlichen Planung (Schlieffen-Plan) des Generalstabs die Handlungen haben diktieren lassen. Aber das streitest Du ja ab - und gibst mir damit in Bezug auf deren Kriegsziele recht. Glaubst Du, dass das Septemberprogramm aus dem Nichts entstanden ist? Also erst danach entwickelt wurde und die Verantwortlichen davor ganz andere Ideen hatten? Und nie die Idee hatten, durch einen Krieg sich aus der Umklammerung militärisch (statt diplomatisch) zu lösen, in die sie selbst manövriert hatten? Die Ansicht, dass dies ein Verteidigungskrieg gewesen sei, ist geradezu bizarr. Es gab wohl in der Geschichte nie einen Angreifer, der nicht behauptet hätte, sich nur zu verteidigen (siehe auch "Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen").

Matrose71

#67
Salve,

aber über diesen Post kann ich wirklich nur den Kopf schütteln.

ZitatKurz: Dir fällt keine einzige Aktion ein, mit der die deutsche Regierung versuchte den Krieg zu verhindern.
Mir fällt keine Aktion ein, mit der die deutsche Regierung bewußt auf einen europäischen Krieg hingearbeitet hat. Vor allen dingen, sehe ich nicht, warum Russland das Recht hatte, sich auf Grund des abstrakten Panslawismus, in die Angelegenheiten zwischen KuK und Serbien einzumischen, wobei die Provokation, eindeutig von Serbien ausging. Mit welchem Recht mobilisierte Russland am 25.7.1914 seine Armee, auch und vor allen dingen an den deutschen Grenzbezirken, durch was wurde der Russische Staat oder seine Regierung bedroht?
Ging vom deutschen Kaiserreich im Juli 1914 eine Bedrohung Russlands oder der Entente aus, die eine Mobilisierung rechtfertigte?


ZitatDer Ermordung durch Kreise mit klaren Verbindungen zum serbischen Geheimdienst und der serbischen Regierung hätte niemals auch nur zu einem lokalen Krieg führen dürfen - ganz zu schweigen von einem Weltkrieg.


Wo lebst du eigentlich, ein Tronfolger wurde ermordet, also deshalb gibt es keine Reaktion?

https://de.wikipedia.org/wiki/Doggerbank-Zwischenfall

Ist dir das bekannt? Die Briten wollten einen Krieg gegen Russland beginnen und die russische Flotte, wegen der Schüsse auf britische Fischer, vernichten.
Was glaubst du wohl was passiert wäre, wenn ein russischer oder englischer Tronfolger ermordet worden wäre. Man sollte die Geschichte schon mit den Regeln ihrer Zeit analysieren und nicht aus der Sicht von 2016.

ZitatUnd wegen der Rolle des deutschen Militärs: wenn das deutsche Militär keine besondere Rolle hatte, dann bedeutet dies in der Konsequenz, dass die deutsche Regierung (und nicht nur das deutsche Militär) aktiv auf einen Krieg hingearbeitet hat.

Aha, woraus schließt du das? Quellen?

ZitatEs gibt Leute, die sagen, dass die deutsche Regierung sich von der dümmlichen Planung (Schlieffen-Plan) des Generalstabs die Handlungen haben diktieren lassen. Aber das streitest Du ja ab

Ähm, was unterstellst du mir, nach der Vollmobilisierung des russischen Militärs, dass zwangsläufig einen Zweifrontenkrieg nach dem damaligen Bündnissytem bedeutet, kamen natürlich die militärischen Optionen ins Spiel und die Handlungsspielräume, gerade der deutschen Politiker, wurden durch den drohenden Zweifronten Krieg, wesentlich enger, als der anderer Nationen.

Zitat- und gibst mir damit in Bezug auf deren Kriegsziele recht.

Wie du auf diese Schlussfolgerung kommst ist mir schleierhaft und erschließt sich wohl nur dir selber.

ZitatGlaubst Du, dass das Septemberprogramm aus dem Nichts entstanden ist? Also erst danach entwickelt wurde und die Verantwortlichen davor ganz andere Ideen hatten? Und nie die Idee hatten, durch einen Krieg sich aus der Umklammerung militärisch (statt diplomatisch) zu lösen, in die sie selbst manövriert hatten?

Ja das glaube ich, da es keine Quellen gibt, die etwas anderes belegen und ich an der Politik der Regierung des deutschen Kaisereichs bis zum Ausbruch des WWI (August 1914) kein zielgerichtetes  Handeln auf einen Krieg sehen kann (eher das Gegenteil, siehe Balkankriege und das managen dieser, durch Grey und Bethmann Hollweg).
Es gab weder eine Bevorratung von Munition, Salpeter, Kautschuk oder anderer kriegswichtigen Gütern, noch eine kriegswirtschaftliche Zivilplanung, wie die Rationierung von Lebensmittel oder die Mobilisierung von Arbeitskräften!

ZitatDie Ansicht, dass dies ein Verteidigungskrieg gewesen sei, ist geradezu bizarr. Es gab wohl in der Geschichte nie einen Angreifer, der nicht behauptet hätte, sich nur zu verteidigen (siehe auch "Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen")

Die Julikrise 1914 und den Ausbruch des WWI, mit dem Überfall auf Polen 1939 zu Vergleichen, disqualifiziert dich eigentlich als Gesprächspartner und ist schlicht lächerlich!
Viele Grüße

Carsten

Urs Heßling

moin,

Zitat von: maxim am 04 Januar 2016, 22:23:20
Die Ansicht, dass dies ein Verteidigungskrieg gewesen sei, ist geradezu bizarr. 
Nein, nicht unbedingt (siehe unten)

Zitat von: maxim am 04 Januar 2016, 22:23:20
Es gab wohl in der Geschichte nie einen Angreifer, der nicht behauptet hätte, sich nur zu verteidigen
Clemencau sagte "L'agresseur, c'est l'autre" http://www.bk-luebeck.eu/zitate-clemenceau.html

Nach einem intensiven Lesen der vorhandenen Sekundärliteratur (wer hat schon Primärquellen?)
kam ich zu folgender Analyse, die ich zur Diskussion anbiete:

Es gab keine der später hauptkriegführenden Nationen, die sich um einen Frieden bemüht hätten.
- Serbien hatte mit russischer Unterstützung Pläne eines "Groß-Serbiens", denen die Existenz Ö-U im Wege stand,
- Österreich-Ungarn sah nur in einer harten Außenpolitik die Möglichkeit, dies aufzuhalten,
- Rußland rüstete und plante nach der Niederlage in Fernost mit französischer Finanzhilfe (Bahnen) eine Offensive gegen das DR,
- Frankreich wollte eine Wiedergewinnung Elsaß-Lothringens und Rache für 1870/71 und sah in einem Balkankrieg Ö-U's gegen Serbien mit folgendem russischem Einschreiten, das auch deutsche Kräfte band, seine günstigste militärische Ausgangslage,
- Großbritannien sah im DR einen Wirtschaftskonkurrenten mit zunehmender Seemacht, ob man diese real als "nicht absolut gefährdend" einschätzte, ist mir nicht klar geworden. In GB gab es vermutlich die einflußreichste "Friedensfraktion", die aber (wohl u.a. von Grey und Churchill (?)) geschickt politisch ausmanövriert wurde.
- Das DR sah sich subjektiv und vermutlich in zutreffender Einschätzung einer zukünftigen realen Entwicklung als politisch und militärisch "eingekreist". Das Verhalten des Kaisers und seine und die falsche Politik seiner Kanzler hatten allerdings wesentlich, z.B. in den Marokkokrisen, dazu beigetragen. Man sah offensichtlich im DR keinen politischen bzw. diplomatischen Weg, diese Lage aufzubrechen (was einen grundsätzlichen Wechsel Wilhelminischer Politik gefordert hätte) und sah in einer militärischen "Option" dafür die besten Chancen. Das erlaubte die subjektive (!) Betrachtung des Krieges als "Verteidigungskrieg" oder "Präventivkrieg" nach dem Vorbild Friedrichs II., der im Sommer 1756 einem gemeinsamen Angriff Frankreichs, Österreichs und Rußlands zuvorkam und damit offiziell als "Agressor" bezeichnet werden konnte und wurde.
Die deutsche militärische Führung vertrat dabei die Haltung "Wenn schon Krieg, dann so schnell wie möglich", weil man sich wohl ab ca. 1912 nicht auf Dauer in der Lage sah, bei der französisch-russischen Land- und der britischen Seerüstung mitzuhalten.
Bei dieser Kürzestfassung gibt es sicher so Einiges zu kritisieren: so sei es.

Es scheint mir relativ klar, daß das DR (wenn gewollt) den politischen Einfluß gehabt hätte, Ö-U zur Annahme der serbischen Antwort auf das Ultimatum zu veranlassen und damit sogar einen "kleinen" Krieg zu vermeiden. Das erfolgte nicht, da man eben (siehe oben) keine Möglichkeit sah die grundsätzliche politische Krise zu deeskalieren, und damit wurde - sozusagen - das Uhrwerk der Mobilmachungen in Gang gesetzt.
Möglicherweise hätte der Zar die Möglichkeit gehabt, die Mobilmachung auf Österreich-Ungarn zu beschränken, aber seine politischen Berater scheinen das verhindert zu haben. Was das DR dann getan hätte, kann nur Gegenstand von wilder Spekulation bleiben.

Laßt uns bitte Formulierungen wie
Zitat von: Matrose71 am 04 Januar 2016, 22:46:57
... disqualifiziert dich eigentlich als Gesprächspartner und ist schlicht lächerlich!
vermeiden und (so) sachlich (wie möglich) bleiben.

.. und nun: Feuer frei  :wink:

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

Jach

Zitat von: Urs Heßling am 05 Januar 2016, 00:35:53
Nach einem intensiven Lesen der vorhandenen Sekundärliteratur (wer hat schon Primärquellen?)

Hier kann zumindest für die deutsche Seite leicht geholfen werden: https://archive.org/stream/diedeutschendoku02germ#page/116/mode/1up

Hier der Link zu den Digitalisaten: http://www.archiv.diplo.de/Vertretung/archiv/de/03a-Digitalisate/03a-1-julikrise-1914/3a-1-2-juli-29.html

Ab Nr. 384 wird es interessant.

Ansonsten einfach mal Kielmansegg, Ferguson, Clark und Münkler lesen.
Mit freundlichem Gruß

K. Jach

mhorgran

Problem ist nur das die Akten ALLER Kriegsparteien nach dem Krieg "gesäubert" wurden. Darum wurde Fritz Fischer bei seinen Recherchen erst auf sehr niedriger Admin.-Ebene fündig.

@Urs
interessant
ähnliche Ansicht bezüglich Inhalt
Allerdings fehlt noch die USA und Intensionen von GB ist wohl nicht vollständig.

Im übrigen würde an Literatur noch Guido Giacomo Preparata "Wer Hitler mächtig machte" empfehlen. Der Titel ist ein bißchen irreführend denn der Beginn seiner Untersuchungen ist Jahr 1900.

Clarks Buch trägt nmA einen falschen Titel. Denn "schlafwandlerisch" wurde der Krieg nicht installiert sondern mit voller Absicht. Und das dte. Kaiserreich war dabei nur ein kleineres Licht.
"Wer an der Ukraine-Erzählung zweifelt, der gilt als Feind des Westens als Freund Russlands, als Gefahr für die Demokratie, wird diskreditiert, zensiert, eliminiert."
https://sciencefiles.org/2022/03/28/kriegsverbrechen-in-der-ukraine-von-den-angeblich-guten/

Urs Heßling

moin,

Zitat von: Jach am 05 Januar 2016, 01:11:21
Ansonsten einfach mal Kielmansegg, Ferguson, Clark und Münkler lesen.
Genau :wink: .. und Leonhard, Hirschfeld/Krumeich und Keegan, stehen im Regal :O/Y

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

Matrose71

#72
Salve,

ZitatEs gab keine der später hauptkriegführenden Nationen, die sich um einen Frieden bemüht hätten.
- Serbien hatte mit russischer Unterstützung Pläne eines "Groß-Serbiens", denen die Existenz Ö-U im Wege stand,
- Österreich-Ungarn sah nur in einer harten Außenpolitik die Möglichkeit, dies aufzuhalten,
- Rußland rüstete und plante nach der Niederlage in Fernost mit französischer Finanzhilfe (Bahnen) eine Offensive gegen das DR,
- Frankreich wollte eine Wiedergewinnung Elsaß-Lothringens und Rache für 1870/71 und sah in einem Balkankrieg Ö-U's gegen Serbien mit folgendem russischem Einschreiten, das auch deutsche Kräfte band, seine günstigste militärische Ausgangslage,
- Großbritannien sah im DR einen Wirtschaftskonkurrenten mit zunehmender Seemacht, ob man diese real als "nicht absolut gefährdend" einschätzte, ist mir nicht klar geworden. In GB gab es vermutlich die einflußreichste "Friedensfraktion", die aber (wohl u.a. von Grey und Churchill (?)) geschickt politisch ausmanövriert wurde.

Soweit d'accord

Zitat- Das DR sah sich subjektiv und vermutlich in zutreffender Einschätzung einer zukünftigen realen Entwicklung als politisch und militärisch "eingekreist". Das Verhalten des Kaisers und seine und die falsche Politik seiner Kanzler hatten allerdings wesentlich, z.B. in den Marokkokrisen, dazu beigetragen. Man sah offensichtlich im DR keinen politischen bzw. diplomatischen Weg, diese Lage aufzubrechen (was einen grundsätzlichen Wechsel Wilhelminischer Politik gefordert hätte) und sah in einer militärischen "Option" dafür die besten Chancen.

Das kann ich gerade so nicht sehen bei Bethmann Hollwegs Politik. Er strebte ein normales Verhältniss zu Frankreich an, was auch teilweise erfolgreich war und dann durch die Wahl von Pointcare´, durch diesen massiv konterkariert wurde und er war um eine Verständigung mit GB sehr bemüht und arbeitete mit Edward Grey und der Regierung in London erfolgreich zusammen, um die Balkankriege, ohne einen europäischen Krieg zu lösen. Er war ein anerkannter Politiker in Europa und stand bei keiner Regierung in Europa in Verdacht ein Kriegstreiber zu sein, oder einen Krieg zu wollen. Übrigens hat er sich bei Österreich-Ungarn durch seine Zusammenarbeit mit London und seiner auf Ausgleich orientierten Politik, während der Balkankriege, nicht unbedingt nur Freunde gemacht.

ZitatDie deutsche militärische Führung vertrat dabei die Haltung "Wenn schon Krieg, dann so schnell wie möglich", weil man sich wohl ab ca. 1912 nicht auf Dauer in der Lage sah, bei der französisch-russischen Land- und der britischen Seerüstung mitzuhalten.

Die militärische Option war m.A. nach hauptsächlich die Meinung des Militärs (großer Generalstab, Tirpitz)und nicht die der deutschen Regierung um Bethmann Hollweg, Jagow und mit abstrichen des Kaisers. Das Militär reagierte auf die Einkreisung der Entente, wenn auch sehr hysterisch und teilweise völlig überzogen. Darüber hinaus war natürlich die einseitige militärische Festlegung auf den Schlieffen Plan in vielerlei Hinsicht ziemlich dumm, da er sowohl die politischen und diplomatischen, als auch die militärischen Spielräume massiv einschränkte.
Hier liegt m.A. nach die Hauptverantwortung und das "Versagen" des Kaisrereichs beim Ausbruch des WWI, allerdings nur bezogen auf das Kaiserreich und nicht im Kontext und als Vergleich zu den übrigen beteiligten Nationen. Insoweit hat das Kaiserreich eine klare Mitverantwortung am Ausbruch des WWI.

Was ich hingegen massivst ablehne sind diese Unterstellungen:

ZitatDie deutsche Regierung wollte den Krieg und machte alles, um ihn auszulösen, weil sie meinten, dass sie von dem Krieg profitieren würde, z.B. durch die Eroberung der Industriegebiete in Frankreich, "Lebensraum im Osten", mehr Kolonien etc.

Zitatdass die damalige deutsche Politik expansiv war und aktiv auf den Krieg hingearbeitet hat, dessen Ausbruch also wesentlich mitzuverantworten hat.

ZitatDie Ansicht, dass dies ein Verteidigungskrieg gewesen sei, ist geradezu bizarr. Es gab wohl in der Geschichte nie einen Angreifer, der nicht behauptet hätte, sich nur zu verteidigen (siehe auch "Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen").

Hier klingt schon der Vergleich mit den Nazis mehrfach an und das war und ist ja auch mehr oder weniger das Ziel von Fischeranern, Roehl und Mombauer, eine Kausalität zwischen Hitler und 3. Reich und Wilhelm II und Kaisereich herzustellen, um alleine Deutschland für die Katastrophen des 20. Jahrhunderts, sowohl politisch als auch ideologisch, verantwortlich zu machen.

Wie hat es Bernd so schön formuliert:
Der gerade Weg von Kalkriese nach Auschwitz.  Da die Guten, hie die Bösen.

Und diese ganzen Steilen Thesen (Annika Mombauers Buch ist von 2014) beruht nur auf einem einzigem Treffen zwischen dem Kaiser und seinem Militär.
https://de.wikipedia.org/wiki/Kriegsrat_vom_8._Dezember_1912

Selten oder überhaupt nicht in der Geschichtsschreibung, wurde ein Treffen so sehr aufgebauscht, und ganze Bücher mit falschen Behauptungen (Fischers Griff nach der Weltmacht, Roehl, Mombauer), um dieses eine Treffen herum geschrieben, dabei wurden Quellen mehr oder minder einseitig ausgelegt, fast manipuliert .
Die gesamte Chose dreht sich nur um dieses Treffen und politischer Aussagen die einige Leute im Großen Generalstab mal während ihrer militärischen Karriere getätigt haben.

Das dieses Treffen aber keine Auswirkumgen auf die politische Regierung des Kaisereichs und ihr politisches Handeln hatte, wird von diesen Authoren komplett verschwiegen.
Es gab eben keine militärischen Vorbereitungen eines europäischen Krieges in Deutschland (Bevorratung von Munition, Salpeter und anderer Kriegswichtigen Stoffe etc etc.) und die deutsche Politik war sowohl 1912 als auch 1913 auf Ausgleich orientiert, teilweise sehr zum Missfallen des einzigen verbliebenen großen Verbündeten (Österreich-Ungarn).

Das es dann im Juli 1914 anders kam, hatte mehrere Gründe.
Das englisch- russische Flottenabkommen und das Lügen der Engländer darüber, die Anst den einzigen Verbündeten Östereich-Ungarn eventuell zu verlieren, der Versuch die Russen durch einen Bluff bloßzustellen. Nichts dabvon war wirklich expansiv und auf gar keinen Fall abeitete man auf einen großen europäischen Krieg hin.

Für mich persöhnlich sind die Hauptverantwortlichen am Ausbruch des WWI das russische Zarenreich unterstützt von Frankreich, mit ihrer frühzeitigen und völlig überzogenen Mobilisierung (russisches Zarenreich), die erst rictitg Dampf in den Kessel brachte und die politischen Optionen, massiv einschränkte. Auch kann ich mich nicht des Eindrucks erwehren, dass das mit vollem Vorsatz einiger Leute in St. Petersburg und Paris eingefädelt wurde!

Um es abschließend auf den Punkt zu bringen, für mich ist es es Bizarr, dem deutschen Kaiserreich einen Angriffskrieg und das absichtliche hinarbeiten auf diesen 1914, zu unterstellen. Für mich ist das eher Geschichts- und Quellenfälschung!

Viele Grüße

Carsten

Matrose71

Salve,

hier noch die Militärausgaben der einzelnen Staaten.

Deutschland:

1905: Army 697 Mio, Navy: 231 Mio ; total = 928 Million Mark
1910: Army 831 Mio, Navy: 426 Mio ; total = 1257 Million Mark
1913: Army 1009 Mio, Navy: 467 Mio ; total = 1476 Million Mark

Österreich Ungarn

1905: Army 419 Mio, Navy: 97 Mio ; total = 516 Million Mark
1910: Army 407 Mio, Navy: 57 Mio ; total = 464 Million Mark
1913: Army 496 Mio, Navy: 155 Mio ; total = 651 Million Mark

Frankreich:

1905: Army 603 Mio, Navy: 254 Mio ; total = 857 Million Mark
1910: Army 698 Mio, Navy: 301 Mio ; total = 999 Million Mark
1913: Army 766 Mio, Navy: 412 Mio ; total = 1178 Million Mark

Russland:

1905: Army 817 Mio, Navy: 252 Mio ; total = 1069 Million Mark
1910: Army 1046 Mio, Navy: 244 Mio ; total = 1290 Million Mark
1913: Army 1254 Mio, Navy: 498 Mio ; total = 1752 Million Mark

GB:

1905: Army 581 Mio, Navy: 676 Mio ; total = 1257 Million Mark
1910: Army 560 Mio, Navy: 825 Mio ; total = 1385 Million Mark
1913: Army 576 Mio, Navy: 945 Mio ; total = 1521 Million Mark


Hier kann man wunderschön sehen, dass alleine Frankreich und Russland zusammen, mehr  als doppelt so viel in die Rüstung steckten wie das Kaiserreich! Wie verträgt sich das mit einem planvollen hinarbeiten des Kaissereich auf einen großen europäischen Angriffskrieg?

Selbst der Marineetat sieht geradezu moderat aus, wenn man die Ausgaben von GB, Frankreich und Russland sieht. Er ist weniger als 1/3 so hoch.
Viele Grüße

Carsten

Urs Heßling

moin, Carsten,

Wir sind offensichtlich nicht weit auseinander  :O/Y

Zitat von: Matrose71 am 05 Januar 2016, 16:52:08
Das kann ich gerade so nicht sehen bei Bethmann Hollwegs Politik.
Ich kann mich einer so positiven Beurteilung Bethmanns nicht anschließen. Die Riezler-Tagebücher und -briefe scheinen, soweit ich Auszüge in der Sekundärliteratur lesen konnte, da zu viele Fragen offen zu lassen. Hatte er die Möglichkeit, Ö-U zur Annahme der serbischen "Antwort" zu drängen ? Er hat in den letzten Wochen offensichtlich dem Drängen der "Militärs" nachgegeben.

Zitat von: Matrose71 am 05 Januar 2016, 16:52:08
Für mich persönlich sind die Hauptverantwortlichen am Ausbruch des WWI das russische Zarenreich unterstützt von Frankreich, mit ihrer frühzeitigen und völlig überzogenen Mobilisierung (russisches Zarenreich), die erst rictitg Dampf in den Kessel brachte und die politischen Optionen, massiv einschränkte.
Dann gehört die österreichische (weniger: ungarische) Staatsführung mit in diese Reihe. Das Ultimatum war schon riskant, die Ablehung der serbischen Antwort nicht gerechtfertigt. Man wollte anscheinend zusätzlich eine (unnötige) "Demütigung" Serbiens, und das läßt sich ein nationalistisch geprägter noch neuer Staat eben nicht gefallen.

Zitat von: Matrose71 am 05 Januar 2016, 16:52:08
.. Bizarr, dem deutschen Kaiserreich einen Angriffskrieg .. zu unterstellen.
Dem "Bizarr" kann ich nicht zustimmen.
De facto war das deutsche Vorgehen im Westen im August 1914 mit dem Marsch durch Belgien tatsächlich ein "Angriffskrieg"; der Schlieffenplan war der Plan eines Präventiv- und Angriffskriegs.
An das "darauf Hinarbeiten" (deutscherseits) kann ich allerdings auch nicht glauben.

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

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