G.Schreiber: 'Frankreich im strategischen Denken der Marine'

Begonnen von ufo, 27 April 2006, 14:17:53

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ufo

Manchmal stolpert man ja ganz ausversehen über guten Lesestoff. Ich war immer mal auf der Suche nach Gerhard Schreibers Artikel "Die Rolle Frankreichs im strategischen und operativen Denken der deutschen Marine"

Er beguckt da die Zeit der Reichsmarine und die ersten Jahre der Kriegsmarine. Das klang recht interessant, fand ich. Also machte ich mich  etwas halbherzig ans Suchen. Das Buch, in dem der Artikel erschienen war, ist meist eher teuer – ab 7o Euronen aufwärts. Nichts für ein mal-eben-so Buch.
Ich hab's dann letzthin ein preiswertes Exemplar erhascht und mich mit Freuden ans Lesen gemacht.  

Erschienen ist der Artikel damals in einem Tagungsbericht der Deutsch-Französischen Gesellschaft unter dem Namen:

Deutschland und Frankreich 1936–1939
Hildebrand, Klaus / Werner, Karl Ferdinand / Manfrass, Klaus (Hg.)
Beihefte der Francia, Bd. 10
Herausgegeben vom Deutschen Historischen Institut Paris

748 Seiten, 1981 ISBN: 3-7995-7310-0

Inhalt:
K. F. Werner: Deutschland und Frankreich 1936–1939 (Einleitung).

Das Bild vom anderen:
R. Rémond: L'Image de l'Allemagne dans l'opinion publique française de mars 1936 à septembre 1939;
K.-J. Müller: Die deutsche öffentliche Meinung und Frankreich 1933–1939;
R. Thalmann: L'Emigration allemande et l'opinion française de 1936 à 1939; H. Hörling: Das Deutschlandbild der Pariser Tagespresse vom Münchner Abkommen bis zum Ausbruch des II. Weltkrieges: Quantitative Analyse.

Rüstung und militärische Vorbereitung:
H. Dutailly: Programmes d'armement et structures modernes dans l'Armée de terre (1935–1939);
W. Deist: Heeresrüstung und Aggression 1936–1939;
Ph. Masson: La Marine française et la stratégie alliée (1938–1939);
G. Schreiber: Die Rolle Frankreichs im strategischen und operativen Denken der deutschen Marine;
Ch. Christienne: L'Armée de l'Air française de mars 1936 à septembre 1939; P.Buffotot: Le Réarmement aérien allemand et l'approche de la guerre vus par le IIe Bureau Air Français;
K. A. Maier: Der Aufbau der Luftwaffe und ihre strategischoperative Konzeption, insbesondere gegenüber den Westmächten;
M. Astorkia: L'Aviation et la Guerre d'Espagne: la cinquième arme face aux exigences de la guerre moderne.

Wirtschaftliche und soziale Probleme:
R. Poidevin: Vers une relance des relations économiques franco-allemandes 1938–1939;
J.-L. Crémieux-Brilhac: La France en septembre 1939: de l'économie de crise à l'économie de guerre et l'échec de la mobilisation industrielle;
H.-J. Schröder: Deutsch-französische Wirtschaftsbeziehungen 1936–1939;
J. Dülffer: Aufrüstung, Kriegswirtschaft und soziale Frage im »Dritten Reich« 1936 bis 1939.

Ereignisse von großer Tragweite:
Ch. Bloch: Les Relations franco-allemands et la politique des puissances pendant la Guerre d'Espagne;
H.-H. Abendroth: Deutschland, Frankreich und der Spanische Bürgerkrieg 1936–1939;
G. Niedhart: Deutsche Außenpolitik im Entscheidungsjahr 1937;
W. Michalka: Die Außenpolitik des Dritten Reiches vom österreichischen »Anschluß« bis zur Münchener Konferenz 1938;
R. Girault: La Politique extérieure française de l'après-Munich (septembre 1938–avril 1939);
F. Knipping: Die deutsch-französische Erklärung vom 6. Dezember 1938;
J. Bariéty: La France et la problème de l'»Anschluss«. Mars 1936–mars 1938. Die Situation im September 1939:
J.-L. Crémieux-Brilhac: La France devant l'Allemagne et la guerre au début de septembre 1939;
A. Hillgruber: Frankreich als Faktor der deutschen Außenpolitik im Jahre 1939. –

K. Hildebrand: Schlußbemerkungen. – Tagungsbericht.  



Spannende Artikel! Und dass obwohl ich grade mal die Hälfe verstehe. Ja – so ein wenig ist das Buch in meinen Händen Perlen vor die ... na, ja – fast. Ich kann ein Croissant, einen Milchkaffee und eine (englich- oder deutschsprachige) Tageszeitung in Paris erwerben aber damit hat es sich auch. Schade! Einige der Französischen Artikel klingen ganz spannend!


Schreibers Artikel bringt relativ wenig Neues jenseits von Jost Dülffer, "Weimar, Hitler und die Marine". Aber er arbeitet deutlicher heraus, dass das Rückspiel gegen England in Raeders Marinekreisen weit weniger ein Tabu war als gemeinhin dargestellt wird. Ab 1934 wurde mehr oder minder offen mit der Idee gespielt eine Revanche für 1914-18 zu bekommen.

Einzelne Details wurden eher an Französischen Modellen gemessen aber die generelle Seestrategie zeigt von der Reichsmarine bis zum Kriege eine kontinuierliche Umorientierung von der Ostsee in die Nordsee auf die Weltmeere, wo – ausser England – niemand recht zum bekriegen war. Und rechnete man en detail Schiff gegen Schiff so war das nicht selten ein Papierduell SMS Bayern gegen eine Queen Lissy. Kein Tabu also!

Doch – so gesehen fein zu lesen mit guten Referenzen drin.


Da ich grad Jost Dülffer erwähne – sein Artikel zur Rüstung und der sozialen Frage in Deutschland ist ausnehmend spannend zu lesen. Der Eiertanz der Nationalsozialisten, die einerseits gern richtig aufräumen würden grad unter roten Arbeiterschaften und die doch andererseits soziale Ruhe brauchten, um die Rüstung überhaupt am laufen zu halten, war schon eigenwillig.
   

Spannend schliesslich aus diversen Artikeln wie Handgemacht die Aufrüstung nicht nur bei der Marine war. Das Schreckgespenst vom vollkommen militarisierten Deutschland war tatsächlich eher ein Schreckgespenst. Der Rüstung fehlte jede Tiefe.
Das wurde in etwas in Massen produziert, dann etwas anderes in Massen produziert dann ... dann stellte man fest, dass das eigentlich total toll gewesen wäre, wenn man jetzt noch irgendwie Ersatzteile für das erste herstellen könnte. Leider, leider waren die Produktionsanlagen längst eingestampft (Klingen da nicht Deutsche Trägerflugzeuge an?). Es schein Gründerzeitstimmung geherrscht zu haben. Alles ging, alles war machbar, hier, jetzt, sofort, laut und bunt.
Da war keine Wirtschaft die irgendwie kriegsbereit war. Da war schon gar keine Kriegswirtschaft auch nur in Planung. Das ganze war ein Wenig – auch wenn das sicher nun zuviel der Ironie ist – das ganze war ein Wenig ein Koloss auf tönernen Füssen.


Lesenswertes Buch. Lohnt das Mitnehmen, wenn man es ma' irgendwo en passant erhaschen kann.


Ufo

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