Ausgabe 6 des Marine-Nachrichtenblattes (MNB)

Begonnen von AK Krieg zur See 1914-18, 29 Mai 2011, 11:05:58

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Darius

Hallo zusammen,

die Zeitschrift ist in meinen Augen sehr gute Werbung für das Thema 1. WK. Weiter so.

:MG:

Darius

Felix Schultz

#16
Habe diesmal erst ein paar Tage nach dem Eintreffen Zeit gefunden zu posten:

Einige Fragen haben sich aber trotzdem noch aufgetan:

Mein Lieblingsartikel ist die Torpedierung der KING ALFRED, mit vielen profund ausgearbeiteten Details.  Von Interesse wäre noch die Erläuterung aus dem KTB U53, S. 40, Eintrag 2 h 30 nm, was die hier in Klammern gesetzten Begriffe "Streckkurs!" und "Falle?" bedeuten, bzw. wie er in diesem Zusammenhang auf eine U-Boot-Falle kam.
Auch der von Herrn Langensiepen verfasste Artikel über Captain Fryatt gefiel mir sehr, hier beschäftigt mich jedoch noch die Frage mit den abgehakten Kinderhänden auf S. 15, zweimal erwähnt, allerdings wurde dieser aus dem Bereich der "Gräuelpropaganda" stammende Fakt im Gegensatz zur äußerst treffend kommentierten Geschichte mit dem sieden von Seife aus Gefallenen nicht näher erläutert.
Wer behauptete nun, die Deutschen würden den belgischen Kindern die Hände abhaken, um ggf. was mit ihnen zu tun? Ebenfalls Seife sieden?

Aber auch alle anderen Artikel waren sehr gut gemacht, ich bin ja immer ein besonderer Fan von operativen Angelegenheiten über Wasser, aber der Artikel über UB76 hat mich das Fehlen eines solchen Artikels mehr als verschmerzen lassen, natürlich waren auch alle anderen Artikel gut, der Panzerplan der BADEN, obwohl die Technik nicht so meine Baustelle ist, die Frage der Eigentumsverhältnisse von Karsten Klein, in anerkennenswerter Weise ein auf den ersten Blick vielleicht etwas trockenes, weil juristisch und tendenziell hochpolitisches Thema interessant aufbereitet, und nicht zuletzt die Biographie von Leo Prasil, sehr schön, dass Oliver Trulei nach längerer Pause mal wieder einen Artikel beigesteuert hat.
Aufgelockert wird das ganze immer durch den "Bülsch", was auch nicht zu unterschätzen ist, und die Vorstellung von kaum bekannten Schiffen im Datenblatt.

Ich freue mich also auf Heft Nr. 7 und wünsche hierzu gutes Gelingen.


Thomas

Zitat von: UC 67 am 02 Juli 2011, 19:46:17
Bei dem "Brussels"-Artikel hat der uns allen wohl bekannte Lasi (incl. Co-Autor) mal wieder eine sehr gute Arbeit abgeliefert.

Finde ich auch! Der Beitrag beleuchtet im wesentlichen den interessanten Sachverhalt.
Die leider (aber auch verständlicherweise, siehe den im Heft gegebenen Hinweis) fehlende (völker-)rechtliche Bewertung wird durch den ausgezeichneten Artikel über die völkerrechtliche Beurteilung von deutschen Schiffswracks in gleichen Heft kompensiert.

Jedenfalls habe ich die Artikel mit Genuß gelesen. Weiter so!

Langensiepen

#18
Zuerst ein Mal Dank an die beiden vorstehenden Schreiber. Es freut uns Autoren wenn es eine Reaktion auf unsere Arbeit gibt. Eine rechtliche Wertung der Vorgänge um Capt. Fryatt setzt eine andere Vorgehensweise voraus. Nämlich eine rein akademische Bewertung. Als Nichtjurist werde ich mich hüten mich daran zu versuchen. Nach Charlie Marx formt das Sein das Bewusstsein. Das zeigt dieser Fall exemplarisch. Eine doch nebensächliche Aktion zwischen einer Fähre und einem U-Boot fügte dem Deutsche Reich mehr Schaden zu als eine verlorene Schlacht. Anders als z.B. das ``Zimmermann Telegram ``  oder dem ``Krieg der Kapitänleutnante `` ist Fryatt in der deutschen Geschichtswissenschaft , anderes als in Großbritinnen,  eine unbekannte Größe.
Auf die Idee zu dieser Arbeit brachte mich mein britischer Mitstreiter  G. Boxall. Graham war über 25 Jahre als 1.Off. später Kapitän  auf den Fähren zw. Dover und Zeebrügge beschäftigt  ( auch auf der  European Gateway  traurigen Angedenkens) und hat in dieser Zeit alles ihm erreichbare über das MK Flandern und die Dover Patrol gesammelt. Sein Material haben wir dann mit deutschen Akten zum Fall  für den Artikel benutzt.
Im Fall Fryatt ging es ( meiner Meinung nach ) keiner der beteiligten Seiten einschließlich der USA um das Durchsetzen des Völkerrechtes, sondern um eine Propagandakeule gegen Deutschland und auf der anderer Seite um eine Intrige einiger Herrn in Flandern und Berlin gegen das Auswärtige Amt und dessen Haltung im U-Bootkrieges.
Damit sind wir bei den `abgehackten Händchen` der armen belgischen Kinder. Die Geschichte, so dachte ich , wäre eigentlich bekannt. Nun, mit dem deutschen Überfall auf Belgien gab man den Briten die moralische ( verlogene ) Begründung zum Kriegseintritt. Um Menschen dazu zu bewegen anderen Menschen ein Bajonett in den Magen zurammen oder mit einem Maschinengewehr in Massen menschlicher Leiber zu halten ist es hilfreich den zu Tötenden jede menschliche Regung abzusprechen. Die Deutschen machten es ihren Gegner aber auch  leicht. Was sich in den ersten Wochen des Krieges in Belgien abspielte schien  das Bild vom Hunnen der über ein friedliches Ländchen herfiel zu bestätigen. Nun hat es Propaganda mal an sich Wahres auszuschmücken und viel dazu zu erfinden. Im Punkto `erfinden` war ( ist ) die britische Presse Weltspitze. Neben anderen konnte man lesen, das deutsche Horden Kindern die Hände abschlugen, Massenvergewaltigung –besonderst an Nonnen – vornahmen, raubten und plünderten. Man wundert sich das sie überhaupt noch Zeit fanden die heldenhaften Armeen ihrer Feinde zu bekämpfen. Die Kinderhändchen spielten dann bis 1945 noch eine Rolle. Zu erst einmal sammelte in den fernen USA ein Gutmensch Gelder um nach dem Sieg über den Antichristen den ihrer Hände beraubten belgischen Kindern materielle Unterstützung zu kommen zu lassen. Natürlich fand er selbige 1919 nicht vor. Nebenbei führte eine US Befragung der Kinder in Flandern dazu, das diese auf die Frage wer ihr Feind sei, der `Engelsmann ``  als selbige benannten. Ist doch verständlich der Hunne tat ihnen  nichts, während der Briten mit Granaten und Bomben ihr Leben bedrohte. Auf der verregneten Insel  in den 30ziger waren die belgischen Graulmärchen allgemein als Lüge erkannt  und man hielt daher im Nazi-Krieg zu erst die Meldungen betr. der Jundenvernichtung oft für die ``abgehachten Kinderhändchen ` des 2.Weltkriegs. Mit der `Seifensiederei `war es ähnlich. Die Geschichte soll von den Franzosen stammen. Zuerst nur der Art das der Boche seine Gefallenen verseifte, spätern dann aber auch alliierte Held `lebendigen Leibes ` in die Kessel schmieß. Bis zum Kannibalismus war es dann kein weiter Weg mehr. Dies alles war dem Zeitungsleser in London, Paris, New York  usw bekannt als die Nachricht von der Hinrichtung Capt. Fryatt durch die Lügenpresse eilte.
Auf die U-Bootsfragen komme ich noch zurück. Ich muß mich dafür aber erst bei den betr. Autoren kundig machen.
Bernd Langensiepen

Thomas

Zitat von: Langensiepen am 07 Juli 2011, 09:51:12Im Fall Fryatt ging es ( meiner Meinung nach ) keiner der beteiligten Seiten einschließlich der USA um das Durchsetzen des Völkerrechtes, sondern um eine Propagandakeule gegen Deutschland und auf der anderer Seite um eine Intrige einiger Herrn in Flandern und Berlin gegen das Auswärtige Amt und dessen Haltung im U-Bootkrieges.

Genau das wird durch den Artikel bestens belegt. Die Kontextualisierung zur Propagandaschlacht des Ersten Weltkrieges ist ebenfalls angesprochen, und oben durch den Beitrag noch einmal vertieft. Neben Belgien sollte man noch Südwestafrika erwähnen. Wie in solchen Propagandaschlachten üblich, wurden die "Kerne" verwendet und weiter aufgebohrt (was natürlich nichts an den tatsächlichen Verbrechen ändert).

Fryatt passte als Steilvorlage sicher prima in diesen Medienkrieg für die Heimatfronten bzw., was nicht übersehen werden sollte, in den Wettlauf um die öffentliche Meinung in den USA vor deren Kriegseintritt.

Langensiepen

Kann ich nur zustimmen. Leider ist das Interesse an der Farbe der Klobrillen an Bord des B-Schiff großer als an der noch ungeschriebenen Seekriegesgeschichte 14-18. Dabei gibt es noch reichlich zu erforschen. Wo bleibt zum Beispiel ein deutscher Beitrag zu Britanniens größerem Lügen-Erfolg nach dem L-Schiff. Die Versenkung des britischen Truppentransporters (!) Leinster am 10.10.1918. Als ruchlose deutsche Untat schnell vermarktet, beeinflusste es die Haltung eines Mr. Wilson in den letzten Wochen des Kriegs erheblich zu Ungunsten Deutschland. Wer schreibt (forscht) darüber. Es ist alles dran inklusive der `` Irland-Frage`` Da schon eine wunderbare Darstellung aus Irland vorliegt, wäre nur das Material der deutschen Seite durch zusehen. Also ran, der Arbeitkreis freut sich über jeden neuen ``Forscher``
Bernd Langensiepen
Nachsatz: So wird es bis heute noch oft im Internet dargestellt. .....
LEINSTER, 2,646grt, defensively-armed, 10 October 1918, 7 miles ESE from Kish LV, torpedoed without warning and sunk by submarine, 176 lives lost including Master
Man beachte die Zahl der Toten...es waren eine Menge mehr, die man aber lieber unterschlug. Warum wohl?????


Langensiepen

Zur Beantwortung der beiden ausstehenden Fragen musste ich unsere U-Boots-Experten befragen. Und hier ist deren Antwort......

FALLE? Ja klar, erst steuert der Dampfer 260°, dann 120°, sowas macht man nicht, wenn man ein echtes Ziel hat (es sei denn, das Ziel war das Anlocken von U-Booten = Falle !).


STRECKKURS ? Wenn ich mich nicht furchtbar täusche (ohne es mit letzter Sicherheit zu wissen) ist der Streckkurs der mehr oder minder eigentliche Generalkurs - der den Dampfer voranbringt - während jedes Abzacken davon (frag mich nicht nach der Bezeichnung dieser Deviation) ja eigentlich eine Verzögerung bedeutet. Da wir über die Einfahrt in den Nordkanal sprechen, kommen die 120° auch recht gut hin.

Wir hoffen Ihnen damit geholfen zu haben
Bernd Langensiepen

Urs Heßling

moin,

Zitat von: Langensiepen am 08 Juli 2011, 09:12:03
STRECKKURS ?

Ja, als optische Bestätigung http://www.sailpress.com/richtigkreuzen/holebugstreckbug/index.html

auch von mir wieder ein großes B Z  top top  top an die "Macher" von Heft 6, besonders zu den "Kaiserlichen Wracks" und der "Geleitzugschlacht"

zur letzteren 3 kleine "Randbemerkungen"  (die ich ja so liebe)

"King Alfred" und "Berwick" waren (jeweils) Schwesterschiffe der bei Coronel mit Mann und Maus untergegangenen "Good Hope" und "Monmouth"

von Schrader http://www.wlb-stuttgart.de/seekrieg/kriegsrecht.htm war 2 Tage vor seinem Suizid von den Norwegern verhaftet worden

Karl Neureuther ist ein Onkel des Skiläufers Christian Neureuther

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

Langensiepen

Hallo Urs,   DANKE..und: Man lernt dazu!  :-D     
Karl Neureuther ist ein Onkel des Skiläufers Christian Neureuther

Felix Schultz

Hallo zusammen,

vielen Dank für die Beantwortung meiner Fragen, bin restlos begeistert und lese dann einstweilen weiter...

Schönes Wochenende!

Götz von Berlichingen

#26
Zitat von: Felix Schultz am 06 Juli 2011, 21:05:23
Wer behauptete nun, die Deutschen würden den belgischen Kindern die Hände abhaken, um ggf. was mit ihnen zu tun? Ebenfalls Seife sieden?

Dazu einige Zitate aus dem Buch von Arthur Ponsonby Lügen in Kriegszeiten, Georg-Stilke-Verlag, Berlin 1930, S. 85 ff. [Originaltitel: → Falsehood in Wartime, London 1928]:

Zitat"Das belgische Baby ohne Hände

Das belgische Baby, dem die Deutschen die Hände abgehackt hatten, reiste nicht nur in den Städten und Dörfern Großbritanniens umher, sondern es kam auch nach Westeuropa und Amerika, ja sogar bis nach dem fernen Westen. Niemand überlegte und fragte, wie lange denn ein Baby, dem die Hände abgeschnitten sind, leben kann, wenn nicht sofort chirurgische Hilfe zur Hand ist, um die Schlagadern zu unterbinden (die Antwort ist, nur wenige Minuten).
Jedermann wollte die Geschichte glauben, und einige gingen sogar so weit und behaupteten, das Baby gesehen zu haben. Diese Lüge fand ebenso allseitigen Glauben wie jene vom Durchzug russischer Truppen durch Großbritannien.

"Ein Mann, den ich nicht gesehen habe, erzählte einem Offizial der katholischen Gesellschaft, daß er mit eigenen Augen gesehen hat, wie deutsche Soldaten einem Baby, das sich am Rocke seiner Mutter festhielt, die Arme abgehackt haben."
Times
, Pariser Berichterstatter, 27. August 1914

Am 2. September 1914 führt der Berichterstatter der Times die Aussagen französischer Flüchtlinge an:

"Sie schneiden den kleinen Kindern die Hände ab, damit Frankreich keine Soldaten mehr haben soll."

Bilder vom Baby ohne Hände waren auf dem Festlande, sowohl in Frankreich wie in Italien, sehr beliebt. Le Rive Rouge brachte am 18. September 1915 ein solches Bild und am 26. Juli 1916 ein noch greulicheres, auf dem Soldaten die Hände aufaßen. Im Journal erschien am 30. April 1915 die Photographie der Statue eines Kindes ohne Hände. Aber das Gräßlichste von allen, das keine Spur von Karikatur aufwies, wurde von den Alliierten für Propagandazwecke hergestellt und in Critica in Buenos Aires veröffentlicht (am 30. Januar 1925 in der Sphere reproduziert). Die Überschrift auf dem Bilde lautete: "Die Bibel vor allem"  und darunter standen die Bibelworte "Lasset die Kleinen zu mir kommen". Auf dem Bilde ist der Kaiser, hinter einem Riesenklotz stehend, mit einer Axt in den von Blut dunkelgefärbten Händen, dargestellt. Um den Klotz herum liegen Haufen von Händen. Der Kaiser macht einer Frau ein Zeichen, eine Anzahl Kinder, die sich an ihr festklammern und von denen einigen die Hände bereits abgeschnitten sind, herbeizuführen.

http://tinypic.com/r/35cpqvl/7

Den Babys wurden jedoch nicht nur die Hände abgeschnitten, sondern sie wurden auch auf Bajonette gespießt und in einem Falle an eine Tür genagelt. Jedermann wird sich aber an das belgische Baby ohne Hände erinnern. In Omnibussen und anderen öffentlichen Plätzen wurde laut davon gesprochen, in Krankenhäusern war es gesehen worden, jetzt war es in dem nächsten Orte usw., und es wurde nicht als ein vereinzelt dastehendes Beispiel von Grausamkeit, sondern als ein typisches Beispiel alltäglichen Geschehens vorgeführt.

Im Parlament wich man wie gewöhnlich aus, woraus die Öffentlichkeit schloß, die Geschichte müsse wahr sein, obwohl kein anderer Beweis, als daß es "von Zeugen gesehen" worden sei, angeführt werden konnte:

"Mr. A. K. Lloyd stellte an den Ersten Lord  des Schatzamtes die Anfrage, ob zur Ermittlung und Identifizierung der Überlebenden jener Kinder, denen von den Deutschen die Hände abgeschnitten wurden und deren Fälle im Berichte des Bryce-Ausschusses unter Buchstabe und Ziffer angeführt sind, Material zu Gebote stehe, und ob er, im gegebenen Falle, die Möglichkeit in Betracht ziehen wolle, Leuten, die bereit sind, für die Zukunft jener Überlebenden Sorge zu tragen, entweder vertraulich oder anderweitig Mitteilung zukommen zu lassen?

Sir E. Cave: Mein ehrenwerter Freund hat mich um Antwort auf diese Frage ersucht. In allen außer zweien von den individuellen Fällen, bei denen Zeugen gesehen haben, wie Kinder auf diese Weise verstümmelt wurden, war das Kind entweder tot, oder es starb an der erlittenen Behandlung. In Anbetracht des Umstandes, daß diese Kinder in Belgien waren, das noch unter deutscher Besetzung steht, ist es nicht wahrscheinlich, daß sie zur Zeit ermittelt werden können, und jeder zu diesem Zwecke jetzt unternommene Versuch dürfte eine weitere Verfolgung des Opfers und seiner Angehörigen zur Folge haben.

Mr. Lloyd: Gab es nicht andere Fälle, die in hiesige Krankenhäuser gebracht wurden?

Sir E. Cave: Nicht die Fälle, auf die sich die Anfrage des ehrenwerten Mitglieds bezieht."

Unterhaus, 19. Dezember 1916


Manchmal waren die so Verstümmelten Erwachsene. Ein Mr. Tyler erzählte bei einer Bruderschaftsversammlung in Glasgow am 17. April 1915, er habe einen Freund in Harrogate, der eine Krankenschwester gesehen habe, der die Deutschen beide Hände abgeschnitten hatten. Er gab die Adresse des betreffenden Freundes an, und man erkundigte sich sogleich brieflich bei ihm, ob die Aussage wahr sei, aber man erhielt jedoch nie eine Antwort.

Aber die herzzerreißendste und am kunstvollsten aufgebaute Version der Geschichte von dem Kinde ohne Hände erschien in der Sunday Chronicle vom 2. Mai 1915:

"Vor einigen Tagen besuchte eine vornehme, wohltätige Dame ein Haus in Paris, in dem seit einigen Monaten eine Anzahl belgischer Flüchtlinge untergebracht ist. Bei diesem Besuche fiel ihr ein etwa zehnjähriges Mädchen auf, das trotz der im Zimmer herrschenden Wärme seine Hände in einem winzig kleinen, abgetragenen Muff stecken hatte. Plötzlich sagte das Mädchen zu seiner Mutter: "Bitte, Mutter, putze mir die Nase." - "Aber", bemerkte die wohltätige Dame halb lachend, halb im Ernste, "ein so großes Mädchen wie du muß sich doch die Nase selbst putzen können." Das Kind schwieg, und die Mutter sagte in einem dumpfen, nüchternen Tone: "Madame, sie hat keine Hände mehr."
Die vornehme Dame schaute, erbebte, verstand. "Ist es möglich", sagte sie, "daß die Deutschen...?". Die Mutter brach in Tränen aus. Das war ihre Antwort."



Der französische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger André Gide (1869 - 1951) berichtet in seinen Tagebüchern [André Gide, Tagebuch 1903 - 1922, 2. Bd., hrsg. von Peter Schneyder, DVA, Stuttgart 1990 (Originaltitel: Journal, Éditions Gallimard, Paris 1939) über die alliierte Kriegspropaganda:

Zitat8. September 1914
[...] Das Verhalten der Deutschen gegenüber ihren eigenen Verwundeten. Es scheint festzustehen, daß sie sie auf dem Schlachtfeld töten. Die Geschichte von jenem Lazarett wird immer wieder erzählt, wo französische und deutsche Verwundete im selben Saal zusammengelegt worden waren. Das Dorf fiel in die Hand der Deutschen, wurde aber wieder zurückerobert. Im Augenblick der Evakuierung töteten sie die deutschen Verwundeten, sechs an der Zahl, ließen aber die vier französischen am Leben. Erkläre das, wer kann.

Ebenso habe man sie in einem Seegefecht bei Helgoland auf deutsche Matrosen schießen sehen, die ein englischer Walfänger aufnehmen wollte.

Endlich wird noch erzählt, sie hätten, als sie einen Fluß überschreiten mußten, dessen Brücken zerstört waren, ohne Zögern ein paar ihrer Sanitätswagen umgestürzt, die noch voll mit Verwundeten waren, die sie sich nicht die Zeit nahmen, herauszuholen. Und darüber marschierten sie hinweg.

[S. 431]

[...]

15. November 1914
Ein Amerikaner ist in den letzten Tagen im Foyer franco-belge erschienen, um uns mitzuteilen,  daß er unserem Werk eine bedeutende Summe zur Verfügung stellen würde, falls es uns gelänge, ihn mit einem von den Deutschen verstümmelten Kind zusammenzubringen.
Richepin sprach in einem entrüsteten Artikel von viertausend Kindern, denen die rechte Hand abgeschnitten worden sei. Diese unbewiesene Behauptung hatte → Romain Rolland empört (siehe seinen Brief) und zweifellos zahlreiche Schweizer mit ihm. [Anmerkung des Herausgebers: Ein typisches Beispiel für die Greuelpropaganda jener Zeit. Erwähnt sei, daß dieses Klischee schon im Krieg 1870/71 sein Unwesen trieb. Damals bezog es sich auf die preußischen Ulanen, die unschuldigen französischen Kindern die Hände abgehackt haben sollten. Seinem Naturell gemäß blieb Gide von Anfang an skeptisch, zumal da keine Beweise erbracht werden konnten.]

Madame Edwards hatte mir nun aber Ende August (Datum feststellen) von der Ankunft einer Schar Kinder in der Rue Vaneau erzählt, alles Knaben aus demselben Dorf und alle auf dieselbe Art verstümmelt.
Vorgestern suche ich sie auf und sage ihr, wie wichtig für uns ein sicherer Beweis solcher Greuel wäre. Darauf erwidert sie mir, sie habe diese Kinder nicht selbst gesehen, sie wisse aber, daß sie vom Cirque de Paris gekommen seien, wohin man sie zunächst geschickt habe. Sie lädt mich ein, am folgenden Tag (gestern) zu ihr zum Mittagessen zu kommen, und verspricht mir vorläufig wenigstens Photographien solcher Verstümmlungen.
Gestern nun hatte sie sich solche Aufnahmen zwar nicht verschaffen können, erwartete aber gleich nach dem Essen → Cocteau, der sie bringen sollte. Cocteau ist nach dem Essen gekommen, ohne Photographien, die er mir für morgen abend versprochen hat; inzwischen hat er mich ins Krankenhaus der Rue de la Chaise geführt, damit wir mit einer Dame vom Roten Kreuz sprechen könnten, die solche Kinder angeblich gepflegt hat. Die Dame vom Roten Kreuz war noch nicht da, und ich bin, da ich im Foyer erwartet wurde, von Cocteau wieder weggegangen, ohne das geringste erfahren zu haben.

Andererseits sagte mir → Ghéon, daß zwei junge Verstümmelte einer fünfzehn, der andere siebzehn Jahre alt, zur Zeit in Orsay in Behandlung seien. Er will mir noch Näheres berichten.

Nicht eine von all diesen Behauptungen konnte bewiesen werden.

[S. 447 f.]

27. Dezember 1915
Ghéon, der acht Tage Urlaub hat, liest uns Gedichte vor, die er in letzter Zeit geschrieben hat; einige scheinen mir ausgezeichnet. Ich bedaure es daß seine lange Schrift über Romain Rolland mit oft zweifelhafen Argumenten arbeitet. Er kommt einmal mehr auf die abgeschnittenen Kinderhände zu sprechen, wo wir doch vergeblich in allen Richtungen nach einem erwiesenen Vorfall geforscht haben, wo doch alle vom Foyer durchgeführten Umfragen im Hinblick auf die enorme Prämie, die von amerikanischer Seite demjenigen in Aussicht gestellt worden war, der die Greuel würde bestätigen können, nur zu Dementis geführt haben.

Hierher und in diesen Zusammenhang gehört die seltsame und rührende Geschichte, die Madame Théo aus dem Foyer berichtet; sie selbst hat sie von Madame Théâtre, einer braven, tüchtigen Frau aus dem Volk, deren bizarrer Name uns amüsierte, die jedoch außergewöhnlich zurückhaltend war und sich uns gegenüber immer ein wenig reserviert verhielt. Alle acht Tage kam sie an unseren Tisch, um ihre Unterstützung abzuholen. Gewöhnlich wurde sie von einem drei- oder vierjährigen kleinen Jungen begleitet. Ich erinnere mich an meine Erschütterung, als ich den Kleinen beim erstenmal aus unserem Vorrat eine Zuckerstange geben wollte und bemerkte, daß ihm die rechte Hand fehlte; der Ärmel seiner Jacke verbarg recht und schlecht einen gräßlichen Stummel, der im übrigen keine Spur von Naht oder Narbe aufwies; das Glied war in Höhe des Handgelenks ganz einfach zu Ende.... Die Mutter, die meinem Blick gefolgt war, sagte mir daraufhin, ihr Kind sei "so geboren worden". Ich wunderte mich, da ich so etwas nicht für möglich gehalten hatte; es blieb mir aber nichts anderes übrig, als der Mutter Glauben zu schenken. Und nun die Geschichte:

Als die Deutschen in Reims einfielen, gab es in der Bevölkerung, unter die sich die feindlichen Soldaten und Offiziere mischten, ein großes Durcheinander. Durch Zufall geriet Madame Théâtre in einen Metzgerladen, wo sie hinter einem deutschen Leutnant anstehen mußte; sie trug ihren Sohn auf dem Arm. Der Leutnant wurde vor ihr bedient. Auf das Geldstück, mit dem er bezahlte, bekam er zwei Sous heraus. Im Bestreben, sich beliebt zu machen, vielleicht aber auch aus angeborener Gutmütigkeit, drehte er sich um und hielt die zwei Sous dem Kleinen hin. (Hier muß eingefügt werden, daß die Mutter, die heute den Stummel unter einem längeren Ärmel verbirgt, ihn damals ziemlich ungeschickt in einen auffallenden weißen Verband gewickelt hatte). Der Kleine machte, als er nach dem Gebotenen griff, eine Bewegung, die seine Mißbildung enthüllte.

"Und da habe ich gesehen", erzählte Madame Théâtre, "wie der Offizier die Farbe wechselte, wie seine Züge sich verkrampften, seine Lippen zitterten; er hat mich angesehen; ich merkte, daß er sprechen wollte, aber nichts sagen konnte; ich verstand seine Frage aber auch ohne Worte. Sicher dachte er: Es ist also wahr, was man uns nachsagt? So etwas haben die Unseren getan?... Und auch ich fand keine Worte, um ihm zu sagen: Nein, es ist nicht das, was Sie glauben. Ich schüttelte einfach den Kopf, wie einer, der nein sagen will; ich dachte, er werde schon verstehen... Sie müssen aber wissen, daß ich seit ein paar Tagen keine Nachricht mehr von meinem Mann hatte und ihn für tot hielt, so daß mein Gesicht so traurig war, daß er sich wohl getäuscht hat. Er ist rasch zum Laden hinausgegangen, die Hand vor den Augen und von Schluchzen geschüttelt."

[S. 475 ff.]

Götz von Berlichingen

Zitat von: Urs Hessling am 08 Juli 2011, 10:02:26
Karl Neureuther ist ein Onkel des Skiläufers Christian Neureuther

Die Ähnlichkeit ist mir auch gleich ins Auge gesprungen und als ich den Todesort Garmisch-Partenkirchen las, habe ich mir fast gedacht, daß es Verwandte sein müssen.  :-D

In der Anlage eine von Kptlt. a.D. Karl Neureuther verfaßte Schilderung der Ereignisse auf einer der nächsten Feindfahrten in die Irische See, bei und nach der Versenkung des engl. U-Bootes D 6 durch UB 73 gute zwei Monate nach den im MNB 6 beschriebenen Geleitzugschlacht, am 23./24. Juni 1918, erschienen im Bayernbuch vom Weltkriege 1914 - 1918, II. Band, bearbeitet von General d. Artillerie z.D. Konrad Krafft von Dellmensingen und Generalmajor a.D. Friedrichfranz Feeser unter amtlicher Mitwirkung des Bayerischen Kriegsarchivs, Chr. Belser AG Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 1930, S. 634/635:

http://tinypic.com/r/16l9w1j/7

http://tinypic.com/r/2a65r48/7

MichiK

Mennoh... meines ist immer noch nicht gekommen?!
Sind denn schon alle verschickt worden oder kommt da noch was nach?

Michi
ROMANES EVNT DOMVS!

Langensiepen

#29
Bei der Menge der versandten Hefte kann ab und zu mal eine Verzögerung oder ein Verlust eintreten. Ich leite Ihre Anmerkung weiter. Bitte immer sich direkt an den Arbeitskreis wenden.
Mfg Bernd Langensiepen

PS: Mach einer übersiehte aber auch schlicht, daß er vergessen hat das Heft zu bezahlen. (Ohne Moos geht nix los)   :-D






Mit freudlichen Grüßen

Bernd Langensiepen

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